Читать книгу Firelove - Nola Nesbit - Страница 12

Ziele

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„Küss mich!“

Alex sah mich skeptisch an. Noch hielt sie die Klinke in der Hand. „Hallo auch!“, sagte sie.

„Küss mich! Jetzt.“

Ihre Augenbrauen zogen sich über den mandelförmigen Augen zusammen. Sie gab der Tür mit dem Fuß einen kräftigen Stoß, kam auf mich zu, griff nach meinen Schultern, zog mich an sich. Ihre vollen Lippen öffneten sich, sie pulte den obligatorischen Kaugummi aus dem Mund, lächelte kurz, um plötzlich mit der Zunge über meinen Mund zu streichen. Ich presste mich an sie, schloss die Augen und küsste sie hart und langandauernd. Alex löste sich von mir viel zu schnell.

„Entschuldige. Was dagegen, wenn ich kurz Luft hole?“

„Schläfst du mit mir?“

„Schön, dass du mich noch fragst.“

„Und?“

„Jetzt sofort?“

„Warum nicht?“

„Darf ich noch meine Stiefel ausziehen?“

Niemand brachte mich so zum Lachen wie sie. Alex streifte mit jeweils einer Hacke die spitzen Cowboy-Stiefel ab, ihr Körper vollzog dabei ein paar wackelige Wendungen. Durch einen ihrer Socken blinkte ihr weißer, großer Zeh. In der Hose befand sich am Hintern ein langer Riss, der eine bunte Shorts erahnen ließ. Durch die anderen Löcher sah ich nur gebräunte Haut. Auf ihrem T-Shirt stand „Rescue me!“. Ich liebte ihre Mottoshirts und ging davon aus, dass in ihrem Keller eine Maschine stand, mit welcher sie stets neue Exemplare anlassgerecht bedrucken konnte. Mittels dieser Botschaften reagierte sie auf das Leben. Die Wahl des jeweiligen Shirts ließ mich vermuten, dass sie in die Zukunft sehen konnte.

Alex arbeitete als Darstellerin in einer täglichen Fernsehserie. Sie war wahnsinnig sexy, selbstbewusst und klug. Konventionen waren ihr egal. Sie mochte mich. Ich mochte sie. Sie war nach Ethan das Beste, was mir seit Jahren passierte.

„Vielleicht erzählst du erst mal, was los ist“, schlug sie vor.

„Ich möchte aber nicht reden“, blockte ich ab.

„Habe ich bereits gemerkt. Doch diese Art von Überfall bin ich einfach nicht mehr von dir gewöhnt, seitdem du mit dem unglaublich gut aussehenden, unglaublich reichen, unglaublich einflussreichen, unglaublich heterosexuellen Ethan Waterman zusammen bist.“

Die Erwähnung seines Namens versetzte mir einen Stich. „Er weiß, dass ich dich treffe.“

„Warum? Wolltest du ihn etwa ärgern?“

„Was ist los? Habt ihr einen Angriffspakt geschlossen, nur, um mich richtig fertigzumachen?“, giftete ich direkt zurück.

„Wer ist bitte ‚ihr‘?“, fragte Alex.

Ihr Nachfragen ärgerte mich. Das verzehrende Verlangen, das mich überfallen hatte, als ich endlich in meiner Wohnung ankam, war plötzlich wie weggewischt. Der Tod hatte wieder mal eine Ehrenrunde um mich gedreht. Alles, was ich wollte, war, geliebt zu werden. Ich hatte Alex gebeten, mitten in der Nacht zu mir zu kommen, weil ich Unterstützung suchte und Ablenkung von meinen Konflikten. Ethan billigte meine Beziehung zu Alex stillschweigend. Er war der Mann, den ich liebte, und das hatte Priorität. Das wusste er, das wusste Alex, und das wusste ich. Ich hinterging niemanden, wenn ich mich mit Alex traf. Ethans Haus verließ ich ohne weiteres Zögern. Er schien es nicht einmal bemerkt zu haben. In diesem Moment war ich froh, meine Wohnung in der Stadt nicht aufgegeben zu haben. Ein Taxi hatte mich nach Sandy Hills zurückgebracht. Die Uhr zeigte mittlerweile zwei Uhr in der Nacht. Jetzt stand ich hier mit Ethans Vorwürfen, mit meinen hausgemachten Selbstzweifeln und Alex’ zurückweisender Art. Von mir aus konnten mich alle mal!

Ich wandte mich ab, durchquerte das Wohnzimmer und warf mich im Schlafzimmer auf das Bett. Vorher knallte ich die Tür noch zu. Dann erst gestattete ich es mir, loszuheulen.

„Was, bitte schön, ist das?“

Kurz blickte ich auf und ließ mich wieder sinken. Ins Kissen hinein schluchzte ich: „Eine Erstausgabe. Kant.“

Alex hielt das in Leder gebundene Buch in der Hand wie ein Heide den Bischofsstab. „Wow. Ich bezweifele, dass mehr als fünf Menschen auf diesem Planeten es überhaupt noch lesen können.“

Alex hatte wirklich keine Ahnung. Denn darum ging es einfach nicht.

„Ein Geschenk“, verkürzte ich. Durch das Schluchzen klang es abgehackt.

„Muss man einen Führerschein machen, um so etwas verschenken zu dürfen?“ Ohne sie sehen zu können, wusste ich, dass Alex den Kopf schüttelte. „Kein Mensch liest mehr ein Buch, und er schenkt dir eine Erstausgabe?!“

Sie hatte recht: Bücher galten als antiquiert und out. Niemand las sie mehr. Nur in Museen fand man noch besondere Exemplare und alte Ausgaben für Nerds und abseitig Interessierte in Antiquariaten. Die Wasserknappheit hatte auch dem Buch den Garaus gemacht. Zur Papierherstellung wurde Wasser benötigt, und zwar viel. Wasser war unbezahlbar. Neue Bücher ebenfalls. Informationen, Geschichten, Artikel las man nur noch auf dem Mob, der „Mobilen Operationseinheit“. Das Gerät für alle Gelegenheiten: Telefon, Rechner, Musikbox, Bank, Pass und Führerschein. Als Gadget kam es ultimativ daher.

Aber dennoch: Kein Mensch brauchte Alex’ Spott. „Hau ab!“, murmelte ich.

Alex lag mittlerweile neben mir auf dem Bett ausgestreckt, die Hände faltete sie hinter dem Kopf. „Du spinnst wohl. Ich komme doch nicht mitten in der Nacht hier raus, um mich postwendend wieder nach Hause schicken zu lassen.“

Dass ich weinte, schien ihr nichts auszumachen.

„Was ist mit deinem Kopf passiert?“

„Gestoßen“, heulte ich, „und fast ertrunken bei Le Feu.“ In meiner Hosentasche fand ich das Gerät. „Und auch mein Mob ist ruiniert.“ Im Display glänzten Perlen. Ein feiner Feuchtigkeitsfilm verhinderte, dass ich überhaupt noch Buchstaben oder Zahlen erkennen konnte.

Jetzt bekam ich Alex’ volle Aufmerksamkeit. „Was?“

Ich wischte mir die Tränen ab und versuchte, zu erklären, was kurz zuvor geschehen war.

Alex sah an die Decke, hörte mir zu, stellte hier und da ein paar Fragen. Bei der Erwähnung von Andrew und Steve runzelte sie die Stirn. Sie nannte Neal einen Vollidioten und Ethan überprotektiv. Sie machte einfach alles richtig, so, wie ich es schon immer von ihr kannte.

„Ethan behauptet, ich sei an allem schuld. Ich hätte mich leichtsinnig in Gefahr begeben.“

Nachdenklich antwortete Alex: „Naja. Kann ich schon verstehen. In der Höhle des Löwen ein Double-Date abzuhalten, ist schon vorwitzig. Aber du kannst schließlich nicht immer zu Hause sitzen und darauf warten, dass dich dort keiner findet.“

Alex hatte ja so recht. Genau das wollte ich von ihr hören.

„Le Feus Tochter, Abigail. Was hältst du von ihr?“, wollte Alex wissen.

„Ich traf sie dort zum ersten Mal. Sie sieht ziemlich bieder aus. Ich fand sie nett. Sie wirkte sehr in Neal verliebt. Wieso? Kennst du sie?“

Alex antwortete mit einer Gegenfrage: „Half sie dir?“

Ich dachte nach. „Unter Wasser griff jemand nach meinem Handgelenk. Ich kann nicht genau sagen, ob sie es war. Und ob der oder diejenige mir helfen oder mich noch tiefer unter Wasser ziehen wollte.“

„Wie geht es dir jetzt?“

Endlich fragte mich mal jemand. Es wurde aber auch langsam Zeit. „Nicht besonders. Mein Kopf puckert, und ich streite nicht besonders gern. Mal abgesehen davon habe ich Angst, Ethan könnte vielleicht recht haben: dass es kein Unfall, sondern ein Anschlag auf mein Leben war.“

Ich drehte mich auf den Rücken und stierte wie Alex an die Decke. Dort verdichtete sich die Dunkelheit in den Ecken. Ich berührte ihre Hand und ergriff sie. Wieder einmal bemerkte ich die Male an ihren Handgelenken. Narben zogen sich über die Innenseiten. Ich hatte mich noch nie getraut, Alex danach zu fragen. Wie erkundigte man sich schon nach einem längst vergangenen Selbstmordversuch?

So lagen wir still ein paar Minuten da, bis Alex wieder sprach: „Bleibt die Frage, warum du dich in Gefahr begibst und es immer wieder tust. Oder ob du es überhaupt vermeiden kannst. Vielleicht brauchst du einfach einen neuen Kick.“

Zweifelnd sah ich sie an: „Ertränkt zu werden, gehört nicht zu den Dingen, die ich als erregend empfinde.“

„Zieh dich mal aus“, verlangte sie.

„Bitte?“

„Zieh dich mal aus. Früher oder später musst du es ohnehin machen, da kannst du es auch gleich jetzt tun.“

Alex’ Logik leuchtete mir nicht ein, aber ich folgte ihrem Befehl. Sie betrachtete mich ausgiebig, bis ich mich an sie schmiegte. Ich wurde langsam müde.

„Jetzt hab ich’s!“

Träge äußerte ich: „Ich bin gespannt. Ich kann es kaum erwarten.“

„Du solltest dich wieder tätowieren lassen.“

„Warum denn das?“

„Du schlägst mehrere Fliegen mit einer Klappe. Es ist aufregend, dekorativ …“

„Dekorativ?!“

„Unterbrich mich nicht! … eine Herausforderung, und du machst Ethan damit eine Freude. Ich weiß, dass er diesen Fisch auf deinem Rücken wahnsinnig sexy findet.

„Das ist nicht nur ein Fisch. Es ist ein Koi.“

„Es will mir immer noch nicht in den Kopf, wie jemand, der Wasser so wenig ausstehen kann wie du, sich einen Fisch tätowieren lässt.“

„Es ging nicht um den Fisch, sondern um die Tradition des Motivs, um das, was es besagt.“

„Und das wäre was?“

„Ausdauer und Stärke. Der Sieg über widrige Umstände. Das gefällt mir bis heute gut.“

„Mir ist die Botschaft egal. Aber diese Tätowierung macht mich auch unheimlich an“, ergänzte Alex.

„Womit geklärt wäre, dass du nicht nur uneigennützige Ziele mit deinem Vorschlag verfolgst.“

„Nia. Irgendwas in dir sucht die Gefahr.“

„Falsch. Die Gefahr findet mich nur immer wieder.“

„Du lebst riskant. Vielleicht lenkt dich eine neue Tätowierung eine Weile davon ab.“

„Sollte Psychologie wirklich so einfach sein?“, antwortete ich schläfrig.

„Ich vermute schon. Und ich habe das noch nicht mal studiert.“

Firelove

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