Читать книгу Firelove - Nola Nesbit - Страница 9

Überraschungen

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Neal. Die Nachricht musste sacken. So viele Fragen wollte ich Felix stellen. Aber ich beschloss, zuerst zu duschen und mich anzuziehen. Felix nahm mich in dieser exponierten Situation ohnehin nicht ernst. Nackt war es unmöglich, Konversation zu machen.

Ethan reagierte auf die Nachricht mit dem ihm eigenen Ernst. Er wusste, dass mein Bruder Neal und ich uns nicht sehr nahe standen. Jahrelang trafen wir uns nicht, sprachen miteinander so gut wie nie. Felix war der Bruder, den ich gern gehabt hätte. Neal war der Bruder, den das Schicksal mir beschert hatte. Neal lebte als Chaot mit einem Hang zur Esoterik überall und nirgendwo. Er tauschte den Wohnort und die Jobs häufiger, als andere die Unterwäsche wechselten. Er war jünger als ich und nicht gewillt, erwachsen zu werden. In den vergangenen Jahren übte er so ziemlich jeden gesundheitsorientierten Beruf aus, den es gab: Fitnesstrainer, Masseur, Ernährungsberater. Man beeindruckte ihn leicht, er folgte jedem Trend. Manchmal verschwand er spurlos für ein Jahr. Meine Eltern und ich zweifelten gelegentlich an seiner Existenz, weil er sich aus Prinzip nie meldete und es sich ebenfalls von uns verbat.

Ethan duschte noch. Felix und ich saßen in der Küche. Er schaufelte konzentriert Essen in sich hinein. Ihn so zu sehen erinnerte auch mich daran, dass mich großer Hunger quälte. Mit einem Seitenblick auf Felix stichelte ich: „Nach der Menge an Toast und Ei zu urteilen, scheint die Lieblingsrolle als Voyeur deinem Appetit nicht zu schaden.“

„Ihr müsst wirklich damit aufhören. Das kann auf Dauer nicht gesund sein.“

Ich lachte. „Du bist nur neidisch. Alles andere verursacht Rückenmarksschwund.“

Felix verschluckte sich und hustete. „Das habe ich schlicht und ergreifend nicht nötig.“

„Beweise es!“ Ich lachte. „Reich mir mal bitte den Kaffee!“

Während ich Milch und Kaffee mischte, suchte ich nach Worten. „Okay. Neal. Was hat er gesagt?“

Felix antwortete mit vollem Mund. „Viel interessanter ist, was er nicht gesagt hat.“

Ich sah auf. „Wie bitte?“

Felix schluckte, pausierte dramatisch. „Er war nicht allein.“

„Können wir das einfach abkürzen? Deine Andeutungen machen mich nervös.“

„Ich traf Neal im Coffeeshop. Ich hatte Schwierigkeiten, ihn überhaupt zu erkennen. Weil er am Mund mit einer Frau zusammenhing.“

„Was? Neal hat eine Freundin?!“ Ich war fassungslos.

„Davon ist wohl auszugehen. Er hat sie mir sogar vorgestellt.“

Neal leistete sich Affären. Alles andere strahlte ihm zu viel Verbindlichkeit aus.

Ich kannte ihn schon kaum, geschweige denn eine seiner Freundinnen. Es fiel mir schwer, die Nachricht zu verdauen. „Und? Wer ist sie? Und wie heißt sie? Und was machen die beiden hier in Sandy Hills?“

„Wow. Langsam. Ich schlage vor, dass du das alles gleich selbst in Erfahrung bringst.“ Felix grinste. „Er müsste nämlich gleich hier sein.“

„Was?!“ Der Schock traf mich so hart, dass ich den Kaffee verschüttete.

„Mensch, Nia. Reg dich ab! Immerhin hast du wieder etwas an. Ich dachte, du freust dich, ihn zu sehen.“

Während ich mit einem Papiertuch meine Kleckerspuren beseitigte, überlegte ich: Freute ich mich, meinen Bruder zu sehen? Das letzte Mal hatte ich ihn bei meiner Surpriseparty getroffen, die Ethan anlässlich meiner Rückkehr aus Costa Rica für mich organisierte. Neal war einer der Überraschungsgäste. Flüchtig wie ein Vogel sagte er hallo und verschwand am Tag darauf schon wieder. Neal war wie der Wind eine vergängliche Erscheinung. Wenn er freiwillig kam und auch noch nach mir suchte, konnte das nichts Gutes zu bedeuten haben.

Ethan betrat die Küche. In der Hand hielt er ein Paket, das er auf den Tresen legte. Zeitgleich klingelte es.

„Wann, verdammt noch mal, wolltest du mir das eigentlich erzählen, Felix?“, zischte ich. Ich hasste solche Überraschungen.

Felix zuckte mit den Schultern. „Rechtzeitig, wie du siehst. Ich denke mal, das ist Neal.“ Sein unschuldiger Hundeblick konnte mich in den Wahnsinn treiben.

Ethan sah mich mit hochgezogenen Augenbrauen an.

„Frag nicht!“, blaffte ich ihn an.

Wie zur Verteidigung breitete er die Arme aus. Sein schwarzer Anzug warf nicht einmal Falten. Ich liebte blaue Klamotten und Ethan schwarzes Tuch. Manchmal empfand ich seinen perfekten Look fast als Provokation.

„Tut mir leid“, korrigierte ich meinen Ton. Ich warf den mit Kaffee vollgesogenen Papierklumpen nach Felix. Er wich ihm geschickt aus, wie er es immer tat.

„Dein Bruder macht mich noch irre.“

Während ich zur Tür ging, vernahm ich Ethans Worte: „Willkommen im Club!“

Ich versuchte, meine Gedanken zu ordnen, was mir nicht recht gelang. Seitdem ich regelmäßig Zeit in seinem Haus verbrachte, hatte Ethan ein kostspieliges Sicherheitssystem installiert. Mir erschien der Aufwand unverhältnismäßig, aber mein Körper war immer noch begehrt, auch wenn ich das täglich zu vergessen suchte. Die Ironie bestand darin, dass das Türschloss meiner eigenen Wohnung in Sandy Hills eine Beleidigung für jeden anständigen Einbrecher darstellte. Sogar ein mittelmäßig begabtes Haustier konnte den Mechanismus knacken. Sicher fühlte ich mich wirklich nur in Ethans Haus. Ein Blick auf den in der Wand eingelassenen Bildschirm zeigte mir: Neal stand tatsächlich vor der Tür.

Während ich meine Garderobe auf die Grundfarbe blau beschränkte, sprach Neal dem kompletten Farbspektrum zu. Sein Hawaiihemd war rot mit gelben und grünen Blüten. Die Farbkombination allein reichte, um jeden Normalsterblichen optisch zu verwirren. Neals hektischer Blick zuckte von links nach rechts, einen Moment lang schenkte er der Kamera ein flüchtiges Lächeln. Der Platz vor dem Haus war ansonsten leer, wie der verzerrte Blick des Kamera-Fischauges mir verriet. Ich öffnete die Tür.

„Neal!“

„Nia! Hi! Wie geht es dir?“ Ungelenk umarmte er mich. Sein Pferdeschwanz strich mir über das Gesicht. Er roch so, wie Menschen riechen, die regelmäßig in einem Yoga-Studio trainierten oder meditierten. Nach Sandelholz und Rauch und asiatischem Gewürz.

„Oh, danke. Ziemlich gut. Und dir?“

„Großartig. Schicke Bude hat dein Freund.“

Bude. Ethans Architekt hätte sich nach diesem Kommentar vermutlich freiwillig das Leben genommen. Er würde glücklicherweise nie davon erfahren. Zumindest nicht durch mich. „Ja. Mir gefällt es auch ganz gut. Aber komm doch erst mal rein!“

Neugierig blickte Neal sich um. Wie die meisten Menschen beeindruckte ihn, was er sah.

Als wir die Küche betraten, sahen Ethan und Felix auf. Die Ankunft einer bunten Giraffe hätte nicht mehr Aufmerksamkeit erregen können. Genau genommen war Neal in seinem schrillen Oberhemd nicht weniger als das. Man schüttelte Hände, tauschte Begrüßungsformeln aus. Ganz die Dame des Hauses, die ich nicht war, bot ich Neal Kaffee an.

„Nein, lieber Tee. Habt ihr auch Kamille?“

Innerlich verdrehte ich die Augen. Verwandtschaft blieb peinlich. Das war ein ehernes Gesetz.

Neal nahm vor der dampfenden Tasse am Tresen Platz. Wir alle schwiegen, sahen ihn neugierig an. Als ich die Stille nicht länger ertrug, platzte ich heraus: „Was treibt dich zu mir?“

Ethans Fuß traf mich seitlich am Schienbein. Er hatte recht: Höflichkeit sah anders aus.

Aber mein Bruder störte sich an meiner Direktheit nicht. „Ein Date.“

„Mit wem?“ Damit hatte ich nicht gerechnet.

„Ich möchte mit euch essen gehen.“

Ich stotterte: „Äh, von mir aus. Klar. Jederzeit.“

„Mit dir, Nia, und mit dir, Ethan.“

„Was? Bin ich nicht erwünscht?“, frotzelte Felix.

„Ich brauche ein Double-Date, denn ich habe eine neue Freundin.“

„Wie heißt sie?“ Jetzt endlich waren wir bei dem Thema, das mich wirklich interessierte.

„Abigail.“

In Felix’ Gesicht leuchtete etwas wie diebische Vorfreude. Ich verstand wieder einmal nicht, was hier im Gange war.

„Ich möchte sie beeindrucken.“

„Mit wem? Mit uns?“ Im gleichen Augenblick wurde mir die Beschränktheit meiner Frage klar. Es ging gar nicht um mich, denn ich war unwichtig und uninteressant. Ethan war der Mann, mit dem man glänzen konnte. Ethan Waterman: der weltweit jüngste Milliardär, Wissenschaftler und Kunstmäzen.

Neal sah mich beschämt an.

Ich erkannte, wie wichtig ihm die Zusage war. Ihm zu helfen, fiel mir plötzlich leicht. „Ich denke mal, das stellt kein Problem dar. Was sagst du, Ethan?“

Ethan zuckte mit den Schultern. „Natürlich. Gern.“

Felix hielt es kaum mehr auf seinem Hocker. Er wirkte wie ein zu großes Kind, das es nicht erwarten konnte.

Neal hingegen atmete auf. „Was haltet ihr von morgen, Sonntagabend?“

„Da haben wir nichts vor.“

Neal seufzte erleichtert auf. „Wenn ihr nichts dagegen habt, reserviere ich. Ich melde mich, wenn alles steht.“

„Fein. Dann also bis Sonntagabend. Du meldest dich.“ Ich stand auf. Das Wichtigste war gesagt. Ich irrte mich.

Ethan schob mir das Paket hinüber. „Ich hätte das lieber unter vier Augen überreicht. Aber heute ist uns das Glück nicht hold. Ich muss jetzt in die Firma. Die Arbeit ruft.“

„Heute? Es ist Samstag.“ Die Enttäuschung stand mir ins Gesicht geschrieben. Ethan war ein Workaholic. Je mehr Aufträge er verlor, desto schlimmer wurde es. Und das lag an mir. „Aber warum?“

„Neue Aufträge akquirieren, Ideen sammeln, Proben testen und evaluieren. Aber ich möchte hier niemanden langweilen“, setzte er nach.

Ich seufzte. Nicht nur, weil Ethan sich wieder mal in sein Büro verkroch, anstatt Zeit mit mir zu verbringen, sondern weil ich wusste, was „Proben testen und evaluieren“ eigentlich bedeutete: Zu seinen Lieblingsproben gehörte nämlich mein eigenes Blut. Seitdem mich der Kuss unter Wasser im vergangenen Jahr nicht hatte verwandeln können, forschte er wie besessen daran, was mein Blut und damit mich anders machte. In Ethans Welt lagen alle Erklärungen in unserer DNA verborgen. Herauszufinden, was an mir besonders war, trieb ihn manisch um.

„Tut mir leid! Glückwunsch zum Einjährigen!“ Er beugte sich zu mir, hielt meinen Kopf in seinen Händen und küsste mich. Dass wir Publikum hatten, störte ihn nicht.

Hitzewallungen rauschten meinen Rücken hinunter. Seine offene Liebesbekundung ließ mich erröten. Er schmeckte nach frischer Zahnpasta. Nach Pfefferminze. Ethan schmeckte immer gut. Für einen Moment war ich entrückt.

Als er sich von mir löste, lächelte er.

Felix und Neal grinsten beide mit.

Nervös fummelte ich an der Paketschnur, riss sie schließlich ab. „Du hättest nicht …“ Endlich löste sich das Papier. Ein Holzkasten, mit dessen ledernem Verschluss ich den Deckel öffnete, darin ein delikater Stoff, dessen Ecken ich zurückschlug. Meine Augen wurden groß. Vorsichtig hob ich das Buch heraus. Es war schwer, der Umschlag aus antikem Leder, versehen mit einem goldenen Stich. Die altmodische Schrift war auf Anhieb nicht zu lesen. Wie hießen noch einmal diese Lettern? Sütterlin. Nur ein Buchstabe fiel auf: ein großes K. Eine Zahl erkannte ich auf der zweiten Seite. 1781. Ich saugte die Luft ein, als ich endlich begriff. „O mein Gott! Ist das eine Erstausgabe?“

„Die Kritik der praktischen Vernunft. Du magst doch Kant.“

Ich mochte Kant. Immanuel Kant. So konnte man das auch formulieren. Dieses Exemplar hier war ein Vermögen wert. „Wo hast du das her?“

„Eine Auktion bei Sotheby’s. Glücklicherweise trennte sich ein privater Sammler rechtzeitig davon.“

Ethans Vermögen, seine Gesten, die Geschenke. Es war schwer, in diesen Dimensionen überhaupt zu denken. „Freust du dich?“

„Natürlich. Danke, Ethan. Das ist komplett verrückt.“ Andere Paare buken sich einen Kuchen – mich beschenkte mein Freund mit einem Museumsstück. Verhältnismäßigkeit war offensichtlich keine zuverlässige Größe in unserer Beziehung.

„So, Leute. Ich muss jetzt wirklich los.“ Neal schob seinen Tee beiseite.

Überwältigt blickte ich auf. Für ein normales Frühstück erlebte ich entschieden zu viele Überraschungen. „Ich bringe dich noch zur Tür.“ Ich erhob mich ungelenk.

Felix meldete sich zu Wort: „Ach, Neal. Wie heißt deine Freundin noch mal?“

Wir alle betrachteten Felix wie einen Schwachsinnigen. Wie konnte er den Namen bereits vergessen haben? Er lächelte.

Zögerlich antwortete Neal: „Du kennst sie doch: Abigail. Abigail Le Feu.“

Etwas an Ethans Körperhaltung wurde plötzlich hart. Als ich ihn von der Seite betrachtete, bemerkte ich seinen starren Blick. Er schob seinen Hocker zurück und verließ den Raum ohne ein weiteres Wort.

„Was … was ist los mit ihm?“, fragte Neal und sah mich betreten an.

Felix Antwort war klar und deutlich, aber sie verwirrte mich noch mehr: „Nun. Sagen wir, dass Abigail und Ethan sich schon seit Langem kennen.“

Firelove

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