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7 Schloss Pélissier
ОглавлениеDer volle Mond lag bleich und ein wenig unwirklich über der weichen Talmulde und den durch die anhaltende Dürre ausgetrockneten Feldern. Zu beiden Seiten erhob sich schwarz der Wald gegen das silberne Licht, drohend fast in seiner Dichte und Üppigkeit. Die Fenster von Valfleur blickten mit blinden Augen in die Nacht hinaus, bis auf eines, das hoch oben im Dachgeschoss lag und aus dem ein mattgelber, warmer Kerzenschein drang.
Seufzend legte Madeleine den Kopf auf das Kissen zurück. Der Schlaf floh sie, und alle Bilder und Eindrücke der letzten Stunden zogen immer wieder durch ihren schmerzenden Kopf. Seitdem Madame d’Emprenvil mit dem Journalisten Desmoulins in Paris weilte, um die beiden Ausreißer zu suchen, war so viel geschehen. Noch konnte die Hausherrin nicht wissen, dass neue Unruhe auf sie wartete, dass sich unter den gesuchten aufständischen Parlamentariern, die ihrer Verhaftung entflohen waren, ihr Mann befand, der sich auf dem Gut vor der Polizei versteckte! Madeleine wälzte sich unruhig von einer Seite zur anderen. Die freudige Überraschung, als sie den Baron so unerwartet und plötzlich erblickt hatte, abgehetzt und erregt von der abenteuerlichen Flucht, war umgeschlagen in eine bange Furcht. Das Vertrauen, das er ihr in den ersten Augenblicken schenkte, und die Hilfe, die er von ihr erwartete, ließen ihre Kräfte zunächst ins Unermesslich erwachsen. Könnte sie nicht mit ihm fliehen, weit fort! Ach, welcher Gedanke! Mit einer Handbewegung scheuchte sie die Fantasien hinweg.
Zunächst hatte sie ganz allein seine Anordnungen in die Tat umsetzen müssen: eines der abgelegenen Zimmer des Schlosses herzurichten, das, wie fast in allen Landsitzen solcher Art, für unruhige Zeiten einen versteckten Gang ins Freie besaß; sie hatte für die Mahlzeiten gesorgt und dafür, dass niemand sonst von seiner Ankunft erfuhr, nicht einmal seine Kinder. Hatte er geglaubt, er würde sich vor seiner Bestrafung verstecken können, so lange, bis die Wogen geglättet waren? Sie wusste es nicht. Doch letztendlich war alles vergeblich gewesen, die Hand des Königs reichte bis Valfleur; ein Ultimatum war gestellt worden und sollte d’Emprenvil nicht binnen einer kurzen Frist gehorchen und sich freiwillig melden, so würde er seines Titels und aller seiner Rechte verlustig gehen. Er musste sich beugen. Lachend hatte er gescherzt, dass man ihn schlimmstenfalls nach St. Marguerite schicken könnte, auf die ferne Insel, in dessen Kloster der König gerne unbequeme Widersacher für eine Weile verbannte; ein Ort, der völlig abgeschieden von der Welt sein musste! Sie erhob sich und löschte das Licht der Kerze, obwohl sie fühlte, dass sie keine Ruhe finden würde.
Immer wieder sah sie die Wärme und Freundlichkeit in d’Emprenvils Augen und spürte den Druck seiner Hand, als er die ihre erfasst und sie unendlich zärtlich an seine Lippen gezogen hatte; sie hörte jede Nuance seiner sanften Stimme, als er ihr mit den Worten dankte: »Ich sehe in Ihnen eine Vertraute, Madeleine.« Wie schön ihr Name aus seinem Munde klang! Sie gab sich derlei süßen wie auch schmerzlichen Gedanken hin, bis sie endlich in einen tauben Dämmerzustand sank.
Doch kurz darauf schreckten gedämpfte Stimmen, aufgeregtes Wiehern und laute Rufe sie wieder hoch. Rasch öffnete sie das Fenster und beugte sich weit über das Sims. Eine Gruppe Männer mit gesattelten Pferden und zwei Stallknechten waren vage auf dem Rasenplatz neben den Wirtschaftsgebäuden zu erkennen, von denen einer den unruhigen, aufgezäumten Schimmel des Barons zu bändigen versuchte. Der Schreck lähmte ihren Atem, und sie fühlte, dass es nun so weit war – d’Emprenvil brach auf; er musste fort, weil der König ihn vielleicht zwang, ohne Frist und auf der Stelle das Land zu verlassen! Sie konnte ihn jetzt ganz deutlich dort unten erkennen, er stand neben Rospert, dem Verwalter, der eilfertig wie immer zur Stelle war und zusammen mit dem verschlafenen Stallburschen das sich aufbäumende Pferd beruhigte. Schließlich, ohne die Stimmen in ihr, die sie vor einer Blamage warnten, zu beachten, riss sie kurz entschlossen ihren Mantel aus dem Schrank, warf ihn sich um die Schultern und lief wie gejagt die Treppen hinab. Sie musste ihn noch einmal aus der Nähe sehen, bevor er für so lange Zeit aus ihrem Blickfeld verschwand!
Als sie die Tür öffnete, drang ihr der gehetzte Klang einer unbekannten Stimme ans Ohr. »...und sie haben ihn gezwungen, alles herauszugeben. Einer hat ihm den Hut vom Kopf gerissen und ist darauf herumgetrampelt... und der alte Graf – er war noch im Schlafrock – kam, auf seinen Stock gestützt, herausgehumpelt und begann, ganz fürchterlich zu schimpfen...« Madeleine trat neugierig näher, um besser zu hören. »... aber sie stießen den Alten so grob beiseite, dass er taumelte, und dann durchwühlten sie alle Schränke, unter dem Vorwand, Brot zu suchen, doch ich sah, wie sie alle Wertsachen einsteckten. Der Anführer – ich glaube, es war dieser rohe Bauernbursche Antoine aus dem Nachbardorf, der schon immer gern getrunken und sich geprügelt hat – nahm Monsieur de Platier gefangen und ließ ihn an einen Baum binden. Ich konnte wirklich nichts tun... ich hielt mich abseits, um nicht selbst...«
Die Stimme wurde kleinlaut, doch der Baron forderte ihn ungeduldig auf: »Weiter, schnell, was war dann?«
Der Mann stammelte: »Einige hatten die Gesichter geschwärzt, die anderen waren bis zum Umfallen betrunken, sie grölten und begannen, Holz und Stroh herbeizuschaffen, um, wie sie laut schrien, den Aristokraten endlich einmal einzuheizen. Angeblich wollten sie nur alle Papiere, Dokumente und Privilegien verbrennen, die den Adeligen erlaubten, mehr zu sein als das Volk. Das sei nur ihr gutes Recht! Ich hatte aber keinen Zweifel, dass sie ebenso das Schloss meinten, und machte mich heimlich schnell davon, um Hilfe zu holen. Ich bitte euch, helft, schnell... wenn es nicht schon zu spät ist!« Die aufgeregte Stimme brach ab, und Madeleine erkannte erst jetzt die etwas bucklige, kleinwüchsige Gestalt des Verwalters von Schloss Pélissier, der am ganzen Körper zitterte.
»Keine Sorge, es wird schon nicht so schlimm sein!« Der Baron bemühte sich, seiner Stimme einen leichtherzigen und unbekümmerten Ton zu geben. »Beruhigt Euch, die paar Betrunkenen werden wir bald auseinandergejagt haben!« In diesem Moment drehte er sich zur Seite und erblickte Madeleine, die ihren Mantel fröstelnd enger um die Schultern zog. »Was haben Sie denn hier draußen zu suchen, Mademoiselle?«, fragte er leicht verärgert und ein wenig strenger als gewöhnlich. »Gehen Sie nur hinein, ich möchte nicht, dass das ganze Haus geweckt wird, und schließen Sie die Türen gut hinter sich zu!«
»Ich hörte Stimmen und wollte nur nachsehen«, stotterte Madeleine, »Madame hat mir die Aufsicht des Hauses ganz besonders ans Herz gelegt, bevor sie abreiste!«
»Das ist sicher sehr lobenswert«, sagte der Baron mit seinem etwas ironischen Lächeln, während er, wie um sich für seinen rauen Ton zu entschuldigen, auf sie zutrat und den Arm schützend um ihre bebende Gestalt legte, »aber Sie zittern ja! Ich glaube, Sie gehen besser wieder zu Bett. Sie haben ja selbst gehört, was auf Schloss Pélissier vor sich geht, und werden verstehen, dass es keinen Sinn hat, hier draußen herumzustehen. Sie werden sich nur erkälten. Meine Pflicht ist es, meinen Nachbarn zu Hilfe zu kommen, außerdem will ich den Störenfrieden von Pélissier vor meiner Abreise noch einen gehörigen Denkzettel verpassen! Doch haben Sie keine Angst, das Gut hier ist hervorragend bewacht. Diese Bauerntölpel werden, so wie ich sie kenne, beim Anblick von ein paar Flinten sofort das Hasenpanier ergreifen. Denen werden wir es ein für alle Mal zeigen, dass man nicht uralte, verbriefte Rechte ganz einfach verbrennen kann!«
D’Emprenvil zwinkerte ihr in alter Manier jungenhaft lächelnd zu, bückte sich, um die Schnallen seiner Stiefel enger zu ziehen, und steckte sich eine Pistole in den Gürtel. Zusätzlich schulterte er noch seine Jagdflinte, nicht ohne selbst fachmännisch den Sattelgurt zu überprüfen, bevor er sich elegant auf sein Pferd schwang, die Hilfe des Stallburschen zurückweisend. Er schüttelte insgeheim den Kopf über die Dummheit der Landbevölkerung. Wahrscheinlich waren es wieder durch die Broschüren und mit dem Geld des Herzogs von Orleans aufgehetzte Aufrührer und alles war nur halb so wild. Im Übrigen glaubte er fest an die Gutmütigkeit seiner Bauern – niemals wären sie zu Mord und Totschlag oder gar Brandstiftung fähig. Und ausgerechnet den mittellosesten aller Landgrafen hatten sie sich ausgesucht, de Platier, der selber nichts zu beißen hatte. Was wollte man auf seinem halb zerfallenen Schloss schon holen! Der arme Mann war im Grunde auch nicht viel besser dran als seine Bauern.
Ruhig wandte er sich an die Männer, denen er durch Rospert Waffen ausgeben ließ: »Nur im Notfall schießen, und nur auf meinen ausdrücklichen Befehl! Ich bin überzeugt, dass die Leute nur auf sich aufmerksam machen wollen, aber im Grunde sind sie harmlos. Ich werde sie sicher ohne Gewalt beruhigen können. Rospert...«, er wandte sich an den Verwalter, der ihm tatbereit, voller Diensteifer zunickte, »... halten Sie sich an meiner Seite. Lassen Sie das Tor schließen und ermahnen Sie die Wachen zu doppelter Vorsicht. Ein Aufstand ist ansteckend und könnte andere ermutigen, das Gleiche zu versuchen!«
Madeleine stand immer noch wie festgebannt auf den Stufen und sah zu, wie die Männer sich auf die Pferde schwangen. »Und Sie, Mademoiselle, sagen Sie den Soldaten des Königs, sie sollen warten; erst wenn ich meine Pflicht getan habe, können sie mich holen!«, rief der Baron ihr scherzhaft über die Schulter zu.
In weiser Voraussicht hatte der Baron seine Leute zur Verteidigung seines Gutes in der Handhabung der Waffen ausgebildet. Als der Trupp der Reiter über den letzten Hügel sprengte, hinter dem Pélissier lag, und der schwache Feuerschein am Horizont zu sehen war, ahnte d’Emprenvil, wie gut seine Vorsehung gewesen war. Beim Näherkommen erkannte er, vom flackernden Lichtschein des brennenden Turms erhellt, einen grölenden Haufen, in dessen Mitte der zitternde de Platier, die Hände auf dem Rücken gefesselt, den Hals in einer groben Schlinge, auf einem wackligen Stuhl stand, den man wohl zu diesem Zwecke hinausgetragen hatte. Um den Baum, der als behelfsmäßiger Galgen diente, drängten sich die verängstigten Damen, Madame de Platier, im abgeschabten Nachtrock, die Arme um ihre schluchzende Tochter Cécile geschlungen, sowie die Zofe und die Köchin, ängstlich aneinandergedrückt. Im Hintergrund, am Fuß der steinernen Treppe, lag mit blutüberströmtem Schädel der leblose Körper des Großvaters, an seiner Seite ein rostiges Schwert aus der Waffensammlung der Eingangshalle. Der alte Haudegen, ein Greis von zweiundachtzig Jahren, hatte sich ernsthaft zur Wehr gesetzt und einen der jungen Burschen in seinem Ungestüm am Arm verletzt, wie der Baron später erfuhr. Dabei war der Alte mit seinen steifen Beinen so ungeschickt über den Treppenabsatz gestürzt, dass er mit dem Kopf aufschlug und reglos am Boden liegen blieb. Auf einige wütende Fußtritte hatte er nicht mehr reagiert, und man hatte sich verächtlich von der greisen Jammergestalt abgewandt.
Als Erstes schienen die Eindringlinge den einzigen Schatz des betagten Grafen, den Weinkeller, geplündert zu haben. Berauscht durch die ungewohnten Getränke und die neu gewonnene Macht, tobte der wilde Haufen wie von Sinnen durch das Schloss und hieb alles entzwei, was ihm in den Weg kam.
D’Emprenvil hatte sich im allgemeinen Tumult mit seiner kleinen Truppe unbemerkt nähern können. Der Anführer der Banditen, der Metzgersohn Antoine aus dem Dorf, ein grobschlächtiger Geselle, schien noch nicht genug zu haben: Er wollte de Platier hängen sehen, und der betrunkene Haufen grölte Beifall. Gerade als er die Schlinge etwas enger zuzog, um sich an der Todesangst des Schlossherrn zu weiden, der um sein Leben winselte, preschte d’Emprenvil mitten unter die betrunkenen Kerle. Rospert, der Verwalter von Valfleur, tat es ihm nach und entwaffnete den verdutzten Antoine, der unvermutet in die Mündung einer auf ihn gerichteten Waffe blickte. Die anderen Bauernburschen packten ihre Beile und Sensen fester – sie wollten ihr vermeintliches Recht und die Macht, die ihnen zuvor so leicht in den Schoß gefallen waren, nicht so ohne Weiteres wieder abgeben.
»Bürger, Leute, hört mich an!«, rief der Baron mit vor Anstrengung am Hals hervortretenden Adern. »Bauern, was tut ihr da? Warum wollt ihr euch, die ihr euer Leben lang ehrbare Menschen wart, zu Gewalttaten hinreißen lassen? Ihr seid doch keine Mörder und Diebe! Wie werdet ihr vor euren Kindern einmal dastehen? Was soll aus euren Frauen werden, wenn ihr im Gefängnis seid?«
Die Bauern verstummten, starrten ihn mit trotzigem Gesichtsausdruck und offenen Mündern an und senkten dann den Kopf. Mürrisches Gemurmel wurde laut, und Rufe ertönten: »Und wenn unsere Kinder jetzt schon kein Brot mehr haben... wer hilft uns, wenn nicht wir selbst?«
Wieder erhob d’Emprenvil die Stimme: »Was kann dieser unschuldige Mann dafür, den ihr jetzt hängen sehen wollt? Was hat euch dieser armselige Greis getan, der dort liegt und der sich nur wehren wollte? Ihr habt ihn gekannt, seit ihr Kinder wart, und er war bei Gott ein ehrlicher Mann, der euch manche Arbeit gab!«
Das Gemurmel erstarb, und die Bauern starrten mit betretenem Gesichtsausdruck zu Boden.
»Und du, Forestier«, rief der Baron an einen der Männer gewandt, der den Kopf senkte, »bist du jetzt auch schon ein Mörder und ein Dieb? Was würde deine Mutter dazu sagen, wenn sie noch lebte?«
Der Angesprochene sah verlegen zur Seite und sagte störrisch: »Ich hab niemandem etwas zuleide getan, die anderen...«
Antoine, der sich zum Anführer erhoben hatte, fiel ihm ins Wort und schrie mit vor Wut hochrotem Kopf: »Hört nicht auf ihn, Leute, was schert ihn unser Elend!« Er trat einen Schritt vor und spie d’Emprenvil vor die Füße. »Adelspack! Wir sollen Steuern zahlen, zahlen und zahlen und wissen nicht, wo wir das Geld hernehmen sollen. Damit ihr euch einen schönen Tag macht und Feste feiert und jeden Tag bis Mittag in den Daunen liegt. Die Zeiten sind nun vorbei!«
Mit einer höhnischen Grimasse wollte er sich auf den Baron werfen, ein Messer blitzte in seiner Rechten, das er heimlich aus dem Stiefel gezogen hatte. Doch Rospert, wachsam und schnell, schmetterte ihn mit einem gezielten Faustschlag zu Boden.
Das brachte die Bauern erneut in Zorn, sie ballten die Fäuste und schwenkten die groben Waffen, die sie mitgebracht hatten.
Drohend rief jemand: »Wir wollen nur unser Recht, damit wir nicht verhungern!«
Noch bevor neuer Tumult ausbrechen konnte, schrie d’Emprenvil mit der ganzen Kraft seiner Lungen: »Glaubt ihr denn, durch Brennen und Morden zu eurem Recht zu kommen? Mit Gewalt? Wie wollt ihr euern Kindern in die Augen sehen, wenn ihr ihnen Brot reicht, das mit Blut durchtränkt ist; Mordbrenner und Räuber, die ihr seid?« Eine plötzlich Stille trat ein, eine Art Ernüchterung nach der blinden Wut. D’Emprenvil fuhr fort, beflügelt von dem Feuer seiner Worte: »Was kann dieser Mann dafür...«, er deutete auf den vor Angst wie gelähmt auf dem Stuhl stehenden de Platier, »... hat er die Steuer angeordnet? Was nützen ihm die auf Papier festgehaltenen Privilegien! Sein Schloss verfällt, und er hat selbst nichts zu beißen!«
Die Bauern schwiegen plötzlich, sie schienen verlegen wie Kinder, die eine Dummheit angestellt hatten. D’Emprenvil, sich der Wirkung seiner Worte bewusst, redete sich in Rage. Und tatsächlich, die aufständischen Bauern lauschten seinen Worten, die das leichte Knistern und Knacken des schon erlöschenden Feuers begleitete, das in dem alten Turm der de Platiers nicht allzu viel Nahrung fand. Seine Redegabe, die ihm im Parlament zum Verhängnis geworden war, rettete jetzt seinem Nachbar de Platier das Leben. Mit seinem glühenden Eifer, getragen von dem ihm eigenen Pathos, mit dem er die Menschen in seinen Bann schlug, öffnete er den Bauern die Augen. Er machte ihnen klar, dass viele Landadelige, ebenfalls in Armut lebend, auf der Seite der Unterdrückten seien und sich ihre Lage nur ändern könne, wenn sie Geduld hätten und nichts Unbesonnenes täten. Er selber bürge dafür, er kämpfe im Parlament, dass keine neuen Steuern erhoben würden! Erst als sich einer nach dem anderen der Aufständischen mit beschämter Miene davonmachte, beendete er seine Rede.
Nur Antoine, als Letzter von Rospert mit einem derben Stoß in die Freiheit entlassen, warf dem Baron noch einen hasserfüllten Blick zu, bevor er Fersengeld gab.
De Platier sank erschöpft in die Knie, als man ihn aus der Schlinge befreite, und seine Frau schloss ihn hysterisch schluchzend in die Arme. Die wenigen Bediensteten des Schlosses hatten sich aus Furcht in alle Winde davongemacht, und d’Emprenvil versuchte mit seinen Leuten, so gut es ging, das Feuer, das sich dank der herrschenden Windstille nicht auf den Wohntrakt des Schlosses ausgebreitet hatte, zu löschen. Der mächtige Turm schien allerdings den Flammen zum Opfer gefallen zu sein, und in den beiden übrigen Flügeln war der Schaden durch die Plünderung und mutwillige Zerstörung groß.
Amélie war zum ersten Mal in ihrem Leben aus ihren Träumereien gerissen und unsanft in die harte Realität versetzt worden. Aufruhr und Angst mischten sich in ihrem Innern und ließen ihr fast den Atem stocken. Der angebetete Vater verhaftet, in dem Moment, als er von seiner heldenhaften Tat auf das Schloss zurückgekehrt war! Es half auch nichts, dass die obdachlos gewordenen de Platiers, die zunächst Zuflucht auf Valfleur fanden, händeringend die Soldaten des Königs für ihren Nachbarn um Gnade anflehten und die Vorfälle auf Pélissier und seinen selbstlosen Einsatz schilderten. Was hatte er nur Schlimmes getan? Er, dem Recht und Ordnung über alles ging, der wie ein Fels in der Brandung war, an den man sich anlehnte, der stets eine Lösung wusste und eine Entscheidung fällte, wenn alle anderen ratlos waren! Er sollte sich offen gegen den König gestellt haben? Und was war mit den braven Bauern geschehen, die ihnen sonst Geschenke brachten und untertänig auf dem Weg grüßten; sie waren zu Mördern, zu Aufständischen und gefährlichen Brandschatzern geworden, ja, sie hätten selbst nicht davor zurückgescheut, den Grafen zu hängen, wenn ihr Vater nicht eingeschritten wäre! Vielleicht würden sie nun auch versuchen, Valfleur zu plündern, wenn niemand da war, um sie zu schützen? Amélie verstand die Welt, in der sie bisher sorglos gelebt hatte, nicht mehr. Ausgerechnet jetzt war Mama nicht da, und es gab niemanden, an den sie sich halten konnte!
Was ihr aber noch mehr Kummer bereitete, war die Tatsache, dass der schöne Armand ganz plötzlich unauffindbar war. Vielleicht würde sie ihn nie mehr wiedersehen, ganz so, wie sie es geträumt hatte! Dieser Gedanke überflutete mit ungewisser, schrecklicher Sehnsucht ihre Seele und brannte sich in ihr fest. Was hatte sie ihm nur getan? Vielleicht hatte ihn ein unbedachtes Wort von ihr beleidigt! Der Gedanke daran, nun für ewig von ihm getrennt zu sein, zerriss ihr das Herz.
Um vor den anderen ihre Verzweiflung zu verbergen, lief sie in ihr Zimmer, warf sich auf das Bett und schluchzte voller Welt- und Seelenschmerz in die Kissen.