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15 Nachrichten aus Paris

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In den an gesellschaftlichen Ereignissen armen Wintermonaten begrüßte man Patrick und Auguste wie Feldherren, die aus einer erfolgreichen Schlacht zurückkehrten. Laura schloss ihren Sohn mit Tränen in den Augen in die Arme. Wie erwachsen er nun geworden war, und wie gut ihm die perfekt sitzende Uniform stand, die trotz der Reise keinerlei Stäubchen aufwies.

»Oh, Patrick, es ist schrecklich, aber ich kenne das halbe Kind nicht wieder, das vor Kurzem mit hochfliegenden Plänen, zornig und aufmüpfig das Schloss verlassen hat! Bist du es wirklich!«, rief sie aus, ihn von Kopf bis Fuß musternd. »Wie schön, dass du gekommen bist und uns nicht ganz vergisst!«

Amélie drängte sich vorbei und fiel ihrem Bruder um den Hals. »Patrick, du schaust einfach wunderbar aus! Wie Prinz Eisenherz, erinnerst du dich, die Zeichnungen in unseren Kinderbüchern?«

Patrick küsste seine Schwester verlegen auf beide Wangen. »Ich dachte, du wirst bald heiraten und eine würdige Ehefrau und Mutter werden«, lachte er, »stattdessen geht deine Fantasie wie immer noch mit dir durch.«

Er wandte sich Isabelle zu, die schweigend beiseitestand und ihm zur Begrüßung nur kühl die Hand entgegenstreckte. Als er sie trotzdem herzlich an sich zog, spürte er, wie ihr Körper erstarrte, sich ihm entzog, als sei sie auf Abstand bedacht. Mit kritischen Blicken musterte er sie und versuchte, sein Erstaunen über ihr verändertes Aussehen zu verbergen. Schon immer fragil, war sie nun von durchsichtiger Blässe und einer knochigen Magerkeit, die erschreckend wirkte. Ihre umschatteten grauen Augen blickten ihn so weltverachtend an, dass ihn ein Frösteln überlief.

Nach dem Diner nahm Patrick nach der neuesten Mode einen seiner mondänen Zigarillos aus dem prächtigen silbernen Etui, dem Geschenk des Grafen, das er jetzt immer bei sich trug. Er zündete ihn an und blies weltmännisch den Rauch durch die Nase.

Isabelle sagte mit einem Blick auf die auffallende Kostbarkeit spitz: »Ein solches Präsent bekommt wohl jeder, der eine Uniform trägt?«

Vom heißen gewürzten Wein erhitzt, gab Patrick von oben herab zurück: »Wer es verdient, sicher. Den guten Desmoulins als deinen Verlobten in allen Ehren, aber für seine Journalistenschmiererei wird er wohl kaum jemals einen Preis erringen, von dessen Erlös er dir dann kostbare Geschenke machen kann.« Als wenn er das plötzliche Schweigen, das entstand, nicht bemerke, warf er noch in unbekümmert-taktlosem Ton ein: »Konnte man wirklich nicht einen anderen Heiratskandidaten für dich finden? Deine eigenartige Entführung, oder was auch immer es war, hat mich fast die Uniform gekostet! So ein Skandal spricht sich in Windeseile in allen Kreisen herum, und ich war natürlich blamiert. Wenn sich nicht der Graf persönlich für mich eingesetzt hätte, wäre ich sofort suspendiert worden!« Er verstummte und fühlte selbst, dass er zu weit gegangen war.

Isabelle wurde bei diesen direkten Worten noch bleicher, als sie es ohnehin war. Wütend fuhr sie Patrick an: »Natürlich, das hätte ich mir denken können, dass mein Bruder nur an seine eigene Ehre denkt; so wie die ganze Familie nur daran denkt, wie ich ihren Namen bloßgestellt habe. Aber an mich denkt niemand. Und niemand denkt daran, wie ich diesen Desmoulins verabscheue!« Mit Tränen in den Augen sprang sie auf und lief aus dem Zimmer.

Patrick machte Anstalten, sich zu erheben und ihr nachzugehen, doch dann zuckte er die Achseln. Er verstand gar nichts mehr, und niemand machte auch nur den Versuch, es ihm zu erklären. »Warum will sie ihn dann heiraten? Diese unglaubliche Geschichte mit dem Sohn des Gärtners hat sie wohl total aus der Bahn geworfen! Zum Glück hat man ja den Kerl erwischt. Ich konnte ihn früher nie leiden; man hätte ihn gleich wegschicken müssen! Auf jeden Fall werde ich es nie und nimmer begreifen: Wie konnte Isabelle nur so etwas Dummes anstellen!« Er sah in die Runde, doch nur betretenes Schweigen antwortete ihm.

Die de Platiers, die man mit Rücksicht auf ihren Sohn für ein paar Tage aus Paris eingeladen hatte, sahen einander bedeutungsvoll an, und Auguste hüstelte verlegen.

Schließlich fasste Laura sich und wandte sich mit einem gezwungenen Lächeln an ihren Sohn: »Erzähl uns doch ein wenig, wie dein Tag abläuft, mein Lieber... wir können uns so wenig darunter vorstellen. Wann beginnt dein Dienst, und für was bist du als persönlicher Adjutant denn speziell verantwortlich?«

Der Angesprochene war froh, den schwankenden Boden, auf den er sich begeben hatte, verlassen zu können. Er würde sich später bei Isabelle entschuldigen. Erleichtert sagte er: »Oh, das ist sehr unterschiedlich, je nachdem, was sich ergibt. Ich habe gar keine festen Zeiten und eigentlich weniger zu tun, als vorher. Die ganze Sache begann eigentlich damit, dass ich in den letzten Wochen sehr oft außer der Zeit noch zum Grafen abkommandiert wurde, da sein persönlicher Adjutant krank geworden war. Er schien großes Vertrauen zu mir zu haben. Aber ich habe so viele Neider...«

Die Unterhaltung kam wieder in Gang, und kaum jemand bemerkte, wie Mademoiselle Dernier unauffällig die Tür hinter sich geschlossen hatte, um nach Isabelle zu sehen. Sie fand das Mädchen in ihrem Zimmer, unbeweglich aus dem Fenster starrend. Leise trat Madeleine näher und legte ihr behutsam die Hand auf die Schulter.

Isabelle fuhr zusammen und sah sie mit wildem Blick an. »Gehen Sie weg, ich will kein Mitleid! Gehen Sie doch zu den anderen und feiern Sie den großartigen Patrick.«

Madeleine schwieg eine Weile. »Ich muss zugeben, er hat sich wirklich arrogant und verletzend benommen. Aber du kennst doch deinen Bruder, er will den harten Soldaten spielen und ist dabei im Grunde nur ungeschickt.«

Isabeles Schultern zuckten, und sie schluchzte leise in ihr Taschentuch. »Dabei hat er ja recht. Ich kann diesen Desmoulins nicht heiraten! Er ist so viel älter als ich, und ich empfinde nicht das Geringste für ihn. Ich finde ihn sogar ganz und gar abscheulich!«

Madeleine legte die Arme um die schmalen Schultern des Mädchens. »Du hast einen Fehler gemacht, den du bereust, und nun...«

»Bereuen?« Isabelle befreite sich mit einem Ruck aus der Umarmung und schrie unbeherrscht: »Was nützt es mir, dass ich bereue? Man verkauft mich ja förmlich an den Nächstbesten! Und was geht Sie das überhaupt an? Warum tun Sie das alles? Gehen Sie doch weg, gehen Sie!«

Madeleine wich zurück. »Was meinst du damit? Warum tue ich was?«

»Nun, dass Sie sich Sorgen machen, sich so einsetzen, für etwas, das Sie doch gar nichts angeht. Oder sind Sie etwa meine Mutter?«

Die Erzieherin zögerte, schlug die Augen nieder und sah an ihr vorbei. »Nein«, sagte sie nach einer Weile und bemühte sich, ihrer Stimme Festigkeit zu verleihen, »es stimmt... du hast recht, ich bin weder deine Mutter noch...« Ihre Stimme erstickte, und sie ging langsam zur Tür.

»Mademoiselle!« Wie ein Hilferuf entrang es sich ihren Lippen, als Isabelle ihr schluchzend nachlief und ihren Arm umklammerte. »Gehen Sie nicht! Ich bitte Sie! Ich weiß, ich habe Ihnen wehgetan... dabei sind Sie die Einzige, der ich vertraue! Ich weiß selbst nicht, warum ich solche Dinge sage, auch eben zu Patrick... Ich weiß es selbst nicht, aber ich fühle mich so schlecht, so minderwertig...« Isabelle warf sich verzweifelt an Madeleines Brust, die tröstend den Arm um sie legte. Der Damm war gebrochen, und der harte Panzer, mit dem Isabelle ihr Herz umgeben hatte, gesprengt.

»Komm, wein dich aus, mein Liebling«, sagte Madeleine leise und strich ihr über das dichte, blonde Haar, »es wird alles gut werden; geh nur hinunter, lächele und zeige allen, dass du stark bist, dass du es schaffen wirst und dass du dich nicht unterkriegen lässt, egal was passiert.«

Nachdem Isabelle mit unbeteiligtem und frisch gepudertem Gesicht, von dem alle Spuren der Tränen weggewischt waren, wieder nach unten gekommen war, verlief der Abend harmonisch und heiter. Niemand hatte dem Zwischenfall größere Bedeutung zugemessen; man war an die Neckereien zwischen den Geschwistern gewöhnt, und nur Laura wunderte sich, dass ihre Tochter sich so freundlich und unbeschwert wie lange nicht mehr gab, wenngleich sie mit Patrick nur noch trockene und förmliche Phrasen wechselte.

Mademoiselle Dernier dagegen fühlte sich erschöpft und müde. Isabelles maliziöse Frage hatte sie tiefer verletzt, als sie sich eingestehen wollte. Aber es stimmte, warum engagierte sie sich so für diese Menschen, zu denen sie doch gar nicht gehörte? Der Diener Paul reichte das Tablett mit Getränken herum, und ganz gegen ihre Gewohnheit, seinem erstaunten Blick zum Trotz, nahm sie ein Weinglas und schüttete es in einem Zug hinunter. Dann senkte sie, ohne das Spiel zu verfolgen, die Augen wieder auf das Schachbrett, auf dem sich Patrick und Auguste eine spannende Partie lieferten. Ihre Gedanken drehten sich im Kreise. Ja, so war es: Sie gehörte nicht zu dieser Familie, sie opferte ihr Leben, ihre Jugend für fremde Leute, und es gab keinen Liebhaber, keinen Mann und keine eigene Familie für sie. Und wenn es jemanden gäbe, der sie liebte und verehrte, der sie haben wollte? Alles in ihr sträubte sich gegen diesen Gedanken, denn wenn ein solcher Mann jetzt zu ihr träte, so würde sie ihn abweisen, das wusste sie mit Bestimmtheit. Für sie existierte nur ein Einziger, niemand anderer als der Baron selber, mit seiner Liebenswürdigkeit, seinem Ungestüm und der edlen Haltung und Gesinnung des Herzens. Lieber wollte sie keine Ansprüche stellen, auf alles verzichten, nur im Hintergrund bleiben, von Worten und Blicken zehren und von ihm träumen.

Der ungewohnte Alkohol ließ ihre Gedanken frei schweben und sich verlieren. Ein solches Gefühl konnte doch nicht einseitig sein, eine solche Schwingung der Seele musste doch auf irgendeine Weise erwidert werden. War nicht der wirkliche Beweis seiner ganz besonderen Zuneigung jenes Geschenk, die kostbare Brosche, mit der er ihr auf seine Art sagen wollte, dass er sie schätzte und ihr dankbar war, dass er sie... Weiter wagte sie nicht zu denken, es war eine verbotene Grenze, an die sie in ihrem Herzen stieß. Der plötzliche Wunsch erwachte wieder in ihr, die Brosche zu sehen, sie in der Hand zu halten und zu fühlen, dass sie in Wirklichkeit existierte. Sie erhob sich, eine Entschuldigung murmelnd, und verließ die Gesellschaft wie meistens unbeachtet und unbemerkt.

Oben suchte sie zwischen ihrer Wäsche nach der kleinen Schachtel und wickelte sie mit zitternden Händen aus ihrer Umhüllung. Vor ihrem kleinen Spiegel öffnete sie die Hälfte der Knöpfe ihrer Bluse und befestigte die Brosche zwischen ihren Brüsten. Dann löste sie ihre Haare, die in dichten, seidigen Locken schwer herabfielen. Die Steine schimmerten im Wettstreit mit dem Brillantkranz, der sie umgab, und Madeleine drehte und wendete sich und lächelte ihrem Spiegelbild zu. War das wirklich sie, diese schöne, elegante Frau, deren weiche, schmachtende Züge verrieten, dass sie liebte? Das Licht der Kerze, die sie angezündet hatte, ließ die Edelsteine auf dem samtigen Teint ihres Dekolletés aufblitzen, und Madeleine wünschte sich, dass der Baron sie einmal so sehen könnte.

Ein leises Geräusch weckte sie plötzlich aus ihrer Verzückung. Sie hatte gar nicht bemerkt, dass sie in der Hast die Tür ein wenig offen gelassen hatte. Ohne sich umzuwenden, sah sie im Spiegel Laura hinter sich stehen, deren erstaunter Blick auf das Schmuckstück fiel, das im Kerzenschein funkelte. Als hätte man sie bei einer verbotenen Handlung ertappt, fuhr Madeleine zusammen, raffte die Bluse um die Schultern und bedeckte in der ersten Regung die Brosche mit der Hand.

»Oh, ich wollte Sie nicht stören, meine Liebe«, sagte Laura mit ironischem Blick auf die gelösten Haare. »Sie haben wohl mein Klopfen überhört. Aber die Tür stand offen. Sie waren so plötzlich verschwunden, dass ich dachte, Sie fühlten sich vielleicht unwohl...« Ihre Stimme stockte, und ihre Augen, die nach dem suchten, was Madeleine unter ihren Händen verbarg, bekamen einen kühlen und fremden Ausdruck.

Nach einer Pause, in der die beiden Frauen sich stumm mit Blicken maßen und in der Madeleine schließlich verstört die Hand sinken ließ, rief Laura überrascht und mit unverhüllter Feindseligkeit aus: »Ich sehe, meine Liebe, Sie besitzen wertvollen Schmuck. Aber ohne Ihnen nahe treten zu wollen – da ich Ihnen ja immer aufs Äußerste vertraut habe, müssen Sie mir doch die Frage erlauben: Wie kommen Sie zu meiner Brosche?«

Die Gouvernante sah sie erstaunt an, und ihre Kehle war wie zugeschnürt. »Ich verstehe nicht...«, stammelte sie, doch Laura unterbrach sie in gereiztem Ton: »Aber ich verstehe umso besser. Das hätte ich nie von Ihnen gedacht! In Anbetracht dessen, was Sie alles für mich und meine Familie getan haben, bitte ich Sie, den Schmuck ohne weiteres Aufsehen wieder dahin zurückzulegen, wo Sie ihn weggenommen haben. Ich werde versuchen, diesen Vorfall zu vergessen.«

Mit eisiger Miene wandte sie sich ab, um das Zimmer zu verlassen, jedoch ein atemlos hervorgestoßenes »Nein, bitte... bleiben Sie, Madame«, das wie ein empörter Aufschrei klang, hielt sie zurück. »Das muss ein Missverständnis sein!« Madeleines Stimme zitterte, und in ihren Augen standen Tränen. »Lassen Sie es mich erklären...«

»Erklären?« Lauras Stimme überschlug sich, und ihre Augen funkelten wütend. »Da gibt es wohl nichts zu erklären.« Dennoch sah sie die Erzieherin abwartend an, die verzweifelt nach Worten suchte.

»Niemals würde ich etwas stehlen. Niemals! Sie sind mein ganzes Zuhause, meine Familie, ich würde alles für Sie tun, das wissen Sie doch! Niemals würde ich etwas nehmen, das mir nicht gehört! Ich schwöre Ihnen, ich habe diesen Schmuck geschenkt bekommen... ich wollte ihn ja gar nicht behalten, wollte ihn zurückweisen. Er ist ja viel zu wertvoll für mich...«

»Nun«, sagte Laura ein wenig ungeduldig, »ein Geschenk also. Und von wem, wenn ich bitten darf?«

Madeleine holte tief Luft. »Ihr, Ihr... ich meine, der Herr Baron gab es mir. Nach dem tragischen Ereignis, kurz nach dem Tode des armen Christoph...« Sie brach in Tränen aus. »Er... er sagte, es sei für meine aufopfernde Pflege und ein Zeichen dafür, wie dankbar er mir für alles sei.« Hastig fügte sie hinzu: »Ich habe mich geweigert, ich wollte so etwas Kostbares gar nicht annehmen, es steht mir ja gar nicht zu. Aber er ließ nicht locker, und Sie wissen ja, wenn Ihr Gatte sich etwas in den Kopf gesetzt hat... Sie kennen ihn doch!«

Laura war plötzlich ganz still geworden, das Blut war ihr aus den Wangen gewichen, und sie sah plötzlich alt und müde aus. Die Stille, die nun eintrat, füllte den Raum, und die Kerzenflamme, die über ihre Gesichter flackerte, verbreitete ein gespenstisches Licht. Dann sagte sie mit matter Stimme: »Ja, ich kenne ihn nur zu gut! Wenn das die Wahrheit ist... dann können Sie den Schmuck selbstverständlich behalten.« Sie drehte sich auf dem Absatz herum und verließ den Raum.

Madeleine blieb verwirrt und mit heftig klopfendem Herzen zurück, in der bangen Ahnung einer Katastrophe, die sich über ihrem Kopf zusammenballte. Mit zitternder Hand nestelte sie den Schmuck von ihrer Bluse und verstaute ihn im Etui, ohne auch nur noch einen Blick darauf zu werfen. Sie hatte schon dumpf geahnt, dass das kostbare Stück ihr kein Glück bringen würde, so sehr sie die großzügige Geste des Barons gefreut hatte.

Wenn er doch nur da wäre, wenn er nur kommen würde und mit seiner heiteren Selbstverständlichkeit, mit der er ihr die Brosche überreicht hatte, jeden Verdacht von ihr fortwischen würde! Zweifellos besaß die Baronin den gleichen Schmuck und war aufs Äußerste gekränkt, dass ihr Mann einer »Dienstbotin« ein ebensolches Geschenk machte! Konnte es sein, dass er in seiner Leichtfertigkeit die Brosche sogar dem Fundus seiner Frau entnommen und geglaubt hatte, sie merke bei der Menge ihrer Pretiosen nichts davon? Welch schreckliche Vorstellung, welch entsetzlicher Gedanke! Ihr war, als brenne das Etui, das den Namen eines renommierten Juweliers in Paris trug, wie Feuer in ihrer Hand.

Ernüchtert ließ sie das Geschenk wieder in dem Wäschefach verschwinden. Sie fühlte ihr Herz ruhiger pochen – natürlich war die Brosche von unschätzbarem Wert; und man hatte sie ihr geschenkt, sie gehörte ihr. Sie hatte nichts Unrechtes getan.

Sie beschloss, trotz des dumpfen Drucks auf ihrer Brust und der Angst vor Lauras Blicken wieder hinunterzugehen, um zu demonstrieren, dass sie keineswegs etwas zu verbergen hatte.

Im Salon herrschte lebhafte Stimmung. Patrick und Auguste, vom Wein angeregt, erzählten abwechselnd Anekdoten und Begebenheiten aus dem Pariser Alltag, während alle anderen an ihren Lippen hingen und über die drolligen Scherze Augustes und sein verborgenes Schauspieltalent lachen mussten. Die de Platiers blickten stolz auf ihren Sohn und verfolgten jede seiner Gesten.

Laura schien unbeschwert, wirkte heiter und gelöst, und Madeleine konnte kein Anzeichen dafür ausmachen, dass sie an den Vorfall noch dachte.

Auguste, der schon einige Gläser zu viel getrunken hatte, prahlte mit dem Leben, das sie in Paris führten, mit wichtigen Bekanntschaften, Opern, Konzertabenden und Soireen, zu denen sie gebeten wurden. »Dank Baron d’Emprenvils, Ihres Gatten, der beachtenswerte Verbindungen und einen guten Namen hat!«, fügte er vielsagend hinzu. »Aber jetzt, seitdem die Leute glauben, er sei zur Hofpartei umgeschwenkt, ist sein Leben nicht ganz ungefährlich geworden...« Eine plötzliche Stille war seinen Worten gefolgt, noch bevor er sie ganz ausgesprochen hatte, und Auguste merkte zu spät, dass er sich auf ein rutschiges Parkett gewagt hatte.

Wie ein Schnitt hatte dieser Satz das allgemeine Reden, Diskutieren und Lachen unterbrochen; auch nach Valfleur war das Gerücht gedrungen, dass der Baron nicht mehr die allseitige Beliebtheit genoss. Beim Volk, weil man nicht mehr wusste, auf welcher Seite er stand und was er im Schilde führte. Und bei Hofe und im Parlament gab es immer mehr Neider, die es mit Genugtuung betrachteten, dass er als Hitzkopf immer wieder aneckte und kompromisslos dazu neigte, seinen Gedanken und Gefühlen freien Lauf zu lassen. Zu gerne hätten sie den endgültigen Sturz des unbequemen Rats gesehen.

Laura lachte amüsiert auf. »Ungefährlich? Glauben Sie mir, Auguste, seit ich ihn kenne, war sein Leben nie ungefährlich, ganz gleich, was er getan hat. Ich könnte ihn mir bei seinem ungestümen Temperament eher in der patriotischen Partei als in der Hofpartei vorstellen, die nicht die schlechteste Antwort auf die Verstocktheit des Königs ist; selbst Lafayette ist ihr beigetreten, und man sagt, der Herzog von Orleans unterstütze sie ebenfalls. Erst kürzlich schrieb er mir von einem gewissen Mirabeau, der ihn unbedingt zum Revolutionär bekehren wolle... Und außerdem, warum sollte mein Mann seine Position nicht überdenken können? Meinen Sie denn, ich bin mir nicht der Tatsache bewusst, dass das Volk, das zuerst hinter ihm gestanden hat, ihn bei der Wiedereinsetzung in sein Amt am liebsten gelyncht hätte, aufgehetzt durch die falsche und unwahre Propaganda, die über ihn verbreitet wird?«

»Ich wollte Sie keinesfalls beunruhigen«, stotterte Auguste mit rotem Kopf und verwünschte sein voreiliges Mundwerk, »ich dachte ja nur, ich meine, es sieht vielleicht nur so aus, aber das wäre natürlich ganz gegen seine bisherigen Grundsätze. Auf der anderen Seite: Warum sollte er nicht die seit Jahrhunderten verbrieften Rechte seines Standes verteidigen und...«

Laura unterbrach ihn mit einer ungeduldigen Handbewegung: »Es wäre dumm, seine Meinung nicht zu ändern, wenn man einmal einen Fehler gemacht hat. Vielleicht hat er in der Zeit seiner Verbannung gründlich über alles nachgedacht. Und schließlich sind wir ja alle für die Tradition, für die Monarchie und für unsere Rechte, die uns seit Jahrhunderten zustehen. Aber all das bedarf eben einer vernünftigen Reformierung, einer Verminderung der Auswüchse, die sich daraus ergeben und die schließlich zu diesen immensen Staatsschulden geführt haben.«

Auguste, der weit entfernt davon war, die Gastgeberin zu verärgern, wischte sich nervös den Schweiß von der Stirn. Er murmelte, dass das auch seine Meinung sei und die aller vernünftigen Franzosen.

Patrick sah seinen Freund mit ironischem Lächeln an und presste die Lippen zusammen. Er zweifelte, ob er in dieser Runde wirklich offen zu seiner eigenen Meinung stehen sollte, die im Übrigen die des Grafen von Artois war, des Bruders des Königs. Nur eine radikale Revolution konnte die Dinge noch ändern, den Staat sanieren, auch wenn sie zu nichts anderem führen würde als zu einem Abstieg des Adels, zu einer Gleichstellung mit den Bürgern und Bauern, dem Klerus. Doch wollte man das wirklich? Er jedenfalls nicht. Versuchten nicht deshalb Adel und Teile der Bourgeoisie, die Interessen des dritten Standes durchzusetzen, nur um ihren eigenen Vorteil in einer Gleichstellung zu wahren?

Die neu gegründete Patriotische Partei, die genau dieses Ziel verfolgte, war in seinen Augen weit gefährlicher, als man annahm. Offensichtlich waren auch Parlamentarier in dieser neuen Partei, und böse Zungen behaupteten, sein Vater würde seinen Mantel nach dem Wind hängen und sich einmal dieser und dann wieder jener Partei zuneigen. Nur weil niemand so recht wusste, was er wollte, nahm das Volk an, er sei zur Hofpartei, der gegnerischen Seite übergelaufen, und deshalb wäre er vom Pöbel beinahe verprügelt worden. Der Freund hatte, ohne es zu wollen, in ein Wespennest gestochen, und Patrick vermied es diplomatisch, auf dieses Problem weiter einzugehen – er wollte seine Mutter und auch die konservativen de Platiers nicht zu sehr beunruhigen und verwirren.

Galant bot er Madame de Platier in der entstehenden Pause noch ein wenig von dem vorzüglich zubereiteten Clafoutis an und wechselte das Thema. Schließlich hatte er aus der kurzen Zeit am Hof bereits gelernt, dass es manchmal besser war, mit seiner Meinung hinter dem Berg zu halten. Nachdem er das Gespräch auf die sich überstürzenden Ereignisse in Paris gelenkt hatte, kam bald wieder eine lebhafte Unterhaltung zustande. Täglich geschahen ja die unglaublichsten Dinge, wie erst jetzt, unmittelbar vor ihrer Abreise, auf dem Platz Pont Neuf, wo der Pöbel sich auf die Passanten stürzte, Kutschen anhielt, die Adeligen herauszerrte und sie zwang, vor dem Denkmal Heinrichs des IV. niederzuknien.

Auguste, der bei dem Aufstand dabei gewesen war, berichtete, wie sich selbst die Wachen kaum einen Weg durch den Tumult bahnen konnten. Die Volkswut kochte bei der geringsten Gelegenheit hoch; so wie in den Spätsommertagen, als das aufgebrachte Volk sich sogar gegen die Wachsoldaten wendete, die auf den Kais der Seine für Ordnung sorgen sollten.

Monsieur de Platier nickte zustimmend in Erinnerung an die schrecklichen Stunden in Pélissier und seine Frau seufzte, bleich geworden, in der Angst, wieder in den Hexenkessel der Stadt zurückkehren zu müssen.

»Und ich dachte, Paris wird bewacht? Man hat doch sogar Schweizergarden angefordert, und es ist eine neue Bürgerwehr eingesetzt worden!«, sagte Monsieur de Platier und blickte seinen Sohn beunruhigt an.

Auguste, der sich in der Rolle des soldatischen Helden gefiel, erwiderte: »Wir haben nicht wirklich den Befehl, einzugreifen, nur im äußersten Notfall, wenn es darum geht, uns unserer Haut zu erwehren, aber dann kann es bereits zu spät sein! Es heißt immer, das arme Volk, es hat das Recht, seinem Ärger Luft zu machen! Der König besitzt nicht die Autorität, sich durchzusetzen und die Soldaten dahingehend zu ermutigen, energisch gegen das Gesindel anzugehen, das bisher friedfertige Bürger durch falsche Versprechungen mitreißt! Vor Kurzem erst musste ich miterleben, wie einer meiner Leute, als er recht forsch vorgegangen war, vor meinen Augen brutal niedergeschlagen und in die Seine geworfen wurde!«

Madame de Platier presste sich das Taschentuch auf den Mund. Sie sah ihren Sohn inmitten der gefährlichen Menge sein Leben für den König wagen und seufzte: »Diese schreckliche Zeit! Wohin wird das noch führen!«

Man schwieg ein wenig betreten, und ein unbestimmtes Gefühl drohender Gefahr erfüllte den Raum. Erst als Patrick sich ans Piano setzte und die sentimentalen Klänge von Glucks neuester Oper, Iphigenie, anschlug, vergaß man das leidvolle Thema.

Besonders Amélie war hingerissen von der schönen neuen Musik, die sie zum ersten Mal hörte. Wie herrlich musste es erst sein, mit Richard einmal die Oper in Paris zu besuchen! Sie sah sich in herrlichen Abendroben, von eleganten Menschen umgeben und von fremden Blicken gestreift in ihrer Loge. Wann würde es endlich so weit sein? Sie konnte es kaum erwarten und fürchtete die Stadt trotz aller Schauergeschichten nicht.

Amélie - Gesamtausgabe

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