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Hunger

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Er aber ging hin in die Wüste eine Tagereise weit und kam und setzte sich unter einen Wacholder und wünschte sich zu sterben und sprach: Es ist genug, so nimm nun, HERR, meine Seele; ich bin nicht besser als meine Väter. Und er legte sich hin und schlief unter dem Wacholder. Und siehe, ein Engel rührte ihn an und sprach zu ihm: Steh auf und iss! Und er sah sich um, und siehe, zu seinen Häupten lag ein geröstetes Brot und ein Krug mit Wasser. Und als er gegessen und getrunken hatte, legte er sich wieder schlafen. Und der Engel des HERRN kam zum zweiten Mal wieder und rührte ihn an und sprach: Steh auf und iss! Denn du hast einen weiten Weg vor dir. Und er stand auf und aß und trank und ging durch die Kraft der Speise vierzig Tage und vierzig Nächte bis zum Berg Gottes, dem Horeb.

1. Könige 19,4-8

Irgendwann hat sie einfach aufgehört mit dem Essen. Erst waren es Süßigkeiten, dann Butter, Käse, Fleisch, später sogar Nudeln und Brot. Jetzt wiegt sie gerade so viel, dass sie nicht ins Krankenhaus muss. Zwangsernährung, das rote Tuch, die schlimmste Vorstellung, die es geben kann.

Bevor sie etwas isst, rechnet sie die Kalorien aus. Kann sich jede Übertretung nicht verzeihen und ahndet sie mit noch strengeren Regeln, die gegen niemanden außer sie selbst gerichtet sind. Einfach in ein Stück Kuchen beißen – das macht sie zwar in Gedanken tausendmal, aber der Abgrund zwischen ihr und jedem Gramm Fett scheint unendlich.

Ihr Bruder kann das nicht mit ansehen. Er ist kaum noch zu Hause, er flieht vor den gemeinsamen Mahlzeiten. Ihre Eltern können nicht verstehen, wieso sie nicht einfach den Hebel umlegt. „Schau dich doch im Spiegel an, diese dürren Beine. Das ist doch nicht mehr schön!“, sagt ihre Mutter manchmal. Aber sie sieht nur, dass da noch Fett ist über ihren Knochen. Und das ekelt sie an. Das muss weg. Also hungert sie weiter, vergleicht sich mit anderen. Stolz auf jedes verlorene Gramm.

Manchmal, wenn sie mit sich allein ist, fängt der Kokon um ihre Welt an zu wanken. Dann ahnt sie, dass es nicht ewig so weitergehen kann. Wollte sie nicht mal studieren? Kinder haben? Zumindest: einen Freund? Das alles scheint weit weg. So weit weg, dass sie kein Gefühl hat für eine Zukunft, in der einiges anders werden müsste.

Sie zieht sich ihre Turnschuhe an. Früher ist sie gern durch den Wald gejoggt, hat die erdige Luft geatmet, manchmal Bäume umarmt. Seit Jahren geht es nur noch um den Kalorienverbrauch. Auf die Vögel hat sie schon lange nicht mehr gehört, als wäre ihr Leben ständig in Watte gepackt und immun gegen die Außenwelt geworden. Es gibt keine Zukunft, nur das Jetzt und den Hass auf ihren Körper.

Heute ist etwas anders. Der weiche Waldboden tut ihren Gelenken gut. Sie läuft heute langsamer als sonst. Es fängt an zu regnen. Es ist Februar und es ist kalt, aber sie mag die Tropfen auf ihrem Gesicht. Sie schaut in den Himmel. Sie hört jemanden sagen: „Ich liebe dich.“ Doch niemand ist zu sehen. Aber die Worte klingen warm in ihrem Herzen. Geliebt. Sie? Das wäre schön. Sie schaut an sich hinunter. Die Jogginghose rutscht ihr fast von den Hüften. Wann hat sie sich das eigentlich selbst das letzte Mal gesagt: „Ich bin geliebt.“ Sie weiß es nicht mehr. Aber sie weiß: Dieser Satz gibt ihr die Kraft, irgendwann einen Weg aus ihrer Lebenswüste zu finden.


Wenn alles um mich selbst kreist

und ich keinen Ausweg sehe.

Nur Wüste und keine Quelle.

Wenn mir die Zunge am Gaumen klebt

und ich verdurste, weil mich lange kein Wort erreicht hat.

Dann fange ich an zu beten.

Und irgendwann werde ich still.

Und höre.

DICH.

Und es regnet.

Brot.

Wasser.

Leben.

Amen

Reich gedeckt

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