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Die Träumende

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Ein Wallfahrtslied.


Wenn der HERR die Gefangenen Zions erlösen wird,

so werden wir sein wie die Träumenden.

Dann wird unser Mund voll Lachens

und unsre Zunge voll Rühmens sein. Dann wird man sagen unter den Heiden:

Der HERR hat Großes an ihnen getan!

Der HERR hat Großes an uns getan;

des sind wir fröhlich.

HERR, bringe zurück unsre Gefangenen,

wie du die Bäche wiederbringst im Südland.

Die mit Tränen säen,

werden mit Freuden ernten.

Sie gehen hin und weinen

und streuen ihren Samen und kommen mit Freuden

und bringen ihre Garben.

Psalm 126

Du wachst auf, es ist früher Morgen. Draußen ist es noch dunkel. Du öffnest das Fenster, atmest die frische Frühlingsluft ein. Du ziehst deinen seidenen Morgenmantel an, den er dir geschenkt hat, als er dir morgens noch einen Kuss auf den Nacken gehaucht hat und dir ins Ohr flüsterte, wie schön du bist.

Du gehst runter in die Küche, stellst die neue Espressomaschine an, holst die Zeitung. Es bleibt beim Kaffee. Seit er weg ist, magst du nicht mehr frühstücken. Es scheint dir sinnlos, so allein am Tisch.

Als er ging, nahm er nur seinen Koffer mit. Die paar Kisten mit Büchern ließ er später abholen. Das Haus hat er dir gelassen. Und das Auto. Und genug Geld für ein sorgenfreies Leben.

Zum Abschied hinterließ er dir einen Zettel: „Jetzt habe ich mich freigekauft von dir. Ich sollte dir nichts mehr schuldig sein.“ Und er ging in seine neue kleine Wohnung zu seiner neuen Frau, die erst geboren wurde, als ihr beide schon ein Paar gewesen seid. Da wart ihr Anfang zwanzig und die Welt lag euch zu Füßen. Ihr seid durch Europa gereist. Ohne Geld und mit viel Sehnsucht im Gepäck. Ihr habt studiert, Geld verdient, eure Kinder bekommen. Später dann das Haus gebaut. Euer Traumhaus im Grünen, das ihr immer „unser Paradies“ nanntet. Die Mauern waren so hoch, dass ihr nichts mitbekommen musstet von der Welt da draußen.

Du weißt nicht mehr, wann aus eurer Liebe Gewöhnung wurde. Euer Ton wurde rauer, die Zärtlichkeiten seltener. Als die Kinder aus dem Haus waren, stürztest du in ein Loch. Die Trauer um die Möglichkeiten, die du nie genutzt hattest, ließ dich in einen Abgrund schauen, den du nie vermutet hattest.

Als er ging, hat er seinen Schlüssel ans Board gehängt. Weggang ohne Rückkehr.

Jetzt bist du allein.

Dein Paradies gibt dir Sicherheit. Die hohen Mauern schützen dich vor den abschätzigen Blicken der anderen Frauen in deinem Alter, denen der Mann nicht weggelaufen ist.

Du verkriechst dich Wochen, Monate. In die Welt hinaus traust du dich nur selten.

Manchmal, am späten Abend, träumst du davon, dass du wieder jung bist. Du sitzt in diesem Café in Nizza, und vor dir tanzen Leute zur Straßenmusik. Jemand flirtet dir zu und du trinkst deinen Kaffee, er schmeckt süß und schwer und nach mehr. Du hast nichts außer dem, was du am Leib trägst. Und ein wenig Geld. Was brauchst du mehr?

Du trinkst den Kaffee aus. Schaltest den Computer an und schaust im Internet nach Flügen.

Nizza.

One way.


Gott,

wenn mich die Sehnsucht überkommt,

dann kaufe ich ein Ticket und reise weit fort.

Dann reise ich aus mir aus und fahre dorthin,

wo die Wolken lila sind und der Wind sanft wie Seide.

Das Ticket gibt es für kein Geld der Welt.

Der Preis – ich lasse hier, was mich beschwert:

Die trüben Gedanken.

Mein Minderwertigkeitskorsett.

Den Sicherheitskokon aus Gewohnheiten.

Die schwarzen Flecken auf meinem Herzen.

Ich nehme mit:

Meine Tränen, gesammelt in einem Gefäß aus Gold.

Meine Liebe, eingeschlagen in feinstes Tuch.

Meine Leidenschaft, heiß und unersättlich.

Meine Freude, die mich in den Himmel tanzen lässt.

Amen

Reich gedeckt

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