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Wüstenzeit

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Ein jegliches hat seine Zeit, und alles Vorhaben unter dem Himmel hat seine Stunde: geboren werden hat seine Zeit, sterben hat seine Zeit; pflanzen hat seine Zeit, ausreißen, was gepflanzt ist, hat seine Zeit; töten hat seine Zeit, heilen hat seine Zeit; abbrechen hat seine Zeit, bauen hat seine Zeit; weinen hat seine Zeit, lachen hat seine Zeit; klagen hat seine Zeit, tanzen hat seine Zeit; Steine wegwerfen hat seine Zeit, Steine sammeln hat seine Zeit; herzen hat seine Zeit, aufhören zu herzen hat seine Zeit; suchen hat seine Zeit, verlieren hat seine Zeit; behalten hat seine Zeit, wegwerfen hat seine Zeit; zerreißen hat seine Zeit, zunähen hat seine Zeit; schweigen hat seine Zeit, reden hat seine Zeit; lieben hat seine Zeit, hassen hat seine Zeit; Streit hat seine Zeit, Friede hat seine Zeit.

Prediger 3,1-8

Es gibt Suppe. Dicke heiße Wintersuppe. Mit vielen Zwiebeln. Und frisch gebackenes Brot, das sie dick mit Butter bestreichen. Sie sind hungrig. Nie hat ein Essen besser geschmeckt und ihre Wangen glühen.

Den ganzen Morgen sind sie Ski gefahren. Im Morgengrauen sind sie los. Der Schnee glänzte in der aufgehenden Sonne, und manchmal haben sie angehalten und waren einfach nur still vor Staunen. Als sie ganz oben waren und ins Tal geschaut haben, hat er vor Freude geschrien und die weiße Wolke vor seinem Mund stieg nach oben.

Sie mussten mal Zeit für sich haben. Nach 15 Jahren Ehe wollen sie Bilanz ziehen. Ohne die Kinder. Ohne Telefon. Ohne Termine. Hier in den Bergen gibt es nur sie beide und den, der sie mal zusammengebracht hat. Er hört mit, wenn sie reden und wenn sie schweigen. Manchmal trägt er seine ganz eigene Spur ein.

Freitagabend sind sie losgefahren. Morgen früh geht es wieder zurück ins normale Leben. Sie wollen herausfinden, was sie noch füreinander sind. Was sie wollen. Und: wohin. Im Alltag verlieren sie oft den Kontakt zueinander, weil sie so perfekt geworden sind im Funktionieren. Vieles ist so selbstverständlich geworden, dass es ihr fast zuwider geworden ist. Nun waren sie den ganzen Morgen unterwegs und haben kaum geredet. So versunken waren sie in der Winterwüste. Verlorene Zeit?

Die Suppe schmeckt köstlich. Er schaut sie an, legt seine Hand an ihre Wange. Sie lehnt sich in sie hinein. Sie sind still. Sie spüren, dass sich ihre Spuren wieder gefunden haben. Ihre neben seiner und seine neben ihrer. Nicht immer deckungsgleich, aber immer in dieselbe Richtung unterwegs. „Es ist gut, wie es ist“, sagt er. „Es ist gut“, sagt sie.

Sie bestellen Dessert und einen Espresso.


Zeit haben.

Für dich.

Für mich.

Für Gott.

Raum geben.

Dir.

Mir.

Gott.

Mensch sein.

Ungeschminkt.

Wortlos.

Unendlich.

Geliebt.

Reich gedeckt

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