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Das Alte ist vergangen – siehe, Neues ist geworden

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Darum: Ist jemand in Christus, so ist er eine neue Kreatur; das Alte ist vergangen, siehe, Neues ist geworden.

2. Korinther 5,17

Sein Haus und seine Möbel in Rotterdam hat er schon verkauft. Er heißt Marcel, ist fast siebzig, und nun sitzt er in der Sprachschule neben fünf jungen Leuten. Sie lernen gemeinsam eine Sprache, die ihnen fremd ist. Die Jungen lernen schneller als er. Seine Zunge will nicht mehr so einfach Laute formen, die sie nie kannte. Aber er gibt sein Bestes. Sein Ziel: neu anfangen. In einem anderen Land. Mit knapp siebzig, neuen Möbeln und anderen Menschen. Über 30 Jahre lang ist er Pilot gewesen für eine große Fluggesellschaft. Er hat alle großen Städte dieser Welt gesehen, wurde von seiner Frau verlassen und hat sich dann für dieses kleine Land entschieden. Was er sucht: Frieden. Endlich.

Alles neu? Geht das? Sein Körper erzählt von einem anstrengenden Job, vielen durchgearbeiteten Nächten. Seine Augen erzählen von Enttäuschungen und einer Liebe, die nie gelebt worden ist. Marcel ist bescheiden. Kaum vorstellbar, dass er jahrzehntelang eine Kapitänsuniform getragen hat.

Beim Mittagessen im Fastfood-Imbiss um die Ecke erzählt er den jungen Leuten seine Geschichte. Wieso er gerade hier, in dieser Stadt neu anfangen will. Er erzählt nicht von ihren Bars, den hübschen Frauen und den Yachten im Hafen, sondern von ihren Kirchen. Obwohl er nie zum Gottesdienst gegangen ist. Dafür war keine Zeit und kein Bedarf. Jetzt, im Alter, hat sich etwas in ihm geändert. Er sucht in der neuen Stadt die Kirchen. Er genießt ihre dunkle Kühle. Er fühlt sich in ihnen auf eine Art und Weise zu Hause, die ihm vollkommen unbekannt war. Er fängt an, mit dem zu sprechen, der da vorn über dem Altar ans Kreuz genagelt ist. Das tut ihm gut. Und eines Tages spürte er: „Hier will ich bleiben, in dieser Stadt mit den vielen Kirchen, die von einem Gott erzählen, den ich gern kennenlernen will.“ Die jungen Leute hören sich seine Geschichte an. Sie verstehen sie nicht, Marcel bleibt ihnen fremd.

Marcel lernt langsam. Aber er lernt. Tag für Tag gelingt ihm die fremde Aussprache besser. Neuanfänge sind möglich. Das ist keine Frage des Alters.


Aus meiner Haut aussteigen.

Sie zurücklassen an der Straßenecke.

Neu werden.

Verletzlich wie ein Schmetterling, gerade aus dem Kokon gekrochen.

Aus mir auswandern.

Das Alte zurücklassen.

Die zu klein gewordenen Stiefel.

Das zu enge Sicherheitskorsett aus Gewohnheit und Trägheit.

Ins Neue gehen.

Verwundbar.

Als wäre es der erste Tag, den Gott geschaffen hat.

Den Tau trinken.

Seine Gnade schmeckt süß.

Reich gedeckt

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