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Vom Freisein

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Du stellst meine Füße auf weiten Raum.

Psalm 31,9b

Sie haben gerade Abitur gemacht und leben mit dem Gefühl: Wir sind frei und uns gehört die Welt. Einer beginnt ein Jurastudium, eine andere wird für ein Jahr in einem Kinderheim in Brasilien arbeiten. Alle haben Pläne. Nur Julia ist sich unsicher. Soll sie einfach das studieren, was sich ihre Eltern wünschen? Oder einen ganz eigenen Weg gehen? Weiß sie überhaupt, was sie wirklich wollen würde, wenn nur sie selbst zu entscheiden hätte? Mit ihrem Notendurchschnitt stehen ihr alle Türen offen. Aber sie hat Angst. Davor, Entscheidungen zu treffen und davor, dass sie falsch sein könnten.

Statt sich an Unis zu bewerben, sucht sich Julia einen Job als Kellnerin. Erst nur für den Sommer, dann bis in den Winter hinein. Cocktails mixen, Herzen aus Kakao auf Milchkaffees zaubern und die Gäste mit ihrer Fröhlichkeit glücklich machen, das ist ihre Leidenschaft. Ihre Eltern machen sich Sorgen. Wie soll es weitergehen? Julia meidet den Kontakt mit ihnen, erscheint kaum noch zu den Mahlzeiten. Früher wurde viel geredet, wenn sie alle am Tisch saßen. Jetzt gibt es kaum mehr was zu sagen. Manchmal legen ihre Eltern Broschüren verschiedener Unis auf den Tisch, die Julia nicht anrührt. Der unausgesprochene Vorwurf hängt schwer in der Luft: Du verschenkst dein Leben, du machst nichts aus deinen Fähigkeiten.

Die Angst vor der neuen Freiheit schnürt Julia die Luft ab, nachts kann sie kaum schlafen, deshalb geht sie lieber jobben. In der Kneipe riecht es nach gescheiterten Hoffnungen und nicht erfüllten Sehnsüchten. Hier darf sie einfach die sein, die sie ist. Niemand fragt sie hier nach ihrer Zukunft.

Dann, einmal, als sie frühmorgens von der Arbeit nach Hause kommt und durch die klare Winternacht stapft, bleibt sie mitten auf der Straße stehen. Sie sieht den weiten Himmel über sich und den offenen Weg vor sich. Auf einmal spürt sie, dass sie nun bereit ist: Bereit für ihr Leben. Bereit für Fehler, bereit dazu, Entscheidungen zu fällen.

Julia wartet, bis der erste Bäcker öffnet. Sie kauft Brötchen und geht nach Hause. Deckt den Frühstückstisch, kocht Kaffee. Wartet, bis ihre Eltern aufstehen. Seit Monaten frühstücken sie mal wieder zusammen. Sie reden nicht viel. Aber da ist ein zaghaftes Lächeln zwischen ihnen, das es lange nicht gegeben hat.


Manchmal braucht es eine Weile

bis dein Wort in den Herzraum gelangt.

Bis ich dir erlaube einzutreten.

Dir Raum zu nehmen.

Manchmal braucht es eine Weile

bis ich spüren kann, dass das wahr ist:

DEIN Geschenk echt und ohne Kleingedrucktes.

Freiheit.

DU siehst, was mir fehlt.

DU gibst mir, was ich brauche.

DU stellst meine Füße auf weiten Raum.

Und meine Angst wird klein.

Ich hebe sie auf und schaue sie mir an. Ich kenne sie gut.

Zu lange hat sie mich bewohnt.

Nun ist es Zeit. Ich lasse sie ziehen.

Die neue Mieterin heißt:

Freiheit.

Sie lüftet erst mal gründlich aus und streicht die Wände hell.

Manchmal braucht es eine Weile, bis der Herzraum neu bewohnbar wird.

Das ist nicht schlimm.

Ich habe alle Zeit der Welt.

Amen

Reich gedeckt

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