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Mandatsträger und deren Abhängigkeiten


In der Tetrade, also in der vier Ebenen Betrachtung, müssen die Mandatsträger nicht nur eine Abhängigkeit, sondern sogar zwei oder sogar drei Abhängigkeiten handhaben.

Die erste Abhängigkeit ist selbstverständlich und in erster Linie durch das notwendige Wählervotum begründet. Die Wahl in ein Parlament soll ja kein temporäres Intermezzo bleiben. Die zweite Abhängigkeit ist das Vermitteln der eigenen Arbeit und der eigenen Zielvorstellung mit Hilfe der Presse. Und dies mit all den Problemen, wie zuvor beschrieben. Die dritte Abhängigkeit der Mandatsträger in den regierungstragenden Fraktionen ist der persönliche Wunsch, in der Regierung Verantwortung mit zu übernehmen. Also Karriere zu machen.


Zum notwendigen Wählervotum: Um in ein Parlament gewählt zu werden, bedarf es einer breiten Akzeptanz in der eigenen Partei, aber auch eine breite Akzeptanz in der Gesellschaft, also bei den Wählerinnen und Wählern. Jedes Individuum in der Gesellschaft hat seine eigene Sichtweise. Das ist normal und ist nicht zu kritisieren. Die Parteien bündeln die Summe ähnlicher Sichtweisen. Diese Erkenntnis zeigt aber auch auf, dass es weder in der Gesellschaft noch in den Parteien einen einheitlichen monolithischen Block von Interessen gibt. Mit dieser eher uneinheitlichen Struktur hat sich jeder Mandatsträger auseinanderzusetzen. Durch meine langjährige Mitgliedschaft im rheinland-pfälzischen Landtag und somit durch den stetigen Kontakt mit der Gesellschaft im Allgemeinen kann ich begründet behaupten, dass die Wählerinnen und Wähler sowie die eigenen Parteimitglieder zu Großteilen eine klare Position von Mandatsträger erhoffen. Die gleichen Personen fühlen sich aber gleichzeitig besonders betroffen, wenn die Stellungnahmen und Zielsetzungen zu bestimmten Sachthemen des Mandatsträgers, den sie unterstützt haben, nicht in ihre persönliche Richtung zielen. Auf diesem dünnen Eis muss sich ein Mandatsträger oder eine Person, die sich für ein Mandat bewirbt, bewegen. Der Spagat, der zwischen sachlichen und aber auch wissenschaftlichen Erkenntnissen auf der einen Seite und den individuellen Bedürfnissen der Wählerinnen und Wähler auf der anderen Seite zu machen ist, ist sehr oft kaum zu leisten. Wie man erkennen kann, sind die Abhängigkeiten der Mandatsträger sehr groß.


Zum notwendigen Vermitteln der eigenen Arbeit und der eigenen Zielvorstellungen. Dass ein Abgeordneter nicht jede Wählerin und jeden Wähler persönlich ansprechen kann, versteht sich von selbst. Abgeordnete, die einen großen Wahlkreis zu bedienen haben, sind auf die Berichterstattung der Presse angewiesen. Bei ca. 90.000 Wählerinnen und Wählern in einem Landtagswahlkreis ist es weder finanziell noch organisatorisch zu handhaben, zu allen Themen Briefe oder Flugblätter zu verteilen. Auch mit den neuen Medien, die selbstverständlich aktiv eingesetzt werden, erreicht man aktuell, in aller Regel, maximal die jungen Wählerinnen und Wähler. Wenn überhaupt. Das Versenden von E-Mails ist, und das ist absolut richtig und nachvollziehbar, aus Datenschutz-gründen kaum möglich. Das Vermitteln der eigenen Arbeit und der eigenen Zielvorstellungen geht aus den genannten Gründen primär nur mit der Presse. Und genau da sind die zusätzlichen Abhängigkeiten der Presse zu beachten. Siehe hierzu das Kapitel Informationsselektion. Denn legt man zugrunde, dass der Spagat, der zwischen sachlichen und aber auch wissenschaftlichen Erkenntnissen auf der einen Seite und den individuellen Bedürfnissen der Wählerinnen und Wähler auf der anderen Seite kaum zu leisten ist, und dann zusätzlich den Selektionsmechanismus der Presse zu berücksichtigen hat, dann darf man sich nicht wundern, wenn Politiker sehr häufig nicht verstanden werden. Die Abhängigkeit der Mandatsträger ist erkennbar groß.

Zum persönlichen Wunsch, in der Regierung Verantwortung mit zu übernehmen. Die gewählten Regierungen berufen ja auch aus den regierungstragenden Fraktion Personen, die in der Regierungszusammensetzung einen besonderen Status bekommen. Staatssekretäre, Minister, aber auch andere verantwortungsvolle und lukrative Jobs sind bei einer Regierungsbildung zu vergeben. Wer sich trotz persönlicher Befähigung lautstark gegen die eigene Fraktion und/oder gegen die aktuelle Regierung äußert, ist mit Sicherheit nicht die erste Wahl bei der Besetzung oder Neubesetzung von Regierungsämtern. Also eine Mandatsträgerabhängigkeit innerhalb der eigenen Fraktion und Regierung. Diese politische Abhängigkeit hat natürlich kein Alleinstellungsmerkmal. Solche Abhängigkeiten sind in allen Berufen erkennbar.

Erosion und Exitus der gelebten Demokratie

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