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Ein Vorwort

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Plötzlich war alles anders. Und das noch dazu für die allermeisten Menschen. Wie die Digitalisierung hat auch diese Krise keinen ausgelassen – das Präfix „Pan“, vorne im Wort „Pandemie“, hat es schon ahnen lassen. Was da über den Planeten schwappte, war nicht die Digitalisierung. Sondern eine ganz andere Welle. Sie kam stärker, unvermittelter. Und hat heftiger an allem gerüttelt, was man schon so gut kannte, am Alltag, an den Möglichkeiten, ihn zu verbringen, an der Art, wie man auf andere zugeht und wie man schlussendlich miteinander redet. Ein Virus hat das geschafft, was viele konkrete Technologien letztendlich doch nur vage angedeutet haben: den Großteil der sozialen Interaktionen in einen ganz neuen Modus zu versetzen, nämlich in den digitalen. In einen Zustand des Kontakts ohne Kontakt. Corona hat die Digitalisierung beschleunigt, zugespitzt und hochgeschaukelt. Und damit umso schneller verändert, wie Menschen miteinander reden. Nicht weil es die Technik plötzlich erst zugelassen hätte. Sondern weil es die Situation so forderte. Unverhofft ist die digitale Zukunft auf die Realität eingestürzt. Und dabei sind einige Menschen in Situationen genötigt worden, in denen sie so auch noch nicht waren. Die eigenen Eltern nur mehr digital zu besuchen etwa, per Videochat. Oder an Beerdigungen und Hochzeiten teilzunehmen, ohne dort zu sein. Per Livestream. So neu waren viele diese Situationen, dass auch Politikern manchmal nur ungelenke Begriffe für die Gesamtsituation einfielen. Wie etwa die „Neue Normalität“. Eine sanft formulierte Verheißung, dass ein gutes Stück „anders“ auch hängen bleiben wird. Im Alltag. Und auch in der Art und Weise, wie Menschen miteinander kommunizieren. Oder generell: miteinander umgehen. Und nicht nur deshalb, weil digital Reden die weitaus klimafreundlichere Variante ist, wenn man sich für den Austausch nicht erst aufeinander zubewegen muss. So viel steht fest: Digitales Reden produziert weniger CO2. Dafür an manchen empfindlichen Stellen des sozialen Alltags auch Unbehagen, Unsicherheit und sogar Ängste.

An die Gesichter, die außer Baumwollstoff nur mehr wenig zeigten, hatte man sich irgendwie schnell gewöhnt. Und daran, den Mundschutz zum Einkaufen so selbstverständlich mitzunehmen wie die Liste und Kleingeld für das Einkaufswagerl. Oder auch an andere ungewohnte Fakten: Dass man für ein Vieraugengespräch nur noch den Computer einschalten muss. Genauso, wie wenn man einen Vortrag vor achtzig Augen hält. Ganz nebenbei hat Corona noch andere Selbstverständlichkeiten produziert: Dass man in Ausstellungen geht, ohne dass man hingehen muss. Dass man, wenn man sich treffen will, sich gar nicht erst mühsam treffen muss. Dass man, wenn man jemanden erreichen will, sich nicht mit dem Auto in den Stau einreihen muss. Oder in die Warteschlange vor dem Flugzeuggate, nur damit man für eine Stunde Geschäftsverhandlung viele Tonnen Kerosin verbrennt.

Plötzlich schien das Glasfaserkabel genauso wichtig wie das Stromnetz. Eine Infrastruktur, die den Alltag am Laufen hält. Da poppte sogar so schnell wie der Virus selbst auch die Sorge auf, ob die Netze so viel Digitalisierung auf einmal überhaupt aushalten. Ganz abgesehen davon, ob die Menschen so viel Abstand und Medien zwischen sich beim Interagieren auch so gut vertragen. Unter der viel beschworenen Prämisse, gerade zu Coronazeiten, dass sie ja – wie Wellensittiche und Kaninchen – ausgesprochen soziale Wesen sind. Und tatsächlich haben viele Menschen festgestellt: Gespräche funktionieren auch so. Digital. Mit Abstand. Auch ohne dass man sich davor die Hand geschüttelt hat. Und auch ohne dass man dem anderen mimisch ständig deutlich machen kann, dass man auch seiner Meinung ist. Vieles von dem, wofür sich verschiedenste Technologieunternehmen und Early Adopter schon eingesetzt hatten, hatte plötzlich unangekündigte Feuertaufe. Man erkannte: Es geht auch so. In vielen Bereichen. Aber man fragte sich bald: Will man es auch so?

In der Coronazeit hatte man plötzlich Gelegenheit, vieles völlig neu zu bewerten: Wie man wohnen will. Wie man arbeiten will. Aber vor allem auch: Wie man miteinander reden will. Ein paar Wochen hatte man Zeit, während des Lockdowns die analoge Kommunikation sehnsuchtsvoll zu vermissen. Aber gleichzeitig schätzen zu lernen, wie die Möglichkeiten der digitalen Kommunikation sie manchmal effizient ersetzen können. Vor allem jene Optionen, die für manche noch so ungewohnt und neu waren, wie in die Armbeuge zu niesen. Der Lockdown war eine unangekündigte Evaluierungsphase: der Qualitäten von Gesprächen, die man sonst analog führte. Und von jenen, in die man zwangsläufig geraten war und die sich wie selbstverständlich in den Alltag gemischt hatten – wie etwa Videokonferenzen.

Corona und seine Folgen kamen um einiges vehementer angerauscht als die Digitalisierung. Auf den Etappen, die Letztere bis heute nahm, konnte man sich entweder entspannt auf sie einlassen oder sich zumindest allmählich mit ihr abfinden. Corona ließ im Frühling des Jahres 2020 dafür keine Zeit. Vieles, was technisch möglich war, theoretisch denkbar, wurde Tatsache und zwangsläufig. Manches, was wie digitale Zusatzfeatures des Lebens gewirkt hat, die man bei Bedarf zuschalten konnte, übernahm kommunikative Kernfunktionen. Und während sich die Tiefkühl- und Toilettenpapierregale in den Supermärkten leerten, füllte sich der Wortschatz mit neuen Begriffen. Schon Kinder wussten bald: „Videokonferenz“ ist jene Zeit des Tages, in der sich die Eltern Gesichtern widmen, die gar nicht da sind. Und dass man ihnen beim Reden zuschauen kann. Wenn die Kinder das Schlüsselwort hörten, wussten sie aber auch: Jetzt wird die Wohnung umgeschaltet. Von Kinderbetreuungsstätte auf Homeoffice. Bis sie am Nachmittag dann ohnehin wieder zum Yogastudio wird. Denn Corona hatte alle und alles nach Hause geschickt. Die Mitarbeiter der Unternehmen, selbst jener, die zuletzt vom Teleworking von zuhause wieder ins Büro gerufen hatten. Die Einkäufe und das Tagesmenü, auch sie trudelten von außen ein. Genauso wie die Lerninhalte und Aufgaben für die Schüler und Studenten. Aber auch die Ballettstunde, genauso wie alle möglichen Formen der Zeitverbringung à la „geselliger Abend“. Sogar der Österreichische Bundesverband für Psychotherapeuten aktualisierte seine Richtlinien: Er schaltete die Option „tele“ auch frei für die Therapie. Via Videosoftware oder auch schlicht via Telefon. Und gerade das, das Vorgänger-„tele“-Format der Internetkommunikation, das Telefon, wurde wieder häufiger zur Hand genommen als in den Jahren zuvor, vermeldeten die Telekommunikationskonzerne. Als wäre in zwangsläufig isolierteren Lebensphasen die weit verbreitete digitale Redekultur, also das gegenseitige Zuwerfen schriftlicher digitaler Häppchen, mit einem Mal doch nicht „sozial“ genug. Jedenfalls: So „tele“, „remote“ und „distant“ wie während Corona war das Leben seit Erfindung des Internets noch nie. Und das spielte natürlich jenen Unternehmen in die Hände, für die „Abstand“ schon immer zum Geschäftsmodell gehörte. Vor allem auch in der Kommunikation. Die Zahl jener etwa, die eine Software nutzten, von der sie früher nur gehört hatten, schoss rasant nach oben: Das Videokonferenzsystem „Zoom“ war mit 10 Millionen Usern in den Lockdown gestartet. Innerhalb kurzer Zeit stieg ihre Zahl auf über 200 Millionen. Als hätten die digitalen Kommunikationskanäle nur auf die Krise gewartet, um zu zeigen, was sie können. Vor allem auch einiges überwinden, was sich sonst einem Informationsfluss gern in den Weg stellt. Distanzen und sonstige Barrieren. Abstand halten und trotzdem in Verbindung bleiben, für digitale Medien war es die leichteste Übung. Und selbst paradox anmutende soziale Manöver schienen plötzlich digital ganz leicht zu gelingen: wie etwa den Zustand von „distanzierter Verbundenheit“ herzustellen. Selbst die noch ein wenig argwöhnischeren unter den Digitalskeptikern bemerkten: Einiges an kommunikativen Grundaufgaben kann man durchaus den digitalen Kanälen anvertrauen. Redaktionskonferenzen, Symposien, Workshops, Teammeetings, die ersten Runden von Bewerbungsgesprächen, Interviews – nur einige Formate, bei denen Videokonferenzen bewiesen haben: Sie können vieles an Kommunikationsbedarf abwickeln. Gleichzeitig haben sie aber auch noch etwas anderes klargelegt: wofür sie eher nicht taugen. Oder worauf man lieber wartet, bis man sich wieder „sieht“, tatsächlich und im gemeinsamen Raum, statt nur zu sehen – auf einem flachen Bildschirm. Ein spontanes zwangloses Gespräch lässt sich technisch nicht ganz so leicht herstellen. Schließlich muss man jedes Gespräch planen, ankündigen, terminisieren. Oder ein tiefgehendes Gespräch, in das man versinkt. Auch das lässt sich digital nicht ganz so einfach produzieren. Dafür ist die Gesprächsblase, die sich da zwischen dem einen und dem anderen Bildschirm aufbauen soll, viel zu fragil. Kaum ist sie mühsam gebildet, muss man sie ständig pflegen, aktivieren, vor dem Einsturz bewahren. Das ist anstrengend. Kognitiv vor allem. Auch weil ansonsten vieles hergestellt werden muss, was sich sonst wie von selbst ergibt – in analogen Begegnungen. Wie die Aufmerksamkeit etwa. Das heißt: Auch wenn die Verbindung technisch gelegt ist, sozial bleibt sie zerbrechlich. Irgendwie spürte man bald, nach der Euphorie darüber, was sich denn alles theoretisch digitalisieren ließe: diese kontaktlose digitale Kommunikation. Auch wenn immer mehr Gesichter auf Bildschirmen bei ihr mitmischen und selbst wenn sie vieles ersetzen kann, meist kann sie nicht mehr sein als ein gut gemeintes Substitut. Eine technische Behelfskonstruktion. Eine Art digitale Kommunikationsprothese. Auch weil sich etwas schon gar nicht einfach so „off“-schalten lässt wie der Laptop: die Sehnsucht nach Kontakt mit Kontakt. Nach haptischer und räumlicher Verbundenheit. Bei der die Signale das ganze Frequenzband der Kommunikation bespielen können, die eine soziale Interaktion normalerweise unterstützt – wenn man sich tatsächlich und analog gegenübersteht oder -sitzt. Deshalb freuten sich auch alle – trotz digitaler Verbundenheit – nach dem Lockdown und nach Wochen des ungelenken, teils teilnahmslosen, teils gestressten In-die-Kamera-Winkens auf eines: wieder zu „reden“, statt nur zu kommunizieren. Dabei auch mal in Ruhe schweigen zu können, ein paar Momente, um einem wichtigen Satz ohne Worte Nachdruck zu verleihen. Oder dem anderen mit einer Idee ins Wort zu fallen, ohne dass das Gespräch ins Stocken kommt. Oder dem anderen ganz genau und ganz nah dabei zuzuschauen, wie die Augenbrauen tanzen, die Augen lachen und die Gesten weiter ausholen, als sie müssten – beim ganz normalen, analogen Reden, von einem Gesicht zum anderen.

Wir reden, noch

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