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Sender trifft Empfänger – Mit ein bisschen Luft dazwischen

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Der Mensch redet, auch dann, wenn er gerade ziemlich mundfaul ist. Dann übernimmt einfach der Körper das Sprechen. Das hat insbesondere soziale Gründe. Und so viel Einfluss, wie er vielleicht gerne hätte, hat der Mensch auch nicht darauf, was er und wie er es sagt. Denn nur einen kleinen Teil von dem, was er sendet, darf er auch selbst formulieren. Der deutlich größere Bedeutungsträger als sein Ego und sein freier Wille ist sein Körper. Gut, die Bibelverse und was man sich sonst noch so aus den Katalogen in den Tattoostudios ziehen kann, darf man schon selber wählen. Doch auch wenn man ihn nicht selbst beschriftet, spricht der Körper für sich selbst. Und tatsächlich scheint es so, als hätte er ständig etwas zu vermelden. Allein aus der internen Kommunikationsabteilung. Hunger, Durst, Aua. Zu viel getrunken. Zeit fürs Bett. Noch mehr Signale richtet der Körper aber sogar nach außen, an andere. Dafür hat er ein eigenes Vokabular ausgeklügelt, ein Gefühlsesperanto. Entschlüsseln kann es jeder, dem Gefühle von sich selber bekannt vorkommen. Was Soziologen heute als Dauerzustand von Jugendlichen inmitten digitaler Medien vermuten, ist im Grunde die Ausgangslage für jeden Menschen – nämlich seit der Geburt: „Always on“.4 Ständig empfangsbereit. Ständig in Erwartung von Response und Feedback. Ein Zustand, den Smartphones nicht erfunden haben, dafür aber deutlich intensiviert. Der Mensch ist „on“, ganz ohne Sendepause, wenn er nicht gerade schläft. Ansonsten kann man noch so viel schweigen, wie man will, den Blick abwenden, sich Ear Pods in die Ohren schieben, auf Displays starren – schon ist wieder etwas gesagt. Und auch das macht es so schwierig, ein Buch über Kommunikation zu schreiben, ohne zumindest ein, zwei Mal einen Namen zu streifen: Paul Watzlawick. Jener, der genau dieses Phänomen in das berühmteste aller Kommunikationsaxiome abgefüllt hat: „Man kann nicht nicht kommunizieren.“5 Allein weil man sich auch nicht nicht verhalten kann. Kann man gerne zuhause ausprobieren. Noch dazu gerät der Mensch irgendwann in eine Lage, in der dieses Phänomen zur Zwangslage wird: in der Dyade. Klingt ziemlich technisch, ist aber im Grunde eine urmenschliche Situation. Gleichsam die soziale Urkonstellation: ich und du. Und auch wenn es nur zwei sind, stehen sich da gleichzeitig ziemlich viele gegenüber: Sender und Sender, wie auch Antenne und Antenne. Schon ist sie gelegt, die situative Basis für die grundlegendste Form des kommunikativen Austausches, für das Zwiegespräch. Und noch bevor das erste Wort gefallen ist, ist da inhaltlich ziemlich viel los. Allein zwischen Haaransatz und großer Zehe, auf beiden Seiten. Wie auch im Luftraum, der zwischen dem einen und dem anderen Mund übrig bleibt, wenn man sich nicht gerade küsst. Kommunikationsgenie trifft auf Kommunikationsgenie, ein soziales Naturschauspiel. Die Tiere würden die Kameras herausholen, wenn sie welche hätten. Weil speziell die menschlichen Wesen bestens vorbereitet sind, sensorisch, kognitiv, mental, für alle Arten der Begegnung, außer vielleicht für jene der dritten Art.

Und wenn man sich so gegenübersteht, rechnet das Gehirn mit allem. Insbesondere mit jeder Menge sozialer Datenverarbeitung. Die Evolution hat die Interaktionspartner vorsorglich mit allem Nötigen ausgerüstet: Augen, die andere Augen suchen, um in ihnen lesen zu können. Dazu noch Beine, die manchmal sogar schneller laufen als die des anderen. Und für alle Fälle auch psychische Überlebensstrategien wie das Stockholm-Syndrom, wenn die Beine dann doch nicht schnell genug waren. Aber vor allem gehört auch ein sensibles Touchdisplay zur Grundausstattung. Eines, das sich stets einige Grad wärmer anfühlt als jenes, auf denen die Finger der Menschen den ganzen Tag herumwischen: Es sind fast zwei Quadratmeter Haut. Jederzeit empfangsbereit. Für Informationen aller Art, die Tischkanten, Stacheln, Brennessel, Glasscherben, Fäuste und anderes so in den Raum stellen. Die dichteste Auflösung hat das Display dort, wo man es in vielen Kulturen auch extra nicht mit einer textilen Hülle verdeckt oder schützt. Dort, wo 26 Muskeln das emotionale Status-Update regelmäßig formulieren: im Gesicht. Ein Mensch, der im deutschen Sprachraum alphabetisiert wurde, kann über 26 Buchstaben verfügen. Aus ihnen bastelt er sich gerne 2000 Wörter Grundwortschatz zusammen. Doch mit dem Gesicht allein hat schon der unalphabetisierte Mensch 26 Bausteine im Repertoire, bewegliche noch dazu. Und mit ihnen kann er schon in einer halben Stunde Konversation tausende Zeichenkombinationen abliefern. Gleichsam als Bühnentechnik für die Inszenierung der wichtigsten verbalen Botschaften, für die man wiederum in seinem Grundwortschatz erst einmal kramen muss. Die Gesichtsbühne war schon immer wichtig, um auch mal einen drohenden tödlichen Konflikt abzuwenden, in den man in der Savanne versehentlich gestolpert ist. Sicherheitshalber haben sich schon die Primaten, bevor sie Menschen wurden, mit einem zusätzlichen nützlichen Display ausgestattet: dem „Bared-Teeth-Display“6, den gebleckten, entblößten Zähnen. Als vorsichtig formulierter Nichtangriffspakt. Heute besser bekannt unter Lächeln. Von manchen auch semantisch als Unterwürfigkeitsgeste eingeordnet, jedenfalls ein sozialer Joker, mit dem schon eine Menge Beziehungsarbeit quer durch die Sippe möglich war. Lange bevor das erste Wort gesprochen wurde.

Das Gesicht, vulgo „Facial Display“, gibt auch gerne ein paar grundlegende Hinweise, wie andere mit einem umgehen sollen. Ähnlich einer Ampelanlage, die von „Sprich mich an, bitte“ auf „Lass mich in Ruhe“ schalten kann, und das innerhalb von Sekunden, entlang eines Tages oder einer Lebensphase. Doch auch deutlich subtilere Botschaften stellt das Gesicht sprichwörtlich in den Interaktionsraum. Nicht alles davon ist so leicht zu dechiffrieren wie Augenbrauen, die sich zu Ruf- oder Fragezeichen zu formen scheinen. Manchmal fallen Kinnladen und tanzen die Stirnfalten, hüpfen die Mundwinkel – Mensch und Mensch in Interaktion, das ist ziemlich viel Lesestoff. Und gleichzeitig die Hintergrundstory zu allem, was sonst noch so gesagt wird im Moment.

Hineingeplatzt in die ohnehin laute Welt ist der Mensch schon mit seinem ersten Schrei. Seitdem ist er eben „on“ mit allen Sinnen. Gleich nach dem Aufstehen weiß er, was das bedeutet – bei der ersten Begegnung des Tages, mit sich selbst, im Spiegel. Da läuft gleich die erste Informationssendung auf der Glasfläche, noch vor dem Morgenjournal im Radio. Die Themen: „Was war gestern?“, „Wie geht es mir heute?“ Und danach läuft das Programm auf dem Gesicht gleich weiter. Mit den unterschiedlichsten Inhalten, die meisten davon aber aus dem Ressort „Soziale Angelegenheiten“ – zumindest wenn man zum ersten Mal am Tag auch einem anderen Gesicht begegnet.

Damit es noch komplizierter wird, fügt man als Mensch gleich noch ein paar narrative und semiotische Ebenen ein. Dazu holt man sich etwa ein bisschen Vokabular direkt aus dem Kleiderschrank. In Form von Kleidung. Und würde man keine anziehen, den ganzen Tag nackt bleiben, dann würde erst recht tiefere Bedeutung darin versteckt sein. Danach kann man semiotisch vielleicht noch an der Frisur drehen. Oder auch nicht, wenn man extra das Nichtfrisieren für sich sprechen lassen will. Alles Mögliche kann man mit Gestaltungswillen zwischen den Haaren andeuten: „Ich bin einer von euch.“ Oder: „Mit euch will ich wirklich nichts zu tun haben.“ Oder: „Ich hatte einen schlechten Tag, in der Früh keine Zeit und überhaupt zuvor eine unglückliche Beziehung.“ Später, in der U-Bahn, kann man zumindest sein eigenes Gesichts-Display einem anderen Display zuwenden, jenem, das man sich im Handyshop zugelegt hat. Vor der Ära des elektronischen Papiers hätte man sich vor den anderen Gesichtern vielleicht hinter einer Zeitung versteckt. Masken außerhalb des Faschings haben sich nämlich nicht durchgesetzt, um das eigene Gesicht stummzuschalten. Hat man sich nicht rechtzeitig ins Virtuelle zurückgezogen, dann kann es dafür schnell geschehen: Schon steckt man drin in einer sozialen Situation, womöglich sogar in einer Interaktion. Es geht los. Die Beteiligten nehmen Position ein. Der Abstand wird säuberlich austariert, kulturell ausverhandelt haben ihn ohnehin schon die Generationen zuvor, die Mikromanege zwischen „Face“ und „Face“ wird eröffnet. Und darin scheint der Mensch kommunikativ tatsächlich zu fast allem fähig. Vom rührenden Heiratsantrag bis zum despektierlichen Machogehabe hat er einiges drauf. Und egal ob er glaubt selbst zu senden oder es sein Körper längst getan hat, die meisten Signale, die sich auf den Weg machen, sind soziale. Gerne werden sie multimodal verstärkt, auf unterschiedlichen sensorischen Ebenen. Damit die Botschaft auch ankommt, wird sie oft durchgeschaltet, visuell und akustisch. Richtig verstanden zu werden, auch das hat im Laufe der Evolution schon dem einen oder anderen Lebewesen das Überleben gesichert. So gut bestückt der kommunikative Werkzeugkoffer des Menschen auch sein mag: Sicherheitshalber hat er auch der Evolution schlussendlich die Evolution abgenommen, zumindest jene der Kommunikationskanäle. Kurzerhand ausgelagert hat er sie – in die Hand seines abgewinkelten Armes. Dort liegt meist sein Smartphone. Und dort hat sich der Mensch technisch selbst upgedatet: vom Zweikanalredewesen der Worte und der nonverbalen Zeichen auf die aktuell gültige Version. Und dabei ist der Mensch schon sein eigener digitaler Multichannel-Manager.

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