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REDEN WIR ÜBERS REDEN Das persönliche Gespräch – der Showdown der Kommunikation

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„Wir müssen reden.“ Kaum ist das gesagt, weiß man: Jetzt wird’s ernst. Oder sogar wahrhaftig. So richtig live. Was man auch immer zuvor geschwafelt und geplappert hat, per WhatsApp so vor sich hergesagt, so beiläufig ins Smartphone getippselt – jetzt kommt der Showdown der Kommunikation. Jetzt entscheidet sich, wie das alles vorher wirklich gemeint war. Und den ganzen Chatverlauf des letzten Jahres auf dem Handydisplay liest man mitunter mit ganz anderen Augen. Purer und unmittelbarer kann das Gespräch nicht sein, das Basiskommunikationsformat, wenn zwei menschliche Gesichter im selben Raum zwischen sich eine Interaktionsblase aufspannen. Und darin ist das, was da phonetisch passiert, wenn aus Lauten Wörter werden, wahrscheinlich noch am einfachsten zu erklären. Zwei Gesichter im Austausch, im persönlichen Gespräch, das nennen die wissenschaftlichen Beobachter Face-to-Face-Kommunikation. Und wir wollen es auch so bezeichnen, wenn wir hier dringend einmal reden müssen, über das Reden. Oder darüber, was das persönliche Gespräch für Menschen und ihre Kommunikation leistet. Selbst der Digitalisierung ist bislang noch keine adäquate Alternative zum persönlichen Gespräch eingefallen. Obwohl sich natürlich alle digitalen Kanäle stets emsig bemühen, sich möglichst anzunähern. Diesem unerreichten Level eines Kommunikationsformats, das ontogenetisch ohnehin um so viel früher dran war in der Menschheitsgeschichte. Was die Digitalisierung auch erfunden hat, imitiert, ins Virtuelle übertragen: Die Qualitäten des Face-to-Face-Kontaktes, bei dem tatsächliche Augen in tatsächliche Augen schauen, diese kann sie noch nicht technisch reproduzieren. Das persönliche Gespräch ist die Grundlage des Zusammenlebens, der menschlichen Existenz und auch davon, wie man über beides nachdenkt. Denn gerade den Gedanken sagt man nach, dass sie sich erst wirklich formen, wenn sie ausgesprochen werden. Von den guten Ideen glaubt man das auch: Sie brauchen andere, mit denen sie sich Face-to-Face reiben können, damit sie zünden. Was man ausspricht, bekommt gleich eine andere inhärente Qualität, eine eigene und unmittelbare Wahrhaftigkeit, als das, was man lediglich denkt, irgendwo virtuell an Pinnwände hängt oder postet. Das Gespräch ist die „alltägliche Selbstvergewisserung“, schrieb einer der ersten, die sich mit ihm beschäftigt haben, Moritz Lazarus.1 Und aus dem Zitatenlexikon springt einem gleich noch ein kluger Spruch entgegen, einer, der sich aber eher auf die tiefgehenden Versionen bezieht: „Gespräche sind wie Reisen zu Schiff. Man entfernt sich vom Festland, ehe man es merkt, und ist schon weit, ehe man merkt, dass man das Ufer verlassen hat.“ So formulierte es der französische Schriftsteller Nicolas Chamfort.

Es hilft nichts: Wir müssen nun mal reden. Dann und wann. Manchmal nur ganz beiläufig und zwanglos. Hie und da aber auch Tacheles. Keine Angst, es tut gar nicht weh. Schließlich hat man sich auch in jungen Jahren von anderen abgeschaut, wie es funktionieren könnte. Viel hat man gehört, beobachtet und imitiert. Wie andere reden. Und sich dabei verhalten. Das Schwierige: Beim analogen Reden ist man immer gleich auf der Bühne. Keine Chance auf Generalprobe. Auf Instagram etwa hat man dagegen deutlich mehr Zeit für die richtige Pose, um den ersten Eindruck zu modellieren und alle anderen, die folgen mögen. Gut, Sich-in-Szene-Setzen funktioniert wahrscheinlich online besser. Offline eignet sich dafür eher für die etwas entscheidenderen kommunikativen Handlungen wie: Drohen, Verhandeln, Liebe-Gestehen, Alles-Hinwerfen, Schreien vor Erleichterung, aber auch Anteil nehmen an den Gefühlen anderer.

Miteinander reden, Face-to-Face, bedeutet immer noch so viel wie „Jetzt aber wirklich“. Und das impliziert dadurch beinahe, dass alles andere, was man digital miteinander austauscht, gar nicht so wirklich gewesen ist, wie man gerne gehabt hätte. Zwei Gesichter im kommunikativen Austausch, das ist ein Livespektakel. Und danach fühlt sich retrospektiv mancher Chat zuvor fast an wie Tiefkühlkommunikation: Das ursprüngliche Verlangen wurde gestillt. Aber irgendwie unbefriedigt zurückgelassen wird man trotzdem.

Ob die Face-to-Face-Kommunikation weniger wird, ist schwer zu messen. Man müsste allen Menschen der Welt das umhängen, was Forscher in Versuchsreihen schon ihren Teilnehmern umgehängt haben: einen „EAR“, einen „Electronically Activated Recorder“2, der aufzeichnet, was man mit wem einen Tag lang so redet. Was hingegen definitiv mehr wird, sind die Eindrücke, dass die Gespräche tatsächlich weniger werden. Ansonsten würde man heute nicht als explizite Wertschätzung verstehen, was früher selbstverständlich war: eben den persönlichen Kontakt. Für den man Zeit aufwendet und Energie. Als wären alle digitalen Alternativen vor allem dazu da, die menschliche Beziehung zu verwalten und abzuhandeln. Das persönliche Gespräch hingegen dazu, auch in die persönlichen Beziehungen zu investieren, an ihnen zu arbeiten und zu feilen. Wie guten Wein und Delikatessen hebt man sich Gespräche für besondere Augenblicke auf, manchmal sucht man sich dafür sogar eigens Orte, an denen die Worte und Emotionen noch stärken wirken können.

Gespräche erleichtern oft. Aber sie strengen auch an. Sie verbrennen Energie. Doch Face-to-Face-Kontakt lädt ebenso auf, ganze Gemeinschaften mit Vertrauen sogar. Und Beziehungen mit Verbindlichkeit. Auch nicht ganz unwichtig in einer digitalen Ära der Kommunikation, in der wissenschaftliche Beobachter schon so etwas wie „distanzierte Verbundenheit“ in unseren sozialen Bindungsverhalten konstatieren.3 In die zwischenmenschliche Kommunikation, ganz ohne digitalen Dämmstoff, schlägt die Realität am eindringlichsten ein. Man muss schon dabei gewesen sein, um zu wissen, wie das wirklich war, wie sich das wirklich anfühlte. Als man das Kompliment bekam, das man sich insgeheim schon so lange gewünscht hatte, das Lob, das längst überfällig war, die schmerzliche Absage und das unerwartete Geständnis. Was hart ist, schlägt noch härter auf, was schmeichelt, schmeichelt von Angesicht zu Angesicht umso mehr. Denn außer ein paar Zentimetern Luftraum bleibt Face-to-Face kein Puffer mehr. Doch das ist Platz genug, damit es knistert, funkt, zündet und Brücken geschlagen werden, die man erst sehen kann, wenn man auf die Bilder eines Gehirnscanners schaut. Oder Menschen dabei beobachtet, wie sich sich beim Reden auch körperlich einschwingen.

Manche Gespräche vergisst man nie. Weil sie einen beseelt, erleichtert, berührt haben. Oder die entscheidenden Weichen gestellt. Wirkungen, an denen Chatverläufe auf Smartphones noch feilen müssen. In manche Gespräche schlittert man rein, in andere wird man von unsichtbarer Kraft tief hineingezogen und erst Stunden später wieder entlassen, nach zwei Flaschen Rotwein, wenn Sperrstunde ist. Für manche Gespräche zieht man extra die Jogginghose aus, für manche hat man fünfzig Mal vorher angerufen und ebenso viele E-Mails geschrieben. Viele stehen im Terminkalender, andere kommen immer ungelegen, egal wann. Manche scheinen bis zum Schluss kein Thema zu haben außer „Ich und du“. Anderen merkt man schon beim ersten Wort an, wie sie enden werden. Und bei einigen weiß man bis zuletzt nicht, worauf das alles hinausläuft. Zwischen Kuss und Faustschlag scheint theoretisch alles möglich. Die meisten Interaktionen im Alltag enden allerdings dann doch recht unaufgeregt mit „Schönen Tag noch“. Doch selbst das scheint die Menschen zufrieden zu machen, haben Psychologen festgestellt.

Jedenfalls passieren die wunderlichsten Dinge zwischen Gesprächsanfang und -ende. Da läuft eine Choreografie ab, die im Moment von den Gesprächspartnern selbst mitgeschrieben wird. Denn, egal worüber man auch spricht, eines steht stets stumm auf der Agenda: Anpassung und Übereinkunft. Dafür lässt man sich aufeinander ein, schwingt mit dem anderen mit, synchronisiert viel mehr als nur Bewegungen und weiß danach manchmal gar nicht so recht, was da genau los war, wenn das Gespräch mit gutem Gefühl zu Ende geht. Nur dass man am liebsten einen Neurowissenschaftler anrufen würde, der es einem erklärt. Denn die Worte sind nur die offensichtlichsten Brücken. So viel mehr Zeichen takten den Fluss des Gesprächs, diktieren den Rhythmus, bauen mit an der Verbindung zweier Menschen, die unsichtbar scheint, aber deutlich sichtbar wird, wenn man sie beim Reden beobachtet. Und während man seine sozialen und inhaltlichen Botschaften abliefert, merkt man oft gar nicht, wie man schon miteinander tanzt. Gestisch nämlich. Dafür muss man sich nicht einmal auf dem Parkett gegenüberstehen. Es funktioniert auch im Sitzen, sofern es die Möbel und das Designkonzept dahinter, oder auch die Architektur des Raumes, zulassen.

Wir reden, noch

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