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9.

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Karlsson kam an einem Freitag. Meinem Vater war telegrafiert worden.

Ob nun wieder die Flagge am kleinen Mast aufgezogen werden solle? Nein, entgegnete mein Vater, das sei wohl nicht nötig. Er hatte seinen schnarrenden, scharfen Tonfall abgelegt und sprach nachdenklich und gedämpft wie zu Komplizen.

Karlsson war lange ohne Pause gefahren, er sah müde aus. Er bedankte sich fast nach jedem Satz, den mein Vater oder Irene an ihn richteten. Er konnte in einem unserer Gästezimmer schlafen, das im Erdgeschoss lag.

Was er mit meinem Vater besprach, weiß ich nicht im Einzelnen. Es wird um bestimmte Voraussetzungen und Verabredungen gegangen sein, um Maßnahmen zur Vorsicht, um den Ablauf und was weiß ich noch.

An seinem zweiten Abend bei uns ging ich nach dem Abendbrot in die Küche. Ich hatte noch ein paar Minuten, bis mich jemand ins Bett schicken würde. Ich nutzte die Zeit sonst oft und ging zu Scharik nach draußen. Aber in diesen Tagen versuchte ich noch öfter, als ich es sonst schon tat, in der Küche etwas mitzukriegen von dem, was die Erwachsenen sprachen. Meine Eltern duldeten mich bei solchen Gesprächen nicht in ihrer Nähe. Meine Mutter, die stets um ein gutes Wort bemüht war, drückte mir sogar einmal das dicke Wilhelm-Busch-Hausbuch in die Hand, das ich so gern hatte, und flüsterte mir zu, ich könne es mit in meine Kammer nehmen, ausnahmsweise.

Heute Abend ging ich in die Küche. Irene setzte ein Lächeln von den Augenbrauen bis zum Kinn in ihr Mondgesicht und nickte mir zu, Ludwig paffte, ich spürte es genau, eine Wolke in meine Richtung.

Karlsson saß wie schon bei seinem ersten Besuch mit Herrn Dahlerus mit den anderen zusammen. Er hatte seine blaue Uniformjacke abgelegt und rauchte eine Zigarette. Er deutete an, sich zu erheben, als er mich sah. Irene hob aber beruhigend die flache Hand und zog, ohne ein weiteres Wort zu sagen, den blauen Wollfaden nach, den sie mit zwei langen Nadeln verstrickte.

Ich holte mir den Hocker, stellte ihn neben den Armlehnstuhl, auf dem Ludwig saß, und nahm Platz.

»Ja, dieses Land ist gewonnen. Dem Meer abgetrotzt, über Jahrhunderte. Darauf, Herr Karlsson, sind die Menschen hier auch bannig stolz, nicht wahr, Hannes?«

Ich nickte mich in die laufende Unterhaltung hinein.

»Ein gewonnenes Land, das klingt, als habe man bei einem Glücksspiel gewonnen.« Karlsson hob den Bierhumpen zu einem Prosit in die Luft, wartete auf Ludwig, der es ihm nachtat, und suchte den Kontakt zu Irene, die ihre Nadeln wie mit gefesselten Händen mit einem Auflachen hob.

»Gewonnen. Ja, vielleicht ist das gar nicht so ein guter Begriff. Es war sicher ein Glück, aber ein Spiel war es nicht.«

Ludwig setzte sich ein wenig vor. »Ich werde Ihnen eine Geschichte erzählen, wenn Sie erlauben.«

Karlsson nickte zustimmend.

»Das Land, in dem ich früher gearbeitet habe, das war in diesem Sinne wirklich gewonnen, wie in einem Glücksspiel.« Ludwig genoss die fragenden Blicke Karlssons.

»Ich habe früher beim Eisenbahnbau in Deutsch-Südwest gearbeitet, müssen Sie wissen.«

Irene pustete hörbar in ihren Teebecher. Sie mochte es nicht, wenn sich Ludwig so spreizte. Schon gar nicht vor Fremden.

Karlsson fragte nach, wie es sich Ludwig gewünscht hatte. Der versenkte seinen Stopfer in der Pfeife und erzählte von früher. Diesmal nicht von den Diamanten, wie ich zunächst erwartet hatte.

»Der alte Lüderitz ist wenigstens dann noch ertrunken, haben die immer erzählt. Offiziell heißt es natürlich verschollen. Der war es, der das Gebiet Südwest für Deutschland ergaunerte.«

»Sie müssten mir, ich möchte Sie bitten, die Geschichte ganz erzählen, sonst bleiben Ihre Worte wie ein Rätsel.« Karlsson lachte ein warmes Lachen. Ludwig guckte einen Moment lang gespielt erstaunt, deutete eine Verbeugung an als Zeichen, dass es ihm recht sei. Karlsson wiederum zeigte seine Handflächen, als Zeichen, dass er bereit sei. Ich machte mich so unsichtbar wie möglich, denn ich fürchtete, bemerkt und weggeschickt zu werden.

»Die Deutschen hatten ja lange keine Kolonien gewollt. Aber Geschäfte machen, dass wollten sie dann doch. Da war also dieser tüchtige Geschäftsmann aus Bremen, Adolf Lüderitz mit Namen ...« Ludwig machte eine Pause, um zu sehen, ob wir, besonders Karlsson, noch folgten. Taten wir.

»Der kriegte einen Tipp, dass da unten noch ein Stück Land quasi ohne Besitzer war. Oder nur bewohnt von den Hottentotten.«

»Und das war das spätere Deutsch-Südwest-Afrika.« Es war aus mir herausgeplatzt. Nichts, das ich beabsichtigt hätte. Ich wollte nur, dass Ludwig endlich weitererzählte.

»Ja, pass auf. Lüderitz machte einen Vertrag mit den Hottentotten. Mit dem Häuptling. Dass er ihnen soundso viele Meilen abkaufte. Für ein paar hundert Kröten und ein paar hundert Gewehre. Dazu schenkte er den Hottentotten noch ein paar bunte Gardeuniformen. Nicht viele, nur für die Häuptlinge und Unterhäuptlinge. Und jetzt kommt es.« Ludwig beugte sich noch ein wenig vor, damit wir auch alle zuhörten, was wir längst gespannt taten.

»Der Trick an der Sache war: Er ließ offen, ob er mit den im Vertrag gemeinten Meilen nun deutsche oder englische meinte.«

»Wo liegt der Unterschied?«, fragte Karlsson.

»Die englische bedeutet eintausendachthundert Meter, die deutsche siebentausendfünfhundert.«

»Er hat ihn getäuscht.«

»Ja, er hat ihn über’s Ohr gehauen.«

»Über’s Ohr?«

In der Tür stand meine Mutter. »Hannes!«

Fast kein Land

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