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2.

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Mein zwölfter Geburtstag sollte etwas ganz Besonderes bringen, das war klar. Nicht nur ein Jahr mehr, das ich natürlich auch schon sehnsüchtig erwartete, um ja doch von den Großen noch ernster genommen zu werden.

Meine Mutter war schwanger. Der Arzt hatte erst voriges Mal gefragt, ob sie denn auch zwei Kinderbetten auftreiben könne. Der liebe Gott meine es eventuell mit ihr doppelt gut. Ich hatte gelauscht.

Es sollte noch ein wenig dauern mit der Geburt, hatte Irene mir am Tag darauf zugeraunt. Sie war die Vertraute meiner Mutter. Selbst hätte die mir so etwas doch nie erzählt. Dass sie in anderen Umständen war, das hatte sie mir von Irene quasi überbringen lassen. Wohl hatte sie Angst, sie müsste mir erklären, wo die Kinder herkommen. Dabei wusste ich natürlich längst Bescheid.

Ludwig hatte einen Kompass und eine Pfeife. Den Kompass trug er an einer Uhrkette, zog ihn dann und wann aus der Tasche und guckte ihn an, als sei er eine Uhr. Manchmal, wenn ich oder jemand anderes, den er mochte, guckte, tat er so, als ziehe er den Kompass auf und höre dann, ob er auch wieder ticke.

Die Pfeife hatte eine langen, schwarzen Stiel und ein graues, weil zerbissenes Mundstück. Als ich neun war, hatte er mir auch eine gemacht, massiv aus Holz, ebenfalls schwarz, nur ein bisschen kleiner als seine. »Darfste nur Madame nicht zeigen«, hatte er gesagt und auf die oberen Fenster des Hauses gewiesen.

»Nur auf dem Wagen, wenn wir alleine fahren, einverstanden?«, hatte ich gefragt und ein rostiges Lächeln, wie nur Ludwig es konnte, zur Antwort bekommen.

Und mein Vater? Nun, er hatte zu tun. Und ich natürlich auch. Ich hatte Sommerferien, und das bedeutete für mich, dass ich mithalf. Ich machte alles, wobei mich Ludwig, unser Knecht, gebrauchen konnte. Und das war eine Menge: Tiere, Hof, Feld. Besorgungen machten wir auch. Mit dem Wagen, denn alles andere war ja zu weit.

Unser Hof lag draußen, weit vor den anderen. Das Land war gut, es war wohl das fruchtbarste in ganz Nordfriesland. Es war gerade erst eingedeicht worden. Der mächtige Wall, der vom Wasser her flach anstieg und dann doch eine beachtliche Höhe erreichte, schützte uns. Unserer und die anderen Pachthöfe neben uns standen in der ersten Reihe dahinter.

»Moj Klip!«, das sagte Ludwig oft. Immer dann, wenn ihm etwas einfiel, etwas gutes Neues unterkam, wie vielleicht eine neue Sorte Tau, die mein Vater aus der Stadt mitgebracht hatte, oder eine schöne Feder, die ich aufgesammelt hatte und ihm unter die Nase hielt. »Moj Klip!« Und ich sagte es dann auch. Moj Klip!

Erst durch die Jahre, das Älterwerden und das zunehmende Verstehen, denke ich, erkannte ich langsam, wie besonders wir wohnten. Mir muss es bei einer der Fahrten mit Ludwig aufgegangen sein: Weiße, große Häuser. Farmhäuser, lernte ich später, gebaut nach dem üblichen Kolonialstil in Deutsch-Südwest, standen hier. Sieben an der Zahl, mehr oder weniger nebeneinander. Schwer und breit, auf jedem Hof eines.

»Woher kommst Du eigentlich, Ludwig?«

»Woher?« Ludwig schlürfte Kaffee in der Küche und versenkte sein Gesicht lange in der Tasse.

»Na, von da.« Er zeigt unbestimmt in Richtung Südwest.

»Woher genau?«

»Genauer kann ich das gar nicht mehr sagen.«

Er lachte kurz sein rostiges Lachen und suchte beim Umherblicken nach etwas, das mich ablenken könnte.

»Doch, Du willst nur nicht.« Das hatte ich unserem Knecht noch nie gesagt. Er war mir vertraut und ich wagte schon, ein wenig respektloser mit ihm zu reden als beispielsweise mit meinem Vater.

»Habe ich Dir schon einmal erzählt von dem Vorposten, als ich angegriffen wurde? Vor Seeheim war das. In Südwest.«

»Nein.«

Ludwig kniff die braunen Augen zusammen, lächelte schief und nickte, sodass sich eine graue Strähne aus seinen nachlässig nach hinten gekämmten Haaren löste.

»Das war auch nicht so schön.«

»Was ist da passiert?«

»Erzähle ich lieber nicht. Verstehst Du?«

Ich bewegte meinen Kopf und wusste selbst nicht, ob ich nickte oder ihn schüttelte.

Fast kein Land

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