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10.

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Es war wiederum zwei Tage später, da gestand ich mir ein, dass Karlsson mich störte. Er war da, das genügte. Ich merkte seine Anwesenheit jede Stunde. Nicht nur, weil ich dann und wann das Zimmer verlassen musste, weil sich die Erwachsenen unterhalten wollten, ohne dass ich zuhören durfte. Damit kam ich zurecht.

Aber er war einfach überall. Bei meiner Mutter, höflich, zurückhaltend, zuvorkommend, bei meinem Vater, höflich, aber bestimmt. Die beiden maßen sich. Meinem Vater konnte ich es an der Stirnfalte ablesen, dass er sich seine Freundlichkeit manches Mal abrang. Und Ludwig und Irene waren auch mit Beschlag belegt. Zumindest so oft, dass es mich störte.

Ich ging mehr und mehr allein hinaus. Zu den Ziegen. Fütterte die Hühner aus Zeitvertreib, obwohl Irene das schon gemacht hatte. Ärgerte Scharik, dass er bellend an seiner Kette zog.

Ich setzte mich öfter als sonst hinter das Haus. Hier liefen manchmal die Schafe, wenn das Gras aber kurz genug war, war hier der Wäscheplatz.

Ganz am Rand, vor dem Graben, der unser Grundstück zum Kornfeld dahinter begrenzte, war mein Platz. Ein schmaler Tisch, auf zwei wacklige Beine genagelt. Die hielten die Platte auf der einen Seite, ein hüfthoch stehener Baumstumpf auf der anderen. Ludwig hatte den Tisch einmal gebaut. Ihn habe der abgeschlagene Baum gereizt, hatte er mir erklärt.

Meinen Vater interessierte nicht, was in diesem Teil des Grundstücks geschah, meine Mutter übersah das Tischchen ebenfalls. Und Irene? Die hängte, wann immer sich eine Gelegenheit dazu bot, große Laken, Bettbezüge, Tischdecken oder etwas ähnlich Großes auf die Leine, was das Tischchen zum Haus hin abschirmte. Hier konnte man allein sein.

Ich hatte mich oft an diesen Platz gesetzt und mein Notizbuch herausgenommen. Es war ein Taschenkalender meines Vaters. Zwölf Jahre alt, fast unbeschrieben. Nur der Name meines Vaters stand in kleiner, schöner Schrift vorn drin. Dazu einige Nummern und Abkürzungen in den ersten drei Monaten. Der Rest war freigeblieben.

Ich arbeitete das nach. Ich malte, skizzierte. Pauste Umrisse einer Muschel ab, machte Bleistiftzeichnungen von seltenen Federn, die ich am Spülsaum gefunden hatte. Wie ein Südseeforscher, der einer neu entdeckten oder seltenen Spezies auf der Spur ist.

Ich schrieb auch dann und wann etwas hinein, vermerkte, wann ich auf dem Michaelimarkt gewesen war und was für ein Glück ich an der Losbude gehabt hatte: ein kleines Modellschiff!

Und auch sonst war das Notizbuch unverzichtbar und wunderbar.

Ich holte es mir manchmal schon vor dem Mittagessen aus meiner Kammer, dazu den kleinen Bleistift mit der silbernen Kappe, die die Spitze schonen sollte. Sie war aus Blech, glänzte aber silbern. Das war ein Geschenk meiner großen Schwester gewesen, als ich ein Jahr in der Schule war. Sie war der Meinung, nun sei ich alt genug für so ein Geschenk.

Während des Essens verbarg ich das kleine, biegsame Notizbuch in meinem Strumpf. Niemand hatte je etwas gemerkt.

Und wenn sich dann alle, vor allem am Sonntag, zur Mittagsstunde hinlegten, verschwand ich nach einer angemessenen Wartezeit auf meinen Platz.

Sieben Bäume standen vor ihm. Sieben noch schmale, sich im Westwind biegende Stämme, grüne Kronen, nur einige ein bisschen höher als ich. Auch die Bäume waren noch jung, so jung wie das Land.

Heute saß er dort. Karlsson. Er hockte breit mit den Beinen auf verschiedenen Seiten, bemerkte mich sofort und winkte mir freundlich zu. Alle hatten sich zurückgezogen. Ich war erst am Vormittag hier gewesen, ich wollte zurückkehren an meinen Arbeitsplatz.

Karlsson hatte sich einen gläsernen Aschenbecher mit nach draußen genommen. Er fuhr sich mit der Hand über seine kurzen, blonden Haare. Er rauchte und winkte mir lächelnd zu, dass ich zu ihm kommen solle. Ich stand noch immer wie angenagelt vor der Hintertür.

Dann ging ich und spürte mein Notizbuch an meiner Wade schlackern.

»Hast Du vielleicht einen Bleistift?«

»Wie bitte?«

»Kannst Du mir vielleicht einen Bleistift besorgen. Ich möchte gern hier«, er wies auf einen großen Bogen Papier, der vor ihm lag, »ein paar Aufschreibungen machen.«

Das Papier war breiter als der Tisch und hing vorn und hinten hinunter.

»Kannst Du?«

»Ja, ich habe einen.«

»Gut.« Karlsson blies den Rauch in sein grinsendes Gesicht, der Wind fegte ihn sogleich wieder fort.

Ich trat an ihn heran, nahm mein Notizbuch aus dem Strumpf, dann den mittellangen Bleistift aus der Lasche des Buchumschlages.

»Danke. Gutes Versteck.«

Eine Antwort schaffte ich nicht, nahm aber mein Entgegenkommen als selbsterteilte Erlaubnis, Karlsson zuzuschauen, was er nun machen würde.

Mit kurzen, geschickten Strichen zeichnete er. Grundrisse, verstand ich später. Die verschiedenen Räume unseres Hauses, die Stockwerke mit den Kammern, die große Diele unten, die gute Stube.

Auch meine Kammer zeichnete er ein. Und dann schrieb er mit leichter Hand und dem Bleistift zwischen den Fingern Nummern in die Zimmer und Kammern. Gast 1, Gast 2 und so weiter.

Er zeichnete eine lange Tafel in die Diele. Stühle. Machte einen Pfeil an die Seite, um eine Art Legende anzulegen, schrieb Zahlen und an manchen Stellen Fragezeichen dahinter.

Das war sein Arbeitsplan. Wer immer sich bei uns treffen sollte, so würde es aussehen.

Karlsson wandte sich an mich. »Dürfen wir Dein Zimmer ausleihen?«

Ich musste grinsen und nickte dann.

»Das ist gut. Das ist sehr gut.«

Karlsson arbeite konzentriert weiter und richtete dann und wann eine Frage an mich. Freundlich, aber ernst, warm im Tonfall, aber konzentriert: »Habt Ihr noch Stühle woanders?« – »Gibt es einen Vorratskeller?« – »Mögen die Deutschen eigentlich schwedisches Essen?« – und manche mehr.

Ich antwortete, so gut ich konnte. Meist juckte es mich, ihm gleichfalls eine Frage zu stellen, und manches Mal hielt ich mich nicht zurück.

»Wer trifft sich bei uns?«

»Das ist geheim.«

»Und Sie, Sie sind auch im Geheimen hier?«

»Ja. Gewissermaßen. Das bin ich wohl.«

»Nicht für mich.«

»Das stimmt, bist ein kluger Junge.« Karlsson nahm noch eine Zigarette aus seiner schwedischen Packung und steckte sie routiniert mit einem Streichholz an.

»Darf ich die mal sehen?«

»Die Streichhölzer oder die Zigaretten?«

»Beides, bitte.« Ich wurde ein wenig rot. »Ich will mir nur die Packungen ansehen. Sind doch aus Schweden.«

Karlsson lachte, kriegte sich aber taktvoll zügig wieder in den Griff und reichte mir beides aus seiner Jackentasche.

»Kennst Du den Göring?«

»Wen?«

»Hermann Göring.«

»Ja, schon.«

»Sprecht Ihr zu Hause oft über ihn. Oder über Hitler?«

»Nicht so oft.« Ich fühlte mich ein wenig in den Nebel geführt. Mehr würde ich nicht sagen.

Aber Karlsson wollte mich gar nicht in erster Linie aushorchen. »Das ist so geheim, dass es nicht einmal die wichtigsten Menschen wissen, die ich kenne.«

»Was?«

»Das, was ich Dir jetzt erzählen werde. Aber nur, wenn Du es nicht weitererzählst.«

Ich schwieg. Was war hier los? Ein Treffen? Was meinte dieser grinsende, blonde Chauffeur? Karlsson schien meine Verwirrung zu bemerken.

»Ich will jemanden um Rat fragen, weißt Du. Ich habe eine wichtige und ernste Sache zu erledigen. Und mir wäre wohler, wenn ich manches einmal erzählen könnte.«

Ich nickte, war mir aber immer noch nicht sicher, ob ich ihm vertrauen konnte.

Karlsson tippte mit meinem Bleistift auf den Plan. »Meinst Du, Göring könnte hier sitzen. Oder ist es besser, er sitzt mit dem Rücken zum Fenster?«

»Kommt er alleine?«

»Nein, er wird sicher ein paar seine Adjutanten mitbringen. Wahrscheinlich zwei. Sonst niemanden. Sie werden aber nicht direkt mit an der Tafel sitzen. Das würde bei den anderen Gästen sicher nicht positiv ankommen.«

»Nicht gut. Nicht gut ankommen.«

Karlsson blickte fragend, dann begriff er. »Gut ankommen. Richtig!«

Fast kein Land

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