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Ein vollbärtiger Raucher von Filterlosen, zwei Jungen und ein scheu blickendes Mädchen falteten sich später am Abend schließlich aus einem kleinen grünen Wagen. Tino, Lanz und Susan, der Diakon wurde Romer gerufen, was offenbar sein Nachname war.

Openhagen, »wie K’, nur ohne«, schüttelte Hände, warf Namen um sich, wirbelte, so gut er das mit seinen zwei Metern konnte, zwischen den beiden Gruppen, uns und unserem Besuch hin und her und versuchte Fäden zum Anknüpfen weiterzureichen. Der Schifferpastor stand an der Tür. Er wollte die Spätnachrichten sehen, ich wusste es, er hatte es uns oft genug erzählt, wie ungern er die verpasste, wenn er sonst schon den ganzen Tag, wie er es ausdrückte, nicht mitbekam, was in der Welt außerhalb der seinen so passierte. Er überließ bald uns das Feld und donnerte abermals ein »Willkommen, willkommen« in die Runde, bei der er »liebe Brüder und Schwestern« sicher nur mühsam zurückhalten konnte.

Essen, gucken, langsam, stockend erzählen. Wetter, Fahrt, Grenze.

Ich konnte mich gar nicht genug darüber wundern, dass sie, bei allem durchaus merkbar anderem Zungenschlag, unsere Sprache sprachen. Besonders Lanz gefiel mir. Er schoss wenig in die Runde, es traf, und wenn alle lachten, kontrollierten seine Augen, wer und wie.

Am nächsten Vormittag, als wir, Anna und ich, die beiden Jungen durch unser Städtchen führten, begannen wir, begann ich zu erzählen. Schule, Freunde, Arbeit. Tino erschreckte und ärgerte mich mit der dummen Frage, wo mein Vater doch Tischler sei, ob ich ihm da nicht einen Stuhl schenken könne. Lanz drehte angewidert den Kopf zur Seite, schämte sich. Ich spürte ein Band zwischen uns.

Die hundert Mark mussten her, Begrüßungsgeld.

»Ist doch hier der Westen, oder?« Lanz schaute sich um, als sei er ein Tourist auf Weltreise.

Das Rathaus hatte geschlossen, die Post fiel mir ein. Sonnabendsschlange, Pakete, auf die mit dickem, tropfenden Leimpinsel Schilder geklebt wurden. Briefe, die vom alten, gequält unter seiner dicken Hornbrille guckenden Beamten wie mit der Handkante abgestempelt wurden. Wir standen lange, Menschen guckten. Ich genoss es, versuchte höfliche Fragen an unsere Gäste. Lanz verstand mich ohne einen weiteren Hinweis. Parlierte über den Mauerfall, die Veränderungen, die Grenzer, die Polizei. Er machte das so laut, dass die ganze Schlange etwas davon hatte. Ich hielt mühsam ein triumphierendes Grinsen zurück, stolz und bewusst der Lächerlichkeit der Situation. Lanz und ich, wir waren gleich alt, schien mir. Auf jeden Fall gleich in vielen Dingen.

Am Schalter dann holten Tino und Lanz ihre DDR-Pässe heraus und ich sprach mit dem alten Beamten. Die schlechte Laune saß ihm im graugemusterten Pullover. Seine Augen schafften es vor lauter Weltekel nicht mehr, sich ganz zu öffnen. Und nun das: zwei DDR-Jungen, die 100 Mark wollten. Was für ein Vorgang, welche Verordnung, was für ein Stempel? Ich schob die Pässe unter der Scheibe durch. Lächelte. Er würde dieses Erlebnis heute Abend seiner Frau erzählen, da war ich mir sicher, sofern es noch eine bei ihm aushielt. Er hatte tatsächlich zweimal 100 D-Mark Begrüßungsgeld auszahlen müssen. Welcher Stempel nun? Überstieg dies womöglich seine Kompetenz? Er krachte zweimal den Postdatumsstempel in die Pässe. Der Nächste!

Grosse Fahne West

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