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1 Das Glück des Gunter Gabriel
… von Oliver Flesch

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Als junger Reporter der Hamburger Morgenpost konnte ich eine Zeit lang machen, was ich wollte. Sogar ein Interview mit Gunter Gabriel. Was damals im Mai 1996, wenn man nicht gerade für ein Obdachlosenmagazin schrieb, eher ungewöhnlich war. Doch genau das reizte mich. Ich wollte wissen, wie ein Mensch, der einmal so erfolgreich gewesen war, so dermaßen abstürzen konnte. Aber erst einmal musste ich an ihn herankommen. Nur wie? Ein Management gab's nicht, eine Plattenfirma schon gar nicht. Irgendwie gelangte ich an seine private Handynummer, und wir verabredeten uns auf seinen Wunsch in einer Kneipe im Hamburger Dammtorbahnhof. Nun war alles klar. All meine Vorurteile schienen bestätigt: Wer sich frühmorgens in einer Bahnhofskneipe verabredet, nimmt sein Frühstück flüssig zu sich.

Der nächste Morgen. Ich hatte gerade wieder eine von diesen »Schlafen-kann-ich-wenn-ich-tot-bin«-Fassbinder-Nächten hinter mir und war also in genau der richtigen Verfassung für ein Interview mit Gunter Gabriel. In der Kneipe roch's nach altem Bratenfett und frischen Buletten. Am Tresen saß ein einsamer Mann vor einem Herrengedeck, rauchte Roth-Händle und sprach mit einem imaginären Freund. Soweit war es also mit dem großen Gunter Gabriel schon gekommen. Oh Mann, das war bitter!

Doch ich sollte mich irren. Denn plötzlich spürte ich eine riesige Pranke auf meiner Schulter. Ich drehte mich um – und da stand er: Mr. White Trash höchstpersönlich! Haare wirr, unrasiert, weißroter Jogginganzug aus Ballonseide, die Hose selbstverständlich in die obligatorischen Cowboystiefel gesteckt – ein Bild für die Götter des guten Geschmacks. Aber: Wacher Blick, ein verschmitztes Grinsen, augenscheinlich gut drauf und alles andere als betrunken.

»Hey, bist du Oliver Flesch von der Morgenpost

»Richtig! Einen schönen guten Morgen, Herr Gabriel!«

»Mein Gott, siehst du beschissen aus! Nicht gepennt?«

»Äh …«

»Ja komm, mir brauchste nichts zu erzählen! – Maria, mach diesem Arschloch mal 'nen frisch gepressten Orangensaft, damit er wieder auf Touren kommt!«

Wir verstanden uns prächtig. Er erzählte aus seinem Leben. Und ein wenig erinnerte es mich an mein eigenes. Diese Höhen, diese Tiefen, diese Brüche. Nur eben alles in einem biblischen Ausmaß. Und er erzählte nicht nur. Er hörte auch zu. Und genau wie ich stand er auf Rock 'n' Roll und Country, er liebte Elvis und Johnny Cash. Wir nahmen uns einiges vor. Wollten gemeinsam Songs schreiben. Aber irgendwie wurde daraus nichts. Wir verloren uns aus den Augen. Zehn Jahre später erinnerte ich mich an den Mann, der mir einen Morgen lang in dieser Bahnhofskneipe eine Art Freund war. Ich führte inzwischen eine Rock 'n' Roll-Bar auf dem Hamburger Kiez und hatte ihn für ein Konzert gebucht.

Es war kurz nach Mitternacht. In der vollkommen überfüllten Bar, abseits der Hamburger Reeperbahn, war's unerträglich heiß. Mitten in der Menge sang sich ein verschwitzter alter Mann seit fast drei Stunden die Seele aus dem Leib. Viele junge Menschen klebten sogar draußen an den Fensterscheiben, weil schon lange niemand mehr in den Club hineinpasste und auch niemand raus wollte. Jeder spürte, dass hier gerade etwas ganz Besonderes geboten wurde. Sie starrten den Musiker ungläubig an. Ist er es wirklich? Ja, er ist es!

Am nächsten Abend besuchte ich ihn auf seinem Hausboot im Harburger Hafen. Spätestens seit der Dreier-CD-Box »Liebe, Autos, Abenteuer« auf der sechzig verschiedene Punk-&-Ska-Bands ihrem Helden mit skurrilen Coverversionen Tribut zollten, war Gabriel zu einer Kultfigur der Subkultur avanciert. Und er genoss seine neu gewonnene Popularität. Was blieb dem Ur-Punk auch anderes übrig? Gerade wurde ihm der Strom abgedreht. Der Kassandra-Prophet von Hartz IV war mal wieder pleite, und damit ging's ihm nicht viel anders als den meisten seiner jungen Fans. An seinem ausladenden Wohnzimmertisch auf seinem Hausboot saß er in eine dicke Jacke gehüllt bei Kerzenlicht vor einem dampfenden Becher schwarzen Tee und erzählte aus alten Tagen. Immer wieder griff er zwischendurch zur Gitarre, um ein Lied anzustimmen, in dem sich ein Gefühl, eine Stimmung der damaligen Zeit widerspiegelt. »Der Streit mit der GEMA ist beigelegt, es wird wieder Kohle fließen«, ließ er mich eher beiläufig wissen. Aber das waren doch mal gute Nachrichten!

»Klar, aber weißte was? Damals, mit all den Millionen fühlte ich mich nicht besser, kein Stück. Heute bin ich glücklicher. Obwohl: Glück? Was ist das überhaupt? Irgendwie suche ich immer noch danach ...«

Es war dieser letzte Satz, der mich dazu brachte, Gabriels Leben mit seiner Hilfe aufzuschreiben.


Gunter Gabriel

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