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3 Carin

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Vor ein paar Jahren traf ich Alexander Fürst zu Schaumburg-Lippe auf einer Benefizgala zugunsten der Tsunami-Opfer in Hannover vorm Opernhaus. Wie sich herausstellte, gab es zwischen uns eine Verbindung. Nicht, weil ich auch ab und zu 'ne dicke Lippe riskiere, sondern … eine meiner Exfrauen ist das Verbindungsglied. Die Geschichte handelt von meiner vierten Ehefrau, die sich von einem Mädchen aus der Provinz in eine Prinzessin verwandelte.

Und die Geschichte fängt an, wie alle Märchen anfangen: Es war einmal ein Mann namens Waldemar Prinz zu Schaumburg-Lippe … genauer gesagt der Onkel von Alexander Fürst zu Schaumburg-Lippe, der meine Exfrau Carin heiratete. Das erfuhr ich aus der Bunten. Auch ich war im Stammbaum der Fürstenfamilie mit Bild eingefügt. Also war es wirklich wahr, was Alexander Fürst zu Schaumburg Lippe mir am Opernhaus in Hannover andeutete. Wer hätte das gedacht, dass meine Carin solche Sachen macht? Aber alles der Reihe nach. Die ganze Story ist zu schön, als dass man darüber weggehen könnte. Meine Carin! Hätte mir doch beinahe mein Herz gebrochen …

Es war Spätherbst 1989. Also kurz vorm Mauerfall. Damals lebte ich in einem amerikanischen Wohntruck. Achtzehn Meter lang, fünf Achsen und ausfahrbare Seitenteile. Das Monstrum war cremefarben lackiert, mit einem orange-roten Streifen über die ganze Länge verziert. Auf dem Heck prangte mein Name in Großbuchstaben: GUNTER GABRIEL. Ich konnte den very comfortable Wohnteil von der Zugmaschine abkoppeln – so wie das bei Container-Trucks auch üblich ist – und dann mit der Zugmaschine, einem Siebeneinhalb-Liter-Dodge, die Gegend unsicher machen. Was ich denn auch ausgiebig tat.

Meine damalige Band Moonbeats und ich spielten zu dieser Zeit gerade in der Münsterlandhalle. Volles Haus, Monsterstimmung, mein Truck mit meiner jüngsten Tochter Liesamarie, die damals gerade mal drei Jahre alt war, stand hinter der Bühne. Und dann kam sie, der Beginn meines Untergangs. Sie war die Fastverlobte meines Bass-Gitarreros. Diese Carin, da war sich die komplette Band einig, war echt ein Hammer:

Ihre Lippen rot, ihre Augen schwarz, ihre Brüste gewaltig, der Rock mini, ihre High Heels waffenscheinpflichtig. Sie war zunächst überhaupt nicht mein Ding. Einwandfrei, klar. Aber irgendetwas hatte sie dennoch. Nach all der Scheiße, die danach mit ihr passierte, gebe ich das gerne zu.



1989

Kein Geld auf der Naht aber immer auf Fahrt. Liesamarie und mein Big Wohntruck

Wenn sie lachte, war das ein Signal für alle Ehefrauen aus Münster in Westfalen: Haltet eure Kerle fest, Carin is coming to town. Alles an ihr war Provokation. Und wehe, wer sich darauf einließ, der war verloren.

Ein paar Wochen später – ich war gerade von einem Mallorca-Job zurückgekommen – kurvte ich mit meinem Freund Elvis und meinem Super-Wohntruck von Hannover über Bielefeld zu jenem klitzekleinen, südlich von Münster gelegenen Flecken. Da wohnte nämlich inzwischen Carin, die die »High Society« aus dem ganzen Münsterland zur Eröffnungsparty ihres neuen Wohnsitzes geladen hatte: einem blitzblank renovierten Bahnhof. Es war eine illustre und witzige Runde. Die Party war anfangs eigentlich ziemlich fade. Irgendwann, wie immer, musste meine Gitarre her. Und wie gewöhnlich kam die ganze Chose nach ein paar Muntermachersongs doch noch in Fahrt: Whiskey und Champagner flossen, und eine etwas überdimensionierte Tonanlage holte die letzten Nachbarn aus ihren Betten raus. Und siehe da, ihnen wurde Einlass gewährt und sie durften teilhaben an dem bunten und munteren Treiben in dem sonst so schläfrigen Dörfchen – was in der Folgzeit noch etliche Male passieren sollte. Wenn Ihr nun glaubt, dass damit die Party auf 'm Höhepunkt angekommen war – no way, no chance! Diese merkwürdigen Nachbarn hatten etwas zu bieten, womit niemand um diese Uhrzeit, mit diesem Alkpegel in dieser lahmarschigen Gegend gerechnet hatte: Sie besaßen einen beheizten Swimmingpool. Nicht so ein mickriges Planschbecken, sondern so ein Ding mit Sprungbrett und Beach-Bar. Mehr als ein mittelmäßiger Hollywood-Schinken zu bieten hat. Wir brauchten nur ein paar Meter über die Straße. Kein Hindernis. Wir rissen uns die Klamotten vom Leib und sprangen ins lauwarme Vergnügen. Ich weiß noch, wie Carin mit ihrer frechen Schnauze als erste auf das Ein-Meter-Brett stieg und herumalberte und dann über die Köpfe der laut applaudierenden Gastgeber und ihrer Partygäste selber in den Pool sprang.

Bisher war ich ja nur ein interessierter und belustigter Zuschauer einer mir fremden Szenerie. Wie wurde ich aber in das ganze Geschehen so richtig mit hineingezogen? Das kam so:

Ein paar Partys später – die Gästeschar hatte sich scheinbar schon verdrückt und Carin war wohl als Einzige übrig geblieben – schlug der Schicksalshammer gnadenlos zu … und zwar auf dem Parkplatz vor dem Bahnhof, in dem die Dame residierte. Ich lag ziemlich kaputt und benebelt in der Schlafkoje meines Trucks, mein alter Kumpel Elvis auf der Couch im Wohnzimmer. Plötzlich stand Carin vor mir, in einem verdammt kurzen Hemdchen. Und dann sagte sie die inzwischen legendären Sätze, die ich und mein Freund Elvis, der quasi neben uns lag, bis heute nicht vergessen haben: Dass sie sehr wohl wüsste, ich stünde nicht auf sie, dass sie mich aber eines Tages rumkriegen und ich nie wieder von ihr loskommen werde …

Ich war viel zu hinüber, als dass ich noch irgendwie angemessen hätte reagieren können. Nur Elvis röchelte sein typisches: »Oh, Baby-Baby, zarter Hase, das überleb' ich nicht!«

Ich wollte ja erzählen, wie aus Carin ein Prinzesschen wurde … (möglicherweise zur Nachahmung empfohlen). Vieles von dem, was passierte, erklärt auf jeden Fall der Ratschlag: »Willst du einen Haifisch fangen, fängst du den keineswegs im Mittellandkanal. Da musst du schon dahin gehen, wo Haifische ihre Bahnen ziehen.« Klar. Es ist alles ganz einfach. Wie so oft im Leben.

Ich war zwar nicht ihr Haifisch, aber ein Schritt zum selbigen. Wie, warum, wieso? Passt auf: Ihr müsst wissen, ich bin von Natur aus eigentlich 'ne Schlampe. Lasse viele Dinge so auf mich zukommen und denke mir, alles wird sich schon regeln. Der Kölner sagt: »Et kütt wie et kütt.« So kam es, dass es nach einem plötzlichen Kälteeinbruch »knack, knirsch, bumms« in meinem Motor machte, weil ich Arschloch vergessen hatte, Glysantin ins Kühlwasser zu kippen. Der Motor war hinüber und ich auch. Ein klassischer Fall von Vollidiotie. Ich saß fest, genau vor Carins Residenz, in diesem verschlafenen Münsterländer Nest. Es war Dezember 1989. Was für'n Scheiß. Ich war nicht mehr mobil. Und das ist so ziemlich das Schlimmste, was einem Gunni passieren kann! Ich schwör' es Euch.

Und jetzt kam Mutter Teresa ins Spiel: Carin, die gute Seite von Carin. Sie hatte einen kleinen Citroën, den ich benutzen durfte, wann immer ich irgendwohin wollte. Dafür stellte ich mich als Fahrer für sie zur Verfügung, wenn sie nach Münster musste. Und ich holte sie dort auch wieder ab. Das konnte manchmal spät werden. Dann saß ich und wartete. Und wartete. Bis sie endlich – mit ihrem Täschchen tänzelnd, meist gut gelaunt in den Wagen stieg. Sie machte sich wirklich keine Sorgen um ihr Leben. Sie hatte die Leichtigkeit des Seins instinktiv kapiert und so lebte sie auch. Während ich ziemlich down and out durchhing. Kein Wunder: Ich war pleite, sogar total pleite, und mein Motor war verreckt. Und da tat dieses Naturereignis von Weib mir und meiner Seele wirklich gut.

Tag für Tag, Nacht für Nacht. Auf ihren Afterworkpartys stand sie als personifizierte Stimmungskanone immer im Mittelpunkt. Und ich gab als eine Art fleischgewordene Musikbox mit meiner Gitarre den Soundtrack dazu. Ich lernte durch sie kennen: Rechtsanwälte, Architekten, Ärzte, Businessleute – die ganze Palette, Arschlöscher und Intellektuelle.

Und eines Tages landete ich in ihrem Bett. Keinem normalen Bett. Es war ein Thron mit drei bis vier Stufen davor. Sie nannte es Operationstisch. Und ich war ihr Patient.

Und wie sie das eingefädelt hatte, war so simpel wie logisch: Sie hatte mitbekommen, dass ich zwar weiterhin in meinem geliebten, gasbeheizten Truck schlief, mir aber inzwischen das Dusch- und Badewasser ausgegangen war. Ihr müsst nicht denken, dass ich jetzt lechzend dieses Angebot angenommen hätte, mir in ihrem Whirlpool den Rücken schrubben zu lassen. Aber ich krabbelte, etwas unschlüssig und gespielt widerwillig, letztendlich jedoch gerne, mit der gebotenen Distanz, versteht sich, in das schaumige, wohlriechende Badewasser. Plötzlich standen Champagnergläser auf dem Beckenrand. Dann griff sie wie zufällig in die Tiefe des Wassers, um die Schrubb-Bürste zu suchen. Meine Zeltstange reckte sich wie beim Zirkus Roncalli gen Himmel. Carin dimmte das Licht und sprang unvermittelt zu mir ins Wasser ... und den Rest könnt Ihr Euch ja denken.

Ab jetzt war ich also ihr Lover. Ob sie in mich verliebt war oder ich in sie, keine Ahnung. Die Situation war für mich, der ich jahrelang vollkommen fertig und pleite wie ein Zigeuner auf der Straße gelebt hatte, äußerst komfortabel. Aber die Leute. Was denken die Leute über diesen ohnehin lädierten Gabriel? Jetzt ist er total im Arsch. Ja, das würden sie denken. Zu Recht. Aber habe ich darauf jemals Rücksicht genommen? Ich nahm's von der lustigen Seite. Irgendwie hatten die Medien spitzgekriegt, was da gerade mit mir und Carin abging. Manchmal standen sie in Dreierreihen vor dem mickrigen, kleinen Bahnhof und lauerten uns auf.

So haben RTL und ZDF, ARD und was weiß ich wer unsere Geschichte deutschlandweit verbreitet, und Carin wurde durch ihren Gunni langsam berühmt. Womit wir der Sache mit dem Haifisch schon näherkommen. Denn wenn wir irgendwo auftauchten, in Restaurants oder Hotels, wurden wir verdammt noch mal sehr höflich und bevorzugt behandelt, als wenn wir wer weiß wer gewesen wären. Dabei war ich doch der Pleitemann Gabriel und sie die kleine Carin aus Münster. Das hatte 'ne gewisse Art von Stil.

Und so genossen wir unseren besonderen Status. Unsere Anfangszeit war der Himmel auf Erden. Wir kamen gar nicht mehr aus der Kiste raus. Und auch in ihrer geschmackvoll eingerichteten Wohnung fühlte ich mich sauwohl. Carin hatte Stil und einen ausgeprägten Sinn für Sauberkeit und Ordnung. Womit sie das genaue Gegenteil von mir war. Aber genau das zog mich an, nach all den Jahren des chaotischen Lebens auf der Straße. Sie konnte wie eine Mutter zu mir sein. Und diese absolut positive Seite mochte ich an ihr. Da hatte ich echt Defizite über die Jahre angesammelt. Sie kaufte mir in teuren Boutiquen extravagante Seidenhemden von Cerutti für tausend Mark, Jeans in allen Variationen, Schuhe, Anzüge und unglaubliche Eierwärmer, sprich: Slips, die ich vorher nie für möglich gehalten hätte.

Bei all dem Happening und all der Lustbarkeit hing aber dennoch das Damokles-Schwert über meinem Schädel. Da konnte mich auch kein Cerutti-Hemd und keine nächtliche Schmuse-Eskapade retten.

Ich war pleite. Ich hatte Schulden. Ich wurde gesucht. Von Deutschland mit dem Flugzeug nach Mallorca, für Jobs im »Oberbayern«, das war 'ne echte Mutprobe, wenn ich durch den Zoll ging. Es lagen Haftbefehle vor, doch die Zöllner ließen mich immer durch. Ich war eben einer von ihnen, ein armes Schwein, ein armer Schlucker. Mein offenes Bekenntnis zu meiner jeweiligen Situation hat mich übrigens immer gerettet, bis heute. Das nur als Tipp für die vielen Angsthasen, Heuchler, Blender und Vertuscher.

Die berühmten gelben Briefe öffnete ich schon längst nicht mehr. Ich sah einfach keine Perspektive. Durch meine spärlichen Auftritte kam definitiv zu wenig rein, um davon auch noch Schulden abbezahlen zu können.

Carin sah das alles ganz anders: »Red' doch nicht so einen Blödsinn! Du bist ein hervorragender Musiker und Entertainer. Ich schwöre dir: Wenn ich mich darum kümmere, kriegen wir das wieder hin!« Das war natürlich lieb gemeint. Ich hätte ihr auch gern geglaubt, aber ich konnte es nicht. Es war aussichtslos. Doch sie ließ nicht locker. Eines Morgens musste ich ihr all meine Unterlagen zeigen. Ich hatte alles aufgehoben, allerdings war die Hälfte der Papiere wegen eines Lecks in meinem Truck vollkommen durchnässt. Doch Carin wusste sich zu helfen: Als ich mittags auf den Hof kam, flatterten meine Mahnbescheide und Zahlungsbefehle auf einer Wäscheleine im Wind – wie bei der Werbung für den Weißen Riesen. Und nach einiger Zeit hatte sie tatsächlich Ordnung in mein Chaos gebracht. Sie kannte sich nun in meinen Angelegenheiten besser aus als ich selbst, was allerdings auch nicht weiter schwer war.

Ihr Ziel war es, einen Vergleich mit meinen Gläubigern zu schließen. Sie hatte echt Ahnung davon. Ihr Vater besaß ein ziemlich großes Möbelhaus in Hamm, Westfalen. Und dieser Kerl war mir verdammt ähnlich in seinem Charakter. Er liebte Wein, Weib und Gesang, besonders meinen, wenn ich zur Gitarre einen losmachte. Und Carin hatte von ihm diese geschäftliche, money-orientierte Raffinesse geerbt. Ihr Steuerberater wurde mein Freund. Ohne Vorkasse, worauf alle anderen bestanden, regelte Axel Blom – über Jahre übrigens – meine ganze Misere. »Zahl mein Honorar, wenn ich dich wieder sauber habe.« Das werde ich ihm nie vergessen, und er hat mich dann auch noch irgendwann Mitte der Neunzigerjahre gerettet.

Carin hatte die richtige Strategie, ihr Vater und Axel unterstützen sie dabei: Ich sollte den Kopf freikriegen, um mich endlich wieder auf meine Musik konzentrieren zu können. Auf meine Songs, meine Texte: Das, was ich wirklich konnte. Alles Administrative hielt sie von mir fern. Ein Segen für einen Künstler. Sie übernahm auch mein Booking. Mit durchschlagendem Erfolg. Nicht nur, dass die Zahl meiner Gigs von zwei auf sechs bis acht pro Monat stieg, auch meine Gagen sprangen von tausend auf fünftausend Mark, manchmal bekam ich sogar zehntausend!

Carin änderte auch ihr eigenes Leben von Grund auf. War sie noch vor einigen Wochen nicht selten erst morgens vom Feiern nach Hause gekommen, so stand sie nun um sechs auf und legte gleich mächtig los. Mich ließ sie mit den Worten »Ruh dich noch ein bisschen aus, mein Schatz, ich kümmere mich um alles!« noch ein paar Stunden weiterschlafen. War ich im Paradies gelandet? Absolut! Aber ich hatte eben auch in den berühmten Apfel gebissen. Nun musste ich ihn bezahlen. Und er war verdammt teuer …

Denn unsere beschauliche Idylle hielt nicht lange an. Carin wollte oder konnte ihr Naturell nicht abschütteln. Mich machte sie verrückt vor Eifersucht, die anderen vor Geilheit. Und wenn sie mal nachts nicht nach Hause kam, hatte sie immer einen duften Spruch auf Lager, den sie nebenbei provozierend-kokett fallen ließ. Und ich platzte vor Eifersucht … Und eines Tages war für sie das Thema durch. So einfach war das. Ich gebe zu, dass ich mich irgendwann ebenso auf die Socken machte. Und das konnte logischerweise auf Dauer nicht gut gehen. Und es ging auch nicht gut. Es wurde sogar echt gefährlich.

Die Tragödie begann bei einem Stadtfest in Münster. Von der Bühne aus hatte ich sie genau im Blick. Und was ich sah, gefiel mir nicht. Ständig war eine ganze Traube von Männern um sie herum. Was Carin sichtlich genoss. Sie flirtete auf Teufel komm raus, so sah ich das jedenfalls. Ich stand oben auf der Bühne mit meiner Band und klampfte mich zu Tode. Fünftausend Leute schrieen »Hey Boss, ich brauch mehr Geld«, oder »Komm unter meine Decke«, und meine Carin da unten machte mit den Kerlen rum. Unerträglich. Sie hielt mich wahrscheinlich für ein eifersüchtiges Arschloch, aber ich möchte den Mann sehen, der das alles emotionslos weggesteckt hätte. Ich also von der Bühne runter, noch vollgeknallt mit Adrenalin. Wodurch ein Streit nicht mehr aufzuhalten war. Außenstehende feuerten uns sogar noch an. Es wurde bedrohlich. Und dann kam dieser kleine, abgebrochene Italiener, der Carin zu Hilfe eilen wollte. Er stürmte mit 'ner abgeschlagenen Sektflasche auf mich zu und wollte sie mir ins Gesicht rammen. Beinahe hätte er das auch geschafft. Ich gab ihm mit meiner Rechten eine auf die Zwölf. Mich haute es durch den brachialen Schwinger ebenfalls um. Bei dem Sturz brach ich mir den kleinen Finger meiner linken Hand. Zwar wurde weitergekämpft, am Boden liegend, doch beherzte Bratwurstbudenbetreiber schütteten Eimer voll Wasser über uns und stoppten so die Rauferei. Carin war cool und pragmatisch, sie rief einfach die Feuerwehr. Ich kam ins Krankenhaus. Gips und 'ne Schiene setzten mich für Wochen als Gitarrero außer Gefecht. Der kleine Finger der linken Hand ist bis heute noch krumm und erinnert mich immer wieder an diese kleine Begebenheit.

Unsere Beziehung entwickelte sich zusehends katastrophal. Schon nach sechs Monaten. Carin war – wiewohl praktisch und alltagstauglich – wirklich 'ne Rakete. Einmal hatte ich ein Gespräch mit einem Tourneemanager und seiner Frau in einem Restaurant in Essen. Es ging um die Planung und Organisation einer Tour, die uns gut und gerne zweihunderttausend Mark hätte einspielen sollen. Also kein Pappenstiel. Und weil Carin das Vorgeplänkel einfach langweilig fand, kam sie plötzlich mit dem unglaublichen Vorschlag um die Ecke, mal schnell gemeinsam »Zigaretten holen zu gehen«. Den beiden Leuten fiel förmlich das Gebiss in die Suppe und der Löffel aus der Hand – und damit war meine geplante Tournee im Arsch. Zweihunderttausend Piepen den Bach runter.

Ich könnte, wenn ich wollte, über unsere Eskapaden ein wirklich flutschiges Buch schreiben und Charlotte Roches Feuchtgebiete wären MickyMaus-Eskapaden dagegen. Mittlerweile tauchten in der Bild-Zeitung ständig glänzend recherchierte Storys über unsere Streitigkeiten in den eigenen vier Wänden auf. Bis auf die Marke der Teller, die an die Wand flogen, wussten die alles. Woher nur? Irgendwie kam mir durch die Detailgenauigkeit einiger Vorfälle der Verdacht, dass da ein ganz bestimmter Nachbar seine Glubschaugen hinter der Küchengardine verborgen hielt. Der gute Mann verdiente sich anscheinend als Zeitungs-Informant ein kleines Zubrot. Ich machte ihm nachdrücklich klar, dass das aufzuhören habe. Es hörte aber nicht auf. Denn von nun an gab Carin höchstpersönlich den Spitzel. Das sollte ich aber erst einige Zeit später erfahren.

Eines Morgens ging es mal wieder so richtig zur Sache. Ich fühlte mich auf Dauer mit Carin und ihrer Entourage, mit dem Bahnhof und dem Leben auf dem Lande zwischen Rüben- und Weizenfeldern unwohl. Ich war Großstädter, liebte Hamburg und Berlin, München und Köln, Dresden, London und Paris. Zwar wurde ich selber in einem Kaff geboren, hatte jedoch früh genug die Kurve gekriegt. Carin spürte, dass ich abhauen wollte, koste es, was es wolle. Auch auf die Gefahr hin, dass alles den Bach runtergehen könnte und ich wieder im Wohnwagen landen würde.

Ich hatte 'ne Handvoll Lexotanil, von denen ich inzwischen mehr oder weniger abhängig war, mit einer Flasche Wodka 'runtergespült und dann ging's auch schon los. Sie wollte unbedingt, dass ich bleibe. Ich eigentlich auch, aber ich wollte mich auch retten. Ich spürte, dass mir das Wasser langsam zum Hals stieg. »Ich werde niemals hier bleiben, sonst verblöde ich nur.« Was dann geschah, habe ich so in Erinnerung: Plötzlich spürte ich Metall an meiner Schläfe. Drei Dinge fuhren mir durch den Kopf: Ist das etwa ein Revolver? Wenn ja, ist er geladen? Ist er entsichert? Ich schrie: »Tu's doch!« Aber nichts passierte. Es spritzte kein Blut, kein Leben, das an mir vorüber zog, kein Licht am Ende des Tunnels. Nur lähmendes Staunen.

War es nur ein Bluff? Wollte sie mir einen Schreck einjagen? Oder hatte ich Halluzinationen?

Ich werde es nie genau erfahren. Ich schlug ihr reflexartig auf die Hand und ging auf sie los. Die Fetzen flogen. Liebe Alice Schwarzer, bitte verzeihen Sie mir! Schließlich hatte Carin offenbar versucht, mir eine verdammte Todesangst einzujagen.

Was mir nach einem Zoff mit Carin am Tag danach immer auffiel, war, dass unsere netten Streitigkeiten detailliert im Regionalteil der Bild-Zeitung zu finden waren. Ich konnte mir das nicht erklären – irgendwann vermutete ich, dass die Bild Bielefeld-Redaktion vielleicht sogar über die Freisprechanlage unseres Telefons fleißig mithören konnte – man brauchte eigentlich nur die Taste mit der eingespeicherten Rufnummer zu drücken. Wie auch immer … Als ich plötzlich Polizeisirenen hörte und dann die Wagen auf den Hof fahren sah, gab's für mich nur noch Flucht. Nicht nach vorn, sondern nach hinten raus. Die Demütigung, vor allen Leuten in Handschellen abgeführt zu werden, wollte ich mir ersparen. Ich rannte in ein Kornfeld hinter dem Bahnhof. Die Mischung aus Lexotanil und Wodka gaukelte mir vor, ich könne mich dort wunderbar verstecken. Ich! Mit meiner Statur. In einem hüfthohen Kornfeld. Es dauerte keine fünf Minuten, da hörte ich eine nette Stimme sagen: »Herr Gabriel, Sie können jetzt rauskommen.« Und eine noch nettere: »Mensch, Gabriel, warum tust du dir das an? Wir lieben Dich doch alle!« Wie ein hilfloses Baby auf einem Wickeltisch lag ich auf dem Rücken. Die Sonne brannte mir ins Gesicht. Über mir zwei sympathische Polizistengesichter. »Ich kann nicht!«, winselte ich, und dieses Bild erinnert mich ganz klar an jenen schwarzen Kurzhaardackel, den ich als junger Bengel in Pflege hatte. Und der sich immer dann, wenn er hilflos war, auf den Rücken drehte, die Beine von sich streckte und leise jaulte – ja fast so quiekte wie ein Schwein, das kurz vorm Abstechen war. »Ich kann einfach nicht! Ich bin im Arsch.« Und das war ich auch wirklich.

Es dauert noch'n bisschen, bis wir zu der Prinzessinnen–Geschichte kommen. Ich hab den Faden nicht verloren. Also: Mein erfrorener Motor – der Grund, weshalb ich Carin eigentlich überhaupt näher kennen gelernt hatte – wurde gegen einen anderen Motor ausgetauscht. Ja, nicht nur der Motor wurde ausgetauscht, ich tauschte den ganzen Wohntruck gegen ein Zehn-Meter-Winnebago-Wohnmobil und war damit etwas beweglicher. Dieweil – das wollen wir ja nicht vergessen – die Grenze nach drüben gerade geöffnet worden und ich nun ständig zwischen Dresden, Zwickau, Leipzig, Halle, Rostock, Wismar und Hoyerswerda auf Tour war. Denn in gewisser Weise war ich ein Volksheld in der DDR. Sicherlich nicht so angesagt wie Udo Lindenberg, aber doch very important für viele Leute dort. Sie mochten mich, weil ich einer zum Anfassen war, weil ich ganz nah an ihnen dran war und nicht auf dicke Backe machte. Sie liebten mich aber auch, weil ich mich einige Male hatte einsperren lassen, weil ich der Staatsmacht gegenüber respektlos und unerschrocken war. Sogar Eduard Schnitzler hatte mich in seinem »Schwarzen Kanal« im Ostfernsehen auseinander genommen, wegen meiner frechen und entlarvenden Äußerungen über das sozialistische Terrorregime. Ich hatte keine Angst vor den Folgen. Im Gegenteil, ich wurde damals vor der Wende immer unvorsichtiger, und ich wundere mich heute noch über meine Unverfrorenheit und Coolness gegenüber den Vopos.

Aber zurück zu Carin. Es ging mit uns so nicht mehr weiter, das war mal klar. Wir mussten uns trennen. Und zwar schnellstmöglich. Davon wollte Carin aber nichts wissen.

Heimlich friemelte ich mir einen Fluchtplan zurecht. Nach und nach verstaute ich meinen persönlichen Kram in dem neu erworbenen Wohnmobil. Und mit jedem Teil breitete sich in mir mehr und mehr das wohlige Gefühl der Freiheit aus. Ich versuchte zwar, meine Fluchtvorbereitungen geheim zu halten, doch ganz doof war Carin nicht. Sie reagierte auf ihre eigene Art: Während ich mit ihrem Wagen gerade unterwegs war, musste sie – meiner Überzeugung nach – mit einer Axt oder einem Hammer, weiß der Henker, im Dunkel der Nacht alle Scheiben meines Winnebago zertrümmert haben. Was los war, das bemerkte ich erst, als ich mich Stunden später heimlich vom Acker machen wollte: Die Gardinen flatterten im Fahrtwind, Zeitungen und Pappbecher flogen mir um die Ohren und die riesige Windschutzscheibe war fast blind. Ich war komplett geschockt, doch meine Hände umklammerten wild entschlossen das Lenkrad, obwohl mir mehr danach gewesen wäre, Carin umzubringen. Schließlich fuhr ich los, hinein in die kalte Nacht. Doch wohin? Wer würde mich aufnehmen? Einen Hilflosen, Gescheiterten, der in der Nacht auf der A 2 unterwegs war, auf der Flucht vor seiner Vergangenheit. Niemand außer Marieluise, meine Exfrau Nummer drei, die in Köln wohnte!

Sie nahm mich nicht nur auf, sie ließ auch den Wagen reparieren und knallte mir dann einen, auf den ersten Blick, sonderbaren Vorschlag um die Ohren: »Du musst zurück zu Carin. Du hast keine andere Wahl.« Mit ein wenig Abstand zu der Situation und nach reiflicher Überlegung gab ich ihr Recht. Schon aus rein beruflich-finanziellen Gründen war ich noch nicht so weit, mich von Carin trennen zu können. Sie war nach wie vor meine Bookerin. Sie kümmerte sich erfolgreich um meine Schulden und handelte gemeinsam mit Axel, meinem Steuerberater, Vergleiche aus. Mit andern Worten: Finanziell befand ich mich mit ihr auf einem guten Weg. So erklärte ich mir das zumindest. In Wahrheit war ich von ihr abhängig, vor allem sexuell. Meine Rückkehr: ein Rückfall. Wir rauften uns noch einmal zusammen. Versuchten es zumindest. Vergeblich. All die guten Vorsätze waren zwecklos. Wir waren einfach nicht füreinander gebacken. Doch mir fehlte die Kraft, wirklich den letzten Schritt zu tun und endlich konsequent zu sein. Was ich brauchte, war ein konkreter Anlass. Das Gute war: Auf den brauchte ich bei Carin nicht lange zu warten.

Ich spielte irgendwo in Sachsen und wollte noch ein paar Tage dranhängen, um einen alten Kumpel zu besuchen. Aber nach meinem Auftritt hatte ich plötzlich so ein komisches Gefühl. Ich hatte die Vision, dass Carin gerade unter einem anderen Kerl lag. Ich ließ meinen Kumpel Kumpel sein und raste in meinem Wohnmobil wie ein Geisteskranker über die A 4, über die A 7, bei Kassel auf die A 44, auf die A 2, Abzweig Beckum, nach Enniger. Vier- bis fünfhundert Kilometer durch die Nacht. Den Fuß hatte ich tief in der Ölwanne, so sehr trat ich auf 's Gas.

Und siehe da: Neben ihrem MX 5 stand noch ein anderes, mir unbekanntes Auto. Um mich nicht mit meinen Scheinwerfern zu verraten, parkte ich in einiger Entfernung vom Bahnhof und schlich mich dann durch die Tür. Leise, Luft anhaltend. Die japanische Pergamentlampe über ihrem Operationstisch leuchtete, scheinbar wie immer. Aber Moment: Es war keine Pergamentlampe. Es war der nackte Arsch eines fremden Kerls. Verdammt, das tat richtig weh!

So schnell wie Carin aus dem Fenster gesprungen und in ihrem Mazda davongebraust war, so schnell saß ich in meinem mittlerweile angeschafften Zweitwagen, einem Drei-Liter-Mitsubishi, der unter ihrem Vordach parkte. Die Verfolgungsjagd war vielleicht nicht hollywood-reif, aber immerhin rasant durch die Dörfer, über Bahnübergänge, durch die dunkle Nacht. Dass dabei kein Unfall passierte: reines Glück. Ich war in dem Moment ein Tier, ein Besessener, ein Jäger, ein Unhold. Carin behauptete hinterher, sie hätte Todesangst gehabt. Ob es so war oder nicht, kann ich nicht sagen. Fakt ist: Als ich sie endlich ausgebremst hatte, war ihr vorher rund geschwungener und wohlgeformter Wagen eher viereckig. Wie ein Exorzist einem Besessenen das Kruzifix, so hielt sie mir den Hörer ihres Autotelefons vor die Nase, während sie hysterisch um Hilfe schrie. Da wurde mir klar, wer am anderen Ende der Leitung war: Ihr Freund und Helfer – die Polizei. Mit einem »So-mein-Junge-diesmal-bist-du-zu-weit-gegangen-jetzt-gibt's-Ärger!«-Blick schilderte sie den Bullen in allen Einzelheiten, wie ich gerade kaltblütig versucht hätte, sie umzubringen. Was sie erzählte, waren allesamt Geschichten aus dem Märchenland. Ich stand aufgewühlt und einfach nur hilflos vor ihr. Mir war sofort klar, dass die Polizei ihr glauben würde. Es war mal wieder Zeit für mich, schnellstens abzuhauen. Aber wohin nur? Ich ließ sie wortlos stehen, sprang in meinen Wagen und flüchtete so schnell ich konnte. Plötzlich klingelte mein Telefon. Polizei. So wie Carins Auto aussah, müssten sie von einem Mordversuch ausgehen und eine Großfahndung einleiten. Mordversuch? Aber ich wollte sie doch nur zur Rede stellen! Sie fragten mich, in welcher Richtung der A 2 ich fahren würde, und ich log: »Nach Dortmund« – doch ich fuhr in Richtung Bielefeld. Meine alte Heimat: Bielefeld, Herford, Bünde.

War ich nun ein flüchtiger Verbrecher? Für die Bullen schon! Ich sah mich schon auf unbestimmte Zeit in einem Kerker verschwinden. Und dort wäre ich auf Gedeih und Verderb auf Carins Wohlwollen angewiesen. Nein, das durfte auf gar keinen Fall passieren! Auf der A2 erblickte ich ein Schild: Gütersloh 20 km. Gütersloh! Dort saß Bertelsmann, meine Plattenfirma. Ich musste von der Straße runter. Also nix wie hin. Blöd nur, dass Sonntag war. Bis auf die Pförtner war kein Schwein da. Aber die waren mir wohl gesonnen und so konnte ich mich erst mal in einer Lagerhalle verstecken. Was natürlich keine Dauerlösung sein konnte. Ich rief einen Kumpel in der Gegend an, der sich mit juristischem Kram ein wenig auskannte. »In deiner Situation hast du nur eine Möglichkeit«, meinte er. »In Bad Salzuflen gibt's eine Nervenklinik, da fährst du jetzt hin und weist dich selbst ein!« In eine Klapse? Mir war alles scheißegal. Meine Nerven lagen blank. Ich war komplett am Ende. Und so benahm ich mich auch. Ich kroch auf allen vieren die paar Stufen zum Eingang hoch. Der Klinikdirektor Dr. Spernau nahm mich persönlich in Empfang. Er war Berliner, um die sechzig, rauchte Gauloises ohne Filter und mir stopfte er auch erst mal eine zwischen die Lippen. Ich war zu fertig, um auf einem Stuhl zu hocken. »Legen Sie sich hin, den Rest mache ich schon, wir kriegen Sie wieder hin« – die Worte werde ich nie vergessen. Unsterblich: Doktor Spernau aus der Klappse in Bad Salzuflen. Der Doktor zog eine Spritze auf, jagte sie mir in den Balg und auf einmal sah die Welt wieder anders aus. Zwar noch nicht rosarot, aber immerhin erträglich. »So. Und nun schlafen Sie sich erst mal aus!« Eine gute Idee, denn ich war inzwischen fast vierzig Stunden auf den Beinen.

Am nächsten Tag ging's mir schon besser. Doch anstatt darauf aufzubauen und es erst einmal ruhig angehen zu lassen, schlich ich mich aus der Klinik, ging in die nächst beste Kneipe und schüttete mich zu. Zwanzig Stunden später fiel ich vor dem Klinikeingang aus dem Taxi und musste die Treppe erneut auf allen vieren hoch kriechen. Nachdem ich meinen Rausch ansatzweise ausgeschlafen hatte, nahm mich der Direktor mit ernstem Gesichtsausdruck und Nachdruck in der Stimme ins Gebet: »Herr Gabriel, Sie brauchen dringend Hilfe! Und ich möchte Ihnen helfen. Aber dafür müssen Sie in unsere geschlossene Abteilung.« – »Ja! Ja! Ja! Hilfe! Hilfe! Hilfe! Bitte! Bitte! Bitte!« Und schon war ich drin.

Vier Wochen bin ich in der Geschlossenen geblieben. Und das tat mir gut. Ich kam vom Alkohol und den Tabletten runter und konnte mir meine gesamte Scheiße von der Seele quatschen. In der Geschlossenen waren insgesamt vierzig bis fünfzig Leute, die ebenso wie ich Hilfe brauchten. Männlein und Weiblein. Ich stellte aber sehr schnell fest, dass ich von allen der Gesündeste war. Da waren Selbstmordgefährdete, Schwerstalkoholiker, Junkies, Epileptiker und solche, denen man erst mal gar nichts anmerkte: Gestrauchelte, Enttäuschte, gebrochene Herzen, Nasenbohrer und Klugscheißer. Alle Türen waren ausgehängt, die Steckdosen zugepfropft und verklebt, die Fenster nicht zu öffnen. Es gab einen Gesellschaftsraum, in dem ununterbrochen geraucht wurde. Und ich rauchte wohl hundert am Tag. Eines Nachts wurde eine Frau eingeliefert, die sich vom Balkon stürzen wollte, weil ihr Mann sie verlassen hatte. Die ganze Nacht schrie sie nach ihm. Ich werde den Tonfall nie vergessen, wie sie »Otto, Otto, lass mich nicht allein!« jammerte und jammerte und jammerte. All night long. So müssen die Blues-Songs in Louisiana entstanden sein. Aber da waren auch zwei ganz Verrückte, die immer dann zu mir ins Zimmer kamen, wenn Mittagsruhe war, zwischen eins und drei. Auch ihr Tonfall wird für immer in meinem Gedächtnis bleiben. Und was sie sagten, war so dreist und so bitter und so traurig, wie der Song von Hank Williams: I'm So Lonesome, I Could Cry. Beide synchron, vor meinem Bett, während ich nicht die Augen zu öffnen wagte: »Fick mich! Fick mich! Fick mich!« Und das hörte sich ein bisschen an wie E. T., wenn er sagt: »Nach Hause telefonieren, nach Hause telefonieren!« Ich wusste nicht, ob ich lachen oder weinen sollte.

Naja, zurück zu Carin. Sie holte mich von der Klinik ab, ich wollte einfach raus. Doktor Spernau sagte: »Sie müssen bleiben. Sie sind noch nicht geheilt.« Aber meine Droge war Carin. Ich musste raus. Egal, was war.

Um es kurz zu machen: Es ist eigentlich eine unendliche Geschichte. Ich hatte John Lennon immer beneidet wegen dieser wahnsinnigen Abhängigkeit von Yoko Ono. Ich hatte so was vor Carin nie erlebt. Ich wusste natürlich, dass auch diese Dinge immer zwei Seiten haben. Ich wusste, dass John Lennon bei Arthur Janov in Los Angeles gewesen war, um sich mittels Urschreitherapie von dieser Abhängigkeit zu befreien. Aber Los Angeles war weit und Enniger so nah. Und so kam es, wie es bei jeder Sucht kommen muss: Entweder geht man dran kaputt oder man überwindet sie. Ich war bereit, daran zu krepieren. Und Carin? Sie wusste auch, was sie wollte. Mir war klar, die dunkle Seite von Carin würde zum Tragen kommen: irgendeine Mistigkeit würde sie sich schon ausdenken, um mich zurück zu bekommen oder zu vernichten. Sie ahnte, dass ich trotz der ganzen Scheiße immer noch an ihr hing wie an einem Tropf. Und so hatte sie mich in der Hand. Spielvorschlag: Heirat oder zurück in die Gosse. Ich gab zwar unserer Ehe keine Chance, doch mit Scheidungen kannte ich mich einfach besser aus als mit Steuerhinterziehungs-Prozessen. Und so geschah es: Hochzeit Nummer vier.

Steffi Stephan, der Bassist von Udo Lindenberg, der in Münster das Musiklokal Jovel betrieb, stellte uns seine Cadillac-Stretch-Limousine als Hochzeitswagen zur Verfügung. Eine Presseagentur legte fünfzehntausend Mark für die Exklusiv-Story auf den Tisch und konnte berichten von der größten Anzahl Freaks und Randgestalten der Gesellschaft, die Enniger je gesehen hatte. Meine Band war da, es wurde musiziert, gezecht und getanzt bis zum nächsten Mittag. Und es wurden Wetten abgeschlossen, wann wir uns endgültig den Schädel einschlagen würden. Ich kam mir so komplett unglaubwürdig und beschissen vor wie noch nie in meinem Leben.

Ich weiß nicht mehr genau, in welcher Reihenfolge was geschah und was endlich zur Trennung führte. Ich weiß nur, dass ich noch schwerstens angeschlagen war und Doktor Spernau Recht gehabt hatte mit seiner Behauptung, ich wäre noch nicht wieder reif für die Wildbahn.

Ich will noch von einem Klops berichten, der typisch ist für das, was damals los war – und was mich zutiefst verletzt hat.

Eines Samstags – 1992, glaube ich, war's – verließ Carin am frühen Nachmittag den Bahnhof, um beim Spar-Markt für's Wochenende einzukaufen. Aber sie kam einfach nicht zurück, am Nachmittag nicht, am Abend nicht und auch nicht in der Nacht. Sonntag nicht und Montag auch nicht. Sie kam überhaupt nicht mehr zurück. Ich war außer Rand und Band. Mein Handy glühte, die Festnetzleitung glühte, mein Herz glühte, meine Augen brannten, mein Hirn war kurz vor dem Tilt. Nix ging mehr. Keiner wusste, wo sie war. Zu meinem Unglück war ja wegen der Autobahn-Verfolgungs-Eskapade mein Führerschein immer noch weg. Das schlimmste daran war, mit meinem Arsch auf dem Stuhl sitzen zu müssen, anstatt mit meiner Karre – mehr oder weniger ziellos – durch die münsterländische Bucht zu kacheln.

Am nächsten Donnerstag hatte ich einen Termin in einem Plattenstudio in Brüssel bei meinem Freund Henri Seroka, wo ich den Song Kiss


Me, I'm German aufnehmen wollte. Ich war gerade auf dem Bahnhof in Bonn, wo ich umsteigen musste, als mich Carins Anruf erreichte. Als ob es das Selbstverständlichste der Welt wäre, eröffnete sie mir, dass sie in einem New Yorker Hotel wäre, gab mir den Hotelnamen, Telefon- und Zimmernummer. Und legte sofort wieder auf. Ein Freund, ein Pilot, ein Blablabla, weiß der Teufel, ist auch egal, jemand hatte sie einfach mitgenommen. Nein, kein Doppelzimmer, nein, ist nichts passiert, alles ganz harmlos. Blablabla. Mir schoss das Blut aus dem Kopf raus… mir wurde kalt. Ich zitterte. Die Nummern konnte ich kaum eintippen, so erregt war ich. Die Droge … ich hatte sie wieder. Ich war erleichtert und gleichzeitig entsetzt. Jetzt fängt der ganze Scheiß erst richtig an. Hilfe, Hilfe … ich war verloren. Ich wollte sie, ich liebte sie, ich konnte nicht von ihr lassen. Sie war der Honig und ich ein Millionen-Mückenschwarm. Ende.

Sie kam über Brüssel zurück aus Amerika. Ich holte sie gemeinsam mit meinem belgischen Produzentenfreund Henri ab. Und der erzählt heute noch gern in epischer Breite, was ihm damals für ein Schauspiel geboten wurde in der Empfangshalle des Brüsseler Flughafens, nachts um 22 Uhr.

Carin kam durch den Zoll. Tippel-tippel die Schuhe. Die Lippen rot, die Augen schwarz, der Rock mini, die Brüste gewaltig – sie riss sich die High Heels von den Füßen, als sie sah, dass ich mich wie ein Puma auf sie zu stürzen drohte, schließlich war ich ziemlich benebelt durch eine Flasche marokkanischen Rotweins. Sie flüchtete durch die Halle, durch die Eingangstür, über die parkenden Taxidächer hinweg, über den Parkplatz und verschwand in der Dunkelheit. Ich hinter ihr her. Henri pickte uns schließlich auf und schleppte uns mit zu sich in sein Stadthaus. Ich weiß nicht, wie viele Scheiben kaputtgingen, wie viele Gläser an die Wand flogen; seine Couchgarnitur war jedenfalls versaut. Irgendwann war die Luft raus und wir lagen ermattet in den Federn. Sie kaputt durch den Jetlag, ich seelisch völlig fertig, mit Alk im Blut.

Die Scheidung war Mitte der Neunziger.

Meinem Co-Autoren Oliver Flesch gegenüber, der Carin anlässlich der Recherchen für dieses Buch kontaktierte, erinnerte sie sich an unsere gemeinsamen Jahre ein klein wenig differenzierter. Oliver berichtete mir, sie hätte ihm erzählt, sie sei halt jung gewesen, und wenn man jung sei, mache man Fehler. Ich selber sei aber auch nicht viel besser gewesen, das hätte sich also ausgeglichen. Sie hätte mich, nachdem ich sie das erste Mal geschlagen habe, verlassen sollen, aber sie gebe zu, dass sie mich bis aufs Blut gereizt habe (was man ja nie tun soll, vor allem nicht bei einem Mann wie mir, der ich mit dem Rücken zur Wand stand!) Was die Betrügereien angehe, so hätte ich sie zuerst betrogen – die Mädels hätten sich praktisch direkt auf meinen Schoß gesetzt (wie schmeichelhaft!). Sie selber dagegen hätte nur geflirtet. Aber sie sei eben – auch ohne einen Country-Star – eine ansehliche Frau. Dass wir uns ständig gestritten hätten, daran erinnerte sich Carin auch – in einer gut laufenden Beziehung passiere so etwas gar nicht erst. Abschließend habe sie jedoch geäußert, dass sie nichts bereue, nicht einmal mich, Gunter Gabriel!

Aber nun die Auflösung des Märchens »Wie ein Mädchen aus der Provinz zu einer Dame von Adel wurde«. Und ihr werdet staunen, wie einfach das doch alles ist. Habt Ihr denn ganz vergessen, was ich vorher sagte? Wer einen Haifisch fangen will, fängt ihn nicht im Mittellandkanal, sondern da, wo Haifische verkehren. Nach unserer Ehe besann sich Carin wieder auf ihre ureigenste Fähigkeit: Alten, müden Männern den Kopf zu verdrehen. Im Haifischbecken fand sie ein Exemplar, das es letztendlich besonders gut mit ihr meinte. Dieser wohlhabende Mann spendierte ihr ein doppelstöckiges Penthouse mit Seeblick in der Schweiz. Er stellte ihr augenscheinlich – wie ich bei einem Besuch feststellen konnte - einen Bentley, einen Hummer-Jeep, einen 500er SEL und einen Jaguar in die Garage. Und er gab ihr reichlich frisches Spielgeld und machte sie zur Prinzessin.

Warum machte er sie zur Prinzessin? Angeblich soll er gesagt haben: »Dein Name ist verbrannt. Jeder weiß, dass du mit dem verrückten Gabriel zusammen warst. Du brauchst eine saubere Identität.« Und so geschah's.

Eines Tags rief mich der Anwalt der Noch-Ehefrau dieses edlen Herrn Spenders an. Er kam gleich zu Sache: »Gabriel, Sie kennen diese Carin. Der Mann meiner Mandantin ist kurz davor, sein gesamtes Vermögen an eben diese Frau zu verplempern. Was hat diese Frau, was meine Mandantin nicht hat?«

Ich musste lachen. Es ist immer ein gutes Gefühl, nicht der einzige Idiot auf der Welt zu sein.

Er fragte mich, wie man den ganzen Wahnsinn stoppen könnte. »Ganz einfach: Erschießen Sie den Mann oder erschießen Sie Carin.« Ich bin heute noch mit dem Anwalt freundschaftlich verbunden. Der spendable Mann ist inzwischen an Altersschwäche – oder was weiß ich – gestorben.

Am Telefon meldet Carin sich indes immer noch mit »Prinzessin Carin zu Schaumburg-Lippe«, obwohl sie lange schon wieder von dem Blaublut geschieden ist. Sie hat eine goldumrandete Visitenkarte, auf der steht »Prinzessin Carin zu Schaumburg-Lippe«. Sie schaffte es 2008 mit ihrer Patchwork-Familie sogar ins Fernsehen. In der dreiteiligen ZDF-Erlebnisdokumentation Oman – Abenteuer in Arabien konnte man sie samt ihrer Gefolgschaft auf dem Bildschirm bewundern: mit Gouvernante, ihren inzwischen zwei Kindern und ihrem aktuellen Lover. Das nenn' ich Karriere. Wenn ich sie heute unvermittelt anrufe, was ab und zu mal vorkommt, und sie frage, wie es ihr geht, kommt immer wieder derselbe supergute und entwaffnende Satz: »Mir kann es doch gar nicht schlecht gehen …«. Wenn ich das richtig interpretiere, meint sie sicherlich, dass es immer wieder Jungs gibt, die scharf auf sie sind. Das erinnert mich an meinen alten Totengräber Achim aus Wuppertal der sagt: »Mein Job ist krisensicher … egal was kommt: gestorben wird immer!« Was soll ich dazu noch sagen? Fazit: gestorben und gebumst wird immer. Halleluja.



Gunter Gabriel

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