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2 Warum ich reich bin – ein paar Worte vorab
… von Gunter Gabriel

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Muss nun dieser Gabriel auch noch eine Biografie schreiben, wo sich alle Welt ergießt in Geschichten aus dem eigenen Leben, mehr oder weniger spannend? Das würde ich denken, wenn ich denken würde wie die anderen. Aber Lars Andersen, ein Musikredakteur aus der Nähe von Hannover, den ich zufällig neulich am Timmendorfer Strand getroffen habe, meinte: »Wenn überhaupt einer eine Biografie schreiben muss, dann bist du das! Damit du endlich mal was richtigstellen kannst. Es kursieren so viele unglaublich bekloppte Geschichten über dich, dass es Zeit wird, endlich mal Klartext zu reden. Kollegen aus der Musikszene haben mich gewarnt: Gabriel ist schwierig, Gabriel ist ewig betrunken, Gabriel ist unzuverlässig und unberechenbar. Man hält dich für komplett fertig, pleite, am Ende. Sag endlich, wie es wirklich ist, Gunter, lass die Hosen runter.«

Ich wäre nie auf die Idee gekommen, eine Biografie zu schreiben. So besonders witzig finde ich mein Leben gar nicht. Aber jedes Mal, wenn ich irgendwelche kleinen Anekdötchen erzähle, auf der Bühne, zwischen den Songs, an Rasthoftischen oder im ICE zwischen Hamburg und Berlin, dann lachen sich die Leute komplett kaputt und sagen: »Ich glaub's nicht, ich glaub's nicht!«

Frank Plasberg, Moderator der Sendung »Hart aber fair«, sah mich mal auf der Bühne in Pforzheim bei einem Konzert vor lauter Zeitungsredakteuren. Er kam danach zu mir in die Garderobe und meinte: »Hätt' ich nie gedacht, was du alles drauf hast. Deine Sprüche zwischendurch waren noch geiler als deine Songs.«

Oder neulich in einem Blues-Club in der Nähe von Lüneburg, Bleckede, an der Elbe: Der Veranstalter wollte mich gerade ansagen, aber er kam gar nicht mehr zu Wort. Die Leute schrien schon so laut, bevor ich überhaupt auf der Bühne stand, dass nix mehr ging. Ich steckte das Kabel in meine schwarz-rot-goldene Gitarre, rückte das Mikro zurecht und ballerte los.

Was ist also dran an diesem Gabriel, dass es sich lohnt, dessen Biografie zu veröffentlichen? Und dann auch noch drauf zu hoffen, dass die Leute das lesen wollen? Irgendwas muss der erlebt haben, was andere nicht erlebt haben.

Ich gebe zu, mein Leben war keine Märchenstunde, kein Zuckerschlecken. Mein Leben war eine einzige Katastrophe. Wenn ich nicht schon seit meinem dreizehnten Lebensjahr diese verdammten Tagebücher geschrieben hätte, was ich auch heute noch tue, wären die meisten Dinge wohl für immer aus meiner Erinnerung verschwunden. Weil ich einfach nicht gerne nach hinten glotze. Gewesen ist gewesen, vorbei ist vorbei. Aber jetzt musste ich da mal reingucken: Wie war denn das damals? Ach so, hätt' ich nicht gedacht. Und dann fing die Geschichte an zu rollen.

Als meine Mutter starb, da war ich vier. Heute bin ich Ende sechzig und meine Mutter fehlt mir immer noch. Wer mit vier seine Mutter verliert, entwickelt sich anders als jemand, der immer eine hatte. Das steht schon mal fest. Mein Vater war auch nicht gerade der beste Vater der Welt. Er kannte nur eins: prügeln. Auch dadurch entwickelt man sich anders. Der Tod begegnete mir einige Male in meinem Leben und ich war soweit, dass ich mich selber töten wollte. Was diesem Unternehmer Merckle passiert ist, nämlich so verzweifelt zu sein, sich vor einen Zug zu werfen, könnte mir heute nicht mehr passieren. Einfach weil ich diesen Satz verinnerlicht habe, der mir immer wieder geholfen hat: Egal was ist, am nächsten Morgen geht die Sonne trotzdem auf. So ein blöder, simpler Satz. Aber er stimmt.

Wie ist es möglich, dass ich mit meiner ganzen Scheißvergangenheit, mit dieser trostlosen Kindheit, mit meinen harten Lehrjahren als Schlosser und der aussichtslosen Zukunft trotzdem so viele tolle Lieder geschrieben habe und so erfolgreich war? Vielleicht gerade weil ich so viel in die Fresse gekriegt habe. Aber irgendwas muss ich auch richtig gemacht haben. Ich habe mich schon immer hinter Büchern verkrochen. Albert Schweitzer war mein erster Held. Ich habe schon als junger Bengel bestimmte Lieder geliebt, die mir wichtig waren. Pete Seeger und Lonnie Donegan waren meine Leuchttürme. Während andere Jungs hinter Mädchen her waren oder in Kneipen abhingen, habe ich mein Abitur nachgeholt, um meinem Vater zu imponieren. Und dann bitter zu erkennen, dass ihn das gar nicht interessierte.

Ich habe in München bei Holzmann Kanalrohre verlegt, als ich achtzehn war. Im italienischen Savonna habe ich Schrott auseinandergeschweißt auf 'ner Schiffswerft. In Hannover war ich Möbelpacker und Möbelfahrer. Ich habe gemacht, was ich machen musste, um Geld zu verdienen. Und ich habe es immer gerne getan. Ich habe immer gesungen und gelacht. Ich habe in alten Lagerschuppen zur Miete gewohnt. Bin mit LKW-Fahrern zusammengekommen, habe Getriebe aus- und eingebaut und habe doch immer geahnt, dass da noch was anderes kommen musste. Und das war dann die Musik, das Erfinden von Songs und das Erlebnis des Erfolgs. Und das alles habe ich gekriegt. Und ich habe es gekriegt, weil ich immer auf der Suche danach war und nie aufgehört habe. Und ich habe es auch gekriegt, weil ich einen Mann gefunden habe, der das verstanden hat. Und dieser Mann hieß Thomas Meisel und war Songproduzent in Berlin. Dafür bin ich ihm heute noch dankbar. Diesem Mann zu begegnen – was für ein Glück!

Und dann war da noch als Motor, als treibende Kraft, die Liebe und die Leidenschaft und die Zuversicht, nicht so sein zu wollen, wie alle sind, nicht zu jammern, wenn's auch mal weh tut. Und ich sage Euch, ich habe echt keine Ahnung, woher ich diese Veranlagung habe. Es ist einfach in mir drin, dieses merkwürdige Implantat: »Man muss das Leben eben nehmen, wie das Leben eben ist.« Das klingt zwar verdammt naiv, aber es hat mir immer geholfen. Ich bin auch heute noch so gestrickt.

Ich wollte auf jeden Fall nie so sein wie mein Vater. Er wog alles in Geld auf. Er wog alles in Hab und Gut auf. Ich war für ihn eine Mittelhaushälfte, meine Schwester das Eckhaus. »Das alles würde ich jetzt besitzen, wenn ich euch nicht am Halse gehabt hätte.« Ich habe ihn für diesen Satz gehasst. Und so habe ich Lieder geschrieben, nie um reich oder berühmt zu werden, sondern um Spuren zu hinterlassen. Doch durch diese Denke hab ich auch 'nen Haufen Fehler gemacht. Ich bin von vielen Leuten über den Tisch gezogen worden und hab mich zu Dingen hinreißen lassen, die ich nie hätte machen dürfen.

Aber: Gelaufen ist gelaufen. Ich werde darüber im Einzelnen noch berichten, wie es dazu kam und wie ich trotzdem nicht daran kaputtgegangen bin. Heute kann ich sagen, was ich damals nicht sagen konnte, als ich Mitte 1980 abstürzte: An allem war nur einer Schuld: Me, myself and I – ich Idiot selbst. Aber ich sag Euch noch eins, was Ihr nicht glauben werdet: Als ich mich, als Folge davon, zehn Jahre lang auf den Autobahnen rumtrieb, in Lagerhallen wohnte, in versifften Betten billiger Pensionen schlief und zwischen ebensolchen Frauenschenkeln aufwachte, fand ich die Zeit dennoch großartig. Bitter-großartig.

So habe ich meinen vier Kindern, die ich zwischenzeitlich auch noch auf die Beine gekriegt habe, schon zu meinen Lebzeiten gesagt: Verbrennt mich, wenn ich tot bin, und schüttet meine Asche in einen blauen Müllsack. (Diese Einstellung hab ich übrigens von Karl Lagerfeld übernommen und meine es damit, wie er, absolut ernst.)

Denn was von mir übrig bleiben muss, ist nicht Hab und Gut. Oder meine Gebeine, zwei Meter tief, mit einem Grabstein obendrauf. Wenn überhaupt etwas, sind es meine Songs. In den Gehörgängen der Leute. Oder noch besser, auf den Lippen.

Oder wie ich's mal getextet habe:

Wenn ich mal sterb', grabt mich unter'n Asphalt,

das find ich gut, das find ich stark.

Dann köpft eine Flasche Whiskey, Yeah,

und versauft meine letzte Mark.

(Aus: Straßenhund, 1992)

Dank dieser bekloppten Einstellung zum Geld, die natürlich mit meinem unsäglichen Vater zusammenhängt, habe ich alles versäbelt, was ich an Kröten je verdient habe. Doch, und das ist das Entscheidende, was mir keiner mehr nehmen kann: Ich fühle mich trotzdem großartig. Besser als zu der Zeit, als ich zweihunderttausend Piepen im Monat verdient hab.

Ich bin dankbar für mein Leben, merkwürdig, was? Ich sage sogar: Mein Pech war mein Glück. Alles was ich erlebt und gelebt habe, hat mich auf eine wunderbare Art reich und unverwundbar gemacht. Und ich besitze Schätze, die mir keiner nehmen kann: Ich bin heute noch immer genauso hingerissen von Elvis' »Love Me Tender« wie damals als Teenager auf der Jahrmarktsraupe in meinem Heimatort.

Vor einigen Wochen fuhr ich mit meinem Bauhandwerker über eine Allee in Maschen bei Hamburg und ich schob »Love Me Tender« in die Stereoanlage meines Trucks. Und sagte: »Bernd, für diesen Song lohnte es sich zu leben.« Da hat er mich angeguckt und hat mit Sicherheit gedacht: »Gabriel spinnt.« Oder wenn ich den Charles-Aznavour-Song »Yesterday When I Was Young« höre, dann könnte ich heute noch Tränen in die Augen kriegen. Und seht Ihr, genau das meine ich. Das macht mich reich. Neben Johnny Cash auf der Bühne gestanden zu haben, in Köln oder in Hannover oder in seinem Studio kurz vor seinem Tode – unbeschreiblich. Unvergesslich. Reich.

Nein, ich bin nicht fertig. Nein, ich bin nicht pleite. Nur weil ich heute monatlich keine Zweihunderttausend mehr verdiene. Als vor Jahren ein Gerichtsvollzieher bei mir pfänden wollte und nichts zu pfänden fand, und sagte: »Was bist du doch für'n armer Hund geworden«, sah ich ihn verwundert an und sagte: »Sie täuschen sich, mein Herr.« Dabei zeigte ich auf meine Elvis-Plattensammlung. »Ich habe Elvis komplett, Johnny Cash komplett, Willie Nelson komplett. Ich habe Schopenhauer, Kant, Hesse und Kafka. Und alles gelesen. Und ich hab 'ne Menge Songs geschrieben. Ich bin reich.« Jetzt sah er mich verdutzt an und sagte: »So was habe ich ja noch nie gehört, von jemandem, bei dem ich pfänden musste.« Es schien ihn zu überzeugen. Denn über meinen großen Tisch hinweg reichte er mir seine Hand und sagte: »Ich heiße Dieter.«

Noch ein paar Schätze: Ich liebe immer noch »Du« von Peter Maffay, ich liebe immer noch »Der lachende Vagabund« von Fred Bertelmann und »Heimatlos« von Freddy. »Merci Chérie« von Udo Jürgens ist immer noch spitze. Und der andere Udo, nämlich Lindenberg, jagt mir immer noch Schauer über den Rücken mit dem Lied »Mädchen aus Ost-Berlin«.

Warum erzähle ich Euch das? Ich erzähle es, um zu zeigen, dass ich ganz normal ticke und mich bereichert fühle durch die einfachen und simplen Dinge des Lebens. Ich brauche keine Paläste, um diese wunderbaren Empfindungen zu haben.

Und wenn ich dann in dem Buch »Nichts als die Wahrheit« von Dieter Bohlen lese, ich sei ein Sozialfall nach dem Motto »Vom Millionär zum Tellerwäscher«, dann kann ich nur müde lächeln. Lieber Dieter, keine Sekunde möchte ich mit dir tauschen. Ich bin einfach happy, wenn ich auf meinem Hausboot bin, mitten im Hamburg-Harburger Hafen. Wenn die Werftsirene geht und die Schweißer zur Arbeit kommen. Wenn die Möwen kreischen und die Kormorane zum Sturzflug ansetzen. Wenn die dicken Pötte von Übersee vorbeikommen und die Kapitäne mich freundlich grüßen. Wenn die Wasserschutzpolizei ein wachsames Auge auf mich wirft. Dann fühle ich mich großartig. Mehr ist nicht, mehr brauche ich nicht.

Man kann nicht mit Worten alles erklär'n.

Das Leben ist'n Ding, das kann man nicht lern'.

Alles was du tun musst, leb' jetzt und mit Spaß,

mehr ist nicht drin und da kommt auch nicht noch was.

(Aus: Einfache Fakten, 1994)

All das, was gerade von Amerika nach Europa und Deutschland schwappt, diese krankhafte Geldgeilheit, die in diese Krise geführt hat, dieses ständige Über-die-Verhältnisse-Leben, die bekloppten faulen Kredite und die Armseligkeit der Menschen, deren Wertschätzung nur auf Haben-Haben gründet. Nein. Ich sage Danke. Ich bin damals selber abgestürzt dank dieser wunderbaren Freunde und Berater, Manager und Heuchler. Aber ich bin nur knetemäßig abgestürzt, alles andere hatte Bestand, meinen moralischen Vorstellungen bin ich treu geblieben. Frei nach Johnny Cash: I walk the line.



1990

Mein geiler Trabbi

Gunter Gabriel

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