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2.2.6 Produktion und Löhne
ОглавлениеWas auf dem Markt gekauft oder getauscht wird, muss freilich zuerst produziert werden. Hinter der neoklassischen Theorie der Produktion steht die Überlegung, dass sich der Produzent oder das Unternehmen im Grunde genau so verhält wie der Konsument auf dem Markt: er muss die sogenannten Produktionsfaktoren, welche er zur Produktion benötigt, (in der Regel auf Kredit) einkaufen – vor allem Maschinen (= Kapital, K) und Arbeit (L) – und diese sodann so ins Werk setzen, dass er seinen Profit maximiert. An die Stelle des Grenznutzens tritt die Grenzproduktivität. Die Grenzproduktivität ist der durch eine zusätzliche Einheit des Produktionsfaktors erzielte zusätzliche Output. Wie der Grenznutzen wird auch die Grenzproduktivität als eine fallende Funktion betrachtet: Bei konstanter Menge von Maschinen und Werkzeug nimmt der zusätzliche Output pro weiterem Arbeiter ab. Halten wir sogleich fest, dass die neoklassische Produktionstheorie im Grunde nichts über die Produktion verrät, beispielsweise was in der Produktion geschieht und wie der Wert entsteht. Sie ist eine reine Theorie der Ressourcenallokation.
Zwei Szenarien können nun diskutiert werden: (1.) Es steht eine gegebene Menge a einer Ressource zur Verfügung, und es ist zu bestimmen, wie diese zwischen verschiedenen Produktionszweigen, also verschiedenen Warenarten verteilt wird. (2.) Es steht in einem Produktionszweig eine Geldmenge zur Verfügung – die Investitionssumme –, und es ist zu bestimmen, wie diese optimal auf die verschiedenen, notwendigen Produktionsfaktoren verteilt wird. Ziel ist jeweils die Profitmaximierung. Das Ergebnis ist in beiden Szenarien im Grunde dasselbe. Bringt ein zusätzlicher Input von Faktor a im Produktionszweig x mehr als in y, wird er dorthin umgeschichtet, bis Gleichheit der Grenzproduktivitäten pro verwendeter Geldeinheit erreicht ist. Bringt im Produktionszweig x ein zusätzlicher Input von Faktor a mehr als einer von Faktor b, wird sich das Verhältnis zugunsten von a verschieben. Der erste Fall führt auf Gleichheit der Grenzproduktivitäten pro verwendete Geldeinheit desselben Faktors für verschiedene Waren, der zweite Fall umgekehrt auf Gleichheit der Grenzproduktivitäten pro verwendete Geldeinheit verschiedener Faktoren in der Produktion derselben Ware. Wie schon in der Markttheorie wird jeweils ein Pareto-Optimum erreicht und somit ein Gleichgewichtszustand, in welchem Rahmengrößen des Geschehens einen statischen Wert annehmen.
Wir werden nicht weiter in die technischen Details eindringen. Notieren wir als wichtigstes Ergebnis, dass, wie der zweite Fall zeigt, im Gleichgewicht die Preise der Produktionsfaktoren schließlich ihrer jeweiligen Grenzproduktivität proportional sein werden. Dieses Ergebnis hat eine unmittelbare und konkrete Bedeutung, da sich die Ökonomen vor allem für die Produktionsfaktoren Kapital und Arbeit interessieren. Der Preis der Arbeit ist aber nichts anderes als der Lohn, und der Preis des Kapitals entsprechend der Lohn des Investors, also die Rendite. Die neoklassische Produktionstheorie erlaubt es also, die Aufteilung des erwirtschafteten Profits zwischen dem Kapitalisten und den Arbeitern abzuleiten. Die Abhängigkeit des Outputs von den Faktoren Kapital und Arbeit wird als Produktionsfunktion bezeichnet:
Y = F (K(L). (2 - 2)
Die Gestalt der Funktion hängt von der jeweiligen Produktionstechnik ab. Ist sie bekannt, erhält man Löhne und Rendite sofort durch eine einfache mathematische Operation (die partiellen Ableitungen). Dieses Ergebnis hatte in der Situation der Systemkonkurrenz mit dem sozialistischen Ostblock eine enorme Bedeutung, da es impliziert, dass es keine Ausbeutung gibt. Die Theorie zeigt vielmehr, dass jeder – Kapitalist, Manager, Facharbeiter, ungelernter Arbeiter – genau das verdient, was seiner Grenzproduktivität entspricht – mit anderen Worten: dass jeder verdient, was er verdient.26
Steht also alles zum Besten in der besten aller Welten? Tatsächlich hat die neoklassische Produktionstheorie ernstzunehmende Defekte, deren Konsequenzen über die Neoklassik beredt Auskunft geben. Als erstes wird man feststellen, dass als Produktionsfaktoren nur Maschinen und Arbeitskraft in Betracht gezogen werden, Land, Rohstoffe und Energie aber gänzlich fehlen. Über die Gründe lässt sich spekulieren. Der amerikanische Sozialwissenschaftler Jason W. Moore sieht in dem Umschwung von einer auf der Produktivität des Landes beruhenden Reichtumsmatrix zu einer solchen, die in der Produktivität der menschlichen Arbeit gründet, den historischen Epochenwandel hin zum kapitalistischen Zeitalter abgebildet. Arbeit ist nun die Quelle des Werts und die Natur zu einer Ressource herabgestuft (näheres zu Moores Ansatz ↓ S. 171).27 Andere Autoren verweisen auf die Tatsache, dass sich die Grenzproduktivität in den Preisen widerspiegelt und die niedrigen Preise für Rohstoffe und Energie im 20. Jahrhundert, als die neoklassische Produktionstheorie formuliert wurde, als ein Hinweis auf die geringe Bedeutung dieser Faktoren aufgefasst wurde. Der Anteil der Energiekosten an den Produktionskosten liegt in der Tat nur bei etwa 5 - 6 %, was aber schlicht daran liegt, dass sogar endliche Ressourcen billig zu haben sind.28 Ein dritter möglicher Grund für die Vernachlässigung kann darin liegen, dass der Zweck der Produktionstheorie wie eben berichtet letztlich die Rechtfertigung der Einkommensverhältnisse durch objektive Faktoren ist, und die Natur (Land, Rohstoffe, Energie) zwar als Produktionsfaktor auftreten mag, aber nicht bei der Verteilung des Profits zu berücksichtigen ist. Wie dem auch sei, in jedem Fall ist der neoklassischen Produktionstheorie damit ein ökologisches Defizit eingeschrieben.
Die Vernachlässigung des Produktionsfaktors Land hat zweitens aber auch unmittelbare und fatale technische Konsequenzen. Es stimmt selbstverständlich, dass zu verschiedenen historischen Zeitpunkten mit verschiedenem technischem Entwicklungsstand Kapital und Arbeit unterschiedlichen Anteil an der Produktion haben (mit dem technischen Fortschritt und dem Einsatz hochentwickelter Maschinen steigt der Kapitalfaktor). Zur Analyse eines solchen historischen Wandels ist die neoklassische Produktionstheorie in ihrer Eigenschaft als Theorie eines fixen Gleichgewichts nun prinzipiell nicht geeignet.29 Betrachten wir hingegen einen gegebenen Zeitpunkt, so kann umgekehrt das Verhältnis der Faktoren Arbeit und Kapital nicht frei gewählt werden, wie es der Formalismus der neoklassischen Produktionstheorie aber in der Produktionsfunktion F (K(L) unterstellt. Für die Landwirtschaft mit Boden als regenerativer Ressource mag noch stimmen, dass der Einsatz von Maschinen und Handarbeit recht frei variiert werden können. Aber gerade für die Industrieproduktion, auf welche sich die Neoklassik fixiert, indem sie den Faktor Land fallen lässt, stimmt dies ironischerweise nicht mehr. Denn hier ist das Verhältnis von Maschine und Arbeit, also die Zahl der Arbeiter an einer bestimmten Maschine, durch die Organisation der Fabrik fest vorgegeben. Es sind mithin die Voraussetzungen gar nicht erfüllt, um überhaupt ein Grenzprodukt zu definieren, womit die neoklassische Lohntheorie in sich zusammenfällt.30 Richtiger ist es vermutlich, die ganze Gleichgewichtsannahme aufzugeben und das Verhältnis der Produktionsfaktoren als empirische Charakteristik der eingesetzten Produktionstechnik zu betrachten.31