Читать книгу Feuersturm der Drachenseele - Oliver Seidenstücker - Страница 10
Ausläufer der Drachenberge – Flucht ohne Ziel
ОглавлениеIch saß einfach nur da und beobachtete traumversunken den baldigen Sonnenaufgang hinter den beiden Felsen, die wir Drachen zusammen mit den Gebirgsketten die das Dorf umrahmten Ausläufer der Drachenschwinge nannten. Die Dorfbewohner hatten nur wenige Möglichkeiten, ihre kleine Insel zu verlassen. Entweder durch den Schwingenpass, der weit östlich, genau gegenüber der Todesschlucht und den Drachenbergen lag, oder sie mussten über die nördliche Schwinge. Ein gewaltiger Bergarm, der halb mit Bäumen überwachsen war und nur schwerlich passierbar. Dafür allerdings sparten sie sich einen gewaltigen Umweg zum nächsten Dorf namens Flecus, welches eher einer Festung glich. Andere Wege aus der Sackgasse gab es nicht. Die Drachenberge waren zu gefährlich und der nördliche Arm zu dick und zu hoch. Keiner, noch nicht einmal ein Magier würde sich auf eine Reise begeben, die über die nördliche Schwinge verlief. Der Sonnenaufgang war kaum zu sehen, nur ein Hauch Rot zeichnete sich am finsteren Horizont ab. Doch die Farben von Sonne und Landschaft schienen für meine Augen matt und weniger farbintensiv. Mein Körper hatte wieder die Gestalt eines Menschen angenommen. Leider! Jetzt langsam schien ich den seltsamen Spruch des Alten zu verstehen: Bist du ruhig und gelassen, kannst du den Menschenkörper nicht verlassen. Aber bist du konzentriert oder aufgebracht, gibt das Feuer neue Drachenkraft. Scheinbar hatten meine Empfindungen etwas mit meiner Verwandlung zu tun. Aber nicht nur mit der Verwandlung. Wenn ich aufgebrachter war, schien es, dass ein Teil meiner Drachenkräfte in meinen Körper strömten und ihm Macht verliehen. Auch hatte sich meine Wunde, die mir der Magier während meinem Menschsein zugefügt hatte, schnell geschlossen und es war nur noch ein großer Fleck Schorf übrig. Die Wunde an meiner Schulter, die mir zugefügt wurde, als ich in Gestalt eines Drachen war, hatte sich scheinbar in Luft aufgelöst. Alles schien irgendwie verdreht und konfus. Doch was sollte ich machen? Hier rumsitzen, und nichts unternehmen war auch nicht gut. Ich musste Vila finden. Aber wie? Ich wusste ja überhaupt nicht, wo sie sich gerade aufhielt. Ich überlegte kurz. Sie musste irgendwo im Dorf gelebt haben, oder?! Vielleicht konnte ich von dort aus ihre Fährte aufnehmen. Also schlich ich im Schutz der noch anhaltenden Dunkelheit den gewundenen Pfad zum kleinen Dorf hinunter. Vilas Haus würde ich schon irgendwie finden. Doch ich durfte nicht auffallen. Schließlich war meine Kleidung bei der Verwandlung zerrissen und ich stand wieder ohne da. Also versteckte ich mich zwischen den engen Häusern und gab immer schön auf den im flackernden Fackelschein erhellten Hauptweg Acht. Aber nirgendwo war auch nur die Spur eines Soldaten zu sehen. Ich schloss meine Augen, um mich besser zu konzentrieren, und schnüffelte ein wenig. Die Luft war schwanger von vielerlei Gerüchen. Vorwiegend stank es nach altem Schweiß. Darunter mischte sich der weniger starke Dunst von Alkohol und Erbrochenem und ganz fein eine Spur von verbranntem Holz. Ich schnüffelte und schnüffelte, konnte nach und nach jeden mir nahen Menschen allein an seinem Geruch unterscheiden, wie zum Beispiel der besoffene Hans vor mir auf dem Wege, der gerade in hohem Bogen den Mageninhalt auf die Straße erbrach und gleichzeitig in die verschmutzte Hose machte. – Oder der robuste Karsten, der gerade oben mit der schnellen Susi lauthals im sonst so stillen Kämmerlein… naja. Ich ignorierte sowohl den Geruch als auch die Laute und versuchte noch weitere Feinheiten zu erschnüffeln. Nach wenigen Momenten hatte ich die Fährte wieder aufgenommen und versuchte den Geruch zu finden, den ich so suchte. Und da war er. Er versteckte sich ganz weit hinter dem verbrannten Geruch, das fein würzige und reine Aroma von Vila. Ich öffnete die Augen und für den Bruchteil einer Sekunde war mein Blick wieder kristallklar. Doch dann verschwamm mein Blick wieder. Ich schlussfolgerte also daraus, dass ich nicht unbedingt wütend sein musste, um meine verborgenen Kräfte zu aktivieren, sondern es auch mit starker Konzentration schaffen konnte. Dennoch sollte ich nicht solange auf der Stelle verweilen, denn die Sonne ging rasch auf. Bevor ich mich in die Richtung des sehr, sehr feinen Geruches aufmachen wollte, lief ein vermummter Mann auf dem Hauptweg entlang, mir geradewegs vor die Füße. Als er dem besoffenen Heinz auswich, erhaschte ich kurz einen Blick auf einen großen Sack, den er sich über seine rechte Schulter geworfen hatte und auf seinen Bogen, den ich sofort erkannte. Da es noch einigermaßen dunkel war und sich hier jeder so verhielt wie immer, wenn kein Soldat im Orte verweilte, schlüpfte ich rasch aus meinem Versteck und dem schwarzen Umhang hinterher.
»Hallo, Raco! «, begrüßte ich ihn freudestrahlend. Ich konnte sehen, wie er sich erschreckte und hastig seinen Kopf zu mir drehte.
»Was machst du denn hier?! Man wird dich sehen!«, zischte er.
»Keine Sorge. «, sagte ich schwungvoll. »Ich habe keine Soldaten wittern können. «
»Das nennt man riechen! Und außerdem solltest du dies hier anziehen, damit du wenigstens als ein halbwegs normaler Mensch durchgehst! «
Er griff geschmeidig in seinen aufgebauschten Umhang und zog eine kurze Stoffhose heraus. Ich nahm sie nun nicht mehr lächelnd entgegen und zog mir das kratzige Ding rasch über die nackte Haut.
»Wo ist Vila? «, wollte ich anschließend wissen.
»In Sicherheit. «, antwortete Raco knapp. »Wir reden weiter, wenn wir das Dorf verlassen haben. «
Er ging zu den Stallungen die sich am Rande des Dorfes befanden und löste die Zügel von seinem Pferd von der waagerechten Stange. Ich blieb sicherheitshalber auf Abstand, damit das zugegebenermaßen gut aussehende Pferd keine Angstzustände bekam. Und tatsächlich beäugte es mich sehr misstrauisch, wieherte jedoch nicht. Raco warf den schweren Sack auf den Rücken des Tieres und befestigte ihn gut.
»Was ist dort drin? Fleisch? «, fragte ich hungrig.
»Nein, nicht für dich! Du kannst jagen! «
»Och!«
Wir gingen los in Richtung Süden. Während die Sonne nun völlig aufging, liefen wir auf dem felsigen Trampelpfad entlang und informierten uns gegenseitig über die letzten Ereignisse. Ich begann zu erzählen.
»Also ist dieser Drachentöter, wie du ihn so beschreibst, noch am Leben? «, fragte Raco am Schluss.
»Ja, aber er hat sich selbst die Hand gebrochen und ich habe ihm eine Narbe im Gesicht zugefügt. «, erklärte ich.
»Eine gebrochene Hand und Narben stellen für gut ausgebildete Magier kein Problem dar. Mit verschiedenen magischen Gegenständen oder auch Pflanzen kann er die Wunden heilen. «,
erklärte Raco. Ich ließ enttäuscht den Kopf sinken. Also hatte der Drachentöter mir mehr Schaden zugefügt, als ich ihm. Raco erzählte mir, dass Vila während meiner Abwesenheit aufgewacht sei und dass er zurück in Vilas Haus gehen wollte, um Kleidung und Lebensmittel zu holen. Doch ihr Haus sei vollkommen heruntergebrannt, zusammen mit ihrem ermordeten Vater. Also habe er sich in dem Gasthof ›Zur alten Scheune‹ Lebensmittel, Decken und einige abgetragene Kleidung von der Tochter des Wirtes Heinz gekauft.
»Wir sind gleich da. «, sagte Raco schließlich mit einem Blick auf einen hervorstehenden Felsen. »Eins noch. Du solltest möglichst vermeiden Vila zu sagen, was du bist! Sie wäre sicherlich schockiert.«
»Einverstanden. «, antwortete ich. »Wo ist sie? « fragte ich, als ich hoffnungsvoll unter den Felsen spähte und doch nichts außer festes Gestein erkennen konnte. Raco murmelte etwas. Es wirkte so, als wenn ein unsichtbares Tuch herabfallen würde. Ich war drauf und dran, Vila in die Arme zu fallen und sie nie wieder los zu lassen. Doch von Raco gewarnt, hielt ich mich zurück. Denn Vila kannte mich ja in dieser Form noch gar nicht.