Читать книгу Feuersturm der Drachenseele - Oliver Seidenstücker - Страница 3
Drachenbrück – Tumulte im Dorf
ОглавлениеMein Herz schlug immer noch wie wild, während ich über das Flachland in Richtung Heimat rannte. Schließlich hatte ich soeben einem lebendigen Drachen die Schnauze gestreichelt und wer konnte schon von sich behaupten, einen Drachen nur aus nächster Nähe gesehen zu haben. Ich hatte insgeheim schon immer von Drachen geschwärmt und sie nicht wie die anderen verachtet. Doch die Wache hatte ihn in der Todesschlucht gesehen und sofort Alarm geschlagen - Das erste Mal nach gut zwei Jahren. Ausgenommen letzten Frühling, als Hans bei der Wache eingeschlafen, mit seinem dicken Schädel gegen die Glocke geschlagen war und somit einen blinden Alarm ausgelöst hatte. Danach plagten ihn eine ganze Woche lang arge Kopfschmerzen. Das Dorf bestand aus vielen kleinen Häusern, die alle kreuz und quer aufgebaut waren. Die meisten von ihnen bestanden aus den einfachsten Materialien wie Holz, Stroh oder Lehm. Um die Häuser herum wuchs meistens schönes saftiges Gras, welches leider in den letzten Wochen von der unbarmherzigen Sonne in trockenes, totes Gestrüpp verwandelt worden war. Die wenigen Zugpferde, die sich nur noch vereinzelte Bürger halten konnten, fraßen das braune Zeug nur, damit sie nicht verhungerten. Bäume wuchsen hier fast überhaupt nicht. Der nächste Wald begann erst südlich an einem der beiden Berge, die uns beinahe vollständig umgaben. Unser Dorf galt als Brücke zu den Drachenbergen. Es stand am nächsten zu den Gebieten der Drachen und besaß keine Abwehreinrichtungen wie eine Mauer. Wenn die Drachen beschließen sollten, uns anzugreifen, dann würde das Dorf leichte Beute sein, zudem auch die vielen Holzhäuser schnell herunter brennen würden. Doch glücklicherweise war es bisher zu keinem Angriff gekommen, auch wenn er stark provoziert wurde. Hin und wieder kam es vor, dass eine Schar Soldaten des Königs hier rastete, um am nächsten Tag die Berge zu besteigen und einen Kampf anzuzetteln. Sonst zeigten sie sich nur, wenn wieder einmal Steuern abzugeben waren. Dass dabei viele Bewohner Hunger litten und keine Möglichkeit bestand, der Armut zu entkommen, scherte sie nicht. Allgemein gaben sich die Soldaten meist ungehobelt gegenüber den anderen. Wenn sie wütend wurden, zerstörten sie gerne Einrichtungen und plünderten. Sie nahmen sich, was sie wollten, auch wenn es die Jungfräulichkeit eines jungen Mädchens bedeutete. Doch momentan herrschte glücklicherweise Frieden in unserem Dorf. Noch jedenfalls.Denn wenn jemand einen Drachen gesehen hatte, herrschte immer Aufregung im Dorf, meistens noch Wochen nach dem Vorfall. Mein Vater hatte mir erzählt, dass auch die Soldaten des Königs gerufen wurden, die die ganze Situation nur noch verschlimmerten. Auch wenn sich der Drache nie wieder zeigte, wurde ihm der Krieg erklärt. Als ich vor der alten Holztür meines Vaters stand, atmete ich noch einmal tief durch, um mein auffälliges Schnaufen zu beruhigen. Dann schob ich das alte Holz zur Seite und trat in den allzu vertrauten Flur. Es war ein schmaler, kleiner Flur, dessen Boden aus abgetretenen Holzleisten bestand. Zu meiner Linken führte ein türloser Rahmen in einen benachbarten Raum, den wir als Küche und Wohnstube nutzten. Sonst gab es nur noch eine steile, ebenso abgetretene Treppe, die in unsere Kammer führte. Alles in allem hatte das gesamte Haus eine ziemlich düstere Atmosphäre, weshalb ich auch lieber draußen den Tag verbrachte und immer wieder mal Ärger mit meinem strengen Vater bekam.
»Vila? Bist du das? «, fragte er mit ernster Stimme und trat in den Flur. Seine große und abgemagerte Statur zeichnete sich unter seinem teils zerfetzten Wams und seiner kurzen Stoffhose ab. Um seine rechte Hand waren vergilbte Bandagen gewickelt, die eine schmerzhaft entzündete Wunde verdeckten. Er hatte sich die Hand bei der Jagd nach einem jungen Bock verletzt, als er ausrutschte und hingefallen war. Ein dicker Splitter hatte sich durch seine Hand gebohrt und eine gefährliche Entzündung hervorgerufen, die unser Leben noch weiter verschlechterte, da mein Vater jetzt auch nicht mehr richtig jagen konnte. Seine einst dunkelblonden Haare waren mit vielen neuen, grauen Strähnen durchzogen. Das Gesicht wirkte eingefallen und wurde von sorgenvollen Falten zerfurcht, obwohl er noch nicht alt war. Nicht das Alter oder eine Krankheit hatten sein einst hübsches Aussehen so verändert, sondern mehr oder weniger die Soldaten des Königs. Dieses Jahr kamen sie öfter vorbei und zogen Steuern ein, welche in unserem Fall meistens Lebensmittel waren, die wir selbst zum Überleben brauchten. Auch die anderen Dorfbewohner ereilte das Schicksal der Armut und des Hungers. Deshalb hatten wir selbst nur noch wenig zu essen, und das meiste seiner Mahlzeiten gab der Vater mir ab. Wenn ich ihn daraufhin böse anstarrte, behauptete er fest, dass ich ja noch wachse und er deshalb nicht ganz so viel benötige. Er war ein guter Vater, verzichtete selbst auf die nötigsten Lebensmittel, damit es wenigstens seiner Tochter gut ging, während er selbst sich langsam dem Sterben hingab. Doch nun stand er mir gegenüber. Und er stand mir nicht irgendwie gegenüber, sondern mit einer so ernsten Miene, dass ich mein Unglück schon erahnen konnte.
»Wo warst du denn so früh am Morgen? «, fragte er noch
beherrscht. Doch ich wusste, dass das Wasser gleich überkochen würde.
»Hier, Vater. Heilkräuter für deine Hand!« versuchte ich ihm auszuweichen. Schon spürte ich, wie seine gesunde, starke Hand schmerzhaft auf meine Wange traf. Die Heilkräuter flogen mir in hohem Bogen aus der Hand und landeten auf dem verschmutzten Holzboden. Während meine Hand zu meiner heißen Wange wanderte, traten Tränen auf mein Gesicht.
»Hast du das nicht gehört?«, fragte mein Vater wütend, während er in Richtung des Wachturmes deutete. »Sie haben geläutet! Der erste Alarm seit Ewigkeiten und das mitten am helllichten Tag!« Ich wusste, worauf er hinaus wollte, sagte aber nichts. Meine Augen suchten sein ausgemergeltes und wütendes Gesicht.
»Drachen, Kind! Drachen! Was ist, wenn sie uns plötzlich
angreifen und du unter den Opfern bist?« Er schüttelte seinen Kopf, um diesen für ihn furchtbaren Gedanken loszuwerden.
»Du bist das Einzige, was ich noch habe!«, sagte er endlich und schaute mir mit ebenfalls tränenden Augen in die meinen. Schließlich konnte ich ja nicht voraussehen, dass ausgerechnet heute ein gefährlicher Drache auftauchen sollte (den ich auch noch streicheln würde). Nach einer kurzen Pause sagte er leise und voller Trauer:
»Und nun mache das Essen! «
Ich gehorchte wortlos und ging in die Küche, wo alte Töpfe und ein Kamin auf mich warteten. Weinend stellte ich mich erst einmal an die abgenutzte Arbeitsfläche und starrte durch ein kleines, mit Spinnweben verdecktes Fenster. Eigentlich konnte ich meinen Vater verstehen. Er machte sich Sorgen um mich. Besser gesagt, machte er sich immer Sorgen um mich. Da meine Mutter bei meiner Geburt gestorben war, war ich sein Ein und Alles. Aber auf der anderen Seite wollte ich ja auch meine Freiheiten haben, die wie bei allen in meinem Alter manchmal sogar gefährlich sind. Erst nachdem ich mich ein wenig beruhigt und die Tränen abgewischt hatte, schnappte ich mir den großen Holzeimer und verließ das Haus , um Wasser zu holen. Für alle Menschen des Dorfes zugänglich , gab es einen Brunnen, der ziemlich in der Mitte des Dorfes stand. Ich schritt zu dem alten Steinrand, an welchem schon seit langem verschiede Moose wuchsen. Von einem Dach oder einem einfachen Zug, der helfen würde den schweren Wassereimer heraufzuholen, fehlte jede Spur. Nur eine rostige Niete, die tief in einen Stein außerhalb des Brunnens getrieben worden war, hielt das Ende des alten Seils davon ab, durch ein Missgeschick in die Tiefe zu fallen. Ich legte meinen Holzbottich auf den Boden, nahm den Strick und begann den Wassereimer aus der Tiefe hochzuziehen. Der Eimer wog wie immer schwer und das leise knirschende Seil schnitt mir in die Hände. Ein leises Keuchen stahl sich aus meiner Kehle, doch dann kam schon der Eimer in Sicht. Ich schüttete die braune Flüssigkeit in meinen Bottich und entließ den Eimer langsam zurück in die feuchte Dunkelheit. Dass das Wasser eine schlammig braune Farbe aufwies, störte mich nicht weiter. Schon seit langem hatte es nicht mehr geregnet und das Grundwasser im Brunnen ging ganz allmählich zur Neige. Mittlerweile schrammte der Eimer am Grund entlang und wühlte dort den ganzen Schlamm auf. Ich hoffte nur, dass es bald wieder regnete, denn ohne Wasser konnten wir nicht leben. Pflanzen, Pferde, Hühner, Ziegen und Menschen brauchten Wasser, um zu leben. Nur noch einige Tage ohne Wasser würden reichen, um so viele Tiere zu töten, dass das Leben in diesem Dorf nicht mehr möglich wäre. Auch wenn momentan das Gras rund herum verwelkte, war es dennoch meine Heimat, in der ich aufgewachsen war und die ich liebte. Ich schnappte mir meinen Bottich mit dem Schmutzwasser und stiefelte zurück nach Haus.Dort stellte ich den Bottich auf den Boden und widmete mich dem halb vertrockneten Gemüse, welches ich aus der kleinen Speisekammer holte. Ich wusste bereits, wie ich das Schmutzwasser sauber bekam: Ruhe und Zeit. Nachdem ich das Gemüse geschält und geschnitten hatte, schaute ich in den Bottich. Das Wasser sah nun viel klarer aus, denn der Schmutz hatte sich auf dem Boden abgesetzt. Ich musste lächeln. Wenigstens das Wasser gehorchte noch den Naturgesetzen. Ich schöpfte mit einem hölzernen Löffel das saubere Wasser ab und tat es zusammen mit einigen Zutaten in einen Kessel. Dann entzündete ich das bisschen Holz im Kamin mit zwei Feuersteinen und hängte den Kessel darüber. Die Mahlzeit, die daraus entstand, war wie immer wässrig und besaß kaum Geschmack. Doch sie sättigte wenigstens etwas für kurze Zeit. Die Schalen und die Töpfe wusch ich mit dem ohnehin schon verschmutzten Wasser ab und schüttete es hinter dem Haus in das trockne Gras. Anschließend ging ich hinauf in meine kleine Kammer und warf mich, müde wie ich war, in mein heugefülltes Bett. Als ich wieder erwachte, lag ich in einem anmutig erleuchteten Zimmer. Ich schaute mich in dem kleinen vertrauten Raum um. Er war klein und ziemlich leer. Außer meinem Holzbett befanden sich nur noch ein kleiner Stuhl und eine Kleidertruhe mit meiner abgetragenen Kleidung darin. Alles – die Möbel, die Wände, die Decke und der Boden – bestand aus altem Holz. Das Holz war so alt, dass die Maserung deutlich hervortrat. Doch ich mochte diesen alten Raum mit dem kleinen Fenster. Denn immer, wenn zur Abendzeit die Sonne durch das dünne Glas schien, tauchte sie alles in ein faszinierendes, warmes Licht. Und da meine kleine Kammer gerade in diesem fantastischen Licht erstrahlte, musste Abend sein. Aber nicht das Licht hatte mich geweckt, sondern das laute Wiehern eines Pferdes. Nichts Außergewöhnliches, denn ich lebte ja in einem kleinen Dorf mit einigen Feldern drum herum und vielen Jägern. Ergo hielten sich einige der Dorfbewohner Pferde, außer einigen Familien, die sich keine leisten konnten und zu denen bedauerlicherweise wir gehörten. Ich hätte gerne ein Pferd gehabt auf dem ich reiten und das ich pflegen konnte…
Das plötzliche, laute Röhren eines Jagdhornes beendete augenblicklich meine Überlegungen. Nur wenige Edelmänner und einige Soldaten besaßen ein Horn. Und dieser seltsame Laut stammte sicherlich nicht aus einem normalen Tierhorn, sondern aus einem Drachenhorn. Und Drachenhörner besaßen nur Drachenjäger. Entsetzt rappelte ich mich auf und schaute aus dem Fenster. Leider war dies unnütz, da die beiden, dünnen Glasscheiben alles draußen verschwimmen ließen. Also öffnete ich rasch und möglichst lautlos das Fenster und steckte neugierig meinen Kopf hinaus. Schon erkannte ich, dass sich meine schlimmen Vermutungen leider als wahr erwiesen. Denn gut zwanzig edle Reiter kamen geschwind in unser kleines Dorf geritten. Der erste Reiter an der Spitze trug eine lange Fahne, auf die mit glitzernden Fäden das Wappen des Königs gestickt war. Auf seiner silberglänzenden Rüstung funkelte ein kleiner, farbloser Stein. Der zweite Reiter trug das Horn in seiner zügelfreien Hand. Vermutlich waren die beiden Magier, ich war mir aber der Sache nicht sicher. Die anderen Nachzügler wirkten in ihrem Schatten nicht so stattlich und prunkvoll. Ich wusste sofort, was das zu bedeuten hatte. Sie waren auf den Ruf eines Einwohners aus einem der benachbarten Dörfer gekommen , um die Gefahr - meinen orangefarbenen Drachen - abzuwenden. Zudem würden sie tagelang in unserer kleinen Gaststube Einzug halten, sich auf Kosten der Bauern betrinken, speisen und schlafen. Und sicherlich würden sie wieder mit irgendjemandem Streit suchen und einiges an Schaden anrichten. Irgendwann würden sie sich auf die Jagd machen, einen oder mehrere Drachen töten und dann ihre kostbaren Schuppen, Zähne und Hörner mitnehmen. Den Rest des Kadavers würden sie zurücklassen, denn das Fleisch war sehr zäh und vollkommen ungenießbar. Ich mochte diese Drachenjäger nicht. Sie waren ungehobelt und gemein zu allen anderen, die sich nicht in gleicher oder höherer Ranghöhe befanden. Ich setzte mich auf mein Bett mit Tränen in den Augen. Schließlich wollte ich nicht, dass dem orangefarbenen Drachen etwas zustieß. Aber gegen einen gut ausgebildeten Magier würde er wohl nur wenige Chancen haben. Denn Magier sind viel schneller und geschickter als normale Menschen, die den blitzartigen Reflexen von Drachen nur wenig entgegenzusetzen hätten. Am liebsten hätte ich mich der ganzen Ganovenmannschaft gegenüber gestellt, was sicherlich keine gute Idee war. Ich konnte von Glück sprechen, wenn ich ihnen niemals über den Weg laufen würde, was jedoch am heutigen Abend sicherlich geschehen würde. Denn in den abendlichen Stunden begab ich mich immer in die Gaststube ›Zur alten Scheune‹, wo ich die nur allzu bekannten Bewohner dieses Dorfes mit frischem, flüssigem Gold für ihre harte Arbeit auf den Feldern und bei der Jagd belohnte. Alle kannten sich untereinander und sie sangen meistens lustige Lieder nach der harten Arbeit, leicht angeheitert durch den Alkohol. Mir machte das Arbeiten dort sehr viel Spaß und so verdiente ich nebenbei ein paar Münzen, die das Leben meines Vaters und das meine etwas erleichterten. Heinz, der Wirt, Besitzer der Gaststube und mein Meister, war ein in die Jahre gekommener, dickbäuchiger, aber sehr freundlicher Mann. Er war einst einer der besten Jäger im Dorf. Aber als er älter wurde, baute er seine Scheune um zu einem meiner liebsten Plätze. Denn dort roch es immer nach frischem Heu und das alte Gebälk verlieh dem ganzen, großen Raum eine angenehme Atmosphäre, die an Freiheit und Kinderzeit erinnerte. Ja, ich war immer ganz wild darauf, abends in meine Garderobe zu schlüpfen und meine alten Freunde mit Frischgezapftem zu erfreuen. Immer, nur nicht heute. Denn heute würden sicherlich auch diese gemeinen Drachenjäger unser wunderschönes Schankhaus aufsuchen. Und ich war mir ganz sicher, dass diese Männer keine Skrupel kannten und Ärger machen würden. Aber Weinen half ja nicht viel. Also zog ich meinen hübschen Rock und die Arbeitsbluse an, die ich sonst auch immer trug und kämmte meine schillernden Haare glatt. Noch einmal schaute ich in die Wasserschale. Ein blondes, braunäugiges Mädchen schaute mit ängstlichem Gesicht zurück. Dann wandte ich mich ab und begab mich über die steile, abgetretene Treppe zu der alten Eingangstür. Doch kaum war ich in den düsteren Flur getreten, hörte ich einen Ruf aus der Stube.
»Vila!«
»Ja, Vater?«, rief ich zurück. Ich wartete auf eine Antwort. Doch mein Vater kam selbst aus dem Zimmer. Er sah mich mit sorgenvollen Augen an.
»Ich möchte nicht, dass du heute Abend bei Heinz hilfst!«, sagte er ernst.
»Aber Vater ...«, erwiderte ich. »Sicherlich wird er mich schon erwarten.«
»Nein, wird er nicht. Ich habe bereits mit ihm gesprochen und wir beide sind der gleichen Meinung, dass du eine Woche frei bekommst.«
Ich wusste nicht, was ich darauf antworten sollte. Einerseits war ich erleichtert, dass ich in nächster Zeit keine dummen Sprüche oder Pfiffe ertragen musste. Aber andererseits wollte ich den Wirt, den ich gut leiden mochte, nicht mit dieser wilden Meute allein lassen. Aber die Entscheidung war schon getroffen und das nicht von mir. Wie gesagt, mein Vater würde mich niemals einer eventuellen Gefahr aussetzen.
»Ist gut.«, sagte ich nach einer Weile mit tonloser Stimme. Mein Herz fühlte sich dabei an wie aus Stein gemeißelt.
»Am besten gehst du wieder hoch und ziehst dich um. Und da du nicht arbeitest, kannst du uns anschließend das Abendmahl zubereiten!«
»Ist gut, Vater.«, antwortete ich und wandte mich um.
»Vila!«
»Ja, Vater?«
Ich hielt inne und wandte meinen Kopf zu ihm um. Er zögerte
kurz.
»Ich möchte nicht, dass du in nächster Zeit das Haus verlässt«, sagte er schließlich. Mein Magen verzog sich schmerzhaft. In nächster Zeit bedeutete sicherlich so was wie eine Woche. Eine Woche, in der ich nicht hinaus in die Natur durfte. Eine Woche, in der ich nicht auf den Feldern arbeiten konnte und dadurch kein Essen mit nach Hause brachte. Und eine Woche, in der ich nicht nach meinem orangefarbenen Drachen suchen durfte. Eine Woche, die sicherlich unendlich und todlangweilig dahinziehen würde.
»Aber Vater?«, sagte ich atemlos.
»Bis ich es wieder erlaube!«, donnerte er mit ernster Stimme, die das Haus erzittern ließ. »Und nun geh hoch und ziehe dich um!«
»Ja, Vater.«
Ich drehte mich um und stapfte die Treppe hoch.
Ich hatte meine Arme weit ausgebreitet und flog über die Wolken. Dabei ließ ich alle Ängste und Sorgen, alle Schlechtigkeiten dieser Welt hinter mir. Aber ich war nicht allein. Als ich zur Seite schaute, erblickte ich den orangefarbenen Drachen, der dicht neben mir dahin flog. Er wandte leicht seinen langen Kopf und zwinkerte mir mit einem roten Auge zu. Und auf einmal fühlte ich mich so geborgen wie ein Säugling an der Brust seiner Mutter. Ich war mir absolut sicher, dass mir nichts, nichts passieren konnte, solange dieser wunderschöne Drache elegant neben mir herschwebte. Ich jubelte vor Freude und der Drache neben mir ließ ein begeistertes Brüllen ertönen. Doch urplötzlich hörte ich, wie einer dieser Drachentöter einen wilden, unverständlichen Schlachtruf ausrief, der so laut war, als wenn er mir diesen direkt in mein Ohr gebrüllt hätte.
Ich schrak zusammen und öffnete die Augen. Sofort wusste ich, dass ich nicht flog, sondern als Kugel zusammengerollt in meinem Bett lag. Aber um mich herum herrschte noch tiefste Nacht. Zuerst wusste ich nicht, weshalb ich so erschrocken aufgewacht war, doch dann hörte ich es erneut. Ein wildes Geschrei von mehreren Männern dröhnte von der Straße unten empor zu meinem kleinen Fenster. Ich warf eilends die Bettdecke zur Seite, sprang auf und schaute aus dem Fenster.
»Verdammt! «, flüsterte ich, als ich erkannte, was draußen im Schutze der Dunkelheit vor sich ging. Etliche, nein alle Drachentöter hatten sich versammelt und bereiteten sich im Schein von einigen Fackeln mit lautem Geschrei auf die Schlacht vor. Sicherlich würden sie sich gleich zu Fuß auf den Weg zu den Drachenbergen begeben. Dabei mussten sie einen steilen Hang hinauf, der für Pferde unüberwindbar war. Schon wandten sie sich zum Gehen.
»Nein! Nicht ohne mich!«, flüsterte ich voller Tatendrang. Rasch ging ich zu meiner Kleidertruhe, riss den Deckel auf und zog meinen alten Sack hervor, an den ich zwei Lederbänder genäht hatte. So konnte ich ihn auf dem Rücken tragen und ich benutzte ihn immer für längere Wanderungen. So schnell wie nur möglich packte ich einige Kleidungsstücke und eine Decke ein. Danach schlich ich mich auf Zehnspitzen aus meinem Zimmer, in der Hoffnung, dass mich mein Vater nicht hörte. Ich trippelte rasch und vorsichtig die Treppe hinunter und schlich mich dann in die kleine Speisekammer. Um nicht auf der Reise Hunger leiden zu müssen, packte ich mir ein altes Brot und meinen ledernen Wasserschlauch ein. Anschließend begab ich mich zur Haustür. Aber als ich den Knauf drehte, tat sich gar nichts.
»Oh, verdammt!«, fluchte ich erneut. Mein Vater hatte sicherlich die Tür verschlossen. Obwohl das Holz so alt war, dass ich die Tür sicherlich mit einem leichten Tritt öffnen konnte, beschloss ich jedoch die weniger laute Variante zu nutzen. Also schlich ich mich so leise wie eine Hausmaus wieder in mein Zimmer, öffnete das kleine Fenster und kletterte hinaus. Die Bretter an der Hauswand lagen so übereinander, dass ich mühelos an ihnen herunter klettern konnte. Dann folgte ich dem immer schwächer werdenden Schein der Fackeln, der deutlich aus der schwarzen Ferne leuchtete.