Читать книгу Feuersturm der Drachenseele - Oliver Seidenstücker - Страница 9
Ausläufer der Drachenberge – Raco
ОглавлениеIch regte mich ein wenig, doch die Augen hielt ich weiterhin geschlossen. Ich wusste nicht, was geschehen war und wo ich mich befand. Erst nach einigen Momenten fühlte ich mich wieder stark Genug, um sie endlich zu öffnen. Doch erst einmal konnte ich überhaupt nichts sehen, denn alles um mir herum war verschwommen.
»Vila? «, sagte eine besorgte Stimme neben mir. Ich blinzelte, und das verschwommene Gesicht bekam endlich etwas mehr Konturen.
»Vila, wie geht es dir? «, fragte der Jemand vor mir.
»Raco? «, stammelte ich leicht benommen, während ich weiter versuchte sein Gesicht zu erkennen. Und tatsächlich. Nun konnte ich sein Gesicht deutlich in einem kleinen Lagerfeuer erkennen. Ich kannte Raco schon von einigen Begegnungen im Dorf und nahe der Drachenberge. Er war immer freundlich zu den Menschen im Dorf gewesen und wenn etwas fehlte oder eine Krankheit auftauchte, kam er meistens und half, auch wenn er dafür keine Gegenleistung bekommen konnte. Was konnten wir ihm schon geben? Er war ein Magier und ein verflixt guter noch dazu. Seitdem er von seinem Meister, dem alten Dorfmagier, auf einer langen Reise als Waisenkind aufgenommen worden war, hatte er sofort als einer von uns gegolten. Niemand wusste, wo er seinen Ursprung hatte. Vielleicht wusste er es selbst nicht. Vielleicht hat eine Gräueltat in seiner Heimat sein Gedächtnis gelöscht. Oder er wusste, woher er kam, machte aber aus seiner Vergangenheit ein großes Geheimnis. Trotz seiner ungewissen Herkunft war ein ernster aber gutmütiger junger Mann, der fleißig die Magie studierte. Die Umgebung war mir vertraut, auch wenn es finsterste Nacht war. Wir befanden uns unter einen Felsvorsprung. Als Kind hatte ich hier viel gespielt und wir hatten diesen großen Vorsprung als Unterkunft genutzt und Schlafecken aus Heu gebaut. Raco sah sehr müde und traurig aus. Die schwarzen Haare sowie der Umhang hingen an ihm traurig herunter. In seinem ernsten und schmerzlichen Gesicht stand noch die Frage geschrieben, die er kurz nach meinem Erwachen ausgesprochen hatte.
»Wie geht es dir? «, fragte er besorgt. »Hast du Schmerzen? «
Ich antwortete nicht sofort, sondern fühlte erst einmal in mich hinein. Doch da war nichts, was ich spüren konnte, noch nicht einmal seine angenehme Wärme, obwohl er mir ganz nahe war. Mein ganzer Körper fühlte sich an, als wenn er eingeschlafen wäre.
»Ich spüre nichts. «, antwortete ich mit leiser Stimme.
»Dann wirkt die Medizin. «
»Medizin? Raco, was ist passiert? «
»Das wollte ich dich gerade fragen. Wir haben dich nahe der Todesschlucht gefunden. Du hattest einen vergifteten Dolch im Rücken. Und dann wurden wir von Soldaten angegriffen und ich bin mit dir geflohen. Vila was ist vorher geschehen? «
»Soldaten des Königs. «, wiederholte ich nur steif und legte den Kopf in die Handflächen. Und ich hatte ein Messer im Rücken? Aber woher bloß? Doch dann fiel es mir wieder ein. Der Soldat, der mich auf den Drachenbergen gefunden und mich nach Hause gebracht hatte. Wie er mich hatte fangen wollen und mir die Waffe in den Rücken geschleudert hatte. Wie ich geflohen war und wie er kaltblütig meinen Vater ermordet hatte … Schon brach ich in Tränen aus. Wenn ich vorher nichts gespürt hatte, so verspürte ich jetzt die Schmerzen doppelt so heftig. Mein Vater war tot! Ermordet! Ich legte die Ellenbogen auf die Knie, senkte mein Gesicht dazwischen und weinte heftig. Mein ganzer Körper wurde durchzuckt von heftigem Schluchzen.
»Vila? Schschsch....«
Raco nahm mich in den Arm, schaukelte mich leicht hin und her und versuchte mich zu trösten. Doch wie konnte er, schließlich wusste er ja überhaupt nicht, was geschehen war. Erst als ich mich wieder halbwegs unter Kontrolle hatte, konnte ich Raco alles erzählen, was mir in den letzten Tagen geschehen war. Als ich an die Stelle gelangte, da mich mein Vater ein letztes Mal ansah, während er auf dem Boden lag und starb, brach ich ein weiteres Mal ab und gab mich meinem Tränenstrom hin. Obwohl ich nicht viel zu berichten hatte, dauerte meine kurze Geschichte lange und als ich geendet hatte, musste ich wieder weinen. Zuerst war meine Mutter für mich gestorben und nun auch mein Vater. Ich fühlte mich schuldig für den Tod der beiden Personen, die ich am liebsten mit meinem Leben beschützt hätte. Doch ich hatte mich versteckt. Feige. Ich hatte den Weg frei gemacht, damit der Soldat meinen Vater töten konnte. Somit war ich auch zum Teil der Mörder meines Vaters. Ich war für seinen Tod mit verantwortlich! Als ich meine Gedanken mit Raco teilte, gab er mir eine Ohrfeige, die mich für einen Augenblick erstaunen ließ.
»Du bist nicht der Mörder deines Vaters! «, rief er und schüttelte mich. »Nachdem sie dich gefangen genommen hätten, hätten sie ihn genauso ermordet! Egal was du getan hättest, du hättest sein Schicksal nicht ändern können! Doch nun liegt es bei dir, dein Schicksal selbst in die Hand zu nehmen! Du musst überleben! Du musst leben, wie sie es gewollt haben! Verstehst du? «
Ich brauchte einige Zeit, um seine Worte zu begreifen. Meine Mutter hatte sich geopfert, damit ich leben konnte. Und mein Vater hatte sich der Klinge hingegeben, damit ich überleben konnte. Sie würden nicht wollen, dass ich an ihrem Tod zu Grunde ginge. Sie würden bestimmt wollen, dass ich weiter lebte.Raco berichtete mir nebenbei, dass der Soldat auch seinen Meister getötet hatte, als sie mich im Turm versteckt hielten und der Feind die auf dem Tisch liegende Klinge gesehen hatte. Und auch wenn sein Meister, sein Vater gestorben war, fiel er nicht in sich zusammen, sondern sah in seinem Tod eine neue Aufgabe. Doch welche diese war, behielt er für sich. Doch was nun? Zurück nach Hause konnten wir beide nicht mehr, denn sicherlich wurden wir nun verfolgt.
»Was nun? «, fragte ich ängstlich.
»Erst einmal reite ich zurück ins Dorf und besorge Proviant und Kleidung. Dann komme ich zurück. Bis dahin solltest du dich ein wenig ausruhen. Du hast noch ein etwas Fieber. «
»Aber wenn sie mich finden? «
»Das werden sie nicht! Diesen Vorsprung kann man nur spärlich vom Dorfe her erblicken und nur die Einheimischen kennen ihn. Zu deinem Wohl werde ich auch noch einen Zauber um den Vorsprung her errichten, der alle Blicke der Soldaten von dir ablenkt. Du kannst also beruhigt sein. «
Ich nickte und legte mich wieder auf das Heu, welches seinen typischen, angenehmen Duft verströmte. Ich hörte, wie Raco vor dem Vorsprung einige Zauberworte flüsterte und wie er schließlich auf sein Ross stieg und davon galoppierte. Ich konnte nicht schlafen, egal wie sehr ich es auch wollte. Immer wieder gingen mir die letzten Bilder meines geliebten Vaters durch den Kopf. Wie ich oben im ersten Stockwerk den Wachmann und meinen Vater belauscht hatte, wie der Soldat scheinbar meinen Vater umarmte, wie mein Vater umkippte und mir im Sterben direkt in die Augen sah. Wieder begann ich haltlos zu weinen. Ich weinte und weinte, bis ich vollkommen leer schien. Schließlich war ich von den vielen grausamen Gedanken und der tiefen Trauer so erschöpft, das ich endlich in den ersehnten Schlaf entschwebte.