Читать книгу Feuersturm der Drachenseele - Oliver Seidenstücker - Страница 7
Drachenbrück – Flucht
ОглавлениеZuerst spürte ich, dass ich mich in einer merkwürdigen, abgewinkelten Position befand und bei jedem Schritt hin und her schwang. Wurde ich etwa von jemandem auf der Schulter getragen? Das Letzte, an das ich mich erinnerte, waren nasse Felsen und ein tiefer, tiefer Fall. Und ich erinnerte mich verschwommen an orangefarbene Schuppen. Ich öffnete noch leicht benommen die Augen und blickte auf den kahlen Boden. Spätestens jetzt konnte ich mir vollkommen sicher sein, dass ich von einem Mann auf der Schulter getragen wurde. Um mich bemerkbar zu machen, richtete ich mich halb auf. Als mein Träger bemerkte, dass ich wieder wach war und mich rührte, schüttelte er mich einfach von seiner Schulter und ich krachte schmerzhaft auf den staubigen, harten und ausgedörrten Boden. Doch schon umgriff eine große Hand wie ein Schraubstock meinen Arm und ich wurde mit solcher Wucht nach oben gezogen, dass mir kurz die Luft weg blieb.
»Komm mit, Mädchen!«, sagte der Grobian mit fester Stimme zu mir, die keine Gnade kannte. Ich drehte den Kopf, um zu sehen, wer mich da auf diese ungemütliche Art behandelte. Es war einer dieser Drachentöter. Seine Augen funkelten gierig, doch ich hatte keine Zeit, ihn genauer anzuschauen. Denn schon zerrte er mich weiter. Ich versuchte mich zu wehren und wandte mich wie ein Regenwurm.
»Lass mich sofort los!«, rief ich und ruckte heftig an dem Arm. Plötzlich wirbelte der Soldat herum und hielt mir einen spitzen Dolch an die Kehle.
»Wenn du nicht brav bist, dann werde ich dich aufschlitzen, hier und jetzt!«, drohte er mir. Ich blickte ihn zornig an.
»Das wagt ihr nicht! Ihr seid ein Soldat des Königs! Ihr könnt nicht einfach ein unschuldiges Mädchen töten!«, rief ich, während ich verzweifelt versuchte meine Maske aufrecht zu erhalten. Natürlich zuckte in mir die Angst auf und drang bis ins Mark. Doch ich wollte meine Angst nicht zeigen. Der Mann lachte hinterhältig auf.
»Wer soll mich davon abhalten? Der König würde nie von solch einer Tat erfahren. Und wenn er es erführe, dann würde er es als eine Tat der Notwendigkeit abtun. Ich habe schon viele Menschen getötet, und ich schrecke nicht davor zurück, eine junge Frau wie dich zu töten. Du kannst von Glück reden, dass ich heute gute Laune habe und dass du so hübsch bist. Wärst du jemand anderes gewesen, ein Mann aus dem Dorfe oder ein Drache sogar, dann hätte ich nicht gezögert. Also solltest du lieber versuchen, mich bei Laune zu halten!«
Ich sagte nichts, sondern gab nur einen undeutlichen Piepser von mir. Der Soldat knurrte zufrieden, steckte seinen Dolch wieder weg und zog mich weiter in Richtung meiner Heimat. Nach einer Weile erreichten wir schließlich die kleine, wohlbekannte Siedlung. Ohne viel Zeit zu verlieren, zerrte er mich weiter zu dem kleinen Haus meines Vaters. Er hatte mich gezwungen, es ihm zu zeigen. Dort angekommen, trat er ohne großes Federlesen die alte Haustür ein und zerrte mich in den dunklen Flur.
»Was zum Gold des Königs soll…?«
Mein Vater kam fluchend aus der Stube, doch er verstummte, als er den Soldaten sah, der mich immer noch grob gepackt hielt. In seinen Augen konnte ich pures Entsetzen erkennen und ich spürte, wie diese Angst auch von mir Besitz ergriff und mein Denken lähmte. Erst jetzt wurde mir langsam bewusst, warum mich der Soldat nicht einfach hatte laufen lassen, sondern sich die Mühe gemacht hatte, mich durch die halben Drachenberge zu schleifen. Ich war so von dem entsetzten Blick meines Vaters gebannt, dass ich noch nicht einmal bemerkte, dass mich der Drachentöter losgelassen hatte.
»Vater, ich … «
Ich wollte mich für mein unartiges und überaus dummes Verhalten entschuldigen, doch mir wollten die Worte einfach nicht aus meinem Herzen in meinen Mund gelangen. Ich hätte erwartet, dass mich mein Vater anschreien würde, wie er es sonst immer tat, wenn ich wieder einmal unvorsichtig gewesen war. Doch er senkte einfach nur traurig seinen Blick zur Seite, so dass er mir nicht mehr ins Gesicht schaute.
»Geh hinauf, Kind , in dein Zimmer!«, sagte er mit einer merkwürdigen leisen und traurigen Stimme, die ich nicht von ihm kannte. In diesem Augenblick wünschte ich mir meinen wütenden und schreienden Vater zurück, anstelle dieses traurigen und zutiefst verletzt wirkenden Mannes. Tränen schossen mir in die Augen, doch ich gehorchte. Eilends lief ich an ihm vorbei und trippelte geschwind die quietschende Treppe empor. Aber während in mir die Angst tobte und meine Beine beinahe von allein die einzelnen Stufen erklommen, stellte sich mir eine der wichtigsten Fragen, die ich in meinem Leben gestellt hatte. Was würde nun passieren? Als ich im oberen Stockwerk angelangt war, hatte ich bereits meine Ohren gespitzt. Doch die beiden Männer unten im Flur sprachen kein einziges Wort. Scheinbar warteten sie darauf, dass ich sicher in meinem Zimmer angelangt war und somit dem folgenden Gespräch nicht lauschen konnte. Ich öffnete gerade möglichst geräuschvoll meine sowieso schon laut quietschende Tür und schloss sie kurz darauf wieder, ohne dass ich auch nur einen einzigen Schritt über die Schwelle getan hatte. Dann wandte ich mich leise um, legte mich vorsichtig auf den Bauch und spähte vorsichtig unter dem abgegriffenen Holzgeländer zu den beiden Männern hinunter. Nun konnte ich den Rücken meines Vaters und die Brust sowie das Gesicht des Soldaten erkennen. Er hatte ein geschäftsmäßiges Grinsen auf seiner vakanten Visage, welche ebenso hinterhältig wirkte.
»Dank euch, dass ihr meine Tochter wohlbehalten wieder zurückgebracht habt«, bedankte sich mein Vater freundlich. Er überspielte seine Nervosität ganz gut. Nicht das geringste Zittern lag in seiner Stimme. Der Drachentöter antwortete ihm nicht, sondern starrte unentwegt in meine Richtung, ohne mich direkt anzusehen. Sicherlich lag sein fester Blick gerade auf meiner halbsichtbaren Zimmertür, während er angestrengt über etwas grübelte. Mein Vater reagierte auf das Schweigen des Drachentöters mit einem erstaunten Geschick.
»Verzeiht meine Dummheit, Herr. Ich hatte ganz vergessen, dass ihr gerade von einer Schlacht heimkehrt seid. Wenn ihr möchtet, könnt ihr es euch bequem machen, während ich euch Getränke und Speisen zubereite. Sicherlich seid ihr erschöpft und durstig.«
Mein Vater wies mit einladenden Gesten dem fremden Mann die Richtung zu unserer Stube, doch der rührte sich keinen Meter von der Stelle. Immer noch starr auf meine Tür schauend, fragte er:
»Wie werdet ihr eure Tochter für ihr unziemliches Verhalten
bestrafen?«
»Bestrafen?«
»Ihr wisst schon ... «, der Soldat wandte seinen Blick endlich von meiner Tür und schaute nun mit ungeduldiger Miene auf meinen Vater. »Werdet ihr einfach nur mit ihr reden oder werdet ihr die
Tat eines richtigen Vaters verüben und sie mit der Peitsche Respekt lehren?«
Aus den Worten des Mannes konnte ich eindeutig seine Liebe zur Gewalt hören. Auf der Stelle traute ich ihm alles zu. Nicht nur, dass er ein Mörder war, sondern sicherlich seine Opfer auch noch misshandelte und quälte, bevor er ihnen die Kehle durchschnitt.
»Die Peitsche natürlich, Herr«, antwortete mein Vater ohne zu zögern. Doch wir beide wussten, dass er mich niemals mit einem solchen Folterinstrument schlagen würde.
»Nun durch diese Strafe ist aber immer noch nicht meine Großtat beglichen. Und was ist mit den tapferen Kriegern, die ich in der Schlacht verloren habe? Eine angemessene Zahlung würde ich gerne entgegennehmen«.
Ich konnte den strammen Nacken meines Vaters erbleichen sehen und auch mir drang die Angst ins Mark. Wir hatten unsere letzten Vorräte an Gold den königlichen Steuereintreibern gezahlt und andere Wertgegenstände besaßen wir nicht.
»Herr, verzeiht, aber alle Münzen haben wir kürzlich erst an unseren hochgeehrten König gespendet. Wir besitzen nichts mehr, was von Wert für euch wäre. Aber wenn ihr euch ein wenig geduldet, werde ich den Schaden meiner Tochter später begleichen « .
Der Mann achtete nicht weiter auf die Worte meines Vaters, sondern blickte wieder verträumt zu meiner geschlossenen Zimmertür.
»Wie ist der Name eurer Tochter?« fragte der Krieger plötzlich. Mein Vater zögerte, sicherlich verdutzt über diese unangemessene Frage. Dennoch antwortete er ihm wahrheitsgemäß.
»Der Name meiner Tochter lautet Vila. «
»Ich denke … «, der Drachentöter legte eine geheimnisvolle Pause
ein, » … sie würde als Anzahlung genügen. «
Es fühlte sich so an, als würde mir plötzlich jemand Eiswasser über den gesamten Körper schütten und mich in meiner liegenden Position auf das abgetretene Holz fesseln, denn nun wusste ich, was der Drachentöter wollte. Er wollte kein Gold und keine Lebensmittel, davon hatte er sicherlich reichlich. Er wollte mich! Er wollte mich zu seiner Sklavin machen. Aber würde mein Vater die Kraft aufbringen, sich gegen den Krieger zu stellen und mich zu retten? Oder würde er es einfach passieren lassen? Gebannt lugte ich hinunter zu den beiden Männern und wartete auf die Reaktion meines Vaters.
»Mein Herr, ich kann euch meine Tochter leider nicht übergeben. «
»Tragisch!«, antwortete ihm der Drachentöter mit gelangweilter Stimme. Anschließend machte der starke Mann einen Schritt auf meinen Vater zu, so dass sie sich berührten. In Wirklichkeit sah es so aus, als würden sich die beiden Männer freundschaftlich umarmen. Mit der behandschuhten linken Hand hielt er den Rücken meines Vaters, während seine rechte zwischen ihnen verborgen lag.
»Tragisch, dass es so weit kommen musste!«, konnte ich den Drachentöter leise sagen hören. Mein Vater ließ gequältes Stöhnen ertönen. Dann ließ ihn der Krieger wieder los und er fiel rücklings auf den alten Holzboden. Seine Augen fanden nach dem Aufschlag mein halbverstecktes Gesicht und ich erkannte in seinem Blick ein bedauerndes Aufleuchten seiner Seele – zum letzten Mal. Schon verschwand aus seinem Blick jeglicher Glanz und seine Hand rutschte von seiner stark blutenden Wunde seines Bauchraumes, die ich jetzt erst entdeckte. Mein Herz schrie voller Leid und Wut auf und ich konnte den Schmerzensschrei meiner Seele nicht in mir behalten. Er brach aus mir heraus und augenblicklich stand ich auf den Beinen. Der Mann, der gerade noch auf meinen Vater hinab geschaut hatte, wandte seinen erschrockenen Blick nun auf mein tränenüberströmtes Gesicht.Schon jagte er zur Treppe, während ich meine Zimmertür aufriss, in den kleinen Raum stürmte und die alte Holztür hinter mir wieder zuschlug. Während ich laute Schritte auf der Treppe nach oben poltern hörte, stürmte ich zum kleinen Fenster. Ich wusste, dass mir keine Zeit blieb, irgendwelches Hab und Gut zusammenzusuchen. Die alte Holztür meines Schlafgemachs würde den Fremden sicherlich nicht lange aufhalten. Ich riss das Fenster auf und stieg mit einem Bein hinaus. Schon hörte ich, wie der Mann draußen im Gang etwas rief. Ich hätte damit gerechnet, dass er die Zimmertür auftreten würde, aber das tat er nicht. Mit einem ohrenbetäubenden Krach wurde die alte Tür mit Magie aufgesprengt und die Holzsplitter meiner ehemaligen Pforte flogen wie Pfeile durch mein ganzes Zimmer. Auf dem Fensterbrett sitzend , erkannte ich den Krieger, wie er in dem zerstörten Türrahmen stand und mich mit entsetzter Miene ansah. Scheinbar hatte er nicht damit gerechnet, dass ich aus dem Zimmer flüchten konnte. Augenblicklich reagierte er mit unnatürlicher Geschwindigkeit. Genau in dem Moment, indem ich aus dem Fenster und die Pergola hinunterkletterte, zog er einen Wurfdolch aus seinem Lederbund und schleuderte ihn in meine Richtung. Das Metall durchbrach mit ungeheurer Kraft das hölzerne Fensterbrett und erfasste meinen Körper. Der Schlag war so heftig, dass ich nach hinten geschleudert wurde und schmerzhaft auf dem harten Boden landete. Sterne funkelten vor meinen Augen und ich spürte, wie heftige Schmerzen meinen Körper durchfluteten. Alles war so schnell gegangen, dass mich erst jetzt der Schmerz heimsuchte. Aber ich durfte hier nicht einfach so liegen bleiben, ich musste mich aufrappeln und soweit und so schnell wie möglich von hier verschwinden. Denn sonst würde mich der Mann finden und mitnehmen – mir meine Freiheit für immer rauben. Ich öffnete die Augen und stand schwankend auf. Dann drehte ich mich um und verschwand zwischen den Häusern – auf dem Weg zu einem Mann, der mir sicherlich weiter helfen konnte.