Читать книгу Feuersturm der Drachenseele - Oliver Seidenstücker - Страница 8

Ausläufe der Drachenberge – Am Leben

Оглавление

Feuer! Das einzige, was ich spürte, war tobendes Feuer, welches meinen Körper verzehrte – Stück für Stück. Also musste ich tatsächlich im Kampf gestorben sein, denn es gab keine weitere logische Erklärung für die furchtbaren Schmerzen, die ich durchlitt. Entweder der Drachentöter hatte mich erledigt oder der Blitz hatte mein Ende herbeigeführt. Es spielte ehe keine Rolle mehr! Nichts würde je für mich wieder eine Rolle spielen! Doch plötzlich verspürte ich den unerklärlichen Drang, meine Augen zu öffnen, als wenn ich zu lange geschlafen hätte. Ich öffnete sie. Langsam! Im gleichen Moment wusste ich, dass ich vielleicht doch nicht ganz so tot war, wie zuerst vermutete. Das feurige Brennen meines Körpers schwand und versiegte in einem unangenehmen Kribbeln, so dass ich spüren konnte, dass ich auf meinem Rücken lag. Verwundert und noch halbblind zwinkerte ich. Drachen konnten normalerweise nicht auf dem Rücken liegen, aber in welcher Lage sich mein Körper befand, war erst einmal zweitrangig. Hauptsache war, dass ich überhaupt wieder etwas spüren konnte, auch wenn ich bisher nur meine vier Läufe fühlte und meine Flügel sich bisher noch nicht zu erkennen gaben. Wie aber bereits gesagt, was ich fühlte kümmerte mich momentan noch nicht. Eher machten mir da meine Augen Probleme, auf die ich sonst so angewiesen war. Weiterhin zwinkernd versuchte ich meinen Blick zu schärfen, und nach einer kurzen Weile konnte ich über mir am blauen Himmel kleine, weiße Wolken gemächlich dahinziehen sehen. Und weit oben konnte ich nach weiteren Herzschlägen einige Vögel langsam vorbeifliegen sehen. Also nahm ich an, dass meine Augen völlig gesund waren. Dennoch hatte sich etwas verändert. Mein sonst so scharfer Blick wirkte irgendwie verwaschen. Normalerweise konnte ich jeden noch so kleinen Vogel weit oben am Himmelszelt flattern sehen. Und nun erkannte ich nur dunkle sich bewegende Punkte vor dem Blau, die ich zwar eindeutig als Vögel identifizierte, jedoch nicht so genau wie sonst auch sehen konnte. Aber nicht nur die vielen, kleinen Einzelheiten hatten sich verändert, sondern auch meine Farbwahrnehmung hatte sich rapide verschlechtert. Früher hatte ich alles in satten, bunten und strahlenden Farben gesehen und nun? Nun wirkte der Himmel mit seinem matten Farbspiel nicht mehr so klar. Was war nur mit mir geschehen? Und wo befand ich mich gerade? Auf diese Fragen neugierig geworden richtete ich mich auf. Jedoch meldete sich auf die schnelle Bewegung hin mein Kopf mit bohrenden Schmerzen. Automatisch flog meine Hand an meine Stirn und ich kniff die Augen zusammen. Doch Moment? Meine Hand? Erschrocken über diese seltsame Empfindung – keine harten Schuppen mehr zu spüren - schlug ich meine Augen wieder auf und starrte in die orangenfarbene Innenfläche meiner ehemaligen rechten Klaue. Aber meine Klaue war verschwunden, oder besser gesagt, sie hatte sich in eine menschliche, schwache Hand verwandelt. Meinen ganzen Körper durchfuhr ein Schreckensschmerz wie ein Blitz, als ich in meinem Unterbewusstsein begriff, was aus mir vielleicht geworden war. Hastig atmend erkundete ich beide Oberarme, auf der Suche nach wenigstens einer Schuppe. Nichts! Sollte ich wirklich…? Mein Blick wanderte weiter an meinem nackten Brustkorb hinunter, bis er auf eine Decke traf, die ab meiner Taille alle weiteren Einsichten unmöglich machte. War ich wirklich ein Mensch? Ein Junge? Ich riss hektisch die Decke hoch – ich war ein Junge- und was für einer! Aber außer dem Beinpaar konnte ich nichts entdecken, was zu einem Drachen gehörte. Ich stöhnte laut auf. Alles war wie auf den Kopf gestellt. Beide Flügel, mit denen ich sonst mühelos durch die Lüfte ritt, waren verschwunden, und mein Schweif, der zu kurz zum Rudern war, befand sich obendrein noch an der falschen Stelle. Was war nur geschehen? Wie war es geschehen? Eigentlich hätte ich in dem Kampf sterben müssen, aber dies war nicht geschehen. Aber was war dann mit dem Magier geschehen? Nachdenken half mir in meiner ach so mysteriösen Krise nicht weiter, denn ich wusste die Antworten nicht, soviel stand fest. Schließlich war ich sicherlich eine ganze Zeit lang bewusstlos gewesen. Um mir ein klareres Bild von meiner augenblicklichen Lage zu machen, sah ich mich erst einmal mit ungewohntem, unscharfem, einfach menschlichem Blick um. Ich lag auf einem weichen Teppich aus grünem Moos, welches beinahe die Überreste einer Ruine bedeckte. Einer sehr kleinen Ruine, zugegeben. Jeder hätte meinen können, dass hier einmal vor langer, langer Zeit ein Häuschen gestanden hätte, so groß wie ein einzelnes Zimmer. Doch außer dem verfallenen und überwucherten Grundriss, der an manchen Stellen gerade einmal die Höhe eines stehenden, jungen Menschen – oder besser gesagt, die Höhe eines stehenden Drachenbabys - besaß und einem frisch entzündeten Feuer in der Mitte des ehemaligen Raumes, war dem langsamen Verfall der Zeit nichts entkommen. Noch nicht einmal morsche Möbelstücke konnte ich erkennen, als hätte sie jemand einst in frecher Weise dem ehemaligen Eigentümer gestohlen. Plötzlich hörte ich Schritte von schweren Stiefeln, die bereits sehr nahe waren. Schon betrat ein stattlicher, aber noch relativ junger Mann die viereckige Lücke der teilweise verfallenen Wände des Hauses. Er trug einen langen Umhang wie die Magier. Doch das bedeutete nicht, dass er einer sein musste. Ein Magier hätte mich bestimmt mit einem seiner fiesen Tricks durchschaut. Seine ganze Mimik und Körperhaltung dagegen deutete auf Ruhe und Gelassenheit hin, was mich zum sicheren Schluss kommen ließ, dass er einfach nur ein draufgängerischer Wanderer war, der lebensmüde genug schien, um in den Drachenbergen herumzuschlendern. Schließlich gab es hier nicht nur gefährliche Drachen und tiefe Schluchten, sondern auch aus dem Königsland verstoßene Räuber, die nach Besitztümern gierten. In der rechten Faust hielt er zwei braune Hasen, die leblos herunterhingen. Ich hätte ihn schon früher gehört, da war ich mir sicher, aber in diesem verfluchten Menschenkörper schienen auch meine Ohren nicht so ganz zu funktionieren. Mit einem heftigen, erschrockenen Satz sprang ich zurück an die hinterste Steinmauer. Dann ließ ich mein donnerndes Fauchen und Knurren ertönen – jedenfalls versuchte ich es. Kaum hatte ich einen Laut hervorgebracht, verschluckte ich mich an meinem eigenen Speichel, was mein beabsichtigtes Fauchen in ein mickriges Schlucksen verwandelte, so dass ich hustend in die Hocke ging.

»Du bist ja ein komischer Vogel, das muss man schon sagen.«

Verdutzt schaute ich auf. Hatte mich dieser Fremdling eben gerade angesprochen? Richtig angesprochen? Ja! scheinbar hatte er das. Und nicht wie sonst, in einem wütenden Tonfall, wie die Zweibeiner sonst immer mit mir sprachen, kurz bevor sie auf mich losgingen, sondern in einem eigenartigen, hüpfenden Tonfall. Dieser Mann dort vor mir verhielt sich eindeutig belustigt über mein Verhalten. Und ich konnte es ihm nicht verdenken. Überrascht von seiner lustigen Sprechweise, die ich so überhaupt nicht gewohnt war, betrachtete ich ihn, mein Leib weiterhin an die kalte Wand gepresst. Er legte seinen langen Bogen, den Köcher und auch sein mittellanges Schwert zu Boden. Dann kniete er sich vor dem Feuer hin, ohne meinem Körper weitere Blicke zu schenken und begann die Kaninchen auszunehmen, während er weitersprach.

»Ich meine, die Drachenberge sind wohl ein gefährlicher Ort für solch einen Halbausgewachsenen, wie du es einer bist. Du kannst dich glücklich schätzen, dass ich dich früher gefunden habe als die Drachen!«

Er warf mir einen raschen Seitenblick zu.

»Du brauchst keine Furcht vor mir zu haben. Ich werde dich schon nicht beißen!« Seine dunklen Augen drangen so tief in die meinen ein, dass ich seine warmen Worte nicht als Lüge aufgreifen konnte. Aber erst als er seinen Blick wieder dem halbausgenommenen Hasen zuwandte, konnte sich mein menschlicher Körper wieder etwas entspannen. Ich wich kaum merklich von dem kalten Gemäuer zurück. Dann versuchte ich mit meinem Mund zum ersten Mal Worte zu bilden. Ich kannte die menschliche Sprache durch meine ständigen Beobachtungen an der Todesschlucht nur zu gut und scheute mich daher nicht, sie selber einmal zu formulieren und auszusprechen.

»Wer… bist… du?«

Die Wörter kamen nur langsam aus meinem Mund, aber wenigstens stotterte ich nicht und machte mich somit auch nicht lächerlich.

»Das Gleiche könnte ich dich fragen!«, antwortete mein Gegenüber und warf mir ein leicht spöttisches Grinsen zu. Sofort war mir klar, dass er auf meinen unbekleideten Körper anspielte. Und auch das konnte ich ihm nicht übel nehmen. Aber ich würde ihm meine Geschichte nicht erzählen, nicht erklären, warum ich unbekleidet durch die Berge streifte. Jedenfalls jetzt noch nicht! Da meine Lebensgeschichte den Mann hinter dem Feuer sicherlich nur verunsichern und letzten Endes nur gegen mich aufbringen würde, schwieg ich. Glücklicherweise fragte der Fremde mich auch nicht weiter aus, sondern konzentrierte sich weiter darauf, die Hasen als leckeres und bekömmliches Mahl zuzubereiten.Es war so, als wenn wir genau in diesem Augenblick und ohne auch nur ein einziges Wort miteinander auszutauschen, ein gemeinsames Abkommen geschlossen hätten, welches jede Frage über unsere Vergangenheit verwehrte. Wir schwiegen eine Weile, und während er weiter die beiden Hasen zubereitete, fiel jegliche Anspannung von mir ab. Ich setzte mich zurück auf das weiche Bett aus Moos und schaute dem Fremden bei seiner Arbeit zu. Nachdem er ihnen das Fell über die Ohren gezogen und sämtliche Organe entfernt hatte, griff er zu einem der vielen Stoffsäckchen, die er an der rechten Seite seines Gürtels trug. In ihnen befanden sich verschiedene Gewürze, er nahm sie heraus und rieb das frische Fleisch damit ab. Zum Schluss steckte er die Hasen auf zwei Holzstäbe und platzierte sie geschickt auf gegabelte Äste, so dass sie mit ausreichendem Platz über dem Feuer hingen und schön durchgaren konnten. Nach getaner Arbeit hätte man meinen können, er würde sich entspannt zurücklehnen und auf das Abendessen warten, doch dies tat er nicht. Er stand auf, ging zu seiner Stofftasche, die an einer verfallenen Wand nahe dem Eingang lehnte und begann darin herumzuwühlen.

»Da … fang!«, rief er. Reflexartig griff ich nach einem Stoffknäuel, welches auf mich zuflog.

»Ziehe dir das über!«, sagte er rasch. Obwohl ich nichts gegen die Nacktheit hatte, tat ich wie mir geheißen wurde. Schließlich war es bei den Menschen normal, sich in komisch aussehende Stoffe zu kleiden. Und um nicht sonderlich aufzufallen, sollte ich mich dieser komischen Art wenigstens ein bisschen anpassen. Also zog ich mir die Stoffe über die nackte Haut, wobei ich mich immer wieder an der Kleidungsweise des Fremden mir gegenüber orientierte, um keine peinlichen Fehler zu machen. Nachdem ich mich nach einiger Zeit und mit etlichen Berichtigungen des Mannes am Feuer angekleidet hatte, setzte ich mich wieder auf meine weiche Schlafstelle aus grünem Moos. Zuerst schwiegen wir , während ich in das prasselnde Feuer starrte und mich zu orientieren versuchte. Erst nach einer Weile hatte ich meinen neuen Körper soweit akzeptiert, dass ich ihm Fragen stellen konnte:

»Wo hast du mich gefunden?«, kam es langsam aus meinem Mund – meine Lippen gehorchten mir noch nicht so richtig.

»Ich befand mich gerade an einer sehr gefährlichen Stelle, um gewisse, magische Pflanzen zu suchen. Und auf einer Hochebene habe ich dich dann gefunden. Du hattest Glück, dass dich nicht die Drachen gefunden haben! Denn solch eine halbe Portion, wie du es bist, fressen sie glatt als Vorspeise für ihr Morgenmahl«, scherzte er. Doch mir war nicht zum Scherzen zu Mute, denn anscheinend wusste dieser Mann, wo wir unseren Hort – mein Zuhause – hatten. Auch machte ich mir Sorgen um seine Wortwahl, denn normale Menschen sprachen nicht von magischen Pflanzen. Dies taten in der Regel nur einige friedliebenden Völker, wie die Neutralen (über die ich natürlich vielerlei Geschichten vom Drachenältesten gehört hatte) und die Magier! Eine für uns Drachen besondere gefährliche Gruppe von Menschen, die gnadenloser, brutaler und mächtiger waren als die anderen Zweibeiner. Ein Zusammentreffen zwischen beiden – Drache gegen Magier – ging etwas öfter gut aus für den Magier. Und nun saß mir einer von diesen schrecklichen und gefährlichen Wesen direkt gegenüber und … und lächelte mich freundlich an. Plötzlich war ich wie verwirrt. Waren die Menschen und Magier vielleicht gar nicht so bösartig, wie vom Drachenältesten beschrieben? Aber um nicht durch mein langes Zögern aufzufallen, fragte ich weiter und versuchte ihn von dem Thema Magier und Drache so weit wie nur möglich abzubringen.

»Und ... das?«, fragte ich und deutete mit meinen Blick auf die vermoderten Überreste dieses Hauses, welches ich nur einmal aus weiter, weiter Entfernung gesehen hatte. Hierher geflogen war ich noch nie, da es ziemlich südlich lag, nahe an einem der zwei Berge, welche die kleine Ortschaft umgaben.

»Diese altehrwürdigen Mauern bildeten vor langer Zeit das kleine Häuschen meines Meisters, der hier lebte und die Magie studierte. Doch nach einem unglücklichen Konflikt der Drachen und der Menschen kamen die Drachen hierher und zerstörten das Gebäude. Seitdem lebt der Meister in einem Turm nahe Drachenbrück«.

›Klasse Ablenkungsmanöver!‹, tadelte ich mich. In dieser Erklärung waren mehr feindliche Worte als in seiner letzten. Aber zum Glück schien ihn allein mein Aussehen von den Gedanken fernzuhalten, dass ich vielleicht ein Drache sein könnte oder es war. Er stürzte sich jedenfalls nicht wie ein hungriger Wolf auf mich, um mich zu fressen, dafür hatte er ja auch seine Hasen Also sollte ich ihn auch erst einmal nicht angreifen, sondern vielleicht die Gelegenheit nutzen und den seltsam ruhigen Magier aus der Nähe studieren. Vielleicht entsprachen die gruseligen Geschichten des Ältesten doch nicht ganz der Wahrheit. Niemals, auch wirklich niemals würde ich von irgendjemand, besonders nicht von einem Menschen, Nahrung annehmen! Aber nachdem ich in diesen furchtbaren engen und unbequemen Körper gepresst worden war und mein Magen bei dem Anblick des saftigen Hasenbratens laut rumorte, konnte ich dem Angebot des Fremden doch nicht widerstehen. Und somit stellten wir alle weiteren Diskussionen erst einmal ein und widmeten uns dem frischen Fleisch. Eine so kleine Ration hätte ich eigentlich in einem Biss heruntergeschlungen. Doch dieser kleine menschliche Mund schien dafür nicht geschaffen zu sein, im Akkord Nahrung aufzunehmen. Deshalb richtete ich meine Essgewohnheit ganz nach dem Vorbild des Fremden und begann den Hasen Stück für Stück zu essen. Das teils knusprige Fleisch schmeckte hervorragend. Die verschiedenen Gewürze unterstrichen den typischen Geschmack des Hasen. Durch das Braten über dem offenen Feuer zerfiel das Fleisch zart und saftig auf der Zunge. Ich konnte nicht anders, als meine üblichen Fressmethoden, Maul auf und rein, über die Schulter zu werfen und den Festschmaus zu genießen. Warum waren wir Drachen nicht darauf gekommen, unsere Beute mittels Feuer zu garen, bevor wir uns deren Fleisch zuwandten. Wir waren doch die Spezialisten, wenn es ums Feuer ging! Normalerweise schliefen Drachen, nachdem sie etwas zu sich genommen hatten oder machten zumindest eine kleine Verschnaufpause. Das gute Fleisch sollte ja schließlich genügend Zeit haben sich zu legen, und ein kleines Nickerchen schadete sowieso nie! Aber dieser komische Zweibeiner zog es doch gerade nach der deftigen Speise vor, sich auf den Rückweg zu machen, wobei er sich um mich wenig Gedanken machte. Ich folgte ihm aber schweren Herzens und mit genauso schweren Schritten. Schließlich konnte ich nicht mit meinem jetzigen Erscheinungsbild zurück in meine Heimat. Die Drachen – meine eigene Familie – würden mich ohne Zögern zerreißen. Also stolperte ich nun mit schwerfälligem Schritt dem Menschen hinterher, immer in Richtung Norden, in Richtung der Todesschlucht. Mich wunderte es, dass er nach dieser für einen Menschen doch großen Mahlzeit, wie ich nun am eigenen Leib spürte, so locker den felsigen Bergweg entlanggehen konnte. Scheinbar waren es die Menschen überhaupt nicht gewohnt, sich nach einem guten Mahl auszuruhen. Dieser zumindest nicht! Doch es sollte nicht lange dauern und ich würde bald wieder fast der Alte sein. Es war schon beschwerlich genug, eine lange Reise zu bewältigen. Aber noch schwerer schien es mir, mit einem vollen Magen durch die felsigen Landschaften zu streifen und dabei einen Körper zu steuern, der mir erst seit wenigen Stunden gehörte. Dennoch kam ich nicht umhin, die seltsame Schlucht, in die wir uns gerade begaben, zu begutachten. Der Pfad verlor deutlich an Höhe und war auch nur noch drei Schritt breit, während an unser Linken und Rechten Felsen steil in die Höhe ragten, die etwa die Höhe von drei übereinander stehenden Männern besaßen. Mit einiger Mühe hätte ich diese Abhänge sicherlich empor klettern können, aber das brauchte ich nicht, da nur etwa zehn Schritte weiter die erhobenen Steilkanten sich wieder gen Erdboden senkten und schließlich mit ihm verschmolzen. Die langsam untergehende Sonne konnte ich nun nicht mehr sehen, da sie hinter dem dunkler werdenden Spalt, hinter den Drachenbergen versank. Alles schien ruhig. Doch irgendetwas beunruhigte mich und ich fühlte mich gezwungen, mich noch genauer umzusehen. Irgendwie fühlte ich mich von unzähligen Augen beobachtet, beinahe nackt, was mich sonst nicht sonderlich gestört hatte. Doch ich erkannte nur kalten Stein, überall wo ich hinsah, am Boden vor uns und an den steilen Hängen an unseren beiden Seiten. Trotzdem! Irgendetwas schien hier nicht zu stimmen. Und es waren nicht die vereinzelten Stimmen verschiedener Vögel, die sich hartnäckig an das raue Bergleben angepasst hatten. Als wir uns ungefähr in der Mitte der Senke befanden, trat eine große und sehr breite Schattengestalt an den Ausgang und versperrte uns somit den Weg. Mein Begleiter blieb augenblicklich stehen und ich tat es ihm gleich.

»Sieh an, sieh an!«, raunte die Schattengestalt. »Was haben wir denn hier? Einen verirrten, kleinen Magier und seinen Gehilfen? « Der Magier neben mir hob langsam und ohne ein Wort die Hand.

»Von Magie würde ich euch abraten! «, sagte der Schatten rasch, mit barschem Tonfall und schnippte mit den Fingern. Auf der Stelle erschienen gut zwölf weitere Männer: Je vier auf jeder Seite der Schlucht und vier weitere Schatten hinter dem Ersten. Die Person neben mir ließ ihre Hand wieder sinken. Ich wusste, wer diese Männer waren. Nicht allein ihre rüde Art hatte meinen Verdacht bestätigt, sondern auch der penetrante Gestank nach Schweiß und Schmutz, der von ihnen ausging, und den ich auch ohne meine feine Drachennase deutlich im Abendwind wittern … ich meine riechen konnte. Es waren Abtrünnige des Königs – Mörder und Diebe, die den Schutz der Drachenberge für sich nutzten und sich hier versteckten. Kaum ein Mensch, der noch bei Verstand war, traute sich hinter die Todesschlucht, nur selten die Krieger und Magier des Königs, um Jagd auf Drachen zu machen. Keiner machte sich die Mühe die Verräter zu schnappen. Diese Halunken versteckten sich gut. Selbst wir Drachen hatten bisher selten das Vergnügen, einen von ihnen als Gast beim Schmaus zu haben. Die Waffen, die sie benutzen, stammten entweder aus der Vergangenheit, als sie noch wie gewöhnliche Menschen in einem gewöhnlichen Dorf hausten und waren dem entsprechend abgegriffen und stumpf. Oder sie bestanden aus einfachsten Materialien, in der Not gebaut, wie die Bögen. Viele von ihnen waren krumm und hielten nicht viel aus. Die Pfeile bestanden ebenso aus jämmerlichem Material, einfachem Holz, welches hier und dort gefunden und ein wenig zurechtgeschnitzt wurde. Keiner dieser Pfeile würde weit fliegen.

»Gebt uns eure Waffen, Schilde, Heilkräuter und Nahrungsmittel, und wir werden euch passieren lassen! Falls nicht, … «

Der Räuber unterbrach sich und ich hörte das Knarzen der alten Bögen, die sich stärker spannten. Die Drohung war eindeutig. Aber sie erreichte nicht ihren gewünschten Zweck, sondern machte mich nur wütend.

»Gauner, wie ihr es seid, verdienen es nicht, sich in diesen Ländereien der Drachen herumzutreiben, als wäre es ihr eigenes Land! «, sagte ich mit Nachdruck in meiner Stimme, während ich vor den Magier trat, der mich kürzlich gerettet hatte. Kein unerfahrenes Zucken lag in meiner Stimme, nur Zorn, der eine überraschte Pause zur Folge hatte. Dann aber lachte der Anführer der Meute laut auf:

»Du glaubst wohl, du könntest uns etwas anhaben, wenn selbst die Soldaten des Königs unserem Zorn unterlagen! «

Sein Spott brachte mich in Rage und ich ballte meine Fäuste. Hinter mir hörte ich den Magier etwas Warnendes flüstern, doch ich ignorierte ihn.

»Ihr seid der ganze Abschaum der Menschheit! «, provozierte ich ihn weiter. »Ihr seid weniger wert als die Ratten in euren Höhlen, in der ihr euch feige, wie ihr seid, verkriecht! «

Meine Worte hatten ihre gewünschte Wirkung erzielt. Schon rief der Mann einen Schlachtruf aus und zog seinen krummen Säbel, während acht Pfeile zum Angriff ausgeschickt wurden. Und dann geschah es: Während die Pfeile auf mich zusegelten, schien die Zeit um mich herum träge zu werden, und alles verlor an Geschwindigkeit. Im gleichen Moment spürte ich ein fast unangenehmes Kribbeln in allen meinen Muskeln, als wollten sie ihre volle Stärke mit einem Schlag präsentieren. Mein Blick wurde schärfer, meine Nase feiner und mein Gehör hellhöriger. In diesem einen Moment der Gefahr schienen sich meine ganzen Sinne und meine Kräfte wieder denen eines Drachen anzupassen, obwohl sie immer noch von der einstigen Stärke und Intensität entfernt waren. Ich drehte mich augenblicklich und leicht ausweichend auf der Stelle, wobei ich jeden Pfeil aus der Luft pflückte, der mir eigentlich den Tod bringen sollte. Als ich meine Drehung beendet hatte, schickte ich jeden Pfeil wieder in seine ursprüngliche Richtung. Acht Aufschreie verrieten mir, dass ich jeden Angreifer mit Bogen getroffen hatte, auch wenn ich die Männer nicht getötet hatte. Hinter mir hörte ich, wie der Magier ebenfalls seinen Langbogen hob, in verlangsamter Sprache ein magisches Wort murmelte und vier Pfeile gleichzeitig auf die Reise schickte. Einer von ihnen streifte mit einer Feder freundschaftlich meine rechte Wange. Ich sah, wie die vier Pfeile schnurstracks auf die Männer hinter dem Anführer zuflogen, wobei einer leicht im Wind trudelte und sicherlich sein Ziel nicht treffen würde. Ich setzte zum Spurt an und rannte auf die Männer zu. Kurz nachdem die drei Pfeile getroffen hatten (wobei der vierte, wie vorhergesehen, daneben ging) stieß ich dem verfehlten Nebenmann des Anführers meine Faust in die Lederrüstung, drehte mich abermals, entwaffnete den Anführer mit einem Schlag und hielt ihm seine eigene Klinge an die Kehle. Schlagartig holte mich die Zeit wieder ein und erreichte ihre normale Geschwindigkeit. Das Resultat dieses kurzen Kampfes: Acht Männer auf der Klippe waren irgendwo von ihren eigenen Pfeilen getroffen und knieten oder lagen jammernd auf dem Klippenrand. Die drei anderen Kerle hinter mir lagen auch auf den Boden, außer Gefecht gesetzt von einem Meisterschuss des Magiers. Einer kniete noch neben mir, von meinem Faustschlag kampfunfähig und sicherlich mit mehreren gebrochenen Rippen und der von seiner eigenen Klinge bedrohte Anführer mit gebrochener rechter Hand schaute verdutzt und ängstlich aus der Wäsche. Mein ehemaliger Retter in der Klippe nickte mir zu.

»Wartet! Wartet! «, keuchte meine Geisel. »Ich habe Schätze! «

»Was soll ich mit nutzlosem Gold und wertlosen Juwelen?! «, fragte ich ihn mit tiefer Stimme.

»Was kann ich euch sonst anbieten? Was wollt ihr? «, fragte er ängstlich. Ich überlegte kurz.

»Ich möchte euer Wort, dass ihr nie wieder jemandem Unrecht antut! Und ihr schuldet mir einen Gefallen! «, sagte ich bestimmt.

»Alles was ihr wollt! «, kam die ängstlich zuckende Antwort.

»Ich nehme euch beim Wort! «, sagte ich. Dann stieß ihn von mir.

»Geht! Versorgt eure Verletzten und haltet euer Versprechen!«

»Hier! «, sagte der Magier und warf einem der Männer einen Stoffbeutel mit Heilkräutern zu, mit denen sie sich wieder gesundpflegen konnten. Sicherlich würde diese Tat einigen das Leben retten. Die Verletzten rappelten sich auf und humpelten davon. Der Magier trat zu mir und wischte sich die verschwitzten, schwarzen Haare aus dem Gesicht.

»Du bist wahrhaftig ein sehr eigenartiger Genosse! « sagte er. Ich schaute ihn fragend an.

»Nicht nur, dass du dich beinahe genauso schnell wie ein Magier bewegst , und das ist schon beträchtlich, sondern dass du auch jemandem mit einem einzigen Schlag sämtliche Rippen brechen kannst. Doch vor allem verraten dich ... deine Augen! «

»Meine Augen? «, wiederholte ich geistesabwesend.

»Es schien so, als würdet du mit den Augen eines ...

Drachen kämpfen. «

»Du musst dich geirrt haben! «, winkte ich ab und wandte meinen Blick zur Seite.

»Wie dem auch sei! «, sagte der Magier, der sich scheinbar nicht aufdrängen wollte. Scheinbar hatte er wirklich etwas Verräterisches an mir gesehen, aber er machte sich ganz offenbar keine Gedanken darüber, wer ich war und was ich zu verheimlichen suchte. Während wir so dahin gingen, und ich immer mehr in meinen Gedanken versank, stieg mir ein bekannter Geruch in die Nase. Er war ganz fein, und wäre er nicht auf einer ganz leichten Abendbrise an mir vorbeigestrichen, hätte ich ihn überhaupt nicht wahrgenommen. Ich schnüffelte mit meiner stumpfen, menschlichen Nase, um den so überraschenden Geruch noch einmal in mir aufzunehmen. In dem Schweif der Brise lag ein Hauch von Würze. Ich brauchte nicht zu überlegen, woher ich dieses einzigartige Aroma kannte.

»Vila! «, hauchte ich kaum vernehmbar.

»Was? «, kam es von meiner Seite her.

»Komm mit! «, rief ich und sprintete los. Nach knapp dreiundzwanzigeinhalb Schritten, in einem besonders hügeligen, unübersichtlichen und felsigen Teil der Drachenberge blieb ich stehen. Ich schloss meine Augen und schnüffelte erneut. Der würzige Geruch war nun viel stärker, doch mischte ich darunter noch eine viel aggressivere Note, die mir die Haare zu Berge stehen ließ. Blut! Verzweiflung durchströmte meinen Körper, als ich die Geruchsnoten zu einem Gesamtbild zusammensetzte. Ich rannte los und erreichte nach einem kurzen Spurt schließlich einen steilen Abhang, auf dem eine schlaffe Gestalt des mir so bekannten Mädchens lag. Sie lag bewegungslos auf dem Bauch. Ein Säbel ragte ihr aus dem Rücken und frisches Blut sickerte zwischen der Wunde und dem glänzenden Metall hervor.

»Vila! «, sagte ich noch einmal, diesmal mit zittriger Stimme. Ob sie lebte oder nicht, konnte ich nicht sagen. Seitdem ich kein Dache mehr war, hatte ich keinerlei Herzschlag mehr hören können, außer vorhin bei dem Kampf, als meine Sinne sich seltsamerweise wieder verschärft hatten. Aber dafür hatte ich jetzt keinen Kopf. Schon fuhr meine Hand geistesabwesend zu dem edlen Griff der Waffe, um sie herauszuziehen.

»Das würde ich an deiner Stelle unterlassen! «

Ich wandte mich um. Der Magier kam mir langsam entgegen.

»Wenn du den Dolch in diesem Ödland aus der Wunde ziehst, wird sie verbluten! «

Ich richtete mich auf, und er nahm meine kniende Position ein. Seine Finger suchten die Halsschlagader des Mädchens und fühlten ihren Puls.

»Sie lebt, gerade noch so. Sie ist sehr schwach. «, diagnostizierte er.

»Und was sollen wir jetzt machen? «

Er blickte in die Ferne und ich folgte seinem wandernden Blick. Erst jetzt erkannte ich, wo wir uns befanden. Vor uns im schrägen Winkel lag die langgezogene Todesschlucht und etwas weiter nördlich auf einer kleinen Hochebene stand ein runder Turm.

»Erkennst du den Turm, dort hinten? Wir werden sie zu meinem

Meister bringen! «

Klasse! Noch einer von diesen Magiern! Aber um Vila zu retten, würde ich alle Hilfe entgegennehmen, die mir geboten würde, selbst von diesen Magiern. Derjenige vor mir griff bereits geschickt unter ihre Kniekehlen und ihren Oberkörper und hob sie hoch.

»Soll ich sie nicht…«, begann ich, da ich befürchtete, er könnte ihr etwas antun oder sie fallen lassen.

»Nein! «, erwiderte er nun leicht keuchend. Ich erwiderte nichts, obwohl ich es nicht gern sah, dass ein Fremder das Mädchen trug, was ich mochte. Aber nun, durch die Gefahr des Todes beflügelt, lief er deutlich schneller und ich hatte etwas Mühe ihm zu folgen. Schon bald hatten wir die gefährlichen Ränder der Todesschlucht hinter uns gelassen und gingen geradewegs auf einem kleinen Pfad auf den Turm zu, der nun dicht vor uns lag. Er war nicht besonders groß: zweistöckig mit einem flachen und roten Ziegeldach, an denen schon diverse Moose wuchsen. Der Magier öffnete die runde und kleiner wirkende Tür mit einem gemurmelten Zauberspruch und betrat den Turm. Ich folgte ihm, wenn auch möglichst unauffällig – hin und her gerissen zwischen der Gefahr, entdeckt zu werden und deshalb diesen Turm besser nicht zu betreten, und dem Wunsch, die Kleine unbedingt zu beschützen und deshalb das Wagnis einzugehen. Als ich in den runden Raum des Erdgeschosses eingetreten war, wich ich prompt zur Seite in den Schatten eines an die runde Wand angepassten und voll gestopften Bücherregals und verfolgte nun vollkommen unsichtbar das weitere Geschehen. In der Mitte befand sich ein alter Tisch, auf dem etliche Bücher lagen. Daneben hatte bis vor kurzem noch ein alter Mann auf einem Schemel gesessen, der sich jedoch erhoben hatte, als er die Geräusche der sich öffnenden und wieder schließenden Tür gehört hatte. Sein Gesicht blieb jedoch durch eine braune Kapuze verborgen.

»Raco? Was ist denn geschehen? «, fragte der Alte mit zittriger Stimme, als er sein Gesicht seinem Schüler mit dem bewusstlosen Mädchen zuwandte. Raco hieß der Knabe also!

»Ich habe sie in den Drachenbergen gefunden, Meister! «, antwortete nun der Angesprochene.

»Distaerecai! «, sagte der Alte und prompt wurden durch einen Luftstrom alle Bücher und Pergamentrollen vom Tisch gewedelt, so dass Raco Vila mit dem Bauch nach unten auf den Tisch legen konnte. Sofort kam der reichverzierte Dolch wieder zum Vorschein. Der Alte fuhr mit der Hand ganz nahe und ohne eine Berührung über den Rücken des Mädchens und über den Dolch.

»Weißt du, was geschehen ist? «, fragte er, während er sich scheinbar Vila anschaute.

»Nein, Meister. Wir haben Vila schon so gefunden. «

Der Alte zog zischelnd die Luft ein, als wäre er sich einer Sache nicht ganz sicher.

»Ich weiß nicht…«

»Könnt ihr sie nicht einfach heilen? «

»Nein! Dieser Dolch ist kein gewöhnlicher Dolch! Er stammt von einem Magier, der dem westlichen König sehr nahe steht. Dieser Dolch ist böse und trägt den Tod in sich, ausnahmslos! Aber ... Sie...«

»Was meint ihr damit, Meister? «

Der Alte antwortete nicht, sondern unterbrach seine Untersuchung und wich von Vila zurück. Dann griff er in die Luft und ein Fläschchen von einem benachbarten Regal flog in seine Hand. Er öffnete es und goss die Flüssigkeit, die wie einfaches, klares Wasser aussah, auf den funkelnden Knauf des Dolches. Die Flüssigkeit rann über den verzierten Griff, über das herausragende, glänzende Stück der Klinge und dann über ihre linke Seite auf den Tisch zu. Doch ehe sie auf das alte Holz traf, hatte der Alte geschwind eine Schale untergelegt, die restlos das Wasser wieder einfing. Die Flüssigkeit hatte sich nicht großartig verändert, außer dass sie nun durch das Blut einen rötlichen Schimmer bekommen hatte. Der Alte drehte sich um und griff nach einem Gefäß, welches scheinbar nur mit einfacher Erde gefüllt war. Dann griff er gewandt zu seinem Gürtel, zog ein Samenkorn heraus und steckte es fingertief in die Erde. Schon murmelte er einen Spruch und frisches Grün ringelte sich aus der Erde. Zum Schluss nahm er die Schale mit der leicht rötlichen Flüssigkeit und goss sie in den Blumentopf. Plötzlich bekam die Pflanze ungesunde schwarze Flecken und ehe man sich versah, zerfiel sie zu Asche. Raco sah mit verschrecktem Gesichtsausdruck auf den Blumentopf.

»Dachte ich es mir doch! «, sagte der Alte scheinbar zufrieden mit sich selbst, da er offenbar das mysteriöse Rätsel der unscheinbaren Klinge gelöst hatte.

»Meister! «, brachte Raco nur keuchend hervor.

»Magic Colochicum autumnale . Die giftigste, magischste Pflanze, die es auf der Welt gibt. Tötet ausnahmslos. «

»Aber warum wirkt das Gift nicht bei ihr? «, fragte Raco.

»Eine besondere Gabe lässt sie leben«, vermutete der Alte eher in den Raum als zu seinem Gehilfen. »Wichtig ist erst einmal, dass wir sie heilen! «

Kaum hatte der Alte das gesagt, schnipste er mit seiner dünnen Hand und der funkelnde Dolch fuhr aus dem Körper heraus, wobei das Blut spritzte. Dann verlief alles ganz schnell. Der Alte griff abermals zu seinem Gürtel, holte eine Hand voll mit schwarz glitzerndem Pulver hervor und ließ es mit leisem Gemurmel auf den Rücken des Mädchens fallen. Es war nicht das normale Gemurmel eines Zauberspruches, sondern etwas viel Mächtigeres. Tausende, geisterhafte Stimmen schienen sich in die leisen Worte des Mannes mit einzuweben und man hatte plötzlich das seltsame Gefühl, in einem kleinen Raum mit Tausenden Menschen zu sitzen, die sich alle flüsternd im Einklang unterhielten. Plötzlich erhellte ein gleißendes Licht den runden Raum und erlosch sofort wieder. Dann war es auch schon vorbei.

»Das sollte genügen. «, sagte der Alte mit seltsam geschwächter Stimme und ließ sich in seinen Stuhl zurückfallen, mit einer Hand, die seinen schweren Kopf stützen musste. »Die Wunde muss zwei bis drei Mal geheilt werden. Ansonsten braucht sie nur noch Ruhe.«

»Ich werde sie nach oben bringen, Meister! «, sagte Raco, hob die schlaffe Gestalt vom Tisch und trug sie vorsichtig eine schmale Wendeltreppe hinauf.

»Und nun zu unserem Gast. «, sagte der Alte und wandte sein Gesicht, welches immer noch im Schatten seiner Kapuze lag, zu mir. Ich erschrak, denn ich dachte, ich hätte mich im Schatten des Bücherregals gut genug versteckt, um zumindest nicht von den Augen eines Älteren erkannt zu werden. Nun gut. Vielleicht hatte mich der Alte ja gehört, als ich diesen Turm betreten hatte. Ertappt trat ich einen Schritt vor aus dem Schatten.

»Ich spüre eine große Macht, die dich umgibt. «, hörte ich die raue Stimme des Alten unter der Kapuze hervor. Ich sagte nichts.

»Dein Schicksal ist wie kein anderes. «

Wieder sagte ich nichts.

»Du wirst viele Krieger vereinen und in eine große Schlacht ziehen!«

Vielleicht.

»Und du bist nicht der, für den du dich ausgibst, nicht wahr, Drache?«

Meinen ganzen Körper durchfuhr ein Schreck, wie ich ihn seit langer Zeit nicht mehr verspürt hatte. Woher zur Drachenschwinge wusste er, dass ich verwandelt worden war? Sofort wechselte ich in eine Kampfposition, um einem schnellen Angriff des Alten auszuweichen. Mit Händen, die ich zu Klauen verkrampft hielt, und gebleckten Zähnen blickte ich zu dem alten, dünnen Manne vor mir. Doch dieser schien überhaupt nicht an einen Angriff zu denken. Er saß weiterhin auf seinem Stuhl und blickte mich an. Jedenfalls schien es so. Denn ich konnte immer noch nicht sein Gesicht erkennen.

»Du brauchst dich vor einem so alten Magier, wie ich es bin, nicht zu fürchten! «, sagte er weiterhin gelassen, hob seine knochigen Hände und zog die Kapuze herunter. Das erste in seinem Gesicht, das mein Blick fixierte, waren seine Augen, die vollkommen weiß waren. Der alte Magier war blind. Sofort wurde mir klar, dass dieser Mann harmloser und gefährlicher war, als es vorher den Anschein gehabt hatte. Harmloser, weil er blind und somit in einem Kampf sicherlich leicht zu besiegen war. Gefährlicher, da er ganz offenbar seine Magie gebrauchte, um alles in diesem Raum und vielleicht sogar darüber hinaus auf eine ganz andere Art sehen zu können. Und die Gabe des Sehens ohne die Kraft der Augen zu benutzen war eine seltene, höchst magische Kunst, die nur wenige, sehr wenige Magier-Meister beherrschten. So jedenfalls die Geschichten der Drachen.

»Woher wisst ihr von meiner Verwandlung? «, fragte ich ohne meinen Körper zu entspannen.

»Meine Gabe reicht aus, um die Kraft, die dich umgibt, zu erkennen. Dennoch frage ich mich, wie du in diesen Körper gelangt bist. «

»Ich weiß es selber nicht! «, antwortete ich, wenn auch ein wenig bissig.

»Vielleicht hattest du die Begegnung mit einem sehr mächtigen

Gegenstand ? «, mutmaßte der Alte und tatsächlich erinnerte ich mich plötzlich an den kleinen Stein des Magiers, der mich auf den Drachenbergen töten wollte. War dies der magische Gegenstand gewesen, der meinen Körper verwandelt hatte? Aber nein! Wie konnte denn solch ein kleiner Gegenstand die rohe Magie eines Drachens

Beeinflussen?

»Aber du bist keinesfalls ein Gefangener deines Körpers! Bist du ruhig und gelassen, kannst du den Menschenkörper nicht verlassen. Aber bist du konzentriert oder aufgebracht, gibt das Feuer neue Drachenkraft.«, zitierte der Alte und setzte sich wieder leicht stöhnend auf seinen Stuhl.

»Alles in Ordnung, Meister? «, fragte Raco, der plötzlich aus dem Schatten nahe der Treppe trat und sich besorgt über den Alten beugte. Mir stockte der Atem. Wie lange stand er bereits dort und vor allem, wie viel hatte er mitgehört? Ach, verflogen noch mal! Hätte ich meine Drachenkräfte, dann hätte ich den Lauscher sicherlich gerochen oder gehört. Aber so! Ich blickte ihn an und nach kurzer Zeit warf er einen Blick zu mir zurück. Und da wusste ich es! Es stand ganz deutlich in seinem Blick geschrieben: Er wusste es! Doch schien er nicht sonderlich über meine wahre Identität verwundert, sondern nahm diese Information eher als Hinweis auf.

»Geh bitte und bring unseren Gast hinauf! «, befahl der alte Magier.

»Warum soll ich ...?«

»Tue, was ich dir aufgetragen habe! «, fuhr der Alte Raco plötzlich scharf an. Selbst ich erschrak, da ich diese ungewohnte Schärfe nicht von diesem Manne erwartet hätte. Raco ging um den Alten herum, auf mich zu, packte mich am Arm und zog mich säuerlich schnaufend zur Treppe. Ich ließ es ausnahmsweise zu.

»Geh da hinauf ! «, wies er tonlos an, während er auf der Treppenstufe verharrte. Wieder gehorchte ich, schließlich befand ich mich im wahrsten Sinne in einer Schlangengrube. Und in meinem gebrechlichen Zustand durch eine Sinnlosigkeit einen Kampf zu beginnen, wäre die Tat eines Wahnsinnigen. Außerdem wollte ich in Vilas Nähe bleiben. Während ich die ersten Stufen der schmalen Treppe erklomm, wobei ich mich leider ein wenig ungeschickt anstellte und immer wieder gegen die Kannte der nächst höheren Stufe stieß, da ich ja zum ersten Male mit meinem neuen, ungewohnten Körper eine Treppe hinaufstieg, stellte ich meine Lauscher auf. Schließlich konnte ja noch das eine oder andere wichtige Wort folgen, welches ich nicht verpassen sollte. Und tatsächlich hörte ich sogleich den Alten etwas leiser zu Raco sagen:

»Versprich mir, ... Nein! Schwöre mir, dass du im oberen Gemach verbleibst, ganz gleich was geschieht! «

»Aber Meister? «

»SCHWÖRE! «

»Ich schwöre es bei meiner Magie! «, hörte ich Raco leicht genervt sagen.

»Und nun geh hinauf, Raco! «

Ich nahm meine Umgebung kaum wahr, als ich ins obere Schlafgemach gelang. Weder die zwei Strohbetten, noch die zwei Kleidertruhen sowie die an die runde Wand angepassten Bücherregale nahm ich wahr. Selbst als ich mich auf das Bett setzte, in dem Vila schlief, galten meine Gedanken nicht ihr. Ein sehr eigentümliches Gefühl hatte von mir Besitz ergriffen, denn der Alte hatte soeben den Namen seines Schülers mit einem besonderen Beiklang ausgesprochen, mit großer Sorge und vor allem mit Liebe. Etwas schien hier nicht so ganz recht zusammenzupassen. Erst spricht der Alte mit weisen Worten, dann schreit er seinen Schüler an, und ehe man sich versieht liegt in seiner Stimme so etwas wie Besorgnis. Leichte Furcht ergriff mich in Bezug auf den alten Magier: Denn entweder war er vollkommen durcheinander und behandelte jeden Dahergelaufenen gerade so wie es ihm gefiel oder er wusste etwas, das seinem Schüler Raco und mir entging. Und ich war schuppenfest davon überzeugt, dass der Alte weder verrückt noch durcheinander noch sonst was war. Ich beobachtete aus den Augenwinkeln, wie Raco mit griesgrämigen Gesicht seinen Bogen an sein Bett lehnte. Es entstand eine sehr peinliche Pause, während wir schweigsam in entgegengesetzte Richtungen schauten. Es passte einfach nicht, mitten in der Aufregung zwei von Grund auf verschiedene Wesen in einen kleinen Raum zu sperren. Um einem Gespräch zu entkommen, ging ich rasch zu dem Bett, setzte mich auf die Kante und strich Vila die Haare aus ihrem hübschen Gesicht. Sie sah noch schöner aus, als ich sie mir vorstellen konnte. So friedlich. Während ich die Schönheit leise lächelnd anschaute, wurde es still. Es wurde sogar so still, dass ich mein Blut in den Ohren rauschen hören konnte. Und urplötzlich hörte ich noch etwas Anderes. Neben dem Rauschen konnte ich so etwas wie entfernte Pferdehufe hören, die immer näher und näher kamen. Ich wirbelte herum und blickte Raco direkt in die Augen. Er schaute mich kurz verdutzt an, doch dann wurde sein Gesichtsausdruck klarer und ich wusste, dass er das Gleiche hörte wie ich. Beinahe gleichzeitig ließen wir uns auf den Boden fallen, um durch die schmalen Ritze der Bodendielen zu linsen. Schon hielten die Pferde deutlich hörbar vor dem Turm und drei Reiter mit sicherlich verdammt viel Rüstung ließen sich von den Rücken ihrer getreuen Tiere auf den steinigen Boden fallen. Das Scheppern war so laut, dass es sicherlich auch ein hochgradig Schwerhöriger vernehmen konnte. Dann folgten Schritte, die sich der Turmtür nährten. Ich wartete auf ein lautes Klopfen an dem dicken Holz. Doch darauf konnte ich lange warten, denn diese Fremdlinge hielten Anklopfen scheinbar für Zeitverschwendung und traten die Türe einfach auf. Das schwere Holz schlug durch die Wucht laut krachend auf den Boden und ließ die Schalen und Bücher in den Regalen erzittern. Herein traten drei Soldaten, die allesamt das Symbol des Königs auf der dicken Rüstung trugen. Drachentöter! Sofort vergiftete roher Zorn meinen Verstand, aber ich zwang mich ruhig liegen zu bleiben und abzuwarten.

»Wen haben wir denn da? «, sagte der Mittlere, der gleichzeitig mit seinem kantigen Gesicht am fiesesten wirkte.

»Guten Tag, die geehrten Herren. Womit kann ich den stolzen Kriegern zu Diensten sein? «, fragte der Magier mit betont freundlicher Stimme.

»Sagt, alter Mann ... «, begann der Soldat, während er gemächlich durch den Raum schlenderte und einen handgemachten und sehr aufwändig verzierten Tonkrug aus einem Regal nahm »Habt ihr zufällig ein Mädchen gesehen? «

»Entschuldigt, mein Herr, aber mir wurde vor Ewigkeiten mein Augenlicht genommen. «

»Ach ja!? «, sagte der Soldat, der scheinbar im schwachen Licht nicht die blinden Augen des Mannes gesehen hatte. Er betrachtete kurz die Töpferware mit geringschätzigem Blick und ließ den Krug fallen, der auf den Boden krachte und in tausend Teilchen zersprang. Ich spürte den Arm von Raco zucken.

»Habt ihr vielleicht heute einem Mädchen Einlass gewährt? Oder jemandem anderen?«

»Nein, Herr «, antwortete der Alte vollkommen sicher. Darauf fiel eine weitere Töpferarbeit zu Boden. Nun schien der Soldat sichtlich erzürnt. Er umfasste die beiden Stuhllehnen mit festem Griff, so dass sein Gesicht nur noch Zentimeter von dem des Alten entfernt war.

»Dann sagt mir, alter Mann, sprecht ihr auch die Wahrheit? «

Zuerst sagte der Alte nichts, doch dann ließ er ein Glucksen ertönen, welches immer mehr zu einem Lachen anschwoll.

»Euer blindes Bestreben wird euch zeichnen und eure Gier nach Macht wird eines Tages euer Ende sein. «, lachte er. Zornesröte strömte in den Kopf des Soldaten und er begann zu zittern.

»Wisst ihr eigentlich, wer ich bin?!«, schrie er aufgebracht.

»Ihr seid die rechte Hand eines Mannes, der sich ein König nennt. «

Der Soldat schrie wütend auf, wandte sich von dem Alten ab und ging zu dem Regal nahe der Tür, wo er etliche Bücher und zerbrechliche Gegenstände zu Boden fallen ließ. Dann wandte er sich mit feuerrotem Gesicht wieder zum alten Mann um. Seine rote Haut wirkte, als würde er gleich explodieren. Doch ehe dies geschah, lenkte etwas auf dem Tisch seine Aufmerksamkeit auf ihn. Er lächelte plötzlich.

»Es ist schon komisch, «, sagte er seltsam beherrscht » ... dass ihr

heute niemanden gesehen haben wollt, wo doch auf eurem Tisch mein Dolch liegt! «

Der alte Mann reagierte so schnell, wie man es ihm niemals zugetraut hätte. Er stand so schnell auf, dass sein Holzstuhl an der Treppe hinter ihm zerschmetterte. Schon hob er seine knochige Hand und ließ ein einzelnes, magisches Wort ertönen, welches von den runden Wänden wie Tausende Echos widerhallte. Ein Strom grellen Lichts schoss von seiner Handfläche auf die drei Eindringlinge zu. Jedoch zog der vorderste Soldat, der mit einem Angriff gerechnet hatte, in Windeseile einen komischen Stab aus seinem Gürtel und erschuf mit ihm einen magischen Schild, der die Lichtstrahlen von ihm und seinen beiden Kameraden ablenkte. Die Strahlen trafen auf die umliegenden Steine der Eingangspforte und zerschmetterten sie mit solcher Kraft, als hätte sie eine Explosion erfasst. Das fiese Grinsen des Soldaten an der Front verriet, dass er sich seines Angriffs sicher schien. Seine linke Hand langte nach vorn, als wenn er nach etwas greifen wollte. Im gleichen Augenblicke setzte sich der vergifte Dolch auf dem Tisch in Bewegung und flog als goldener, schneller Schleier zu seinem Herrn, der sie mit eben dieser Linken sicher am Griff auffing. Und ehe der Alte einen Gegenzauber formulieren konnte, ja ehe er überhaupt Luft holen konnte, warf der Soldat mit voller Kraft die Waffe gegen den alten Mann. Ein roter Rubin blendete mich, als ein Lichtstrahl für einen kurzen Moment auf den Dolch traf, dann hörte ich den dumpfen Aufschlag, als die Klinge ihr Ziel traf. Der Mann torkelte zurück und fiel dann tot zu Boden, der reich verzierte Griff ragte aus seiner rechten Seite. Ein leichter Schauer rieselte über meinen Rücken. Ich konnte es einfach nicht fassen, dass der Soldat des Königs - eigentlich ein ehrenhafter, respektierter und beherrschter Mann - solch eine sinnlose Gräueltat verübt hatte.

»NEIIINNN! «, schrie Raco. Sein Zorn über den Tod seines Meisters schien zu explodieren und diese Explosion riss ein Loch genau vor uns in den alten Bretterfußboden. Schneller als ein normaler Mensch, ja sogar schneller als ich selbst, rief er seinen Bogen zu sich, richtete ihn auf den Mörder und schoss drei Pfeile ab. Schon sanken zwei Körper links und rechts von dem Mörder zu Boden. Doch er selbst hatte einen Schild bewirkt, So dass der Pfeil abgewehrt wurde, der seinen Tod bewirken sollte. Doch Raco hatte dies bemerkt und schrie »Perkus! «

Der feindliche Soldat wurde nach hinten und aus dem Eingang des alten Turmes geschleudert.

»Schnell! «, zischte Raco, während er ein Loch in die runde Wand sprengte. »Nimm Vila und folge mir! Unten steht mein Pferd bereit.«

Als ich mich umdrehte und in Vilas sorgloses, schlafendes Gesicht sah, erstarrte mein ganzer Körper. Sie war einfach zu hübsch und ihr würziges Aroma stieg mir in die Nase. Nur mit Mühe konnte ich mich von den Fesseln losreißen. Ich packte sie vorsichtig unter den Kniegelenken und stützte mit dem anderen Arm ihren wunderschönen Kopf. Unten konnte ich den Drachenkrieger hören, der leicht schwankend in das zerstörte Haus trat, als hätte er zu viel getrunken.

»Ich kann euch hören! «, rief er leicht säuselnd zu uns herauf. ›Ich

kann dich noch viel deutlicher hören, du alter Stinkstiefel! ‹, dachte ich bei mir und trat mit Vila sicher durch das Loch, auf das hölzerne, leicht schräge Dach der Stallungen. Deren Dach befand sich glücklicherweise genau am runden Gemäuer des Turmes, so dass ich nicht springen musste um hinaufzukommen. Mittlerweile hatte sich alles um uns herum ins Dunkel gehüllt. Nur die Sichel strahlte genug Licht aus, um alles um uns herum erkennen zu können. Vor mir sah ich die Kehrseite von Raco, der gerade in die Knie ging und geschmeidig vom Dach sprang.

»Ich komme! «, hörte ich es von drinnen her rufen. ›Ja, ja, nerv mich

jetzt nicht!‹

»Gib mir Vila! «, sagte Raco, drehte sich zu mir um und hob die Arme. Ich kniete mich hin und ließ Vila sanft in seine Arme gleiten. Als Raco das Mädchen sicher aufgefangen hatte, ging er mit ihr zu seinem Pferd, einem edlen, schwarzen Hengst (also für mich ein leckerer Abendschmaus). Ich sprang leichtfüßig vom Dach und sah dabei zu, wie Raco die schlaffe Gestalt auf seinem Pferd positionierte, welches in meiner Gegenwart jedoch wieherte und mit den Hufen scharrte. Raco klopfte dem Hengst beruhigend auf den Hals.

»Ruhig, mein Freund, ruhig. Was ist denn los? Hm? «

Doch ich wusste, was los war. Scheinbar konnte das Pferd riechen, dass ich keinen menschlichen Geruch an mir hatte, sondern nach etwas ganz anderem roch. Nach Drache!

»Ich sehe euch! «, rief der feindliche Soldat, während er aus dem Fenster lugte.

»Beeilung! «, rief ich. Schon sprang Raco auf den Sattel, zur Flucht bereit. Doch ich wusste bereits, dass eine gemeinsame Flucht sinnlos wäre. Der Fremde würde uns folgen und Vila konnte eine stundenlange Hetzjagd überhaupt nicht gebrauchen.

»Ich werde hier bleiben und ihn aufhalten! «, sagte ich.

»Tu, was du tun musst! Aber glaube ja nicht, dass ich den Helden spielen werde und zurückkomme, nur um dich zu retten! «

»Ich pass schon auf mich auf ! «, entgegnete ich feindselig und gab dem Ross einen gewaltigen Klaps auf den breiten Hintern, so dass es erschrocken los galoppierte. ›Na dann kann der Spaß ja beginnen! ‹, dachte ich und drehte mich um. Wumm. Von einem heftigen Schlag getroffen, machte mein Körper einen Salto und schlug dann mit voller Wucht auf den Boden auf. Mir schwirrte der Kopf. Ein normaler Mensch hätte bei solch einem harten Schlag sicherlich einen Schädelbruch erlitten und wäre an dessen Folgen gestorben. Aber ich hatte nicht viel von dem Schlag abbekommen, nur einige Kratzer, und mir schwirrte ein wenig der Kopf. Ich richtete mich auf und schaute in die Richtung, wo ich gerade eben noch war. Dort standen jetzt drei Männer. Einer von ihnen hatte eine dicke Zaunlatte in der Hand und in der Mitte stand der Magier, der den Alten getötet hatte. Scheinbar ging es ihm wieder besser, denn er stand wieder sicher auf dem Boden ohne zu schwanken. Und er hatte eine kleine Verstärkung gerufen.

»Na?! Zu feige, um alleine gegen mich zu kämpfen? «, fragte ich

gehässig.

»Ich bin kein Narr, so wie du, der sich mit drei von uns hoheitlichen Soldaten anlegt! «, erwiderte er. Doch ich wartete nicht, bis er ausgesprochen hatte. Als er den Satz beendet hatte, hatte ich mich bereits auf alle drei Männer gestürzt. Aber irgendetwas stimmte nicht. Eigentlich hatte ich gedacht, dass ich so schnell sein würde wie vorhin, als ich im Gebirge die feigen Hunde in die Flucht geschlagen hatte. Doch dem war nicht so. Ich war viel zu langsam. So langsam wie ein normaler Mensch. Deswegen konnten sich die Soldaten auf meinen Angriff vorbereiten. Schon trafen mich zwei Faustschläge - einer ins Gesicht, der andere schmerzhaft in meinem Bauchraum. Auch der Dritte, der Magier, holte zum Schlag aus. Doch dieser war viel härter als die zwei vorher. Durch einen Zauber getroffen, flog ich einige Fuß nach hinten. Während mich vorhin nur leichte Kopfschmerzen plagten, lag ich nun mit dröhnendem Schädel auf dem Boden. Der Schmerz schien stark genug, um mich zu blenden und mir Tränen in die Augen zu jagen. Ich hörte, wie eine Anweisung gerufen wurde. Kurz darauf umfassten zwei starke Hände meine Arme. Sie schleiften mich ein wenig über den Boden und stellten mich an eine moosüberwucherte Wand. Verschwommen nahm ich wahr, wie der Magier in seine Tasche griff, eine Hand voll schwarzes Pulver hervorholte und es in meine Richtung von der Handfläche pustete. Plötzlich spürte ich, wie kalte Metallstäbe, dick wie Unterarme, sich um meine Handknöchel bogen und mich an die Turmwand fesselten.

»Was willst du jetzt machen? Hä? «, hörte ich den Soldaten mich anschreien. Ich war so benommen, dass ich nur stöhnen konnte. Ich spürte eine heftige Ohrfeige, die mich wieder einigermaßen in die Realität holte.

»Schau mich an, wenn ich mit dir rede, Abschaum! «

Er packte grob mein Kinn und hob meinen Kopf an, so dass wir auf einer Höhe waren. Ich öffnete müde die Augen. Ich sah sein schweißüberströmtes und dreckiges Gesicht nahe vor mir. Er lächelte mit bösem Blick.

»So gefällst du mir schon besser. «, sagte er und schlug mir mit voller Wucht ins Gesicht. Etwas knackte. Doch es war nicht mein Knochen, sondern seine Hand, die brach. Er schrie wütend auf, während er sich die angebrochene Hand hielt. Nun war ich es, der böse lächelte. Es schien, als wären meine Knochen härter und belastbarer als die der normalen Menschen. Deswegen hatte mich vorhin der Schlag mit dem Lattenzaun auch nicht umgebracht.

»Was gibt es da zu lachen! «, rief der Mann zornig aus und trat wieder an mich heran.

»Ich bin ein Magier! Eine angebrochene Hand ist in Windeseile wieder geheilt. Komm. Spielen wir ein Spiel! Sag mir, wo der Reiter mit dem Mädchen hin ist und ich werde dich nur ein bisschen foltern. Wenn du

mir es nicht sagst, werde ich dich solange foltern, bis du um dein Leben bettelst. Also?«

Ich zog den ekelhaftesten Schleim aus der tiefsten Tiefe hervor, würgte kurz und spuckte ihm das schleimige, grüne Etwas direkt ins Gesicht. Das Schöne dabei war, dass er den Mund offen hatte. Der Getroffene wandte sich ab, spuckte auf den Boden und wischte sich das ekelhafte Zeug aus dem Gesicht.

»Das war ein Fehler! «, sagte er schließlich mit einer bemüht beherrschten Stimme. Seine Hand glitt rasch an seinen Gürtel und er machte einen gewaltigen Schritt auf mich zu, als wenn er mich umarmen wollte. Ich riss vor Schrecken die Augen auf und schrie vor Schmerz.

»Schluss mit den Spielchen. «, flüsterte der Soldat in mein Ohr und wich anschließend von mir zurück. Ein weiterer Schmerz zuckte durch meinen Körper. In seiner Hand erkannte ich einen gezackten, einfachen Dolch, der vor Blut glänzte.

»Schluss mit den Spielchen! «, schrie er. »Wo sind sie? «

Ich antwortete nicht, sondern blickte nur an mir hinunter. Seitlich aus meinem Bauchraum rann warmes Blut. Ich keuchte. Doch der Soldat ließ nicht locker. Wieder machte er einen Satz auf mich zu und hieb mit seiner gesunden Faust gegen meine Wunde und ich schrie kurz auf.

»Wo sind sie? «

Wieder ein Faustschlag. Ich jaulte auf vor Schmerz.

»Wo sind sie? WO SIND SIE? «

Zwei weitere Schläge ließen mich zusammensacken, doch die Eisenfesseln hielten mich in der Luft. Der Soldat wich schnaufend von mir zurück. Doch ich wusste, dass er nicht aufhören würde, bis ich entweder tot war oder Vila verraten hatte. Abgesehen davon, dass ich selber nicht einmal wusste, wo sie hingeritten waren, würde ich auch nichts sagen. Vila. Lieber würde ich sterben. Vila. Eine verzerrte Grimasse schob sich vor meinen starren Blick.

»Wenn ich dich getötet habe, werden wir sie suchen. Und du kannst

sicher sein, dass wir sie finden werden! Also? «

Vila finden. Das war das Einzige, was sich in meinem schmerzenden Kopf festsetzte. Vila finden. Allein diese zwei Worte erhöhten meine Konzentration und meine Muskelkraft an. Das durften sie nicht! Das durfte ich nicht zulassen!

»Ihr werdet sie nie finden! «, sagte ich mit fester Stimme, während ich mit bösem Gesicht aufschaute. Ich sah, wie die beiden Männer, die die ganze Zeit im Hintergrund gewartet hatten, vor Angst zurückwichen und wie die Gesichtszüge des Magiers zuckten.

»Seine Augen! Schaut euch seine Augen an!«, hörte ich den einen Wachmann panisch flüstern. Hass verdrängte den Schmerz und bildete den Brennstoff für frisches Feuer, welches in mir zu flackern begann.

»Keine Furcht, Männer. Er kann in seiner kümmerlichen Lage nichts

gegen uns unternehmen. «

Der Soldat blickte wieder zu mir und ich sah seine schiefe, fies lächelnde Grimasse. Meine Hände ballten sich zu Fäusten und versuchten den dicken Metallstangen zu entkommen, doch keine Chance. Das Feuer, welches sich in meinem wild pochenden Herzen gebildet hatte, breitete sich unaufhaltsam aus.

»Nun wirst du sterben! «

Der Magier hob die Klinge und visierte meine nackte Brust an. Ich schrie auf, als das Feuer in mir schmerzhafter wurde als die Wunde selbst, während der Mann seine Klinge hinabsausen ließ. Mit letzter Kontrolle über meinen Körper trat ich zu und erwischte den gepanzerten Bauch des Soldaten, der durch die Wucht des Trittes nach hinten geschleudert wurde. Dann konnte ich nichts mehr sehen und mit einem letzten zerreißenden Schrei gab ich mich dem Flammensturm hin, der meinen Körper verzehrte. Mein Körper explodierte und riss mit Leichtigkeit die dicken Metallstäbe aus dem Gemäuer, die mich gefesselt hatten. Ich stützte mich mit den Händen ab, als ich nach vorn fiel und dann war es vorbei. So schnell wie es gekommen war, hatte es auch wieder aufgehört. Aber nicht nur der Schmerz des tosenden Feuers war weg, sondern auch jener von der zugefügte Wunde. Irgendwie fühlte sich mein Körper seltsam an. Zäher, gewaltiger. Meine Ohren waren so gut, dass ich in weiter Ferne die Glockenschläge des Wachturmes und einen ängstlichen Ruf des Wachburschen vernehmen konnte. Zudem schien mein Blick nun viel klarer und ich konnte viel weiter sehen, als vorher. Ich blickte beeindruckt von oben auf die drei kleinen Menschlein hinunter und peitschte mit meinem Schwanz, der sich wieder an der richtigen Stelle befand, hart auf den Boden. Ich war wieder zurück, ich war wieder ein Drache.

»Na dann wollen wir mal! «, rief der Magier und zog seinen

gezackten, harmlosen Dolch.

» ... Spielen? Gerne! «, schnaufte ich und stieß den anderen Mann mit meinem Schweif von der Hochebene. Mit meinem guten Gehör nahm ich ein ekelhaftes Knirschen wahr. Doch dann musste ich zurückweichen, als der Magier einen gewaltigen Sprung in Richtung meiner Kehle vollführte. Geschmeidig und schnell wie eine Schlange stieß mein Kopf vor und schnappte sich den zweiten hilflosen Soldaten, der gerade seinen Zahnstocher ziehen wollte. Mit einem Ruck riss ich ihm den Kopf ab. Nun wandte ich mich mit blutigem Maul zu dem Magier um und knurrte.

»Erecei! «, rief er in Panik. Doch ich wich dem Zauber aus, ohne dass er mich streifte.

»Lasst euch mal etwas Besseres einfallen! Diesen Zauber habe ich schon so oft gesehen, so dass ich ihm im Schlaf ausweichen kann! «, zischte ich und schlug mit einer Vorderpfote zu. Ich streifte aber nur mit zwei scharfen Krallen sein Gesicht, so dass die Wunden leider wenig bluteten. Der Magier, scheinbar von Angst gepackt, schrie auf und schleuderte den Dolch in meine Richtung. Normalerweise wäre der Dolch einfach an meinem harten Schuppenkleid abgeprallt, doch dieser bohrte sich, durch die Kraft der Magie geschleudert, tief in meinen Oberarm. Ich schrie wütend auf und stieß so stark meine Schwanzspitze gegen ihn, dass er in hohem Bogen über den Abhang flog und weit an ihm hinunterkollerte. Ich wusste, dass er überleben, aber ganz sicher sich nicht mehr allein zu mir trauen würde. Das war sicher! Doch ganz plötzlich breitete sich von der Wunde her eine kalte Schläfrigkeit aus, die sich rasch in meinem ganzen Körper ausbreitete. Ich schnaufte und torkelte. Dabei versuchte ich mich zusammenzureißen und von hier wegzukommen. Also spannte ich meine langen Flügel und machte den ersten Schritt nach vorn. Vollkommen unkontrolliert plumpste ich zu Boden und blieb benommen liegen. Was geschah nur mit mir? Doch ehe ich auch nur in Erwähnung zog, eine Antwort auf diese Frage zu finden, wurde ich bewusstlos.

Feuersturm der Drachenseele

Подняться наверх