Читать книгу Feuersturm der Drachenseele - Oliver Seidenstücker - Страница 6
Drachenberge - Kampf um den Drachenhort
ОглавлениеNoch einmal schaute ich hinab zu der schlaffen Gestalt, die ich in meiner fürsorglichen Kralle hielt.
»Nicht sterben, Kleines!«, schnaufte ich. »Halte ja durch!« Ich flog mit einiger Mühe auf eine kleine Erhebung, auf der ich eindeutig die frische Spur von Menschen wittern konnte. Ganz vorsichtig landete ich auf dem regennassen Gestein und legte das reglose Mädchen auf dem Boden ab. Dabei spürte ich einige Schrammen auf meinem Rücken, die durch den Steinschlag entstanden waren, als ich Vila aus dem freien Fall zwischen den Brocken herausgefischt hatte. Ich wandte meinen Kopf rasch nach links und rechts. Der ekelige Gestank nach Schweiß der Soldaten war so stark, dass mich das unangenehme Gefühl beschlich, sie würden ganz nahe auf mich lauern und uns beobachten. Doch der erste Eindruck erwies sich als falsch, denn ich konnte nur das Klopfen zweier Herzen wahrnehmen. Einmal ein langsames tiefes Schlagen, welches zu mir gehörte und ein etwas schnelleres Klopfen von der hübschen Gestalt zwischen meinen Vorderbeinen. Sicherlich waren diese Drachentöter vor kurzem hier entlang gekommen, und wenn sie erschöpft von der Schlacht wieder zurückkehrten, dann würden sie Vila sicherlich entdecken und ihr helfen. Wenn nicht, würde ich wieder zurückkommen. Jetzt jedenfalls hatte ich keine Zeit, mich um die Kleine zu kümmern, schließlich musste ich eine Schlacht gewinnen, an der ich ja im Grunde genommen Schuld war. Doch aus irgendeinem Grund konnte ich meinen Blick nicht von dem schönen Mädchen lassen, wie sie da auf dem kalten Gestein lag, die Kleidung und die wunderbar goldenen Haare völlig durchnässt vom Regen. Wieso verfügte dieses niedliche Ding da unter mir über diese verfluchte Macht, mich so zu bannen, obwohl sie gar nicht bei Bewusstsein war? Was benutzte sie nur für einen komischen Zauber? Oder hatte sie mich schon mit der bloßen Berührung damals an der Todesschlucht verflucht? Doch plötzlich ruckte mein Kopf nach oben, denn ich hörte auf dem Rücken des heulenden Windes eindeutig die lauten Rufe der kämpfenden Drachen und der Magier. Ich musste los! Mein Freund war sicherlich schon bei der Schlacht angekommen. Noch einmal schaute ich hinab auf das zarte Gesicht, dann breitete ich widerwillig die langen Flügel aus und hob ab. Nach nur wenigen Flügelschlägen hatte ich bereits das Kampffeld erreicht. Um mir aber erst einmal eine genauere Übersicht über die Schlacht zu machen, flog ich auf einen hohen Felsvorsprung, der die meisten anderen Erhöhungen überragte. Dann blickte ich hinunter. Der Schreck durchfuhr siedend heiß meinen ganzen Körper. Über zwanzig dieser Zweibeiner hatten unseren Hort angegriffen, von denen mindestens zwei davon magische Kräfte besaßen. Was hatte ich mir nur dabei gedacht, dem kleinen Mädchen zu erlauben, dass sie mich streichelte? Warum hatte ich sie überhaupt am Leben gelassen und nicht, wie die Natur es verlangte, einfach als zusätzlichen Frühstückshappen zu mir genommen? Aber würde ich sie auch jetzt im Nachhinein töten? … Ach, verflogen noch mal, ich… ich hätte gar nicht diese Schlucht aufsuchen sollen! Plötzlich ließ ein wohl bekanntes Fauchen meine wilden Gedanken verstummen. Ich wandte geschwind meinen Kopf und erkannte auf einer nahegelegen Bergkuppe den moosgrünen Drachen, wie er mit einem dieser Drachentöter kämpfte.
»Freund! Ich komme! «, brüllte ich wütend und flog los. Ich spürte, dass dieser Drachentöter kein normaler Mensch war. Während Freund mit seinem Kopf wie eine Schlange zuschlug und sein scharfes Gebiss zuschnappen ließ, sprang der Zweibeiner mit übermenschlicher Geschwindigkeit aus dem Weg. Er rollte sich geschickt ab und sprang wieder auf die Beine. Gleichzeitig hob Freund fauchend seinen langen Kopf, um erneut zuzuschlagen. Aber kurz bevor ich bei ihm war, hob der Drachentöter seine Hand und deutete mit seiner Handinnenseite auf die schuppige Brust des grünen Drachen dicht vor ihm.
»Erecai!«, hörte ich die tiefe, raue Stimme des Mannes rufen. Freund brüllte vor Schmerzen laut auf und fiel mit blutüberströmtem
Brustkorb hinten über.
»FREUND! «, brüllte ich voller Entsetzen. Schon stürzte der massige Körper meines Artgenossen ganz nach hinten um und verschwand in einer tiefen Schlucht.
»NEIN!«
Mit ausgefahrenen Klauen und gebleckten Zähnen stürzte ich mich auf den Magier. Ehe er sich umdrehen konnte, hatte ich ihn schon zu Boden geworfen, meinen Kopf vorschnellen lassen und seinen Leib auseinander gerissen. Leise knurrend richtete ich mich wieder auf. Plötzlich durchflutete meinen Körper ein ehrgeiziges Gefühl von Macht und Stolz. Es war das erste Mal, dass ich einen Menschen – nein, einen Magier getötet hatte. Nur die wenigsten Jungdrachen konnten behaupten, einen echten Magier getötet zu haben. Doch ich wusste nicht, was ich jetzt mit dem Leichnam anstellen sollte. Ihn liegen lassen oder fressen? Nach unserem Drachenältesten soll Menschenfleisch genau wie Hühnchen schmecken. Hm... Hühnchen… lecker. Obwohl mir bei dieser Vorstellung das Wasser im Maul zusammenlief, wich ich vor dem Toten zurück. Nein, ich konnte einfach keinen Menschen fressen. Sollten sich doch diese gierigen Geier um den Kadaver kümmern. Ein Blitz erhellte den nun schwarzen Himmel und ein tiefes Donnergrollen folgte wenig später, doch ich ignorierte diesen Tumult des Himmels. Ich wandte mich von dem Kadaver ab und drehte mich der Schlacht zu. Plötzlich hörte ich ein helles Pfeifen und kurz darauf einen stechenden Schmerz in meinem rechten Oberschenkel. Ich schaute nach unten und entdeckte einen Pfeil, der mit Magie abgeschossen worden war und daher meine Panzerung durchdringen konnte. Laut fauchend wandte ich meinen Kopf und erkannte einen weiteren dieser unbehaarten Affen auf mich zukommen. Er war viel edler gekleidet als die anderen Soldaten und um seinen Hals baumelte ein dunkles Lederband, das nur einen einzelnen, durchscheinenden Stein trug. Der Soldat warf seine leere Armbrust zur Seite und zog sein gekrümmtes Schwert.
»Nur wir beide! «, grummelte er und ein weiterer Donnerschlag unterstrich seine drohenden Worte. Ich knurrte zustimmend, stellte die Flügel sacht an und schlich dann wie eine Katze, den Kopf leicht gebeugt auf ihn zu. Er lächelte schelmisch, als wenn ich ihm nicht annähernd das Wasser reichen könnte. Ha, der sollte gleich die ganzen Kräfte eines… nun ja, beinahe ausgewachsenen Drachen erleben! Ein Blitz zuckte auf, ein ohrenbetäubendes Donnergrollen antwortete fast gleichzeitig. Der Startschuss eines Kampfes, der mein Leben für immer verändern sollte. Schon rasten wir aufeinander zu. Er hatte sein Schwert erhoben, ich meine todbringenden Klauen ausgefahren. Schon trafen unsere Körper aufeinander, verwirbelten im heftigen Gefecht. Er versuchte mit seiner lächerlichen Klinge meine Schuppenpanzerung zu durchdringen, was ihm leider auch gelang. Ich hatte diesen Zahnstocher von Klinge wohl leicht unterschätzt und sollte das nun mit einer Vielzahl von blutenden Wunden bezahlen. Doch diese kleinen Schrammen, falls man sie so nennen konnte, stellte für mich keine größere Gefahr dar. Wohl aber die Zauberkünste des Drachentöters. Schon rief er einen Zauber, der mir einen ordentlichen Kinnhaken versetzte, als ich versuchte ihn mit meinen scharfen Zähnen zu erwischen. Er wankte leicht zurück und hob seine Hand wie eben der andere Soldat. Ich erkannte die Gefahr noch rechtzeitig und wich im richtigen Moment aus. Das weiche Ende einer gemeinen Druckwelle streifte mein Gesicht, wie die liebkosende Zunge einer Drachenmutter oder wie die zarte Hand eines Menschenmädchens. Doch ehe ich wieder angreifen konnte, mich mit dem ganzen Körpergewicht auf ihn stürzen und ihn mit Krallen und Zähnen zerreißen konnte, sprach er ein anderes Zauberwort aus. Sofort spürte ich, wie der mächtige Zauber alle meine Muskeln lähmte und ich brach zitternd auf dem nassen Berggestein zusammen. Ich wollte mich bewegen, doch ich konnte nicht. Fauchend und leicht mit meinen Krallen auf dem festen Gestein scharrend blickte ich zu meinem Peiniger. Er stand da und hielt mich mit seinem Zauber im Schach, während er aber selbst so aussah, als könne auch er sich keinen Zoll von der Stelle bewegen. Seine Hände hielt er verkrampft in meine Richtung und sein nasses Gesicht bekam immer mehr eine unnatürliche, rote Farbe. Scheinbar stellte dieser Zauber unsere Willenskraft unter Kontrolle. Und wer am meisten Durchhaltevermögen und Willen zeigte, würde sicherlich am Ende als Sieger hervorgehen, während der andere kraftlos auf dem Boden liegen bliebe und den gegnerischen Todesstoß wehrlos erwarten müsste. Also meine Willenskraft wollte er testen, ja? Dies konnte er bekommen. Obwohl ich – scheinbar wie er – kaum Luft bekam, versuchte ich knurrend mich aufzurappeln. Zuerst stellte ich meinen verwundeten rechten Fuß auf, dann den wild zitternden linken. Ich fauchte laut und versuchte meine Kräfte zu bündeln, die ich aus Hass gegen diese Drachenmörder schürte. Diese Drachentöter, die einfach ohne wirklichen Grund in unsere Berge und Heimat eindrangen, uns herausforderten, uns töteten und unsere Dracheneier zerschlugen. Schon stellte ich mein zuckendes und bleischweres Hinterbein auf. Der Soldat sah mir mit aufgerissenen Augen zu, wie ich kurz verschnaufte, dann aber auch mein viertes Bein auf den Boden setzte und mich zitternd und wankend, aber Zähne fletschend und knurrend zu meiner vollen Größe vor ihm aufbaute.
»Und was nun?«, brachte er nur mit viel Anstrengung hervor. Ich zögerte kurz nach seiner leider berechtigten Frage. Zwar stand ich, doch ich konnte mich noch immer nicht auf ihn zu bewegen. Ein einziger Schritt würde genügen und ich würde das Gleichgewicht verlieren und wieder fallen. Der Kopf des Soldaten war mittlerweile so rot angelaufen, dass es so aussah, als würde er gleich vor Anstrengung platzen wie eine überreife Tomate. Eine Reaktion, die ich zugegebenermaßen begrüßen würde. Aber plötzlich spürte ich, wie ein heftiger Ruck durch meinen Körper jagte. Ich verlor wieder die Kontrolle über meine schon schwer kontrollierbaren Muskeln und machte wieder eine Bauchlandung. Verwirrt über diese plötzliche Kraft des Soldaten schaute ich auf. Ihm war niemand zu Hilfe gekommen, sonst hätte ich das gehört oder gerochen. Dann erkannte ich ein helles Leuchten auf der Brust des Soldaten, der weiterhin so aussah, als würde er gleich vor übermäßiger Anstrengung umkippen. Ich rang nach Luft, bekam jedoch keine. Doch die Luftarmut machte mir erst einmal weniger Sorgen, denn ich konnte viel länger als Menschen die Luft anhalten. Aber wenn ein anderer Soldat zu unserem Duell hinzukäme, könnte er mir einfach mit einem gekonnten Hieb seines Schwertes in die richtige Körperstelle das Feuer löschen. Die Zeit schlich langsam davon, während keiner von uns beiden fähig war, den Kampf zu beenden. Über unseren Köpfen tobte dabei weiter der Sturm. Doch dann ließ der Zauber plötzlich nach und ich spürte, wie wieder Leben in meine zuckenden Muskelstränge zurückkehrte. Ich schnaufte einmal tief durch und schaute dann verwundert über die plötzliche Schwäche zu dem Soldaten. Er kniete halb vor Erschöpfung und er tat hastige, schwere Atemzüge. Mit einer Hand stützte er sich auf sein Schwert, die andere stützte den Rest seines Körpergewichts auf dem Boden ab.
»Ich muss schon sagen, du bist ein hartnäckiger Bursche«, gestand er.
»Du auch!«, gab ich mit einem zustimmenden Knurren zurück, das er aber nicht verstand. Dann erhob sich mein Gegner schwankend, während ich aber immer noch ziemlich erschöpft von den Anstrengungen auf dem nassen Boden kauerte. Nun ging er langsam auf mich zu, während er sein blitzendes Schwert hob.
»Meine Magie ist verbraucht. Nun geht es nur noch darum, wer von uns beiden am stärksten und geschicktesten ist.«
Wieder stimmte ich ihm mit einem erschöpften Raunen zu. Ich wusste, dass ich in diesem geschwächten Zustand beinahe genauso stark war wie er. Dann rannte er los, seine Klinge visierte einen Punkt über meinem Schlüsselbein an, von dem wir beide genau wussten, dass ein gekonnter Stoß mit einem Schwert genau in diesem Punkt mich töten würde. Sollte seine Klinge wahrhaftig durch meine Schuppen dringen, würde er meine Lunge und wichtige Blutgefäße verletzen und somit als Sieger aus dem Kampf hervortreten. Er stieß einen wilden Schrei aus, als er etwa die Hälfte der Strecke hinter sich gelassen hatte und mir immer und immer näherkam. Ich brüllte zurück, bäumte mich im richtigen Augenblick auf und rannte mit offenem Maul auf ihn zu. Schon spürte ich, wie meine Zähne ihn berührten. Zugleich traf seine Klingenspitze auf den anvisierten Punkt. Aber es war für uns beide zu spät, um noch den Angriff abzubrechen. Schon schloss ich mein Maul, während ich spürte, wie seine durstige Klinge in mich eindrang. Aus diesem Kampf würde keiner als Sieger hervorgehen. Da zuckte urplötzlich ein weiterer Blitz auf, blendete uns und schlug dann in das metallene Schwert meines Feindes ein. Für den Bruchteil einer unendlichen Sekunde wusste ich, dass dies mein… nein unser Ende war, bevor sich mein Körper den verzehrenden Flammen und dem Schmerz des Todes hingab.