Читать книгу Hypnosystemische Therapie bei Depression und Burnout - Ortwin Meiss - Страница 6

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Vorwort

In der Behandlung von depressiven und Burnout-Patienten gibt es im Wesentlichen zwei Ansätze, die miteinander konkurrieren und auch kombiniert werden. Die Verordnung von Medikamenten, insbesondere von Antidepressiva, und die psychotherapeutische Behandlung, wobei vor allem die Kognitive Verhaltenstherapie zur Anwendung kommt. Während die Psychotherapeuten die Notwendigkeit psychotherapeutischer Behandlungen betonen, sind viele medizinisch ausgebildete Fachleute der Meinung, mit der Behandlung durch Antidepressiva sei das Notwendige getan. Dies sei praktisch, leicht durchführbar und entspräche in vielen Fällen den Wünschen der Patienten. Zudem sei die Wirkung der Medikamente wissenschaftlich belegt.

Antidepressiva und Placebowirkung

Nach den Ergebnissen der Metastudien von Irving Kirsch (2009) beruht die Wirkung von Antidepressiva in erster Linie auf der Placebowirkung. Dies mag insofern überraschen, als die Medikamente erst nach Vergleichsstudien mit Placebos zugelassen werden. Angeblich handelt es sich bei den Studien um Doppelblind-Vergleiche, bei denen weder der Patient noch der Untersucher weiß, wer zu welcher Gruppe gehört. Allerdings werden die Medikamente meist mit Placebos verglichen, die keinerlei Veränderungen im Körper der Probanden bewirken. Antidepressiva hingegen produzieren eine Fülle von Nebenwirkungen, die Probanden merken also, ob sie zur Placebo- oder zur Medikamentengruppe gehören. Die Voraussetzungen für eine Doppelblind-Studie sind somit nicht gegeben. Vergleicht man die Wirkung der Antidepressiva mit der Wirkung von »aktiven Placebos« – dies sind Placebos, die »aktiv« Nebenwirkungen produzieren –, ist die Überlegenheit der Antidepressiva nach Kirsch gleich null.

Die Untersuchungen von Kirsch blieben nicht ohne Widerspruch. Viele Praktiker argumentierten, es könne nicht falsch sein, was man jahrelang praktiziert habe, schließlich habe man seine positiven Erfahrungen mit der Gabe von Antidepressiva.

Der positive Effekt der Medikamentengabe lässt sich nicht abstreiten, der Effekt entsteht gleichwohl auch dann, wenn man aktive Placebos verabreicht, denn sowohl die Medikamentengruppe wie die Placebogruppe schneiden wesentlich besser ab als die Warteliste, bei der überhaupt nichts unternommen wird. Am schlimmsten wird es also, wenn man nichts tut. Die persönlichen Erfahrungen der Behandler widersprechen somit nicht der These, dass die Wirkung der Antidepressiva auf Placebowirkung beruht.

Die Kirsch-Studien werden von Praktikern auch deshalb in Zweifel gezogen, weil man die Erfahrung gemacht hat, dass oft mehrere Antidepressiva wirkungslos bleiben, bis man das »richtige« gefunden hat. Die Wirkung des »richtigen Medikaments« schreibt der Behandler dann dessen Inhaltsstoffen zu. Die Placebostudien zeigen jedoch, dass auch bei der Gabe von Placebos nicht alle Probanden schon beim ersten Placebo reagieren. Ein bestimmter Prozentsatz reagiert erst beim zweiten, ein weiterer beim dritten oder beim vierten. Es ergeben sich die gleichen Prozentsätze wie bei der Gabe von Antidepressiva. Dies erklärt die Fehlwahrnehmung aufseiten des Behandlers.

Weiterhin werden positive Erfahrungen berichtet, wenn man die Dosis der Medikamente erhöht. Manche Hersteller empfehlen in Fällen, bei denen das Medikament keine Wirkung zeigt, die Dosis zu verdoppeln. Es ist zu beobachten, dass einige Patienten danach eine Besserung wahrnehmen. Dieser Effekt zeigt sich jedoch nur, wenn Behandler und Patient wissen, dass die Dosis verdoppelt wurde. Es handelt sich auch hier um einen Placeboeffekt.

Das Suchtpotenzial der Medikamente

Nun berichten viele Patienten, dass es ihnen sofort schlechter gehe, wenn sie die Antidepressiva absetzen. Daraus schließen sie, dass sie die Medikamente brauchen und diese eine positive Wirkung haben. Tatsächlich bekommen die Patienten nach dem Absetzen Entzugserscheinungen. Es entsteht die gleiche Fehlwahrnehmung wie bei einem Raucher, der einem erklärt, dass ihn das Rauchen beruhige. Faktisch macht Nikotin unruhig. Was der Raucher mit der Zigarette beruhigt, ist seine Sucht bzw. seine Entzugserscheinungen, die auftreten, wenn er einen Nikotinabfall erleidet.

Die Ergebnisse Kirschs haben die Antidepressiva nachhaltig in Verruf gebracht. Dennoch wurde wenig an der Verordnungspraxis der Antidepressiva geändert. Der Direktor der Psychiatrischen Klinik der Universität München Prof. Hans-Jürgen Möller bezeichnet die Verordnung von Antidepressiva als »State of the Art« (Ärztezeitung vom 3.3.2008) und beklagt die Verunsicherung der Patienten. Entscheidend sei, dass die Antidepressiva von Behörden zugelassen sind. Ob die Zulassung durch die Behörden die Verabreichung der Medikamente rechtfertigt, darf bezweifelt werden. In einer 2015 im British Medical Journal publizierten Re-Analyse einer Original-Studie der Wirksamkeit der zugelassenen Medikamente Paroxetin und Imipramin konnte das Forscherteam aus Großbritannien und den USA nachweisen, dass die Medikamente nicht wirksamer als ein Scheinpräparat sind, jedoch zu starken Nebenwirkungen führen, wie Verhaltensauffälligkeiten und körperliche Beschwerden, und sie zudem die Suizidneigung der Patienten verstärken (Stöcker 2008).

Sport und Antidepressiva

Eindeutig belegt ist die positive Wirkung von Sport bei depressiven Erkrankungen. Gelingt es den Patienten, Sport zu machen, erreichen sie die gleichen positiven Effekte wie bei der Einnahme von Antidepressiva, allerdings ohne die unerwünschten Nebenwirkungen wie z. B. Gewichtszunahme, Libidoverlust etc. In einer von Kirsch referierten Vergleichsuntersuchung zwischen einer Medikamenten-, einer Sport- und einer Sport+Medikamenten-Gruppe erreichte die Kombinationsgruppe Sport plus Antidepressiva die besten Ergebnisse. Allerdings war die Rückfallhäufigkeit nach zehn Monaten in der Kombinationsgruppe viermal so hoch wie in der Gruppe, die nur Sport gemacht hatte. Die Sportgruppe war der Medikamenten-, und der Kombinationsgruppe deutlich überlegen. Man kann die Ergebnisse dahingehend interpretieren, dass die Antidepressiva auf Dauer die positive Wirkung von Sport zunichtemachen (Kirsch 2009).

Praxis der Verordnungen

Die Haltung des »Weiter so!« wirkt aufgrund der augenblicklichen Forschungslage irritierend. Da man vermuten kann, dass vielfach die Durchführung und Interpretation der Studien interessengeleitet sind, da die Hersteller der Medikamente sowohl Forschungen als auch Kliniken subventionieren, wäre ein gewisses Maß an Skepsis bezüglich der Medikamente angebracht. Man sollte bei der Verabreichung zurückhaltender sein, bis weitere Forschungen ein klareres Bild liefern. Stattdessen berichten mir immer wieder Patienten, dass sie sich in einigen Kliniken geradezu genötigt fühlten, Antidepressiva zu nehmen. Einwände dagegen wurden beiseitegewischt, die erheblichen Nebenwirkungen und die Probleme beim Absetzen verschwiegen oder verharmlost. Weigern sich die Patienten dennoch, die Medikamente zu nehmen, wird ihnen vorgeworfen, die Behandlung zu boykottieren und nicht mitzuarbeiten.

Psychotherapie – ein Placebo?

Auch die Effekte der psychotherapeutischen Methoden, die bisher im Bereich der depressiven Erkrankungen angewendet wurden, sind nach den Studien von Kirsch gering, auch wenn es Hinweise dafür gibt, dass langfristig positivere Ergebnisse erzielt werden. Entsprechen die von Kirsch erhobenen Daten der Wirklichkeit, so muss man ernüchternd feststellen, dass selbst langjährige Psychotherapie-Ausbildungen nicht dazu befähigen, kurzfristig gesehen eine deutlich stärkere Wirkung zu erzielen als ein aktives Placebo. Dies stützt die Hypothese des Neurobiologen Gerhard Roth (2015), der die Wirkung vieler ärztlicher und psychotherapeutischer Behandlungen der positiven Zuwendung zuschreibt, welche der Patient vom Behandler bekommt.

Motivation zu diesem Buch

Die von Kirsch veröffentlichten Ergebnisse, dass weder die Antidepressiva noch die bisher angewendeten psychotherapeutischen Methoden eine wesentliche Wirkung entfalten, die deutlich über die Wirkung von aktiven Placebos hinausgeht, haben mich zu diesem Buch bewegt.

Grundsätzlich stimme ich der Ansicht zu, dass eine gute Beziehung zum Patienten eine wesentliche Voraussetzung für das Gelingen einer Therapie ist. Zuwendung heilt, wie sich sowohl aus den Studien Kirschs wie auch aus den Ergebnissen der Neurobiologie ableiten lässt. Deshalb widmen sich die Kapitel zu systemischen Ansätzen vor allem der Beziehungsgestaltung und zeigen, wie diese gelingen kann. Ebenso muss ich feststellen, dass ich ohne die in diesem Buch beschriebenen hypnotherapeutischen Methoden und Techniken mit vielen Patienten nicht wirklich vorangekommen wäre. Diese Methoden und Techniken bilden den zweiten Schwerpunkt dieses Buches. Es hat nicht den Anspruch einer wissenschaftlichen Arbeit, vielmehr möchte ich Psychotherapeuten, insbesondere denjenigen mit Grundkenntnissen in systemischen und hypnotherapeutischen Ansätzen, die Möglichkeit geben, ihren eigenen Ansatz um effektive Techniken zu bereichern.

Systemische und hypnotherapeutische Ansätze

Es mag im ersten Moment verwundern, dass ein Verfahren wie die Hypnotherapie, das sich auf die Nutzung von Hypnose gründet, mit der systemischen Therapie vereinbar ist. Systemische Ansätze sehen lebende Organismen als sich selbst organisierende Wesen. Hypnose dagegen wird noch immer mit Fremdsteuerung und Ursache-Wirkungs-Modellen assoziiert. In dieser Vorstellung bewirkt der Hypnotiseur, dass der Hypnotisierte in Trance fällt, er verursacht das, was der Hypnotisierte an Reaktionen zeigt. Dieses Modell der Hypnose ist überholt und mit moderner Hypnotherapie nicht vereinbar. In dem modernen Verständnis der Hypnose ist Trance eine natürliche Fähigkeit des Gehirns, bestimmte Bereiche hochaktiv werden zu lassen, während andere in ihrer Aktivität reduziert werden. Der hochaktive Gehirnbereich kann seine Fähigkeiten und Potenziale optimal entwickeln, da die anderen ihn dabei nicht stören, es zu keinen Interferenzprozessen kommt. Diese gezielte Aktivierung nutzen Menschen und auch höhere Tiere in Anforderungssituationen, in denen alles, was nicht relevant ist, ausgeblendet wird (Halsband 2015). Die Hypnotherapie hilft dem Patienten, diese Fähigkeit für die Veränderung seiner Problematik und für das Finden von kreativen Lösungen zu nutzen.

Hypnotherapie verstehe ich als Systemtherapie nach innen, mit der ein Selbstorganisationsprozess beim Patienten angeregt wird. Dass systemische Therapie und Hypnotherapie vereinbar sind, erweist sich im hypnosystemischen Ansatz von Gunther Schmidt (2015).

Die Fallbeispiele in diesem Buch zeigen, wie der Patient sich selbst auf die Spur kommt, den Zusammenhang zwischen seiner Symptomatik und der zugrunde liegenden Problematik eigenständig erkennt und Lösungen für seine Probleme findet. Innerhalb dieses Selbstorganisationsprozesses ist der Therapeut mehr Begleiter, als dass er führt. Er liefert weniger gute Antworten als gute Fragen. Die Antworten findet der Patient selbst. In dieser Weise arbeitet der Therapeut leicht und ohne Anstrengung.

Gerade die Hypnotherapie kann die systemische Therapie in der Arbeit mit Einzelpatienten erheblich erweitern. Es wird zudem deutlich, dass die Hypnotherapie als das Missing Link zwischen den verschiedenen Ansätzen angesehen werden kann, da sie sowohl ressourcen- und lösungsorientierte als auch tiefenpsychologisch orientierte Ansätze enthält. Sie kann damit einen Beitrag dazu liefern, dass die in Deutschland entstandenen Richtlinienverfahren endlich Geschichte werden und sich ein integrativer Ansatz entwickelt, wo verschiedene Verfahren und Therapiekonzepte zusammenwachsen. Neuere Verfahren wie die Schematherapie, in die auch hypnotherapeutische Konzepte eingeflossen sind, gehen ebenfalls in diese Richtung (Young 2008).

Hypnosystemische Therapie bei Depression und Burnout

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