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3. Vom Sinn und Zweck des Landesverräterstigmas

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Die beiden Fälle, die hier zunächst besprochen werden, gehören noch der Übergangsära an, wie sie den Anfang der zwanziger Jahre kennzeichnete. Beide hängen mit politischen Vorgängen zusammen, deren Ursprung im Ersten Weltkrieg zu suchen ist. Ihre gerichtliche Behandlung beruhte auf Rechtsvorstellungen, die aus der Vorkriegszeit stammten. Aus der heutigen Perspektive lässt sich jedoch deutlich erkennen, dass in diesen Episoden bereits die politischen Sitten und Denkgewohnheiten einer späteren Zeit vorweggenommen waren.

In beiden Prozessen wird das Bemühen sichtbar, die Mauer niederzureißen, die Rechtsprechung und Rechtslehre im 19. Jahrhundert zwischen dem Nichtdelikt der Gegnerschaft gegen die Politik der Regierung und dem Delikt des Landesverrats, zwischen Meinungsverschiedenheiten über den Kurs der nationalen Politik und tätigem Zusammengehen mit dem auswärtigen Feind errichtet hatten. Auf der vergrößerten politischen Bühne der Massendemokratie wurde das Räderwerk der Gerichte als Hilfsmechanismus für politisches Handeln in Anspruch genommen oder auch schon ganz in die Sphäre politischen Handelns eingegliedert. Die revolutionären Explosionen, für die der Zündstoff im Schützengrabenschlamm des Ersten Weltkriegs zusammengetragen worden war, zerstörten, was von der Scheidung von Opposition und Verrat, der großen Leistung der politischen Justiz in der vorhergehenden Periode, noch übriggeblieben war. Mit dieser Scheidung schwand aber das für sie entscheidende Element der Deliktbegrenzung dahin, das dazu beigetragen hatte, das menschliche Individuum vor politischem Machtmissbrauch des Staates oder privater Gruppierungen und Verbände zu schützen.

Am ersten Fall, der zur Sprache kommt, lässt sich zeigen, wie das schwere Geschütz eines Landesverratsprozesses von der Regierung, die gerade an der Macht ist, zur Ausschaltung und Mundtotmachung eines politischen Gegners benutzt wird, wobei ihr die Ingangsetzung des Gerichtsverfahrens gleichzeitig dazu dient, die Bevölkerung enger an die Sache der Kriegführung zu binden und auf sie zu verpflichten. Der zweite Fall veranschaulicht die Möglichkeit, mit der Strategie eines politischen Derivatverfahrens die Karriere eines politischen Gegners zu vernichten, seine Wirksamkeit zu untergraben und verderbliche politische Symbolbilder zu prägen und sich festsetzen zu lassen. Zu dieser Strategie gehört es, dass man einen bestimmten Abschnitt aus der politischen Lebensbahn des bekämpften gegnerischen Politikers herausgreift und als kriminell unter Beschuss nimmt. Der angegriffene Politiker muss dann klagen und sich als Kläger, um seinen Ruf zu wahren, an seine Deutung der Vorgänge klammern, die der beklagte Angreifer als von seinem Standpunkt besonders ergiebig in verzerrendes Scheinwerferlicht zu rücken für richtig befunden hat.

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