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Cadmus und Harmonia
ОглавлениеAgenors Sohn weiß nicht, daß seine Tochter und sein kleiner Enkel Meeresgötter sind. Angesichts der Trauer, der Kette von Schicksalsschlägen [565] und der Vorzeichen, die er in großer Zahl gesehen hat, gibt sich Cadmus geschlagen. So verläßt der Gründer seine eigene Stadt, als wäre das ihn bedrängende Verhängnis an den Ort und nicht an seine Person gebunden. Nach langer Pilgerschaft mit seiner Gattin, die sein Flüchtlingslos teilt, ist er endlich ins Gebiet Illyriens gelangt. Und während beide, von Kummer und Alter gebeugt, [570] sich die ersten Heimsuchungen ihres Geschlechts vergegenwärtigen und im Gespräch ihre Leiden der Reihe nach erzählen, fragt Cadmus: »War etwa jene Schlange, die mein Speer durchbohrte, heilig, damals, als ich, aus Sidon kommend, die Drachenzähne als neuartige Saat auf den Boden streute? Rächt die Vorsehung der Götter diese Schlange mit so unerbittlichem Zorn, [575] so bitte ich darum, selbst zur Schlange mit langgestrecktem Bauch zu werden.« Sprach’s, und wie eine Schlange streckt er sich in die Länge, fühlt, wie auf seiner hart gewordenen Haut Schuppen wachsen und seinen Leib, der sich schwarz färbt, blaue Tupfen beleben. Vornüber fällt er auf die Brust, die Schenkel schließen sich zusammen [580] und verjüngen sich allmählich zur Schwanzspitze. Noch bleiben ihm die Arme. Die Arme, die ihm noch bleiben, streckt er aus, und während ihm Tränen übers Gesicht strömen, das noch menschliche Züge trägt, spricht er: »Komm zu mir, liebe Frau, komm, Unglückliche, und solange von mir noch etwas übrig ist, berühre mich, nimm meine Hand, [585] solange es noch eine Hand ist, solange die Schlangengestalt noch nicht ganz von mir Besitz ergriffen hat.« Er will noch weiter reden; doch plötzlich ist seine Zunge in zwei Hälften gespalten, beim Sprechen gehorchen ihm die Worte nicht mehr, und sooft er eine Klage äußern will, zischt er. Diese Stimme hat ihm die Natur belassen. [590] Da schlägt sich die Gattin an die bloße Brust und ruft: »Cadmus, bleib hier und befreie dich, Unglücklicher, aus diesem Ungeheuer! Cadmus, was soll das bedeuten? Wo ist der Fuß, wo sind die Schultern, die Hände, die Farbe, das Gesicht und, während ich spreche, alles übrige? Warum verwandelt ihr Himmlischen mich nicht auch in solch eine Schlange?« [595] Sprach’s; er aber leckte seiner Gattin das Gesicht, schmiegte sich an die geliebte Brust, als erkenne er sie, umschlang sie und suchte den vertrauten Hals. Alle, die dabei waren – dabei war das Gefolge –, sind von Schrekken erfüllt, sie aber streichelt den schlüpfrigen Hals des kammbewehrten Drachen; [600] und plötzlich sind es zwei, und sie kriechen, gemeinsam sich windend, davon, bis sie im Schlupfwinkel des nahe gelegenen Hains verschwunden sind. Heute noch fliehen sie nicht vor Menschen, tun ihnen nichts zuleide und erinnern sich als zahme Drachen daran, was sie früher gewesen sind.