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Ceres und Proserpina

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Soweit hatte sie zur Cithara den sangeskundigen Mund bewegt. Jetzt sind wir aonischen Schwestern an der Reihe – aber vielleicht hast du keine Zeit und Muße, unserem Gesang dein Ohr zu leihen?« – [335] »Zögere nicht und laß mich euer Lied der Reihe nach hören«, sprach Pallas und setzte sich in den lichten Schatten des Haines. Die Muse berichtet: »Wir ließen eine für uns alle zum Wettkampf antreten: Calliope. Sie erhebt sich, ihr wallendes Haar hält Efeu zusammen. Dann zupft sie mit dem Daumen die klagenden Saiten prüfend an [340] und läßt dieses Lied folgen, zu dem sie die Saiten schlägt:

›Als erste hat Ceres die Scholle mit krummem Pfluge geritzt, als erste den Landen Getreide und unblutige Nahrung geschenkt. Als erste hat sie Gesetze gegeben. Alle Dinge sind ihr Geschenk. Sie will ich besingen. O könnte ich ein Lied vortragen, [345] das der Göttin würdig wäre! Aber gewiß ist die Göttin eines Liedes würdig.

Die große Insel Trinacris ist auf Gigantenglieder geworfen worden und bedrängt unter ihrer gewaltigen Masse den Typhoeus, der es gewagt hat, einen Sitz im Himmel zu erhoffen. Er stemmt sich zwar dagegen und ringt oft darum, sich wieder zu erheben, [350] doch seine rechte Hand ist unter dem ausonischen Kap Pelorus eingezwängt, auf der linken lastet der Pachynus, auf den Schenkeln Lilybaeum. Der Aetna beschwert ihm das Haupt; darunter liegt er auf dem Rücken, schleudert Sand aus dem Mund und speit Feuer, der trotzige Typhoeus. Oft müht er sich ab, die schweren Erdmassen wegzuschieben, [355] Städte und hohe Berge von seinem Leibe abzuwälzen. Dann bebt die Erde, und sogar der König der stummen Schatten fürchtet, daß sie aufspringe, daß ein breiter Riß die Tiefe enthülle und eindringendes Tageslicht die aufgeregten Schatten erschrecke. Aus Furcht vor diesem Unheil hatte der Tyrann seinen düsteren Wohnort [360] verlassen und fuhr in einem Wagen mit schwarzen Rossen sorgfältig prüfend rings um Siziliens Grundfesten. Nachdem er sich hinreichend überzeugt hat, daß keine Stelle wankt, sieht ihn die Venus vom Eryx, wie er, von seiner Angst befreit, umherschweift. Auf ihrem Berge thronend, umarmte sie ihren geflügelten Sohn und sprach: [365] ‚Du meine Wehr, meine rechte Hand, du meine Stärke, mein Sohn! Nimm, Cupido, die Waffen, mit denen du alle besiegst, und ziele mit den schnellen Pfeilen auf die Brust des Gottes, dem bei der Dreiteilung der Weltherrschaft das letzte Los zugefallen ist. Du überwältigst die Himmlischen, sogar Iuppiter, du besiegst und bezähmst [370] die Meergottheiten und sogar den Beherrscher der Meergottheiten. Warum fehlt immer noch die Unterwelt? Wieso erweiterst du nicht das Reich deiner Mutter, dein Reich? Es geht um ein Drittel der Welt! Dabei werden wir im Himmel verachtet – so geduldig sind wir schon geworden! –, und man beschneidet meine und Amors Macht! [375] Siehst du nicht, daß Pallas und die Jägerin Diana sich mir entzogen haben? Auch die Tochter der Ceres wird Jungfrau bleiben, wenn wir uns das gefallen lassen; sie spielt nämlich auch schon mit solchen Gedanken. Ich beschwöre dich bei unserer gemeinsamen Weltherrschaft, wenn sie dir etwas bedeutet: Vereinige die Göttin mit deinem Oheim!‘ Soweit Venus. Er öffnete den Köcher, [380] ließ die Mutter wählen und legte von den tausend Pfeilen einen beiseite. Es gibt keinen schärferen, keiner trifft genauer ins Ziel, keiner gehorcht besser dem Bogen. Dann krümmte er das biegsame Horn, indem er das Knie dagegen stemmte, und traf Dis mit dem hakigen Pfeil ins Herz.

[385] Unweit von Hennas Mauern gibt es einen See mit tiefem Wasser; er heißt Pergus. Mehr Schwäne hört auch der Caystros in seinen gleitenden Wellen nicht singen als dieser See. Wald umkränzt das Gewässer rings von allen Seiten und hält mit seinem Laub wie mit einem Sonnensegel die Strahlen des Phoebus fern. [390] Kühle spenden die Zweige, der feuchte Boden purpurrote Blumen; ewiger Frühling herrscht. Während Proserpina in diesem Hain spielte, Veilchen oder weiße Lilien pflückte, mit mädchenhaftem Eifer Körbchen und Kleid damit anfüllte und die gleichaltrigen Gespielinnen im Sammeln zu übertreffen suchte, [395] sah, begehrte und raubte sie Pluto – alles fast gleichzeitig. So schnell wurde die Liebe zur Tat. Erschrocken ruft die Göttin mit trauriger Stimme die Mutter und die Begleiterinnen, doch öfter die Mutter. Da sie ihr Gewand vom obersten Saum an zerrissen hatte, fielen die gepflückten Blumen aus dem losgelassenen Kleid, das hinabglitt. [400] Und so groß war die Einfalt ihres kindlichen Gemütes: Selbst dieser Verlust schmerzte das Mädchenherz. Der Räuber treibt das Gespann zur Eile, ermuntert die Rosse, ruft jedes beim Namen, schüttelt die dunklen, rostfarbenen Zügel über Hals und Mähne [405] und stürmt durch den heiligen See, den Teich der Palicen, der nach Schwefel riecht und in einem Erdspalt brodelt. Dann fährt er durch die Gegend, in der die Bacchiaden zwischen ungleichen Häfen Mauern gegründet haben, ein Geschlecht, das aus Corinth, der Stadt zwischen zwei Meeren, stammt.

Mitten zwischen Cyane und der aus Pisa stammenden Arethusa [410] liegt eine Bucht, von schmalen Landzungen umschlossen: Dort wohnte Cyane, nach der auch ihr Teich benannt ist – die berühmteste unter den sizilischen Nymphen. Sie erhob sich inmitten des Gewässers bis über die Hüften aus den Wellen und erkannte die Göttin. ‚Keinen Schritt weiter!‘ sprach sie. [415] ‚Du kannst nicht gegen Ceres’ Willen ihr Schwiegersohn werden; du hättest um Proserpina werben, nicht sie rauben sollen. Darf ich Kleines mit Großem vergleichen? So hat Anapis mich geliebt. Doch durch Bitten wurde ich seine Frau, nicht durch Einschüchterung wie diese hier.‘ Sprach’s, breitete die Arme nach beiden Seiten aus [420] und stellte sich ihm in den Weg. Da konnte der Sohn Saturns seinen Zorn nicht länger beherrschen, ermunterte seine schreckenerregenden Rosse und schleuderte mit starkem Arm das Königszepter in die tiefe Flut. Auf diesen Stoß hin gab die Erde den Weg in die Unterwelt frei und nahm den steil abwärts fahrenden Wagen mitten in einem Krater auf.

[425] Doch Cyane grämt sich über die Entführung der Göttin und über die Mißachtung der Rechte ihrer Quelle, trägt still im Herzen eine unheilbare Wunde, verzehrt sich ganz in Tränen und verflüchtigt sich zu dem Wasser, dessen große Gottheit sie eben noch gewesen war. Man hätte sehen können, wie ihre Glieder weich werden, [430] Knochen sich biegen lassen, Nägel die Härte verloren haben. Zuerst löst sich von der ganzen Gestalt jeweils das Feinste auf: das bläuliche Haar, die Finger, die Beine, die Füße – denn schlanke Glieder können leicht in kühle Wellen übergehen –; danach zerschmelzen die Schultern, der Rücken, die Hüfte [435] und die Brust zu feinen Rinnsalen; schließlich dringt in die durchlässig gewordenen Adern Wasser statt des lebendigen Blutes, und nichts Greifbares ist mehr übrig.

Inzwischen hat die Mutter, die sich ängstigt, ihre Tochter vergeblich in allen Ländern und auf allen Meeren gesucht. [440] Weder die Morgenröte, die mit feuchtem Haar aus der Tiefe emporstieg, noch der Abendstern sah sie ruhen. Lichtspendende Fackeln aus Fichtenholz entzündete sie mit beiden Händen am Aetna und trug sie rastlos durch den nächtlichen Rauhreif. Hatte dann wieder das liebe Tageslicht die Sterne erbleichen lassen, [445] suchte sie ihre Tochter vom Land der sinkenden Sonne bis zum Ort ihres Aufgangs.

Von der Mühsal erschöpft, war sie durstig geworden; noch keine Quelle hatte ihr die Lippen genetzt, als sie zufällig eine mit Stroh gedeckte Hütte gewahrte und an die kleine Tür klopfte. Da tritt eine Alte heraus und erblickt die Göttin. Auf ihre Bitte um Wasser gab sie ihr ein süßes Getränk, [450] das sie vorher mit gerösteten Gerstengraupen bestreut hatte. Während die Göttin trank, was man ihr gegeben hatte, pflanzte sich ein trotzig blickender, dreister Junge vor ihr auf, lachte und nannte sie gierig. Sie war gekränkt. Da sie einen Teil noch nicht ausgetrunken hatte, übergoß sie den Jungen, während er noch redete, mit den Gerstengraupen, die unter die Flüssigkeit gemischt waren. [455] Sein Gesicht färbten Flecken, anstelle der Arme hat er jetzt Beine, der verwandelte Leib bekam einen Schwanz. Die Gestalt im ganzen schrumpft, um nicht viel Schlimmes anrichten zu können, und seine Größe ist geringer als die der kleinen Eidechse. Während die Alte staunt, weint und das Wundertier berühren will, [460] flieht es vor ihr und verkriecht sich in einen Schlupfwinkel. Es trägt einen Namen, der zu seiner Färbung paßt; sein Leib ist mit mancherlei Tropfen wie mit Sternen übersät.

Es würde zu weit führen, zu berichten, welche Länder und welche Meere die Göttin durchirrt hat. Für ihre Suche war die Welt zu klein. Endlich kehrt sie nach Sizilien zurück. Während sie wandernd dort alles durchforschte, [465] kam sie auch zu Cyane. Wäre diese nicht verwandelt gewesen, hätte sie alles erzählt; doch als sie sprechen wollte, standen ihr Mund und Zunge nicht zu Gebote, und sie hatte keine Möglichkeit zu reden. Dafür gab sie ein deutliches Zeichen: Den der Mutter wohlbekannten Gürtel, der Persephone gerade hier in der heiligen Quelle entglitten war, [470] zeigte Cyane ganz oben auf dem Wasser. Kaum hatte Ceres ihn erkannt, zerzauste sich die Göttin das ungeordnete Haar, als hätte sie jetzt erst erfahren, daß ihr die Tochter geraubt worden war, und schlug sich wiederholt mit den Händen an die Brust. Noch weiß sie nicht, wo ihr Kind ist, doch macht sie allen Ländern Vorwürfe, [475] nennt sie undankbar und nicht wert ihrer Gabe, des Ackerbaus, an erster Stelle Sizilien, wo sie die Spuren ihres Verlustes entdeckte. Darum zerbrach sie dort mit grausamer Hand die Pflüge, welche die Schollen umbrechen, und ließ die Bauern sterben samt den Rindern, die das Feld bestellen, befahl den Äckern, [480] das anvertraute Saatgut zu unterschlagen, und verdarb den Samen. Siziliens weltberühmte Fruchtbarkeit wird Lügen gestraft: Im ersten Keim sterben die Saaten; bald rafft sie allzu viel Sonne, bald allzu viel Regen dahin; Gestirne und Winde stiften Schaden, und gierig picken Vögel [485] den ausgesäten Samen auf; Schwindelhafer, Burzeldorn und das unausrottbare Gras lassen die Weizenernte nicht gedeihen.

Da hob die Geliebte des Alpheus das Haupt aus ihrem Wasser, das aus Elis kam, strich sich das tropfende Haar aus der Stirn zu den Ohren und sprach: ‚O Mutter der Jungfrau, welche du auf dem ganzen Erdkreis suchst, [490] und Mutter des Kornes, mache der unermeßlichen Mühsal ein Ende und zürne nicht grausam dem Lande, das dir treu ergeben ist! Hat sich doch das Land nichts zuschulden kommen lassen; ohne es zu wollen, war es der Ort für den Raub. Und ich flehe nicht etwa für meine Heimat; bin ich doch als Fremde hierher gekommen. Pisa ist meine Vaterstadt, und ich stamme aus Elis, [495] wohne in Sizilien nur als Zugewanderte, doch ist mir dieser Boden lieber als jeder andere. Hier sind jetzt Arethusas Penaten, dies ist mein Wohnsitz: Rette ihn, du Gnadenreiche! Warum ich die Heimat verließ und so weit übers Meer nach Ortygia komme – dies zu erzählen, wird die rechte Stunde noch kommen, [500] wenn du deiner Sorge enthoben bist und wieder froher aussiehst. Ich kann durch die Erdentiefe dringen; dort tut sich mir ein Weg auf, und wenn ich unten durch die tiefsten Höhlen hindurchgeschlüpft bin, erhebe ich hier wieder mein Haupt und sehe die mir fremd gewordenen Gestirne. Während ich also in stygischer Tiefe unter der Erde hinglitt, [505] sahen dort meine Augen deine Proserpina. Wohl war sie noch traurig und trug Spuren der Angst im Gesicht, doch war sie Königin, die Mächtigste im Reich der Finsternis, die gewaltige Gemahlin des Königs der Unterwelt.‘

Sobald sie diese Worte hörte, erstarrte die Mutter, als wäre sie versteinert, [510] und stand lange wie vom Donner gerührt. Kaum hat das schwere Leid die schwere Benommenheit vertrieben, schwingt sie sich mit dem Wagen in die ätherischen Lüfte auf. Dort trat sie vorwurfsvoll mit finster umwölktem Antlitz und offenem Haar vor Iuppiter hin und sprach: ‚Ich bin zu dir gekommen, Iuppiter, [515] als Bittflehende für mein und dein Fleisch und Blut. Findet die Mutter keine Gnade, so mag die Tochter den Vater rühren! Und kümmere dich, bitte, nicht deswegen weniger um sie, weil ich sie geboren habe! Endlich habe ich nun meine lang gesuchte Tochter gefunden, wenn du das ‘finden’ nennst, was treffender ‘verlieren’ heißt, [520] oder wenn du ‘wissen, wo sie ist’ schon ‘finden’ nennst. Daß sie geraubt worden ist, will ich hinnehmen, wenn er sie mir nur zurückgibt! Denn einen Räuber zum Gemahl verdient deine Tochter nicht – wenn sie schon nicht mehr meine Tochter ist.‘

Iuppiter versetzte: ‚Die Tochter ist eine Lust und eine Last, die ich mit dir gemeinsam trage. Aber will man die Dinge beim rechten Namen nennen, [525] ist diese Tat kein Unrecht, sondern Liebe. Wir werden uns dieses Schwiegersohnes nicht schämen müssen, wenn du, Göttin, es nur willst. Gesetzt, alles andere fehle ihm – wieviel bedeutet es doch, daß er Iuppiters Bruder ist! Dabei fehlt es ihm ja gar nicht an anderen Dingen, und er steht mir nur nach, weil das Los so entschied. Doch wenn dein Wunsch [530] nach Scheidung so heftig ist, wird Proserpina in den Himmel zurückkehren; freilich nur unter einer bestimmten Bedingung: wenn sie dort unten keine Speisen genossen hat. So ist es nämlich im Ratschluß der Parzen vorgesehen.‘

Sprach’s, doch Ceres ist fest entschlossen, ihre Tochter heraufzuführen. Aber das Schicksal erlaubt es nicht, weil die Jungfrau nicht gefastet hatte, [535] sondern, während sie in ihrer Einfalt in den gepflegten Gärten umherstreifte, von einem Baum, der sich unter seiner Last beugte, einen purpurnen Granatapfel gepflückt und aus der bleichen Schale sieben Kerne genommen und zerkaut hatte. Das sah als einziger von allen Ascalaphus, den einst Orphne, [540] nicht ganz unberühmt unter den Nymphen des Avernus, ihrem geliebten Acheron in schwarzen Wäldern geboren haben soll; er sah es, zeigte es an und raubte ihr grausam die Rückkehr. Da seufzte die Königin des Erebus, verwandelte den Zeugen in einen unheiligen Vogel, besprengte ihm das Haupt mit Wasser vom Phlegethon [545] und versah es mit einem Schnabel, Flaumfedern und großen Augen. Er verliert sein Wesen, wird in gelbbraune Flügel gehüllt, schwillt am Kopf an, die Nägel wachsen in die Länge und biegen sich zurück; kaum kann er die Federn, die ihm an den untätigen Armen wuchsen, bewegen. So wird er ein häßlicher Vogel, der Vorbote künftiger Trauer, [550] der scheue Uhu, ein böses Vorzeichen für die Sterblichen.

Er wenigstens scheint seine Strafe mit seiner verräterischen Zunge verdient zu haben; doch woher bekamt ihr, Töchter des Achelous, Flaum und Vogelkrallen, obwohl ihr die Gesichter von Mädchen habt? Etwa deswegen, weil ihr, sangeskundige Sirenen, unter den Gespielinnen wart, [555] als Proserpina Frühlingsblumen pflückte? Nachdem ihr sie vergeblich auf der ganzen Welt gesucht hattet, wünschtet ihr alsbald, über den Wasserfluten auf dem Ruderwerk der Flügel schweben zu können, damit das Meer eure sorgende Liebe spüre. Die Götter waren euch geneigt, [560] und ihr saht, wie eure Glieder von plötzlich gewachsenen Federn gelb wurden. Damit aber jener Wohlklang, der dazu geschaffen ist, dem Ohr zu schmeicheln, und damit solch hohe Sangesgaben nicht ihr Werkzeug, die Zunge, verlieren, blieb euch das mädchenhafte Antlitz und die menschliche Stimme.

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