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Zwei Zeitzeugen der Extraklasse – Herodot und Thukydides
ОглавлениеDie Kenntnisse über die geschichtlichen Ereignisse dieser Zeit verdanken wir in erster Linie zwei bedeutenden antiken Historikern, die, jeder auf seine Weise, die Geschichtsschreibung begründet haben: Herodot aus Halikarnassos und Thukydides aus Athen.
Herodot lebte von ca. 485 bis ca. 425 v. Chr., seine väterlichen Vorfahren waren Karer. Er wirkte in seiner Heimatstadt am Kampf gegen den karischen Tyrannen Lygdamis II. mit, musste fliehen, kehrte zurück und machte sich erneut auf, diesmal, um die Welt zu erkunden. Es darf als sicher gelten, dass er längere Zeit in Athen und später in der 444 v. Chr. am Golf von Tarent gegründeten Kolonie Thurioi gelebt hat. Genaue Zeitangaben sind nicht möglich. Sein Werk beginnt so:
Dies ist die Darlegung der Erkundung (historie)
des Herodot aus Halikarnassos,
damit weder das, was Menschen geleistet haben,
mit der Zeit vergessen wird,
noch große und bewundernswerte Taten,
sei es, dass sie von Griechen,
sei es, dass sie von Barbaren vollbracht wurden,
ihren Ruhm verlieren.
Insbesondere ist es die Darlegung der Ursache (aitia),
die sie zum Krieg gegeneinander veranlasste.
Selbstbewusst stellt sich der Autor vor. Er legt dar, was er selbst erforscht hat, nicht, was er wie Homer dem Gesang einer Muse verdankt. Sein Interesse richtet sich nicht nur auf die Leistungen der Griechen, sondern in gleichem Maße auf das, was die Barbaren vollbracht haben, ja, es richtet sich universal auf die Menschheit. Mit „Barbaren“ meint er wertneutral „Nicht-Griechen“ und „Leistungen“ umfassen auch kulturelle Werte und Schöpfungen. Herodot weiß, wie schnell die Menschen und ihre Taten vergessen werden. Aus dem Bewusstsein der Vergänglichkeit erwächst der Antrieb zur Geschichtsschreibung. Am Schluss seines Vorworts schränkt er sein Thema auf den Krieg der Griechen und Perser ein. Er will die Ursache aufdecken, die zu der Auseinandersetzung geführt hat. In diesem Bestreben, den Dingen auf den Grund zu gehen, erweist er sich als ein Historiker im modernen Sinn, und auch dadurch, dass er die Ursache letztlich im Menschen selbst findet, in dem ihm eigenen Streben nach Macht. Hybris nannten das die Griechen, wenn der Mensch seine Grenzen überschreitet. Maßlosigkeit birgt in sich bereits den Keim des Scheiterns. Götter greifen zwar in das Geschehen ein, sie äußern sich in Erdbeben, durch Orakel und Propheten, aber sie nehmen dem Menschen nicht die Verantwortung für sein Handeln ab. Sie sind Garanten dafür, dass das Geschehen – Aufstieg und Fall der Menschen und Mächte – für den, der einen langen Zeitraum überblickt, erklärbar ist und sich als sinnvoll erweist. Der mythischen Überlieferung stand Herodot kritisch gegenüber und er war derjenige, der als Erster den Ost-West-Konflikt thematisierte.
Der römische Staatsmann, Redner und Philosoph Markus Tullius Cicero (106–43 v. Chr.) hat ihn den „Vater der Geschichtsschreibung“ (pater historiae) genannt (de legibus, 1, 5). Zu Recht: Ist er doch der Erste, der in einem umfangreichen Prosawerk historische Ereignisse kausal miteinander verknüpft und erklärt.
Thukydides (ca. 456 – ca. 396 v. Chr.) war eine Generation jünger als Herodot. Auch er hat sich politisch betätigt, bevor er sich seinen Studien widmete. 424 v. Chr. bekleidete er das Amt eines Strategen (militärischer Befehlshaber), weil man ihn aber für einen Misserfolg verantwortlich machte, wurde er für 20 Jahre verbannt. Er nutzte die Zeit, um das Geschehen des Peloponnesischen Krieges zu beobachten. Was er sah und was ihm glaubwürdig berichtet wurde, notierte er. Erst nach der endgültigen Niederlage Athens kehrte Thukydides in seine Heimatstadt zurück. Sein Werk schließt an das des Herodot an, aber er war der Erste, der Zeitgeschichte schrieb. In einem Überblick wird die Geschichte von 479 v. Chr. bis zum Ausbruch des Peloponnesischen Krieges behandelt. Der Text scheint unvol endet geblieben zu sein, da er bereits mit den Ereignissen des Jahres 411 v. Chr. abschließt, und nicht, wie sicher geplant, mit der Kapitulation Athens 404 v. Chr. Viele Passagen schrieb Thukydides zudem erst unter dem Eindruck des endgültigen Zusammenbruchs seiner Heimatstadt.
Gegenüber Herodot zeichnet Thukydides ein geschärftes Methodenbewusstsein aus. Er hat sich kritisch mit seinen Vorgängern auseinandergesetzt, auch mit Herodot, dessen Namen er allerdings nicht explizit nennt. Die Ursache der Geschehnisse ist für ihn der Mensch in seiner über die Zeiten hinweg konstanten Natur. Die Überzeugung, dass maßloses Machtstreben ein Wesensmerkmal der menschlichen Natur ist, verbindet ihn mit seinem Vorgänger. Sorgfältig unterscheidet er aber zwischen Anlässen und Ursachen.
Wer auf Grund der dargelegten Beweise zu der Auffassung gelangt, dass mein Bericht im Wesentlichen den Tatsachen entspricht, dürfte nicht in die Irre gehen. Er sollte weder den Dichtern vertrauen, die in ihren Gesängen übertreiben, noch den Geschichtsschreibern, deren Darstellungen eher angenehm anzuhören sind als wahr, meist unbewiesen und im Laufe der Zeit ins Mythenhafte abgeglitten. Er sollte ihnen keinen Glauben schenken. Er darf davon überzeugt sein, dass mein Bericht sich auf sehr einleuchtende Beweise stützt, soweit es jedenfalls in Anbetracht der vergangenen Zeit überhaupt möglich ist. (1,21).
Thukydides beschreibt Situationen und lotet Handlungsspielräume aus. Vielleicht hat er gehofft, dass Staatsmänner aus seinem Werk lernen könnten, ihr Handeln am Möglichen auszurichten, statt immer weiter gesteckten Zielen nachzujagen. Er selbst bezeichnete sein Werk als einen „Besitz für immer“ („ktema eis aei“).
Ein Beispiel für die distanzierte und um Objektivität bemühte Art der Darstellung ist der Bericht über das Verhältnis der Athener zu ihren Bundesgenossen im Delisch-Attischen Seebund, den wir auf den folgenden Seiten zitieren. Thukydides beurteilt beider Verhalten kritisch: Die Athener führen ein zu hartes Regiment und erzeugen Unzufriedenheit, die Bundesgenossen entziehen sich kurzsichtig und aus Bequemlichkeit der Heeresfolge, zahlen lieber den Tribut, als Schiffe zu stellen, und vergrößern so die Macht der Athener, während sie ihre eigene Kriegstauglichkeit mindern. Diese scharfe Kritik gilt auch für das Verhalten vieler Kykladeninseln in dieser Epoche.