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Ein Selbstmörder gibt dem Meer seinen Namen

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Bei der Fahrt über das Meer hat man ausreichend Zeit zum Nachdenken. Wir nutzen es, um uns Gedanken über seinen Namen zu machen. Die Ägäis ist ein Arm des Mittelmeers, der das griechische Festland und die kleinasiatische Küste voneinander trennt und zugleich miteinander verbindet. Im griechischen Mythos kommen zwei Figuren vor, die mit dem Meer in Verbindung gebracht werden.

Die bekannteste Gestalt ist Aigeus. In der 431 v. Chr. im Dionysostheater aufgeführten Tragödie „Medea“ des Euripides lernen wir ihn als einen weisen, hilfsbereiten, rechtlich denkenden Menschen kennen. Er galt auch als eine Erscheinungsform des Poseidon: Aigai war der Name eines mythischen Ortes, der mit dem Meeresgott in Verbindung gebracht wurde (Homer, Ilias, 13, VV. 21 / 22). Seinem Sohn Theseus werden wir auf Naxos begegnen. Auf Kreta besiegte er mit Hilfe der Königstochter Ariadne den Minotaurus, auf Naxos verließ er sie schließlich, was schlimme Folgen nach sich zog. Wir wenden uns dem Schluss der Erzählung zu, die wir dem Werk des römischen Lyrikers C. Valerius Catullus (ca. 84–54 v. Chr.) entnehmen:


Theseus nimmt von Naxos aus Kurs auf Athen.

Theseus, von dunklem Nebel verblendet, entfielen alle

Weisungen aus dem vergesslichen Herzen, die er bis dahin

standhaft im Gedächtnis bewahrt hatte, und so zeigte

er auch nicht, die glückverheißenden Segel hissend,

seinem bangen Vater, dass er wohlbehalten

heimkehre in die Stadt des Erechtheus. Denn – so erzählt man –

einst, als Aigeus den Sohn, der die Mauern Athens mit seiner

Flotte verließ, den Winden anvertraute, umarmte

er den jungen Mann und gab ihm folgenden Auftrag:

„Du, mein einziger Sohn, den ich bei weitem mehr noch

liebe als mein Leben, den ich jetzt in Gefahren

schicken muss, der du mir kürzlich erst in meinem

hohen Alter wiedergeschenkt worden bist, nun, da dich

gegen meinen Willen mein Geschick und deine

feurige Tapferkeit mir entreißen, obwohl die müden

Augen noch nicht gesättigt sind vom Anblick des lieben

Sohnes, wisse: Traurig lasse ich dich ziehen,

und ich will nicht dulden, dass du Zeichen des Glücks trägst,

sondern ich will zuerst, laut klagend, meine grauen

Haare mit Erde und Staub verunstalten, dann gefärbte

Segel an dem schwankenden Mastbaum hissen, damit das

dunkle Tuch den brennenden Schmerz meines Herzens anzeigt.

Wenn die Athena, die dem Geschlecht und Haus des Erechtheus

Schutz versprach, erlaubt, dass du deine Rechte mit dem

Blut des Minotaurus besprengst, dann achte darauf, dass

dieser Auftrag fest in deinem Herzen verankert

bleibt und keine Zeit ihn auslöschen kann: Wenn deine

Augen unsere Hügel erblicken, dann sollen die Masten

von dem traurigen Kleid befreit werden und die gedrehten

Taue weiße Segel hissen, damit ich sie so

schnell wie möglich sehe und Grund zur Freude habe,

wenn eine glückliche Zeit dich in die Heimat zurückbringt.“

Theseus behielt bis jetzt diesen Auftrag in seinem Herzen.

Jetzt entglitt er aber seinem Gedächtnis wie Wolken,

die, vom Wind verjagt, des schneebedeckten Berges

luftigen Gipfel verlassen. Der Vater spähte ängstlich

von der Höhe der Burg. Die ständig fließenden Tränen

hatten die Augen getrübt. Kaum sah er das rot gefärbte

Segel, stürzte er sich hinab von der Höhe des Felsens.

Glaubte er doch, ein gnadenloses Schicksal habe

Theseus vernichtet. So also war das Haus befleckt vom

Tod des Vaters, als der todesmutige Theseus

es betrat. Wie er der Minostochter einst mit

rücksichtslosem Herzen Leiden zugefügt hatte,

so empfing er selbst nun Schmerzen. (64, VV. 207–248).

Der Mythos von Aigeus als dem Herrscher, dem die Ägäis ihren Namen verdankt, verbindet Athen mit dem Meer, mit Kreta und Naxos. Mit dieser Erzählung konnten die Athener ihren Herrschaftsanspruch begründen, und in ihr spiegelt sich vielleicht das von den Mykenern herbeigeführte Ende der kretisch-minoischen Seeherrschaft.

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