Читать книгу Der gefesselte Dionysos - Patrik Knothe - Страница 16

IX

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Dionysos blickte alle scharf an. Obwohl er, wie bereits erwähnt, für leicht wunderlich und seltsam befunden wurde („Is ja kein Wunder … bei der Mutter …“), genoss er trotz dessen von seiner Umwelt einen gewissen Respekt. Allein schon deswegen, weil er der beste Freund von Apollon war, dem stärksten und cleversten der gesamten siebten Klassenstufe. Doch da war noch etwas anderes das die meisten nur unterbewusst ahnten und vermuteten. Einen Teil davon sollten sie in den nächsten Tagen kennenlernen.

„Ich sage es jetzt erst einmal kurz und knapp“, begann er. „Diese Zusammenkunft findet heute statt um das alte Ekel Orthos ein für alle Mal fertig zu machen.“ Daraufhin ertönten von überall her spöttische Töne und ein paar Lacher:

„Bist du verrückt? Wie willst du das denn machen?“

„Pass mit dem bloß auf, der macht dich richtig fertig!“

„Wenn die Erwachsenen es nicht geschafft haben, wie sollen es dann wir erst hinbekommen?“

„Hab doch gewusst, dass du n Dachschaden hast, Dionysos.“

„Naja, wenigstens haben wir ein gutes Fußballspiel gehabt.“

„Reicht’s noch für eins bevor es ganz dunkel wird?“

„Jetzt lasst mich doch erst einmal erklären …“, unterbrach Dionysos das Stimmengewirr. „Nur weil unsere Eltern oder irgendjemand anders in Delphi das nicht hinbekommen hat, heißt das noch lange nicht, dass wir es nicht schaffen. Und fertig gemacht hat er uns auch schon … ihr seht ja mein Gesicht. Das ist sein Werk. Er hat uns im Wald erwischt und verprügelt als wir gerade dabei waren unser Baumhaus fertig zu bauen. Das Haus, versprach er, würde zu Brennholz werden und wenn er uns nochmal erwischt, können wir bei der Polizei antanzen.“ Wieder ertönten viele Stimmen durcheinander.

„Wenn ihr mir allerdings helft, dann können wir ihm sein Leben zur Hölle machen. Nächste Woche haben wir noch Ferien und jeder hat Zeit. Ich habe einen Plan ausgearbeitet, den ich euch jetzt vorstellen werde. Wer dabei ist, wirft sein Spielzeug ins Feuer und besiegelt den Pakt. Wir werden alles geben was wir haben und all unseren Mut zusammen nehmen …“

„Warum zum Geier sollen wir unser Spielzeug ins Feuer werfen?“, fauchte eine hakennasige Blondine vernehmlich. „Kannst du mir sagen, was das für einen Sinn haben soll?“

Dionysos lächelte. „Ihr werdet den Sinn nicht verstehen aber ihr werdet ihn fühlen … ich glaube nicht, dass man so etwas mit Worten erklären kann. Deswegen habe ich auch bis jetzt darüber geschwiegen. Wenn ihr hier mit mir seid, begreift ihr vielleicht eher die Notwendigkeit unseres Vorhabens. Denkt nur alle mal daran, was er uns über die Jahre angetan hat. Ich bin mir sicher, dass hier keiner sitzt, dem er noch nie Angst gemacht hat. Und wenn wir nie etwas derartiges unternehmen, dann wird das Ekel für den Rest seines Lebens die Kinder von Delphi quälen.“ „Hallo?“, unterbrach sie ihn wieder „Schau doch mal dein Gesicht an! Das ist Körperverletzung. Und du hast zwei Zeugen!“

Dionysos begann nun aufgeregt zwischen dem Feuer und dem Kreis der Kinder auf und ab zu laufen.

„Und was wird dann passieren? Ich oder meine Eltern zeigen ihn an, er bekommt eine Strafe und verbüßt sie. Was auch immer das dann sein wird … eine Geldstrafe oder zwei Monate auf Bewährung. Dadurch haben wir aber nichts gewonnen außer das Orthos mehr Respekt vor dem Gesetz hat. Er soll aber Respekt vor uns haben.“ Dionysos hielt inne und blickte eindringlich in die Runde. „Und das schaffen wir nur wenn wir ihm selbst unsere Stärke zeigen. Und das geht nur wenn wir alle zusammenarbeiten.“

Stille in der Runde. Nur das Lodern der Flammen und Knacken des Holzes war zu hören.

„Also, dann erzähl uns mal deinen Plan.“

Dionysos fühlte sich unglaublich lebendig. Er spürte ein Feuer in sich brennen das er so noch nie gefühlt hatte … außer vielleicht beim Musizieren.

„Okay, ich habe die ganze Woche nichts anderes getan als Orthos beobachtet. Zum Glück scheint er bis jetzt zu faul gewesen zu sein unser Baumhaus weiter kaputt zu machen. Auch unsere Türe steht noch ganz in seiner Scheune.

Er steht immer gegen neun Uhr auf. Danach sitzt er bis zum Mittagessen in seinem Kabuff, sieht fern, trinkt literweise Kaffee und raucht Kette. Um ein Uhr ruft ihn seine Schwester zum Mittagessen. Hierzu trinkt er sein erstes Bier. Darauf folgt die Zeit in der wir zuschlagen werden: Nach dem Essen geht er nach draußen und streunt durch das Dorf; jeden Tag bis vier oder fünf Uhr. Und es ist nicht nur sein Ruf der so schlimm ist. Er macht wirklich nichts anderes als blöd durch die Gegend zu laufen. Anschließend sitzt er wieder vor dem Fernseher, trinkt aber jetzt Bier anstatt Kaffee. So um halb Sieben isst er zu Abend; übrigens manchmal allein, manchmal mit der Familie seiner Schwester, je nachdem wie er sich bei dem Male zuvor verhalten hat. Danach geht er entweder zu seinem Flimmerkasten zurück oder spielt an den Automaten in Oinos’ Bar. Spätestens um elf Uhr sitzt er zu Hause und trinkt sich ins Delirium. Wenn man ihn nicht kennen würde, könnte man direkt Mitleid mit dem Dreckskerl haben. Es ist das langweiligste Leben das man sich nur vorstellen kann. Und ich habe mir nun folgendes überlegt …“

Dionysos hatte seinen Racheplan bis in die kleinsten Details ausgearbeitet. Vielleicht sogar etwas zu penibel, aber wenn einem eine Sache so viel Vergnügen bereitet muss der Zweck nicht mehr unbedingt außerhalb ihrer liegen.

Gebannt hörten ihm seine Freunde und Klassenkameraden zu.

„Also“, sprach Dionysos mit glühenden Augen, „wer ist dabei?“

Stille. Inzwischen hatte sich die Sonne hinter den Horizont verkrochen und die Kinder waren umgeben von Dunkelheit. Zuerst regte sich niemand. Und schließlich kam das erste Wort von Apollon. Vielleicht hatten alle anderen nur darauf gewartet, dass er etwas sagen würde.

„Ich weiß nicht … das ist ziemlich leichtsinnig und gefährlich. Zum einen bekommen wir Ärger mit dem Gesetz wenn jemand fremdes davon erfährt und zum anderen ordentlich Prügel von Orthos wenn er uns in die Finger bekommt. Schau doch wie du aussiehst, Dionysos! Beim nächsten Mal landest du wahrscheinlich im Krankenhaus.“

Zustimmendes Gemurmel machte sich breit. Dann war wieder alles ruhig. Dionysos sah auf den rot schimmernden Sand unter seinen Füßen. Seine Hoffnung begann bereits zu schwinden als plötzlich eine Plastik-Trompete in die Flammen flog.

„Ich bin dabei!“ Sophia war aufgesprungen und stellte sich entschlossenen neben Dionysos. Wärme begann sein Herz zu überfließen als er sie ansah und beinahe wären ihm sogar Tränen gekommen.

„Ich auch!“, meldete sich der rothaarige Junge von vorhin und warf einen Plüsch-Clown ins Feuer.

Daraufhin folgten ein auseinanderfallender Laster, eine Schaufel, eine dreckige Stoffpuppe, ein Tischtennisschläger, eine Quietsche-Ente, ein Auto, der Federschmuck eines Indianers und eine Plastik-Pistole. Es fing an schrecklich zu stinken und eine riesige Rauchwolke umnebelte die Kinder.

Alle standen nun um Dionysos bis auf Apollon, einen lockigen Jungen namens Krotos, eine Gruppe von 5 Kindern, die sich um die hakennasige Blonde versammelt hatte und einen griesgrämig drein blickenden Jungen mit strengem Seitenscheitel und Cordhose. Einzig bei Krotos erscheint mir die Erwähnung des Namens wichtig. Wir werden später noch einiges von ihm hören.

„Also wir machen bei so was nicht mit“, sagte die Blonde hochnäsig. „Ihr seid ja verrückt geworden. Los gehen wir! Wir müssten schon längst zu Hause sein.“ Sie sprang auf und die vier anderen folgten ihr.

„Ich gehe mit ihnen“, sagte der Junge mit der Cordhose und schon war auch er verschwunden.

Dionysos sah Krotos an. Er vermied es noch sich Apollon zuzuwenden.

„Was ist mit dir?“, fragte er.

Krotos malte verlegen Figuren in den Sand. „Ich würde schon gerne mitmachen, aber ich habe mein Spielzeug vergessen …“ Ein paar Kinder lachten.

„Krotos du Trottel … mal wieder typisch!“

Dionysos machte schon den Mund auf und wollte etwas sagen, doch Krotos sprang auf einmal auf, riss sich sein T-Shirt vom Leib und warf es ins Feuer, ganz so als wäre er gerade eine böse Krankheit losgeworden.

„Geht das auch???“, schrie er schon fast und wartete keine Antwort ab, sondern rannte direkt in den Haufen seiner Freunde hinein, die schon allesamt in wildes Gelächter über ihn ausgebrochen waren.

So war nur noch Apollon übrig. Abwechselnd sah er Dionysos und Sophia verständnislos an. Er hatte einen Teddybär dabei, an dem an sämtlichen Gliedern die Wolle herausquoll.

Schließlich nahm auch Dionysos den hölzernen Weihnachtsmann dem ein Bein fehlte und übergab ihn den Flammen. Gespannt erwartete er was Apollon tun würde. Wieder waren alle still.

„Ach was soll’s.“ Und auch der Teddybär landete im Feuer.

Die Kinder stürmten auf Apollon zu, umarmten ihn, johlten und brüllten als gäbe kein Morgen. Sie sangen und tanzten um das Feuer. Es war ein sternenklarer Abend und der leichte Wind wehte ihre Rufe und Lieder bis in die Ohren der Rentner in Delphi, die gerade gemütlich auf der Terrasse saßen.

„Wir sind viel mehr als ich gedacht hatte“, keuchte Dionysos fröhlich, nachdem sich die Gemüter wieder beruhigt hatten. „So können wir es auf jeden Fall schaffen. Also morgen wieder selbe Zeit, selber Ort?“

Jeder war einverstanden. „DANN BIS MORGEN!“, schrie er und alle rannten sie wie von einer blinden Kraft ergriffen unter den dunklen Bäumen hindurch nach Delphi zurück.

Dionysos war überglücklich. Noch nie hatte er sich so lebendig gefühlt. Manch einer wird sich vielleicht darüber wundern, wie viele seiner Freunde gleich von Anfang an dabei waren, doch seien Sie ehrlich … wie schwer ist es Kinder zu Unfug anzustiften?

Der gefesselte Dionysos

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