Читать книгу Fokus SEIDENPLANTAGE - Paul Fenzl - Страница 10
ОглавлениеKapitel 5
Die Kommissarin Martina Cuscunà hielt im Präsidium der Kripo in der Bajuwarenstraße 2c die Stellung. Ihr Chef, der Köstlbacher, war mit dem Baldauf immer noch oben in der SEIDENPLANTAGE, die Kommissarin Koch mit ihrer Hündin unterwegs zu ihm. Und alle anderen Kollegen und Kolleginnen hatten Ortstermine wegen anderer Ermittlungen. Seit Wochen ein seltener Zustand, dass jeder einer Beschäftigung nachging, die nicht nur zum Todschlagen von Dienstzeit angeordnet worden war.
Nicht etwa, dass das Nichtstun bei der Polizei, insbesondere bei der Kripo, der Normalzustand wäre. Es ist in der Tat eher der Ausnahmezustand. Aber seit dieses Virus das öffentliche Leben derart lahm legte, passierte einfach nicht mehr so viel. Zumindest nicht bei der Kripo. Die in den Straßen patrouillierende Polizei hingegen musste Überstunden schieben. Letztendlich eine Begleiterscheinung von COVID-19, zumindest der daraufhin angeordneten Einschränkungen und Vorschriften, deren Einhaltung es zu überwachen galt. Natürlich stieg im Vergleich zu der Zeit vor der Pandemie die häusliche Gewalt, die ein Einschreiten der Kripo allerdings nur in Ausnahmefällen nötig machte. Zumindest dem Köstlbacher seine Truppe wurde in aller Regel erst gerufen, wenn schwere Körperverletzung vorlag, und der Tathergang nicht eindeutig war. Zum Glück hielten sich solche Vorkommnisse in Regensburg in Grenzen.
Mag sein, in Berlin oder Hamburg, vielleicht sogar in München, war die Sachlage anders. Millionenstädte waren immer schon anders dimensioniert. Wenn in Regensburg 150 Leute an einer Demo mitmachen, und das Wort ›randalieren‹ den meisten davon ein Fremdwort ist, dann geben sich in Berlin vor dem Brandenburger Tor schnell mal 20 Tausend und mehr Demonstranten ein Stelldichein. Und ein paar, die so eine Demo gerne dazu nutzen, gehörig Dampf abzulassen, sind immer darunter. Aber in Regensburg …? Natürlich gibt es auch in Regensburg ein paar Bescheuerte, aber die wären notfalls auch mit einer Wasserpistole zur Ruhe zu bringen. Ob die Polizei in Regensburg über einen Wasserwerfer, quasi die professionelle Version der Wasserpistole, verfügt, das ist ernsthaft zu bezweifeln.
Also gingen seit dem Ausbruch der Pandemie größere Straftaten, bei denen Personen zu Schaden kamen, erst einmal zurück. Bis sich die neue Situation dann einzupendeln begann. Vielleicht auch, weil sich einiges aufgrund all der Einschränkungen aufgestaut hatte.
Vergleichen lässt sich das gut mit dem Geschehen in einem Vulkan. Lange passiert nichts. Der Druck wird stärker, was höchstens an einigen Rauchwölkchen zu erkennen ist. Aber irgendwann steigt der Druck ins Unermessliche und er bricht aus. So einen triebgeleiteten Verbrecher zum Beispiel, den können äußere Umstände durchaus einmal längere Zeit davon abhalten, wieder aktiv zu werden. Aber eben nur längere Zeit und nicht für immer.
Jedenfalls bekam die Kripo plötzlich wieder alle Hände voll zu tun. Das oben in der SEIDENPLANTAGE war dabei erst der Anfang.
Trotzdem schlug zumindest für den Moment eine damit in aller Regel einhergehende Hektik bis ins Präsidium noch nicht durch. Die Kommissarin Martina Cuscunà hatte noch immer nichts Konkretes zu tun und träumte, während sie an ihren Fingernägeln herumfeilte, vom letzten Jahnspiel, wo sie geschlagene 90 Minuten am Stück ganz ungeniert all die attraktiven Spieler beobachten konnte, ohne deswegen gleich als Voyeurin verdächtigt zu werden.
Frau Cuscunà war noch nicht besonders lange im Team vom Köstlbacher. Böse Zungen behaupteten, sie hätte diesen Posten nur erhalten, weil sie eine Freundin der Staatsanwältin Dr. Simone Becker war. Eine dieser bösen Zungen war die Edith Klein, die Sekretärin vom Köstlbacher. Aber wer die Edith Klein kennt, der kann sich denken, warum die so etwas erfand. Martina Cuscunà konnte es als einzige im direkten Team vom Köstlbacher mit seiner Sekretärin in punkto Aussehens aufnehmen. Nicht etwa, weil beide blond waren. Deswegen schon dreimal nicht, weil die Klein ihre Haare ja immer wieder anders färbte. Aber die Cuscunà war auf ihre Art ebenso attraktiv wie die Klein. Und das hatte was zu sagen, weil die Klein bislang unumstritten als die schönste Frau im Präsidium galt. Von der Staatsanwältin einmal abgesehen.
Das sah auch der Köstlbacher so, wenngleich er es nie zugab, damit seine Anna ihm zu Hause wegen seiner Sekretärin nicht noch mehr die Hölle heiß machte.
Dass es außer der Klein inzwischen diese Cuscunà im engeren Team ihres Mannes gab, das war der Anna Köstlbacher zwar schon zu Ohren gekommen, aber das störte sie nicht. Noch nicht! Ihr Groll war außer auf die Klein momentan mehr auf die Staatsanwältin Dr. Simone Becker gerichtet, mit der ihr Edmund im engen beruflichen Kontakt stand. In zu engem Kontakt, wie es ihr schien, was allerdings nur ein Auswuchs ihrer blühenden Fantasie war. Wirklich eng, zumindest räumlich gesehen, arbeitete der Edmund nur mit seiner Sekretärin zusammen. Immerhin versorgte die ihn auch mit Getränken und Leckereien, wenn ihm danach war, hin und wieder sogar mit einer deftigen Brotzeit.
Martina Cuscunà, die von den ›Problemen‹ der Frau ihres Chefs nichts wusste, war immer noch in Gedanken versunken. Ihr verträumter Blick wäre jedem Beobachter sofort aufgefallen. Aber es gab keinen Beobachter. Nur ein Telefon, das gerade jetzt, außer zu klingeln, auch noch rot blinkte. Das rote Blinken war dafür gedacht, dass sie, falls sie gerade in einer Besprechung wäre und nicht gestört werden wollte, wenigstens sehen konnte, dass jemand anrief.
»Hallo Martina«, begrüßte sie ihre Freundin, die Staatsanwältin Frau Dr. Simone Becker.
»Hallo Simone! Du überraschst mich. Ein privater Anruf bei mir im Dienst?«
»Da muss ich Dich enttäuschen, liebe Martina, ist nicht privat. Ich kann nur niemanden im Präsidium erreichen. Die Klein hat mich bereits informiert, was los ist. Leider ist auch Euer Abteilungsleiter Lenz nicht im Haus.«
»Er hat einen Termin in München, sollte aber eigentlich schon längst zurück sein! Was kann ich für dich tun?«
»Unsere gemeinsame Freundin Petra Herrmann hat mich angerufen. Sie hat wegen der Mord-Sache da oben vor der Seidenpantage Angst, Kundschaft zu verlieren und möchte gerne, dass seitens der Kripo bald eine Pressekonferenz abgehalten wird, um die Leute zu beruhigen. Ich weiß natürlich, dass das nicht in deiner Macht steht. Aber vielleicht kannst du diesbezüglich den Köstlbacher sensibilisieren, sobald er zurück ist? Natürlich melde ich mich später noch selbst bei ihm. Aber du kennst ihn ja. Er kann sehr ruppig werden, wenn er sich überfallen fühlt. Zumal, wenn er erfährt, dass wir beide die Petra kennen. Verheimlichen lässt sich das auf Dauer kaum.«
»Ich werde mein Bestes tun. Aber ich kann mir gut vorstellen, dass ihn nur eine dienstliche Anweisung überzeugen wird.«
»Wird notfalls von mir persönlich ergehen. Aber trotzdem wäre etwas Vorfühlen sicher nicht verkehrt. Ich möchte vermeiden, dass meine Intervention im Zusammenhang mit meiner Freundschaft mit Petra gewertet wird.« ›Was allerdings so ist!‹, dachte Martina und beendete das Gespräch.