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Kapitel 2

Einige Stunden zuvor. Es war noch stockfinster.

Eine von Kopf bis Fuß in Schwarz gekleidete Gestalt, mit einem dem Outfit angepassten schwarzen Mundund Nasenschutz nicht eindeutig als Mann oder Frau identifizierbar, verschmolz selbst für den aufmerksamen Beobachter mit einem der Bäume gegenüber des Anwesens SEIDENPLANTAGE ›Auf der Winzerer Höhe 15‹.

Die Morgendämmerung hatte endlich eingesetzt. Trotz des wolkenverhangenen Himmels und der Nebelschwaden, die sich von der Donau bis hoch hinauf auf die ›Winzerer Höhen‹ schoben, wurde die Sicht zusehends besser.

Die ›Winzerer Höhen‹ am Nordufer der Donau sind der Ausgangspunkt mancher Wanderrouten, die oft beim ›Krematorium‹ starten und erst einmal entlang der Straße ›Auf den Winzerer Höhen‹ verlaufen. Während ein Großteil der Wanderer bei schlechtem Wetter den geplanten Ausflug zu Fuß gerne auf einen Tag mit Sonne und guter Sicht auf Regensburg verlegt, lassen sich eingefleischte Jogger von Regen, Nebel oder gar Schnee kaum aufhalten. Sie ziehen ihr Sportprogramm durch, egal wie gut oder schlecht der Wettergott es mit ihnen meint.

So auch die junge Frau, die ihren Mini wie immer auf dem Parkplatz vor dem ›Krematorium‹ abgestellt hatte, um von dort aus ihre geplante, knapp zweistündige Runde zu beginnen. Vor dem ›Krematorium‹, dem sich der ›Städtische Friedhof Dreifaltigkeitsberg‹ anschließt, ist trotz der vielen Parkplätze nicht immer eine freie Lücke zu finden. Vor allem, wenn eine Beerdigung ansteht. Aber morgens um diese Zeit findet nie eine Beerdigung statt, und selbst für die üblichen Friedhofbesucher öffnen sich die Tore erst um 7:00 Uhr. Es wäre selbstverständlich auch jederzeit möglich, weiter oben am Rande der Straße ›Auf den Winzerer Höhen‹ zu parken. Aber gerade diese erste etwas steilere Wegstrecke macht den Reiz. Der Kreislauf kommt in Schwung und man fühlt sich, oben angekommen, frei und fit für das weitere Laufpensum.

Die dunkle Gestalt duckte sich noch etwas tiefer ins Dunkel hinter einen Baum, sobald die Joggerin in Sichtweite auftauchte. Leichtfüßig kam sie näher. Drei Schritte einatmen, drei Schritte ausatmen. Die Morgenkühle machte die ausgeatmete Luft in Form kleiner Dampfwölkchen sichtbar. Tritt, Tritt, Tritt einatmen. Tritt, Tritt, Tritt ausatmen. Völlig mechanisch. Die Technik des Joggens war für sie nichts, was sie auch nur im Ansatz bewusst tat. Routine bestimmte das Training. Während ihr Körper automatisch ein Programm abspulte, hing sie ihren eigenen, ganz persönlichen Gedanken nach.

Sie genoss diesen Nebeneffekt, den ihr das Laufen brachte. Während ihre Physis an Fitness auf dieser Route, von der sie nur in Ausnahmefällen abwich, zunahm, ging ihr Geist auf Reisen. Nicht etwa in ferne Länder, ans Meer, ins Gebirge oder in eine der schönen Metropolen dieser Erde. In Zeiten von Corona waren das ohnehin nur Illusionen, die zumindest momentan keinen hohen Stellenwert mehr hatten. Die junge Frau war Realistin und hasste es, sich mit der Frage ›Was wäre, wenn?‹ auseinanderzusetzen. Schon dreimal nicht im Zusammenhang mit Corona. Anders im konkreten, alltäglichen Leben. Dort schien es ihr durchaus interessant, Vermutungen anzustellen, was zum Beispiel passiert wäre, wenn sie gestern dem attraktiven Mann, der in letzter Zeit schon öfter auf Abstand neben ihr im Hörsaal gesessen hatte, keinen Korb gegeben hätte und seiner Einladung auf einen Kaffee gefolgt wäre. Diese Fantasie vertiefen konnte und wollte sie allerdings nicht. Sie hatte bereits eine Affäre. Eine weitere würde sie vom Studium dann doch zu sehr ablenken. Auch wenn sich einige ihrer Kommilitoninnen diesen Luxus durchaus gönnten.

Als junger Mensch macht man sich noch keine Gedanken darüber, wie das letzte Stündchen wohl dereinst aussehen könnte. Halbwegs realistisch vorstellen kann man sich vielleicht einen Unfalltod, weil diese Todesart bei jungen Menschen kaum weniger häufig vorkommt als bei solchen, die schon ein langes und erfülltes Leben hinter sich haben. Einen Unfalltod verbindet man mit Schnelligkeit. Es macht einen Rums, und das Licht geht aus.

Dass ein Messer, das einem ins Herz fährt, auch kaum mehr als einen Rums macht, bevor das Licht ausgeht, daran zumindest hatte die Joggerin nicht in ihren surrealsten Träumen gedacht, obgleich sie Thriller mochte und Szenarien dieser Art schon oft genug gelesen oder in Filmen gesehen hatte. Aber etwas lesen, am Bildschirm oder im Kino sehen oder es am eigenen Leib verspüren, das ist eben grundlegend verschieden.

***

Während an sonnigen Wochenenden Hunderte von Spaziergängern an den beiden Toren zur SEIDENPLANTAGE, vor allem dem zum Haupteingang hin, gaffend stehenbleiben, beeindruckt von der Schönheit des Gebäudes, das viele noch aus ihrer Jugend als den ›Handerer‹ kennen, wo man sich am Samstagabend zum Tanzen traf, war die Straße heute gähnend leer. Noch parkte kein einziges Auto auf dem seitlichen Parkstreifen, auch keines des Personenkreises, der in der SEIDENPLANTAGE bald seiner Arbeit nachgehen würde.

So fiel auch bisher niemandem das blutige Messer in der Einfahrt hinter dem Haupttor auf. Da es etwas seitlich lag, sollte es noch Stunden dauern, bis es entdeckt wurde.

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