Читать книгу Fokus SEIDENPLANTAGE - Paul Fenzl - Страница 16
ОглавлениеKapitel 11
Es waren noch keine fünf Minuten seit der Besprechung vergangen, als zwei Anrufe hintereinander beim Köstlbacher eingingen. Der erste kam von der Spusi. Hans Keller, der Laborchef im Hause, hatte die Mordwaffe abschließend untersucht. Das Blut daran stimmte mit dem der Toten überein. Was nicht anders zu erwarten gewesen war. Aber was der Keller, beziehungsweise eine seiner Laborantinnen, nach dem Säubern der Waffe entdeckt hatte, erstaunte. In die Klinge war sehr dilettantisch, jedenfalls absolut unprofessionell, ein Name in großen Druckbuchstaben eingraviert: KARIN.
Der Köstlbacher ließ sich ein Bild davon zumailen, druckte es aus und befestigte es neben dem Bild des Mordopfers an der Pinnwand. Ob sich zu dieser Dreierbeziehung Opfer/Mordwaffe/Gravur ein Zusammenhang konstruieren lassen würde? Der zweite Anruf war nicht nur beunruhigend. Dadurch würden alle Ermittlungen erschwert werden. Vor allem die oben in der SEIDENPLANTAGE. Es kam, wie nicht anders zu erwarten, zu einem erneuten Lockdown wegen der Corona-Pandemie. Gewundert hat es den Köstlbacher nicht. Anstatt diszipliniert alle geforderten Auflagen zur Vermeidung einer ungebremsten Verbreitung des scheußlichen Virus einzuhalten, suchten viele nur nach Schlupflöchern, Auflagen zu umgehen, oder erfüllten sie erst gar nicht. Verschwörungstheorien grassierten, dass einem übel werden konnte. Wieso der Landesvater Markus Söder die Schuld an allem haben sollte, – eine dieser Theorien und bei weitem nicht die absurdeste –, konnte der Köstlbacher auch nicht nachvollziehen, ganz egal, ob man den Söder nun mochte oder nicht. Immerhin war COVID-19 kein bayerisches Problem. Regensburg war inzwischen, wie die meisten bayerischen Städte und Landkreise, dunkelrot. Und darum war er jetzt da, der zweite Lockdown. In zwei Tagen würde die SEIDENPLANTAGE für mindestens 4 Wochen schließen müssen. Da war nur zu hoffen, dass die Betreiber wenigstens vor Ort blieben, um die nötige Einsicht in die Kundenkartei zu ermöglichen. Und die war bitter nötig, diese Einsichtnahme. Irgendwo musste man letztendlich mit dem Ermitteln anfangen. Schließlich war außer den Betreibern und den Angestellten das Kundenklientel der ›Dayspa‹ der einzige greifbare Personenkreis, der die SEIDENPLANTAGE und damit auch die Straße davor frequentierte.
Der Kommissar Pirzer bekam den Auftrag, sich um die Kundenkartei zu kümmern. Wie fast immer, wenn der Pirzer einen Einsatz hatte, begleitete ihn die Kommissarin Dirmeier. Bei der Kripo in Regensburg ist es ungeschriebenes Gesetz, dass immer zwei Beamte zusammen ermitteln. Nach Möglichkeit, leider aus personellen Gründen nicht immer machbar, eine Beamtin zusammen mit einem Beamten. Es hatte sich gezeigt, dass immer wieder Situationen auftreten, wo es Sinn macht, wenn eine Frau mit an Bord ist und nicht eigens im Nachhinein eine Frau hinzugezogen werden musste. Da vermutlich das Klientel oben auf der Seidenplantage überwiegend weiblich sein würde, achtete der Köstlbacher schon im Vorfeld sehr darauf, kein reines Männerteam hinzubeordern.
»Hat sich ganz schön gemausert, dieses Anwesen«, bemerkte der Pirzer, als er mit seiner Kollegin Dirmeier den Dienstwagen ungefähr dort, wo es zu dem tödlichen Überfall gekommen war, abgestellt hatte, um den Betreibern der ›Dayspa‹ einen Besuch abzustatten. »Ich kann mich noch erinnern, dass hier ein heruntergekommenes, mehr oder weniger baufälliges Gebäude gestanden hat.«
»Das war vermutlich vor meiner Zeit. Aber wie es auch früher hier ausgesehen haben mag, jetzt ist es mit Sicherheit eine der schönsten Villen der Stadt. Von der traumhaften Lage ganz zu schweigen.«
»Du spielst auf das Krematorium an?«, scherzte der Pirzer.
»Natürlich nicht! Die Aussicht! Der Blick über die Stadt!«, antwortete die Dirmeier, die den Spaß, den sich der Pirzer mit ihr machen wollte, erst mit Verspätung realisierte.
Kaum hatte der Pirzer den Klingelknopf gedrückt, öffnete sich das Tor automatisch. Auf der Treppe zum Haupteingang erschien fast zeitgleich Frau Herrmann.
»Haben Sie uns erwartet?«, fragte der Kommissar erstaunt, weil sie über die Sprechanlage noch kein Wort gewechselt hatten.
»In gewisser Weise ja. Ihr Chef war so nett, mich vorzuwarnen, damit ihr Besuch ›so effektiv wie möglich‹ wird, wie er sich ausdrückte«, erwiderte Frau Herrmann.
»Typisch Köstlbacher!«, brummte der Pirzer, was die Frau Herrmann aber nicht hören konnte.
»Darf ich Sie hereinbitten?«, fragte die Chefin der ›Dayspa‹ und ging den beiden von der Kripo mit einer einladenden Handbewegung voraus.
Der Kommissar Pirzer ist ja eher ein cooler Typ. Er sah sich alles mehr oder weniger unbeeindruckt an. ›Nicht schlecht!‹, dachte er sich, vertiefte diesen Gedanken aber nicht weiter. Ganz anders seine Kollegin Dirmeier. Der verschlug es erst einmal die Sprache und sie bückte sich dementsprechend spontan und unaufgefordert, um sich ihre Schuhe auszuziehen.
Frau Herrmann, die dies bemerkte, meinte: »Lassen Sie, ich habe Überschuhe für Sie herausgelegt!«
Versehen mit diesen blauen Plastiküberziehern, wie man sie auch in einigen Abteilungen der Uniklinik tragen muss, um Verunreinigungen vorzubeugen, folgten sie der Hausherrin ins Büro, wo die entsprechenden Unterlagen schon zur Durchsicht bereitlagen. Sogar zwei Tassen heißer Kaffee standen daneben.
»Ich vermutete, den könnten Sie gebrauchen!«, lächelte Frau Herrmann und deutete dabei auf den Kaffee.
Der Regelfall ist ja eher, dass die Polizei bei der Ermittlungsarbeit behindert wird. Darum hatten der Pirzer und die Dirmeier mehr oder weniger zeitgleich das Gefühl, es könnte etwas nicht stimmen und man wolle sie einlullen. Aber in der nächsten halben Stunde, in der Frau Herrmann zu jeder auftauchenden Frage, ohne zu zögern bereitwillig Auskunft erteilte, verschwand dieses Gefühl wieder. Wichtige Listen wurden zur Mitnahme kopiert. Dass bei den Ermittlungen zu einem Mordfall der Datenschutz kein Thema war, stand dabei gar nicht erst zur Debatte.
Als die beiden Kripobeamten das Anwesen verließen, wussten sie bestens über die Abläufe in der ›Dayspa› in der SEIDENPLANTAGE Bescheid und hatten die Namen aller Kunden und natürlich auch die der Angestellten mit im Gepäck. Natürlich hofften sie, einer dieser Namen würde mit der toten Joggerin in Verbindung gebracht werden können. Damit wäre schnell ein erster Schritt getan, diesen abscheulichen Mord aufzuklären.