Читать книгу Der Preisgekrönte - Paul Oskar Höcker - Страница 6

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Der Raum ist eine Mischung von Atelier und Schlafzimmer. Grosse Reissbretter stehen herum. An den Wänden hängen Grund- und Aufrisse. Auf dem mächtigen Arbeitstisch neben dem Bett liegen Stösse mit Berechnungen, Quittungen, Aufstellungen, Zeichnungen. August Hartmann ist Architekt. Er war preussischer Regierungsbaumeister, hatte in dem jetzt an Polen gefallenen Städtchen Brannstein den Bau einer Schule geleitet, war aber auf einer Urlaubsreise durch Spanien in Santiago hängengeblieben und hatte sich hier mit der Schwester eines reichen Bauunternehmers verheiratet. Bevor noch sein Abschiedsgesuch das Ministerium erreicht hatte, war der Krieg ausgebrochen. August Hartmann war bei Givenchy schwer verwundet in englische Gefangenschaft geraten. Nach über vier Jahren kam er nach Santiago zurück. Die Frau war im ersten Kriegswinter nach falschen Wochen gestorben. Er trat bei seinem Schwager als Konstrukteur und technischer Leiter ins Geschäft ein, trotz häufiger Krankheit infolge verfehlter Operationen eine eifrige und gewissenhafte Stütze des Bauunternehmers.

Aber Dodo, obschon ein wenig vorbereitet, erschrickt nun doch sehr über Onkel Augusts Aussehen. Oh, was ist in den sechs Jahren aus ihrem Backfischschwarm geworden! August Hartmann ist recht hinfällig, erheben kann er sich nicht, die Füsse tragen ihn nicht mehr, und er ist Haut und Knochen.

„Ich habe euch Hosianna rufen hören!“ begrüsst er die Nichte, sich zu einem forschen Ton aufraffend. Das war ja heute ein herrliches Verbrüderungsfest! Du siehst brillant aus, Dodo, bist wahrhaftig schon eine ganze kleine Señorita geworden, kein eckiges Schulmädel mehr, wie im November achtzehn. Und deine dunkelbraunen Samtaugen hast du dir immer noch nicht gewaschen. Kleine.“

„Ach, der alte Kinderspass, Onkel! Der lebt noch?“

„Fräulein Hartmann hat unterwegs noch viel aggressivere Huldigungen erlebt. In Deutschland hätte ich wohl als richtiger Kavalier deswegen Händel auf offener Strasse anfangen müssen.“

„Ja, Dodo, du wirst sehen, wir sind hier masslos verwildert. Wieviel Tage bleibst du? Du schläfst oben im Balkonzimmer. Maria Luisa hat ein köstliches Himmelbett aufgestellt. Abends feiern wir eine Orgie mit selbstgekeltertem Landwein, mit Austern und Tintenfisch aus dem Golf und mit Primafrüchten von unserem eigenen Landgut.“

„Ach, liebster Onkel August, ich habe doch nur die paar Stunden Zeit — um vier Uhr fünfzig ist schon Weiterfahrt nach Coruña.“

„Das ist ja ein Verbrechen. Percy, altes Rauhbein, was sagst du dazu?“

„Ich bin natürlich ausser mir.“

„Bin natürlich ausser mir! Glatte, geölte Phrase. Ich würde vor Wut mit allen vieren trampeln, wenn sie mir noch wie dir zur Verfügung ständen. Nein, Dodo, Kind, so schnell geben wir dich nicht frei. Zunächst lege mal ab ... Ist es die Möglichkeit, du hast dir ja die schönen langen Zöpfe abgeschnitten? Bewahre mich der Himmel ... Maria Luisa! Dejeuner! Tisch decken, anrichten! ... Percy, du sorgst für den Wein. Nimm den weissgelackten, den alten, rotgelackten vertragen nur wir rauhen Männer ..., das Mädel, Mädel, ganze zweiundzwanzig Jahre bist du schon? Nein, was siehst du unserer Mutter ähnlich. Die Augen frappant. Von deinem Vater und deinem Grossvater hast du gar nichts. Dein Vater war überhaupt lange nicht so schön wie ich. Die höheren Töchter von Elbing haben mich immer vorgezogen. Du musst entschuldigen, dass ich in Filzparisern zur Tafel erscheine. Nun erzähle mal ein paar Schwänke aus deinem Leben. Also in Hamburg tust du Sklavendienste als Bürofräulein? Kommst du denn mit deinen paar Zechinen aus?“

August Hartmann ist sprunghaft. Das Wiedersehen mit der Nichte hat ihn aufgepufft. Er vergisst über der Erregung des Augenblicks seine quälenden Schmerzen. Aber sein Freund Armin, der ab und zu im Säulengang erscheint und einen Blick hereinwirft, auch ein paar Worte mit ihm oder dem jungen Gast spricht, weiss, dass der Ärmste diese Stunde hernach doppelt zu büssen haben wird.

„Nach dem Essen muss er sich ausstrecken und zu schlafen versuchen“, sagt er heimlich zu Dodo; „wenn Sie verlangen, dass ich Ihnen die Kathedrale zeige, wird er sich fügen, denn die müssen Sie doch sehen.“

Dodos Hoffnungsseligkeit hat längst einer schweren Enttäuschung Platz gemacht. Onkel August ist ja nur noch eine Ruine. Wer kann wissen, wie lange er dies Leben noch weiterführen wird? Auch seine finanziellen Verhältnisse scheinen im argen zu liegen. Mit seinem Schwager, dem Bauunternehmer, lebt er auf gespanntem Fuss. „Wenn er mich nicht hätte fürs Büro und Percy für die Bauleitung! — Aber er ist von einem unerträglichen Hochmut! Zum Verzweifeln, dass ich das Geld brauche, und vor allem die Arbeit, die mich allein noch aufrechterhält ... Ja, siehst du, Dodo, Kind, ich habe mir das früher einmal ganz anders gedacht. Aber eine regelrechte deutsche Häuslichkeit wäre hier ein Unding. Gar nicht burchzuführen. Ich muss die armen Weiblein da draussen und ihre Bälger schon mit in den Kauf nehmen. Um Percy tut’s mir leid. Ich hätte ihn nicht mit hierher schleppen sollen.“

„Er ist auch Architekt? Aber du sagtest doch — war er nicht in Handforth dein Schüler? Hat er studiert, als der Krieg vorbei war?“

„Student? Bei mir. Bloss bei mir. Das ist’s ja eben. Ja. Wir hatten da Hochschulkurse eingerichtet im Gefangenenlager. Zuerst war alles Feuer und Flamme. Doch bei den meisten dauerte der Eifer nur ein paar Wochen. Wir waren eine grosse Ausnahme. Er blieb auch mein einziger Student. Aber wir haben beide drei Jahre lang Tag für Tag geochst. Das heisst: wenn er nicht gerade im Kittchen sass.“

„Im Gefängnis?“

„Wenigstens im Arrest. Er konnte ja seinen Schnabel nicht halten, sobald er gereizt war. Auch gegen die Brillenschlange nicht. Das war der englische Feldwebel. Da hagelte es dann eben Strafen für ihn. Die anderen Kursleiter beneideten uns beide um unsere Konsequenz. Ich hatte mir alle Bücher verschafft und lernte wieder mit. Er wuchs mir schliesslich doch noch über den Kopf. Er ist hervorragend begabt. Aber hier in Santiago kommt er nicht vorwärts. Es ist traurig, es einzugestehen. Und du hättest sehen sollen ... Hab’ ich dir geschrieben, wie er an dem Berliner Preisausschreiben geschuftet hat?“

„Nein, Onkel August. Das neue Sportforum? Ich schickte dir den Aufruf damals, aber du hast gar nicht weiter darauf reagiert.“

„Nun ja, mir persönlich liegt so etwas nicht. Ich bin nichts als Schulmeister und Rechenmensch. Und dazu gehörte Phantasie. Das war so was für Percy. Ich sagte ihm also, dass ich mich an der Arbeit beteiligen würde, bloss, damit er wieder einmal eine schöne Aufgabe lösen konnte. Das hier in Santiago ist ja ödeste Maurermeisterei, sonst nichts.“

„Und ihr habt die Arbeit nach Berlin geschickt, richtig eingereicht? Was ist daraus geworden?“

„Bis jetzt nichts. Aber sie müssten ja blind sein, wenn ihnen diese famose Lösung entginge. Da sich nur Akademiker beteiligen konnten, trägt die Arbeit der Form halber meinen Namen. Motto: ‚Gott Pan.‘ Aber bekommt sie einen Preis, dann fällt das Geld natürlich restlos Percy zu.“

„Warum hat er aber nicht studiert, als er aus England kam?“

„Weil er keinen Pfennig hatte. Mit dem Notabiturium ins Feld ausgerückt, die Mutter, die sich notdürftig mit Pensionären durchschlug, gestorben; er wollte schon ins Baltikum, als Söldner, weil ihm damals kaum anderes übrigblieb. Da schlug ich ihm auf die Schulter. Komm mit, nach Santiago, sagt’ ich, wo ich satt werde, langt’s auch für dich.“

„Das war fein von dir, Onkel August.“

„Nee. Falsch war’s. Denn in den fünf Jahren seitdem hat der arme Junge mit all seinen Kenntnissen, seinem Talent, seiner Phantasie, seinem Fleiss meinem grossspurigen Schwager Rioja hier bloss einen billigen Maurerpolier abgegeben. Ich hab’ dem Jungen sein ganzes Leben verpatzt. Das lastet auf mir, kleine Dodo.“

*

Der Preisgekrönte

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