Читать книгу Der Preisgekrönte - Paul Oskar Höcker - Страница 8

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Nun ist der grosse Kirchenfeiertag vorbei. Bei langsam einfallender Dämmerung hat sich das anfangs unentwirrbare Durcheinander der parkenden Autos gelichtet. Puffend und tutend sind sie mit den deutschen Gästen nach Norden abgezogen. Noch weithin ist die feurige Schlange auf der Strasse nach Coruña sichtbar geblieben.

In seltsamen Fahrzeugen, meist Karren mit zwei mannhohen Rädern und einer Plane, verlassen die Wallfahrer, soweit sie nicht in Schulen oder Scheunen in Massenquartieren für die Nacht untergebracht sind, die Stadt.

Durch die Strassen ziehen noch immer die kleinen Musikbanden, die auf der Plaza vor dem Rathaus und vor den Gasthöfen und Wirtschaften ein Ständchen ans andere gereiht haben. Mandoline und Gitarre bilden die melodischen und harmonischen Instrumente. Als Schlagzeug dienen Kastagnetten, Tamburin und Triangel. Ein Teil der Musikanten singt die Volkslieder der Provinz, aber auch geistliche Hymnen, mehrstimmig, ein anderer Teil tanzt die reigenartigen Tänze, eine Art Tarantella, bei der alle Zuschauer in wachsende Erregung geraten und den Rhythmus durch Händeklatschen markieren.

In der Rúa del Villar ist es sehr spät still geworden. Maria Luisa hat mit Unterstützung des ganzen Freundinnenkreises den grossen Zwiebelkuchen aufgetragen, als Vesper, als die junge Deutsche mit Señor Arminio aus der Kathedrale zurückkehrte. Der Herr des Hauses hat noch sehr fidel mit dem Besuch geschwatzt, er war lange nicht so angeregt wie heute. Percy hat seine Preisarbeit zeigen und erklären müssen. Und die Señorita Dodo hat die Herzen aller Anwesenden gewonnen, auch der Kinder. Während sie die Kopien der Zeichnungen durchsah, sassen immer zwei der Bambini von Isabel auf ihrem Schoss. Isabel ist die Nichte von Maria Luisa und die Besitzerin des kleinen Heiligenbilderlädchens. Sie hat heute gute Geschäfte gemacht. Auch mehrere Deutsche sind auf dem Spaziergang durch die Stadt in ihren Laden gekommen und haben Wachskerzen und Biskuitstatuetten als Reiseandenken gekauft. Nun muss das noch alles ausführlich beredet werden, und so dauert es lange, bis alle Kinder schlafen gelegt sind. Das Himmelbett, in dem Señorita Dodo hat liegen sollen, bleibt noch ein paar Tage lang ein Gegenstand ehrfürchtiger Bewunderung.

Aber der Festtag ist Onkel August schlecht bekommen. Er hat starkes Fieber. Und nun beginnt gleich wieder das Gezanke mit dem Arzt, der noch einmal operieren will.

Percy ist seltsam verändert seit dem Besuch der jungen Deutschen. Der verbitterte Ausdruck um seinen Mund ist verschwunden. In seinen Augen liegt etwas Neues. Mit heiterer Gewissheit tut er seine Arbeit auf dem Bauplatz. Francisco Rioja, Augusts Schwager, der sonst fast alle Tage mit ihm in Streit geriet, findet keine Gelegenheit mehr zu Auseinandersetzungen. Armin Hartmann widerspricht nicht, er will nicht belehren, sondern er führt aus, was man ihm aufträgt. Seltsam.

„Er hat irgendeine Teufelei vor!“ beschwert sich Rioja bei seinem Schwager.

Doch auch hier findet er nicht den gewünschten Widerhall. August Hartmanns Blick geht über die nächste Umgebung gleichgültig hinweg. Er arbeitet noch, wenn das Fieber nachlässt, an den Bauplänen, führt die statischen Berechnungen aus, die das Büro bei ihm bestellt, er tut es schon rein mechanisch, zu Debatten ist er nicht mehr aufgelegt — oder nicht mehr imstande.

Fünf Wochen nach Dodos Besuch in Santiago findet Percy, als er vom Neubau kommt, den alten Kameraden ganz ohne Besinnung. Er hat ihm einen Brief von Dodo vorlesen wollen — denn sie stehen jetzt in eifriger Korrespondenz — aber August hört und sieht nicht mehr. Sein Kopf ist zurückgebeugt, das Kinn und die Nase stehen in die Luft, und die abgezehrten Hände streichen über die Decke. Es ist, als ob der müde Kranke auswendig die Orgel spielte. Armin glaubt das Spiel zu hören: die suchenden, schwebenden Läufe in den hohen Oktaven. Immer höher geht es, immer höher. Vox humana erklingt. Äolsharfe. Dann tönt nur noch das Fernregister ...

Mit gefalteten Händen ist Percy an das Totenlager des Kameraden getreten. Neun Jahre hat ihre Zelt- und Arbeits- und Leidgenossenschaft gewährt. Hundert Bilder jagen durch seine Sinne. Er bittet dem hilfsbereiten Mann alles ab, wodurch er ihn gereizt, gekränkt, gequält hat. Aber er trauert nicht, er klagt den Tod nicht an, der nun endlich als Erlöser gekommen ist.

„Und das verspreche ich dir, mein alter Junge —“

Er muss abbrechen, denn Maria Luisa ist hereingekommen. Als sie das müde, erstarrte Lächeln auf dem Antlitz des Hausherrn sieht, reisst sie die rosa Bettjacke gegen ihren Mund und stösst einen halbunterdrückten Schmerzensschrei aus.

Daraufhin versammelt sich ihre ganze Verwandtschaft im Sterbezimmer, ihre Nichte Isabel und deren neun Kinder, auch ihre Freundinnen strömen noch aus der Nachbarschaft herbei, mit Kind und Kegel.

Die Rúa del Villar ist erfüllt von der Totenklage. Unter den Arkaden pflanzt sich das Geschrei widerhallend durchs ganze Stadtviertel fort.

Es gibt ein grossartiges Begräbnis. Francisco Rioja trägt die Kosten. Leichenbegängnisse sind vornehme Repräsentationsgelegenheiten hier, und der Schwager lässt sich nicht lumpen.

Nach der Beisetzung tut der reiche Bauunternehmer noch ein übriges. Er begibt sich ins Trauerhaus zurück und sucht den jungen Deutschen auf, den Freund seines verstorbenen Schwagers.

„Sie sind um zehn Jahre jünger als Augusto, mein Lieber, aber ich will Ihnen trotzdem mein Angebot machen. Sie können die Arbeit von Augusto übernehmen. Natürlich kann ich Ihnen noch nicht seine grossen Revenuen zahlen. Aber harren Sie aus, dann wird es zu Ihrem Besten fein. Mehr darf ich heute nicht verraten.“

Percy hält sich völlig im Zaum. Nun wäre die Gelegenheit da, nach der er sich jahrelang gesehnt hat. Einmal, ein einziges Mal dem aufgeblasenen Protz von Prinzipal die Wahrheit ins Gesicht zu schleudern ... Aber er bleibt äusserlich ganz spanischer Grande. „Sehr freundlich, Señor Rioja, Ihr Anerbieten. Aber ich kann es nicht annehmen, so gut es gemeint sein mag. Ich kehre in meine Heimat zurück.“

„Nach Alemania? Was wollen Sie da? Man hat dort kein Geld, um zu bauen. Sie werden keine Stellung finden.“

„Die suche ich auch vorläufig nicht. Ich setze mich in Deutschland wieder auf die Schulbank. Ja, sehen Sie, Männer, die so wenig können wie Sie und ich, Señor Rioja, die müssen noch sehr viel studieren, bis sie höheren Ansprüchen genügen.“

Der Bauunternehmer sieht ihn eine ganze Weile starr und stumm an. Endlich hat er die Malice begriffen. „Sie werden Ihren Leichtsinn noch schwer bereuen, mein Lieber“, sagt er und verlässt zornig das Trauerhaus.

Mit dem Notar ist die Regelung der Hinterlassenschaft Augusts aufs peinlichste vorbereitet. Viel wird Dodo, seine Erbin, nicht ausbezahlt bekommen, wenn die beiden kleinen Landgütchen endlich einen Käufer gefunden haben werden. Der Notar meint, man dürfe den Verkauf keinesfalls überhasten.

Armins Barschaft ist kleiner als sein Mut. Sein Geld reicht nur dazu, dass er die Fahrt nach Hamburg auf einem kleinen Frachtdampfer zurücklegen kann. Aber sein Mut reicht aus, um die Welt zu erobern.

Er weiss, er wird in Hamburg Dodo wiedersehen!

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Der Preisgekrönte

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