Читать книгу Der Preisgekrönte - Paul Oskar Höcker - Страница 7

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Das Festmahl hat in dem maurisch ausgeputzten kleinen Sälchen stattgefunden, das seitlich an den Patio grenzt. Für die drei Gäste gab’s sieben Speisenzuträger: Maria Luisa, ihre Nichte Isabel, deren Freundinnen und die ältesten Kinder des Hauses haben sich in die Aufwartung geteilt. Aber trotzdem hat bei Tisch immer noch etwas gefehlt. Die festliche Aufregung der Bedienung hat auch über das Versagen aller Kochkünste hinweghelfen müssen.

August Hartmann hat mehrere Glas von der schweren Sorte seines kleinen Weinguts auf Dodos Wohl getrunken und lässt sich willenlos wieder ins Bett schaffen. Schon halb im Schlaf gibt er seinem jungen Freund allerlei Ermahnungen ...

Und nun stehen die beiden jungen Menschen in der Kathedrale inmitten der buntgekleideten Schar der Bauern, lauschen dem feierlichen Wechselgesang im Chorgestühl und schauen zu der mächtigen Kuppel empor, in der die Reflexe der Lichter und Messgeräte und Marmorsäulen mit dem durch bunte Gläser eindringenden Tage kämpfen. Lange schweigen sie. Dodo ist ganz ergriffen. Sie hat in den Wochen vor der Ausfahrt jede freie Stunde benutzt, oft bis tief in die Nacht hinein, um die Kunstbücher zu studieren, die von der Reederei in die Propagandaabteilung geschickt worden sind. So ist sie gut vorbereitet nach Spanien gekommen. Rund um sie herum herrscht lebhafte Bewegung. Befreundete Familien treffen sich hier, die einander seit dem vorjährigen Kirchenfest nicht mehr begegnet sind. Kinder spielen Versteck hinter den Säulen, geraten auch zwischen die Reihen kniender Beter. Niemand nimmt Anstoss daran oder lässt sich in seiner Andacht stören.

„Das ist für sie hier der Salon, in dem der liebe Gott seine Feiertagsgäste empfängt!“ sagt Armin, als ein kleines Mädchen beim Spiel mit einer ins Rollen geratenen Steinkugel ihn beinahe ins Stolpern bringt. Er tröstet die erschrockene Kleine und hilft ihr dann eifrig nach der Kugel suchen.

Gäste vom „General San Pedro“ sind in kleinen Trupps in die Kathedrale eingetreten. Die Damen blicken die Sekretärin des Reiseleiters, die sich hier in der Gesellschaft eines fremden, auffallend hübschen, sehr jungen Mannes zeigt, verwundert, fast vorwurfsvoll an. „Wir wollen jetzt lieber flüchten“, raunt Dodo ihm zu. „Es ist zu kompliziert, den Herrschaften auseinanderzusetzen, dass Sie Hartmann heissen und doch nicht mein Onkel sind.“

Im Hinausgehen nimmt sie im Gedränge seinen Arm. Ein bisschen stolz ist sie denn doch auf seine Begleitung. Natürlich werden sie an Bord noch viel über ihn erfahren wollen, denn er ist wirklich eine ausserordentliche Erscheinung. „Es sind die richtigen Lotsenaugen!“ stellt sie bei sich fest, als sie ihn so weit über die Köpfe der Menge hinwegschauen sieht. Es kann etwas Strahlendes in seine blauen Augen treten, so zum Beispiel, wenn er empordeutet und ihr an Kapitellen, Zwickeln, Friesen besondere Schönheiten der Linienführung und ihrer Überschneidungen klarmacht. Eine wahre Inbrunst beherrscht ihn, ein inneres Feuer. „Wie mager er ist!“ denkt sie dann wieder. Seine Schläfen sind leicht eingesunken, die Nase, die ziemlich gross ist, tritt charakteristisch hervor. Um seinen Mund liegt eine Art Trotz. Wenn er die Lippen aufeinanderpresst, hat sein Ausdruck dabei etwas Schmerzliches. „Er verzehrt sich innerlich!“ sagt sie zu sich, eingedenk der Worte, die Onkel August über seinen verfehlten Studiengang gesprochen hat.

Längst sind sie nun im Kreuzgang angelangt. Er erklärt — sie lauscht seiner Stimme sehr gern. Es liegt soviel Leben darin. Aber er kann dann plötzlich abbrechen, ganz blitzartig, und die Lippen trotzig schliessen, als lohne es nicht, überhaupt zu reden.

„Warum schweigen Sie jetzt?“ fragt sie ihn, ein wenig eingeschüchtert. „Hab’ ich etwas Dummes gesagt?“

„Nein, nein. Ich sah nur eben durch die Rosette da drüben den Stadtteil Monte, in dem Francisco Riojas neue Kolonie liegt. Dort blüht unser Handwerk. Aus Gips und Stuck, wie Augusts Schwager das eben so blühen lässt, alle Jahre wieder. Und da schämt man sich halt. Oder die Verzweiflung packt einen. Ich wollte Ihnen die Freude hier nicht stören, verzeihen Sie.“

„Sie haben mir viel gegeben in dem Stündchen, Herr Hartmann. Hätt’ ich Sie nur in Sevilla als Führer gehabt, im Alkazar. Dort musste ich in der ganzen grossen Herde mitjagen. Im Generalife, in der Alhambra, erwischte ich zum Glück ein bisschen Einsamkeit. Da konnte man wenigstens versuchen, in die fremde Welt zu versinken. Wenn ich ein paar Tage hierbleiben könnte, wie Onkel August sich das dachte, dann würde ich Ihnen keinen Augenblick Ruhe geben. Von allem, was ich auf der ganzen schönen Reise sah, wird mir die Kathedrale von Santiago am lebendigsten in Erinnerung bleiben. Dafür danke ich Ihnen herzlich, Herr Hartmann.“

Impulsiv gibt sie ihm die Hand. Er hält sie eine Weile fest. „Mit Ihnen ist nun plötzlich wieder Deutschland in mir lebendig geworden. Zuerst, in der grossen Enttäuschung hier, war der Ruf immer sehr, sehr stark. Allmählich schwieg er dann. Man versank im Alltag. Und ich wollte doch August auch nicht alle Tage kränken. Jetzt bin ich es, der ihn trösten muss.“

„Ich habe mich zu Tode erschrocken, als ich ihn wiedersah.“

„Die Ärzte haben viel an ihm gesündigt. Aber August trägt sein Los ja ziemlich gefasst. Nur über meines klagt er soviel. Und das treibt mich oft zur Verzweiflung.“

Er macht wieder seinen trotzigen Mund. „Ich bin jetzt sechsundzwanzig, mit knapp siebzehn kam ich von der Schule.“

„Sie sind als halbes Kind ins Feld gegangen?“

„Meine Konabiturienten, die mit mir nach Flandern kamen, haben das bessere Los gezogen. Sie sind dort gleich geblieben.“

„Nein, Herr Hartmann, so dürfen Sie nicht sprechen!“ Sie hat wieder seine grosse, magere, arbeitsfeste Rechte zwischen ihre schmalen Schreibmaschinenfinger genommen. „Was soll ich hernach zu Onkel August sagen? Er wird mich doch sicher ins Verhör nehmen.“

„Ich lüge ihm oft die Hucke voll. Jedesmal, wenn ich so tue, als sei ich seelenvergnügt. Ja, da betrinken wir uns dann gemeinsam mit dem fürchterlichen Landwein von seinem eigenen Gut — im Vertrauen gesagt, es ist noch nicht einmal für neunhundert Peseten loszuschlagen, das sind knapp sechshundert Goldmark — und dämmern so hin bis zur nächsten Erkenntnis unserer Lage.“

Rasch wendet er sich von ihr weg und zeigt zum Turm empor.

„Haben Sie gute Lungen und ein gesundes Herz, Fräulein Dodo? Dann müssen Sie mit hinauf ins Glockengestühl. Aber es sind ein paar hundert Stufen. Und ganz oben geht’s über Leitern. Oder sind Sie schwindlig?“

„Ich glaube, ich werde es schaffen. Aber Sie müssen bei mir bleiben, Herr Hartmann.“

„Ja, ich bleibe bei Ihnen.“ Er packt sie plötzlich an der Schulter, ganz jungenhaft. „Ich freue mich, dass Sie da sind.“

„Hat Ihnen Onkel August schon von mir erzählt?“ fragt sie ihn, während sie dem Turmvorbau zuschreiten.

„Wenig. Nur wenn ihm gegen seine Absicht einmal das Herz überlief. Er war ja gar zu eifersüchtig.“

„Wie denn — eifersüchtig?“

„Nun ja, er wollte Sie doch heiraten.“

„Er — mich — heiraten? Aber nein!“

„Das war doch ausgemacht zwischen Ihnen. Etwa nicht?“

„Niemals ist auch nur mit einer einzigen Silbe —“

„Jetzt schwindeln Sie, Fräulein Dodo.“

Mitten auf der schmalen Wendeltreppe bleibt sie stehen und wendet sich nach ihm um. „Ganz ehrlich, Herr Hartmann: lügen kann ich nicht. Niemals. Und wenn’s um meinen Kopf ging: die Wahrheit musst’ ich immer sagen. Das hat mir oft geschadet, ich weiss.“

Sie müssen andere Turmbesteiger vorüber lassen. An die runde Mauer ganz zurückgelehnt warten sie, bis die Schritte sich wieder entfernt haben.

„Wenn Sie so sprechen, muss ich Ihnen natürlich glauben. August ist erst im letzten Herbst zu der Erkenntnis gekommen, dass er an sein Schicksal kein fremdes mehr fesseln darf. Er hat wohl den Arzt auf Herz und Nieren gefragt. Seitdem geht es auch rapide mit ihm abwärts. Was hätten Sie aber gesagt, wenn er Ihnen eines Tages seine Werbung ins Haus geschickt hätte?“

„Früher — ja — früher hätte ich mich wohl sehr gefreut und hätte Ja gesagt.“

„So. Was heisst das: früher?“

„Ich hatte ihn da noch anders in der Erinnerung. Und bedenken Sie: Spanien, für mich das Wunderland! Nicht die graue Hofecke dort am Fleet in Hamburg! Und aufbauen können! — Ja, das ist es: aufbauen. Ich würde es nicht bei einem Menschen aushalten, der nichts mehr vom Leben erwartet. Ich brauche Hoffnung.“

„Glaube, Liebe, Hoffnung. Sie liebes, kleines Konfirmandenherz.“ Er legt sogleich beschwichtigend seine beiden Hände auf ihre schmalen Schultern. „Nein, nein, ich spotte nicht. Ich bin gerührt, wahrhaftig.“

„Aber das zeigen Sie durchaus nicht. Da, um ihre Lippen zuckt’s —“

Nun lacht er hell auf, so dass in dem endlosen Turm das Echo lange nachklingt. „Ich lache ja nur, weil — weil ich mich selbst auslachen möchte! Ja, dass ich jahrelang hier im fremden Land sitze und das Schicksal anklage ... Und da kommt so ein gottgläubiger kleiner Bursch wie Sie aus der Heimat hereingeschneit und rückt einem wieder das Herz an die rechte Stelle!“

Sie hebt, noch etwas zweifelnd, den Zeigefinger. „Ist das volle Wahrheit?“

„Ja, Fräulein Dodo. Vertrauen zu sich muss man haben. Nicht aufs dumme Schicksal warten. Selber aufbauen. Ich danke Ihnen, Fräulein Dodo ... Um Gottes willen, wir verlieren ja beide das Gleichgewicht ... Sind Sie auch wirklich nicht schwindlig geworden? Und wollen Sie mit mir kommen? Ganz bis oben hinauf?“

Sie nickte ihm tapfer zu, obwohl ihr die Knie zittern. „Ja. Ganz bis oben hinauf.“

*

Der Preisgekrönte

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