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ОглавлениеBöhmen, immer noch Sommer 1974
Ich blättere in dem Teil der Geschichte, der schon aufgezeichnet ist. Wieviel wertvoller Platz für zweifelhafte Gestalten, die nicht einen schmutzigen Heller wert sind! Wie wenig Platz für dich, Edeldackel!
Darsteller der Titelrolle – und bisher nur in Episoden aufgetreten, nur gemeine Handlungen einrahmend, die bloß Böses, Dummes und Unfruchtbares erzeugten. Doch wie aus unserer unerschütterlichen Lust zu leben neben den Blumen des Bösen menschliche Freuden und Werke der Kunst entstanden, so ging auch ohne Rücksicht auf die Normalisierung, auf die Große Oktoberrevolution, ja sogar die Große Französische Revolution und alle Großen und Größten Revolutionen davor, der Flug der Vögel, das Summen der Bienen und auch dein Dackelleben weiter, einzig und unwiederholbar.
Du hattest schon drei Neujahrsgrüße mitgestaltet, und gleich der erste, auf dem du aus dem alten russischen Grammophontrichter in unser Schicksal krochst, begründete deine Berühmtheit und eine Tradition. Als wir uns jetzt den Kopf zu zerbrechen begannen, was für ein aussagekräftiges Bild wir für den pour-féliciter-Gruß 1975 kreieren könnten, fiel uns ein, daß du in jenem Jahr die Volljährigkeit erreichen würdest: Im Oktober solltest du nach dem bekannten Koeffizienten einundzwanzig Menschenjahre alt werden. Uns überfiel Verantwortung.
Auch Hunde legen schon im zarten Alter Rechenschaft über ihren Charakter ab. Du hattest einen ungewohnt harmonischen, warst Spieler und Wilderer zugleich, Charmeur und dickköpfiger Einsiedler – dies als genetische Saat der Überlebenskämpfe, die dein Stamm, in den anglosächsischen Urwäldern gemischt, jahrhundertelang für sich und uns, seine Herren, bestreiten muß! Soweit ich weiß, warst du der einzige Hund, der je bei dem unzugänglichen Philosophen Kosík übernachten durfte, und auch der einzige, den die nervöse Malerin Jiřina zu sich einzuladen pflegte, die Frau Alexanders, des mir liebsten Schriftstellerkollegen. Fachleute bemerkten, daß sich hier eine bedeutende Hundepersönlichkeit abzeichnete und nahmen es uns sehr übel, daß wir uns bisher nicht darum gekümmert hatten, wie du anerkannte Nachkommen zeugen könntest.
Doch in der Ära des Doktor Husák genügte nicht einmal für einen Hund Talent vom Herrgott:
«Die Kaderbeurteilung schreibt sich jeder selbst!» schwor der Erste Normalisator in den Antrittstagen. Ihm gelang es nicht nur – nach dem mittelalterlichen Jesuitenzensor Koniáš –, die tschechische Nationalkultur am gründlichsten zu zerstören, sondern auch dies, daß sich während seiner Regierung nicht einmal ein Rassehund standesgemäß vermehren durfte. Die Genehmigung zum Decken konnte nur der Zuchtverein erteilen; weil der aber dem Verband für zivile Zusammenarbeit mit der Armee angegliedert wurde, einer Teilorganisation der Nationalen Front, genehmigte er keinem der erklärten politischen Feinde die Mitgliedschaft.
Dein Glück war es, daß sich ein gewisser Ing. Čech aus der südböhmischen Stadt Písek auf den ersten Blick in dich verliebte, mit der letzten Leidenschaft eines Mannes, der den größten Teil seiner fünfundsiebzig Jahre Pferden und Hunden gewidmet hatte. Dieser vitale Rübezahl fand eine tschechische Lösung: Er hat dich einfach zum Schein von mir gekauft und dich unter seinem politisch unbescholtenen Namen in ein paar Monaten zu einem Dackel-Akademiker erzogen.
«Hochverehrte Frau», schrieb er in einem Brief vom 18. April 1974 altmodisch an Zet, wie vor hundert Jahren die Pädagogen des dortigen hochberühmten Gymnasiums den Müttern ihrer Pfleglinge, «ich hatte hundertprozentig recht! Er ist flink auf der Spur und im Blick, meldet wie der Teufel und verfolgt blitzschnell, fast schon zu ausdauernd!» Später dachten wir oft gerade an dieses Lob, wenn wir stundenlang auf deine Rückkehr von deinen Vagabundagen warteten.
«Die gestrige Prüfung ‹auf den Kater›», teilte der Hundepädagoge zu unserem Entsetzen in seinem Brief vom 23. April mit, «ist hervorragend ausgegangen, beinah hätte er ihn im Käfig am Arsch gepackt und denselben zerrissen!». Am 5. Mai hast du in Budweis die Frühjahrsprüfung bestanden und 182 von 184 möglichen Punkten bekommen. «Ein Hund mit ausgezeichneten Eigenschaften, ausgezeichnet erzogen und geführt», bemerkten die Richter. Am 15. Juni hast du in Prachatice die Prüfung «aus Fuchs und Dachs» schon mit der vollen Punktzahl von 68 abgelegt: «Er fährt scharf in den Bau, meldet ausdauernd, nach dem Entfernen des Schubers drückt er den Schädling in den dritten Kessel und bedrängt ihn dicht auf, bis zum Ablauf der Zeit», lautete schwarz auf weiß das Urteil der Schiedsrichter. Wir wußten nicht, was genau damit gemeint war, doch lasen wir Respekt heraus.
Bei den Herbstprüfungen in Dynín am 25. August hast du souverän bei den kleinen Rassen gesiegt, mit der Erreichung des Maximums von 220 Punkten. «Ich erinnere mich in meiner ganzen Praxis nicht daran», schrieb am Tag darauf Ing. Čech mit gerührtem Stolz, «daß ein Dackel je eine derart hohe Wertung erreicht hätte. Wie er vom Ufer stahlhart nach einer Ente springt und ihr unter der Oberfläche nachstößt, das muß man gesehen haben! Mit enormer Präzision verfolgt er die Hasenspur, die Spur des Herrn mit der Bestnote 4, ein Unikat eben!»
«Und wie viele Käufer sich melden, selbstverständlich mich eingeschlossen!» unterstrich dein Als-ob-Besitzer und fügte eilig hinzu, «ich weiß, er ist nicht zu verkaufen! Als Edi an den Tisch der Schiedsrichter herantrat, nahm der Beifall kein Ende. Das ist, meine Herrschaften, ein Arbeiter!»
Als wir dich endgültig aus Písek abholten – wir feierten das im dortigen Grandhotel mit deinen Pflegeeltern fast wie eine Promotion –, hast du gleich am ersten Abend in Sázava einen Fasan verjagt, der in unserer Hecke wohnte. Er rettete im wahrsten Sinne des Wortes das nackte Leben, ließ dort, der Arme, den größten Teil des Gefieders, wie er sich durch die Zweige weg von deinen Fletschzähnen drängte. Am nächsten Tag fiel Zet in Ohnmacht, als du uns drei tote Hasenjunge auf die Schwelle legtest. Es dauerte lange, bis sie in ihrem sonst so klugen Kopf damit zurechtkam, daß du eben doch ein Dackel bist und bleibst.
Mir, obwohl ein harter Mann, kam das nicht fröhlicher vor, doch sah ich darin mit ein wenig Phantasie dein Bemühen, uns zu beweisen, daß wir das Schulgeld für dich nicht vergeblich hinausgeworfen hatten. In tiefster Seele zitterten wir trotzdem beide, Zet und ich, wie es wohl am 6. Oktober bei der alljährlichen Nationalen Musterung ausgehen würde. Dabei wurden äußerst streng Hunde für die Zucht ausgewählt, eine Prüfung ähnlich der Approbation. Bis zu dieser Zeit warst du bei uns eigentlich in Ferien, du gehörtest auf dem Papier und sicher auch mit einem Stück deiner Seele immer noch deinem Pygmalion aus Písek.
Am Dienstag, dem 20. August, kam im Rahmen des andauernden Zaubererfestivals des vielmächtigen Dr. Černý der stern-Redakteur Nick Barkow nach Sázava. Er erhielt ein Visum, und niemand belästigte ihn, obwohl er mir seinen Besuch telephonisch und telegraphisch angekündigt hatte. Er übermittelte mir die offizielle Entschuldigung des stellvertretenden Chefredakteurs Schuller samt Versprechen, der stern werde mein Dementi, das ich ihm gleich übergab, in vollem Wortlaut veröffentlichen.
Seinen Kollegen Peter Grubbe bagatellisierte er als einen unbedeutenden Mitarbeiter, aus dessen Unseriosität praktische Konsequenzen gezogen würden. Ich werde mich an diese leeren Worte im Jahre 1979 erinnern, wenn Grubbe sich zum zweiten Mal in meinem Leben einschreibt, diesmal in noch viel gefährlicherer Weise.
Meine Berichtigung erschien in der nächsten Nummer. Ein paar Minuten, nachdem ich einmal mehr auf dem Hradschin angekommen war, kam ein Anruf vom Dr. Černý. Eine erstaunliche Intuition! Er wollte wissen, wann ich denn nun führe.
«Sobald meine Frau zurückkommt», antwortete ich.
«Und wo ist sie ...?» fragte er, tatsächlich begriffsstutzig.
«Noch ist sie nirgendwo, sie wird erst. Ich gedenke, sie nach Österreich, nach Deutschland und in die Schweiz zu schicken, damit sie sich umschaut, was für Überraschungen mich dort noch erwarten könnten. Wenn alles in Ordnung ist, werden wir beide Anfang Januar starten.»
Erstaunte Stille im Hörer.
«Hallo», sagte ich, «ich hoffe, daß keine Einwände gegen ihre Reise bestehen?»
«Dafür ist allein die Paßbehörde zuständig», verwahrte er sich angewidert.
«Bei der ist sie auch gerade heute vorstellig geworden», beruhigte ich ihn. «Sie hat dabei Sie als Zeuge dafür angeführt, daß der Antrag begründet ist.»