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Böhmen, noch Winter 1974

Der Strom guter Nachrichten hielt an. Dr. Černý besuchte uns nach höflicher Voranmeldung persönlich, um uns mitzuteilen, daß die Paßbehörde jetzt ebenfalls unserer Forderung entsprochen habe: Wir sollten dreimal im Jahr zurückkehren dürfen, damit Zet ihre Eltern und ich meine Kinder sehen konnte. Dir, mein sexbesessener Dackel, öffnete allein das Impfzeugnis alle Grenzen, und mit deinem stolzen Zuchttitel konntest du dich durch bloßes Decken am leichtesten von uns dreien ernähren. Mit Sicherheit am angenehmsten.

In der Erwartung eines Besuchs des großen Magiers ließ ich mir eine einmalige Übertretung gegen bürgerliche Ehrenhaftigkeit zuschulden kommen: Ich versteckte ein leistungsfähiges Tonbandgerät im Kamin und nahm das Gespräch zur Sicherheit auf. Wenn dann später Dr. Černý wie andere vor und nach ihm plötzlich spurlos verschwinden würde, blieb ein hörbarer Beweis, daß ich nicht mit einem Phantom gesprochen hatte.

Vier Jahre später wird diese Aufzeichnung der zweistündigen Lügereien eines hohen Staatsbeamten ein einzigartiges Zeitdokument darstellen. Und doch: Obwohl es nur um einige Dutzend Meter Tonband ging, verglichen mit den Hunderten von Kilometern, auf denen sie mich heimlich konserviert haben, fühlte ich schon damals Verlegenheit, die mich nie wieder verließ. Ein weiterer Beweis, daß man sich überlegen sollte, ob Kinderstube und Tugenden wirklich das Beste sind, seine Nachkommen für diese Art von Welt auszurüsten.

Von meinen Forderungen warteten nur noch zwei darauf, erfüllt zu werden: das Einreisevisum für meinen Kasseler Verleger Eric Spiess und eine Änderung in der sturen Haltung der tschechoslowakischen Theater- und Literaturagentur Dilia. Obwohl sie sich als die einzige gesetzliche Vertreterin des gesamten heimischen Schaffens verstand, hatte sie es nach dem Verbot meiner Stücke in der Čssr zusätzlich abgelehnt, ihre Aufführung zumindest im Ausland zu legalisieren.

Eine Woche vor Weihnachten erhielt mein Bühnenverleger nach drei Jahren wieder ein Visum und reiste sofort nach Prag, um den Entscheidungstermin nicht zu verpassen – Freitag, den 20. Dezember. Zwischen uns und der Großen Reise stand fast nichts mehr, und wir zitterten vor unserem eigenen Mut. Denn jetzt konnten wir nur mehr fahren oder aber sang- und klanglos zugeben, daß wir den Risiken nicht gewachsen waren. Dann aber hielt die Falle, die man uns doch gestellt hatte, den Druck nicht mehr aus und krachte zusammen.

Die Vorwarnung kam wieder einmal aus Moskau. Oleg Tabakow hatte gleich nach seiner Rückkehr sein Versprechen gehalten und war zur ideologischen Abteilung der Partei gegangen, um seinen Bericht vorzutragen. Dort erwartete ihn schon die Retourkutsche, er habe durch seine öffentlichen Affären mit Revisionisten in Prag in unerhörter Weise alle tschechischen Patrioten und Kommunisten brüskiert. Das brachte ihm eine Rüge und ein längeres Verbot von Auslandsreisen ein. Die Patriotin Jiřina Švorcová hatte ihn persönlich angezeigt. Wer sie noch immer auslachte, fing über Nacht an, sie zu fürchten. Auch für Landovský hatte die Stunde geschlagen. Bald danach wurde er gefeuert und nirgendwo mehr engagiert.

Daß auf diese durchschnittliche Provinz-Tante in der Metropole mehr gehört wurde als auf einen ihrer besten und beliebtesten Künstler, glich einem Schlechtwetterleuchten in der Ferne. Unmittelbar darauf donnerte es auch schon in Prag. Unerwartet glatt verlor ich den Gerichtsstreit mit der Staatsbank, die angefangen hatte, meine Honorare im Sinne der geheimen und daher gesetzwidrigen Anweisung des Finanzministeriums fast auf Null zu rupfen.

Ich hatte auch früher alle meine Gerichtsstreitigkeiten schon immer im voraus verloren. Ich führte sie weniger, um mir den Rechtsweg zu der Fata Morgana späterer Rehabilitationen offenzuhalten, als vielmehr aus Neugier und Dickköpfigkeit, ähnlich dem Streit um meine Hauptmannssterne. Mit den armen Rechtsvertretern schloß ich ein unübliches Abkommen: Wenn ich irgendeinmal doch gewinnen sollte, würden sie es sein, die eine gute Flasche spendierten.

Sonst sollte ich es tun, und ich tat es immer, weil wir nie gewannen. Ich verbeugte mich vor dem Mut, daß sie es überhaupt wagten, mich zu vertreten: Sie riskierten ihren Ruf und die Lizenz. Neu war, daß sich der Richter diesmal nicht einmal mehr um den Anschein einer juristischen Konstruktion bemühte. Obwohl ich ihm Dank des wagemutigen Informanten die geheimen, diskriminierenden Dokumente in Abschrift und samt Amtsnummern auf den Tisch legen konnte, kodifizierte er mit seinem schnellen Urteil hemmungslos die Existenz einer Gruppe Rechtloser. Nach langer Zeit verschlug es mir wieder den Atem.

«Ich bin als Bürger hergekommen», sagte ich ihm nach der Verkündung, «und gehe als Neger weg.»

«Das ist eine Beleidigung des Gerichts!» schrie er hinter mir her, «ich werde daraus Konsequenzen ziehen!»

Wahrscheinlich hat ihm das jemand ausgeredet, denn die Lockversuche gingen ungestört weiter. Als ich es schon nicht mehr erwartete, wurde das ausgeklügelte Spiel von der Dilia verdorben. Nachdem Eric Spiess am 19. Dezember angekommen war, warteten wir stundenlang am Telephon, daß uns die Agenturleitung den Termin für ein Zusammentreffen nannte. Am Tag darauf, unserem Stichtag, wurde mir nach meinem dritten Anruf kurz und bündig mitgeteilt, sie wüßten nicht, worüber sie mit uns verhandeln sollten.

Streng juristisch bedeutete das: Wenn ich in Hamburg im Sinne des Vertrags mit dem Ernst-Deutsch-Theater mein erstes Stück inszenierte, könnte die Staatsagentur eine Anzeige erstatten, ich hätte damit gegen ihr Monopol verstoßen und somit auch gegen das Devisengesetz. Das würde eine Reihe von Maßnahmen erlauben, von der Aberkennung der Staatsbürgerschaft bis zur Verurteilung und der Beschlagnahme des Eigentums.

Das ständige Aufschieben, Verhandeln, Warten, die fast übergeschnappte Vorsicht – alles hatte sich also ausgezahlt. Wir erwischten sie buchstäblich eine Minute vor zwölf. Ich führte das knappe Schlüsselgespräch aus der schimmeligen und stinkenden Telephonkabine im Flur des Klosterrestaurants. Jahrzehntelang schon hatte ich von hier Unwichtiges und Erhabenes gefragt, besprochen und verabredet: wie wessen Zeugnis war, was wem welcher Arzt gesagt hatte, wo ich wen wann treffen könne, was ich wofür bekomme, wann ich zu wem kommen solle, wenn jemand anderer gerade nicht dort war, und wie lange ich bleiben dürfe, bevor er wieder zurückkomme, damit er mich dort nicht erwische.

Mir schien dieses kurze Gespräch zu den wichtigsten meines Lebens zu gehören. Ich zündete mir eine Zigarette an und rauchte gierig, bis mir in der engen Zelle die Augen zu tränen anfingen. Sie tränten dann auch die ganze Weihnachtszeit über: Noch vor Neujahr sollte ich denn auch meine allererste Dioptrie erhalten. Jetzt wischte ich die roten Augen mit dem Taschentuch ab, kehrte in den Speisesaal zurück, wo Zet und mein Verleger warteten, und sagte nur:

«Abgeblasen.»

«Tut es dir so leid?» fragte Zet überrascht, als sie meine Augen sah.

Ich weinte weiter und lachte dabei. Es war verrückt, mir entrann die Welt, das Theater ins Unerreichbare, und doch kehrten Ruhe und Gelassenheit in meine Seele zurück. Gerade hatte ich erkannt, warum so viele Leute die bloße Vorstellung der Emigration schreckt: Man gewöhnt sich auch im Schatten des Galgens, weil man ihn kennt und die Sprache der Henker versteht.

Ich rief sofort die Nummer an, die mir Dr. Černý einmal gegeben hatte, falls ich ihn dringend brauchen sollte. Ich war froh, daß er sich nicht selbst meldete und hinterließ ihm bei irgendeinem Diensthabenden die Nachricht, die Dilia habe meine Reise schlicht unmöglich gemacht. Dann fuhren wir an die Sázava. Den Kamin anheizen, eine besonders gute Flasche öffnen. Die gestorbene Chance bedauern. Und den Verbleib im vertrauten Käfig feiern.

Daß Dr. Černý unverzüglich aufzutreiben war und schon am Samstag die Dilia zu der dringenden Bitte um ein sonntägliches Zusammentreffen gedrängt hatte, zeugte von einem Erdbeben höheren Grades. Im Parkhotel erschienen am Sonntag vormittag sogar zwei Vertreter der schuldbewußten Agentur und benahmen sich kulant wie zu Zeiten, als ich ihr Paradepferd war, das sie stolz auf Rennen in ganz Europa begleiteten.

Um nicht vielleicht doch in Versuchung zu geraten, hatte ich meine definitive Absage Friedrich Schütter nach Hamburg noch am Freitag mitgeteilt. Er gab sie sogleich an die Presse weiter. Jetzt blieb ich dabei: ein Mann – ein Wort.

Und so blieb von der ganzen Reise, an die wir acht Monate Energie verschwendeten, um acht Monate Ruhe zu gewinnen, nur das Neujahrsphoto übrig, auf dem Zet herausfordernd nach dem Wegweiser gen Westen blickt, während ich beharrlich ins Landesinnere zeige, was sich diesmal als weitblickender erwies.

Wo der Hund begraben liegt

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