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Kapitel 5
ОглавлениеVon der Erstürmung der Festung Rosenegg und der erstmaligen Begegnung meines viel besungenen Herrn
Hoch auf einem langgezogenen Hügel, beiderseitig umwaldet und von steilen Felswänden flankiert, stand die Burg Rosenegg. Obgleich sie nicht so wehrhaft und mächtig war wie der in Sichtweite gelegene Hohentwiel oder der gleichfalls nahe Hohenkrähen, reckte sie sich dennoch hoch und ehrfürchtig gen Himmel. Eine kleine Festung war’s, vielleicht zwei Joch an Ausmaß, mit kleinem ummauerten Innenhof, dafür aber mit engem Zwinger, wehrhafter Vorburg und einem hohen Bergfried, der über einer Steilwand errichtet sich an die zehn Klafter in die Höhe streckte. Ein prächtiges Gestüt mit großen Stallungen befand sich innerhalb der Vorburg, mit schönen Rössern gespickt, die auf den Wiesen und Weideflächen, die sich westlich des Rosenegg auf einem Plateau erstreckten, besten Auslauf hatten und frisches Gras.
Mehrere Tage hatten unsere Kameraden bereits die Burg und Umlande ausgekundschaftet, sich gutes Bild gemacht, die besten Schleichwege und Spähposten erschaut und das Burgvolk beobachtet und dabei manche Gewohnheit erfahren und die Besatzung geschätzt. Allein zweierlei fehlte noch herauszufinden, zum einen, ob gemeldeter Zugang wahrhaft vorhanden und passierbar war, zum anderen, so Ersteres der Fall wäre, wie ins Innere der Burg gelangen, folgend den Zugang zu entsperren. Dem Abhilfe zu schaffen, wurde eine kleine Rotte entsandt, den besagten Zugang ausfindig zu machen, meine Wenigkeit darunter, hatte ich doch des Edlen Beschreibung erster Hand vernommen, dazu der Siegfried, der die Stelle zu kennen glaubte, ferner der Hauptmann und Korporal Schuhmann als die Kriegsverständigsten.
Wir fanden denn auch ohne Schwierigkeiten verfallenen Unterstand, welcher derart alt, vermorscht und verwittert war, dass er gewiss keinen Regentropfen mehr abzuhalten vermochte. Gut hatte der unbekannte Edle den Weg signalisiert, fanden wir alsbald prophezeites dorniges Gestrüpp, welches sich dicht und breit entlang des steilen Berghangs zog. Und nach wenigem Suchen und Zerschlagen manchen Strauchs entdeckten wir schließlich tatsächlich einen engen Eingang, gleich hinter welchem sich eine in den Fels geschlagene Treppe auftat, die steil hinauf gen Burg führte. Potztausend, gewaltig falterte es da in meinen Eingeweiden, als ich den dunklen Gang hinaufstarrte, sei’s aus Freude, dass es ihn gab und wir ihn gefunden hatten, oder weil unser Abenteuer nun wohl Fortsetzung fand. Der Korporal wurde vorgeschickt, hatten wir eine Kerze dabei, die wir ihn anschlugen, zu sehen, ob der Weg frei und bis hinauf führe. Nach einer Weile kam er retour. Alles sei genau wie geschildert, verschließe eine eiserne Tür den Ausgang, die keine Möglichkeit der Öffnung biete. Hintereinander müsste man gehen, sei der Gang reichlich eng, sonsten aber könne man es besser schwerlich treffen.
So verblieb die letzte Schwierigkeit zu meistern, wie nämlich ins Innere zu gelangen, doch auch hierzu fand sich alsdann passende Solution. Die Witwe hatte sich solche erdacht, nachdem wir beobachtet, wie einige Wanderhändler hinauf in die Burg gelassen wurden, dort ihre Ware feilzubieten. Als solche uns zu verkleiden dürfte unsere beste Gelegenheit sein, war derart Volk oft weitgereist, dass auch unbekannte Gesichter Einlass fänden, hatten wir zudem erhört, dass die Gräfin eine Vorliebe für guten Stoff und Händler im Allgemeinen habe.
Der letzten Ausrede verlustig, beschloss deshalb der Hauptmann, wie er vor versammelter Mannschaft verkündete, der Versuch sei zu wagen. Frisch geschmiedet stand der Plan fest, der sie wie folgend vernahm: Eine kleine Gruppe von uns solle als fahrende Händler verkleidet versuchen, ins Innere der Burg eingelassen zu werden. Sechs von unseren Leuten, die Witwe unter ihnen als Frau und meinerseits mit meinen jungen Jahren, um Vertrauen zu erwecken, ferner die Jägersbrüder Linz, der kräftige Siegfried Schleier und der Wagner als unser Kommandant, sollten um Einlass bitten, um Waren feilzubieten. Einmal eingelassen hieß es dann, das innere Burgtor unbedingt offen zu halten, indessen einer von uns, der Andreas, wie beschlossen wurde, die Kameraden einlassen solle.
Von unserer Gruppe hing es also ab, und sollten wir scheitern, wäre nicht nur das Unterfangen selbst verloren, sondern tot die gefangenen Kameraden, und unsereins wahrscheinlich obendrauf, dass du dir wohl gedenken kannst, lieber Leser, wie’s in uns zuging. Ich nehme dich nicht gerne mit, Lakai, sagte der Wagner tags zuvor zu mir. Denn es wird ein harter Kampf da drinnen. Allein mit einem Buben dabei sieht die Sache besser aus. Er meinte es entschuldigend, war er sich bewusst, in was für heikle Lage er mich befahl, doch ich war jung und ungestüm, und wurde es mir auch reichlich eng um den Hals, ein jedes Mal, dass ich an Bevorstehendes dachte, war ich auch stolz und willig, dass mir solch wichtige Rolle zukam.
Am Feuer saßen wir, den Abend zuvor, jeder seine Waffen und Wehr richtend, sollte ich eine der Armbrüste von Werner nehmen, die ich gut fettete, indessen der Bastian mir gegenüber seinen Bidenhänder schliff. Seine eine Hand war noch blau und wund, der Marter wegen, hatten sie ihn, wie er mir sagte, mit Hammer und Fingerschraube ordentlich gedrillt. Doch er verwand es gut und sehnte sich bereits nach Rache. Zuvorderst aber solle der Rosenegger Vogt das Seine erhalten, wie er es sagte. Für unsere Freunde!, meinte er und sah zum Richard, der seinen Spieß spitzte und grimmig nickte. Johann Spindler, so des Vogts Name, war als harter Richter bekannt, der ordentlich sein anvertrautes Volk quälte, und nicht von ungefähr nannte man ihn hinter seinem Rücken schlicht den “Schindler”. Eure Köpfe haben das Henken nötig, sei sein liebster Ausspruch gewesen, erzählten mir Bastian und Richard, und nicht selten habe er seinen Worten Taten folgen lassen. Vor allem, war der Graf selber auf Reisen, was oft der Fall gewesen, liebte es der Schindler, ganz nach Belieben sein Volk zu schikanieren. Sei die ganze Geschichte auch nur für eines gut, so wenigstens dazu, dem Hundsfott den Schädel zu spalten, so Bastian, und hätte der Schindler in jenem Moment des Bastians Antlitz ersehen, er wäre unweigerlich über alle Berge.
Dann kam er endlich, der große Tag. Oh, wie nervös ich war, lieber Leser, schlug mir das Herz bis zum Hals. Verstand ich doch, dass es bei geplantem Unterfangen zu Toten kommen konnte, ja würde. Kaum ein Auge hatte ich die vorherige Nacht zubekommen, und mit flauem Magen und klammen Beinen folgte ich unserer Truppe ins Abenteuer. Auf dem Weg sahen wir einen Bussard niedersausen auf eine Ratte oder Maus, und ich weiß noch, wie der Egon vermeinte, dass dies deutliches Omen sei für unseren Sieg, und ich machte mein Kreuz und hoffte, er würde recht behalten. Bald trennten wir uns, blieben nur wir sechs übrig, die wir die Händler gaben, hatten uns einen Wagen besorgt, in dem wir unsere Waren, wie bei Händlern üblich, lagerten, die wir eigens zum Zwecke der Tarnung beschafft. Unter dem Wagenboden waren die Waffen versteckt, drei gespannte Armbrüste, darunter die meine, einige kurze Spieße, Dolche und Degen und die Pistole des Hauptmanns. Mein gutes Messer trug ich an meiner Seite. Von Musketen sahen wir ab, da der Geruch der Lunten uns verraten mochte und kaum Zeit verbleiben würde, sie im Inneren anzuzünden. Die Tage zuvor hatte ich die Burg reichlich beschauen können und dachte freilich, ein recht gutes Bilde von ihr im Sinn zu haben, wie wir dann aber den regulären Weg den Hügel hinauf nahmen und sich die Festung hoch über unseren Köpfen emporstreckte, kam sie mir mit einem Male viel größer vor, wie sie dort hoch oben über den Felsen aufragte mit ihren mit breiten Zinnen besetzten Wehrmauern, den Wachtürmen und dem Bergfried. Gespäht hatten wir zuvor meist vom Walde aus, von Hängen und Bäumen, mit einiger Entfernung, um nicht aufzufallen. Nun aber stand sie im Ganzen vor uns und wurde größer, je näher wir kamen. Glotz nicht wie’s Schlachtvieh!, ermahnte mich die Witwe, als wir gen Burgtor marschierten. Ich schnaufte einmal durch und versuchte die Angst nicht an mich heranzulassen, doch als wir das letzte Stück des Weges gingen, gerade auf das Burgtor zu, füllte sich mein Maul, das zuvor ganz ausgetrocknet gewesen, als sei ich am Verdursten, mit einem Mal mit Speichel, dass ich besorgte, ich müsse speien.
Seltsam sind sie, die Reaktionen des Körpers, sei doch der Geist Herr über das Fleisch, und dennoch kommt es zu solcher Wirkung, deren Ursache man nicht zu steuern vermag. Auch später noch im Krieg war dies steter Usus bei mir, ging es an eine Schlacht oder Scharmützel, ging es ans richtige Kämpfen, wurde mein Maul zuerst trocken, dass ich kaum schlucken konnte, wonach plötzlich mir das Wasser in Strömen zusammenlief, dass ich glaubte, bald spucken zu müssen, und nicht selten musste ich tatsächlich würgen.
Hier jedenfalls schaffte ich, dem Drang zu widerstehen, als wir auf die zwei Wachen zugingen, die uns am Tor, mit Hellebarden bewaffnet, erwarteten und unser Begehr erfragten. Gute Waren anzubieten sei unser Begehr, sprach der Wagner mit so freundlicher und ruhiger Stimme, dass ich staunte. War meine Kehle doch derart zugeschnürt, dass ich kaum ein Wort über meine Lippen zu bringen vermeinte und nur betreten zu Boden schaute. Gute Stoffe hätten wir dabei, aus Holland und Spanien, wobei er die Plane des Wagens anhob, um eine Rolle roten Stoffes aus Spanien zu zeigen, die wir zuoberst platziert. Von feinster Qualität sei alles und noch einiges Lohnenswertes mehr hätten wir zu bieten, pries er weiter mit jener hochtrabenden Stimme, welche den guten Händlern so eigen. Kaltes Blut nannten wir später im Kriege jene Eigenschaft, die nur eine spezielle Gattung des Menschen innehat, sie befähigt, in extremen Situationen kühl und überlegt zu handeln. Wagner war ein solch seltener Menschenschlag, und hier zeugte er davon, spielte die Händlerrolle mit solchem Selbstverständnis, dass kein Zweifel aufkam.
Der Hofmeister wurde gerufen und geleitete uns durch die Vorburg, vorbei an den Stallungen und einer kleinen Kapelle, über eine zweite Zugbrücke, die zur Hauptburg führte. Im Zwinger befanden wir uns nun, und was Gefühl mich hier überkam, als zu beiden Seiten hoch die Wehrmauern ragten, lässt sich wohl nur mit dem vor einer Schlacht vergleichen, wusste ich doch, dass es jetzt kein Zurück mehr geben konnte. Unauffällig versuchte ich zu erspähen, wo der geheime Zugang sich befände, entdeckte ganz im hintersten Winkel des Zwingers gemeldete Stallung und vermeinte, hinter den losen Brettern, etwas zu erspähen, was einer Pforte glich. Dort musste er sein, gedachte ich bei mir, und stellte mir vor, wie gleich dahinter meine Kameraden kampfbereit auf der Lauer lagen. Weiter geleitete uns der Hofmeister durch das innere Burgtor in den Burghof, wo linkerseits von uns der Palas und das Zeughaus lagen und rechterseits das Wachhaus und der Bergfried sich befanden. Er werde nun die Herrschaften informieren, kündigte der Hofmeister an. Einiges Gesinde war bereits aus dem Palas und andernorts hergekommen, zu sehen, was vor sich ging. Freilich, freilich, sagte der Wagner zum Hofmeister, und als dieser sich umdrehte und in Richtung Bergfried lief, ging der Hauptmann in aller Ruhe zum Wagen, griff nach seiner versteckten Pistole und schoss dem Hofmeister in einer fließenden Bewegung in den Rücken.
Der laute Knall riss mich aus meinem apathischen Zustand, in dem ich gewesen, machte meinen Kopf mit einem Male klar. An die Waffen!, brüllte der Hauptmann. Wir schnappten uns jeder seine Waffen. Ich meine Armbrust und meinen kurzen Spieß. Sah mich um. Der Schuss hatte das Gesinde flüchten lassen, sie stoben auseinander, zurück in den Palas und weg vom Hof. Warnrufe wurden gebrüllt: Räuber, Räuber! Schon kamen die zwei Knechte aus dem Torhaus, direkt neben uns, gleich den Torwachen mit Hellebarden bewaffnet. Den Ersten streckte der Wagner nieder, der seine Pistole bereits wieder geladen hatte. Den Zweiten erwischte einer der Armbrustbolzen, die die Jäger fast gleichzeitig verschossen. Zum Tor, haltet das Tor!, hieß nun das Kommando. Wir positionierten uns zu beiden Seiten je zu dritt. Der kräftige Siegfried hatte sich einige Holzkeile geschnappt, die er nun mit der großen Axt, die er sich zur Waffe gewählt, unter die Torflügel schlug, indem er sie verkehrt herum wie einen Hammer nutzte. Nun lauf!, rief der Wagner den Andreas an, der sogleich hinaus und aus unserer Sicht rannte.
Ich sehe noch die Witwe vor mir, mit ihrem wilden Blick, den kurzen Spieß in der Hand, bereit, ihn dem Nächsten in den Hals zu stoßen. Sehe den Wagner, wie er Befehle brüllt, indessen er Pistole und Degen führt. Den großen Siegfried mit seiner Axt, den Werner mit seiner Armbrust. Das Tor galt es zu halten, komme, was da wolle!
Eine ganze Zeit lang aber geschah schlechterdings gar nichts, erhörten wir wildes Rufen und manchen Schrei, allein der Hof verblieb menschenleer und ganz verlassen. Immer wieder schauten wir über die Schultern und durchs Tor, in Hoffnung, die Unsrigen zu erspähen, doch niemand war da, nichts zu hören. Dann kam das Gegenteil!
Mindestens zehn Mann müssen es gewesen sein, kamen aus dem Palas gestürmt mit Musketen und Hellebarden, und ein fetter Mann mit auffällig rotem Wams und breitem Hut trieb sie an. Der Vogt musste es sein. Kaum waren sie auf dem Hof aufgestellt, da legten sie schon an in ungeordneter Reihe. Schießt sie nieder!, rief der Vogt. Wir sprangen in Deckung, die Witwe und ich zwängten uns zwischen Torflügel und Mauer. Wagner und die anderen warfen sich schlicht zu Boden. Da knallte schon die Salve. Hörte das typische Pfeifen der Kugeln, das so vertraut mir noch werden sollte, hörte die Kugeln schadlos einschlagen in Mauer und Burgtor. Denn schlecht hatten sie geschossen und keinen von uns getroffen. Ja, dies war der Moment, der entschied, der Augenblick, der unser Untergang hätte sein müssen.
Heute weiß ich es, verstehe, wie’s im Kampf zugeht. Nur sechs waren wir, standen mit dem Rücken zur Wand, konnten nicht durch das Tor, denn wäre es geschlossen worden, stünde unser Scheitern fest. Wären sie einfach näher heran, hätten auf zwanzig, gar zehn Schritt Entfernung sich gestellt und eine Salve gefeuert, würde ich diese Historie hier nicht in Tinte verewigen können. Doch überhastet hatten sie gefeuert, undiszipliniert und von Angst getrieben. Keine Soldaten waren sie nun mal, waren Burgknechte ohne Kampferfahrung, ohne Kriegserfahrung. Eine Muskete braucht Zeit zum Laden, zum Stopfen und Schießen, und in derlei Kampf bleibt meist nur der eine Schuss – und diesen hatten sie vertan.
So schmissen sie ihre Musketen weg, packten ihre Hellebarden, uns damit den Garaus zu machen. Stellung!, brüllte der Wagner. Wir sprangen aus der Deckung hervor und stellten uns Schulter an Schulter ins Burgtor. Zielen!, schrie er. Warten! Feuer! Welch Tölpel ich zu jener Zeit war! Noch bevor ich richtig gezielt, drückte ich bereits den Hahn, und wirkungslos sauste mein Geschoss über den Boden. Der Wagner und Werner hatten es besser gemacht und zwei des Gegenteils gestreckt. Dann waren sie bei uns. Schon gingen die ersten Hellebarden auf uns nieder. Wichen wir zurück. Ich erwehrte mich mit meinem Spieß, doch mühsam nur, war doch mit seiner kurzen Reichweite kein Mittel gegen die langen Hellebarden. Der Wagner schaffte es, mit einem mutigen Ausfall seinem Gegenüber in die Brust zu stechen, doch ich sah aus dem Augenwinkel, wie noch einiges Gesinde, mit Spießen bewaffnet, ihre Reihe stärken wollte. Da packte mich die Witwe und zog mich zur Seite, als just selbigen Moments eine Hellebarde dort einschlug, wo ich soeben noch gestanden. Die beiden Torwächter, die uns eingelassen, bedrängten uns auch noch von hinten. Halb im Fallen, vom Stoße der Witwe aus dem Gleichgewicht gebracht, stach ich dem ins Bein, sein Oberschenkel war’s, den ich erwischte, derweil die Witwe dem anderen gezielt einen Stoß in den Hals versetzte. Beide gingen übereinander nieder. Zu Boden gegangen rappelte ich mich auf, sah mich um und glaubte uns verloren. Lag der Siegfried niedergestreckt am Boden, regungslos. Mühte sich der Werner gegen zwei Hellebardiere mit seinem kurzen Spieß, die nach ihnen pikten und hieben, erwehrte sich die Witwe, das Gesicht zur Fratze verzogen, gegen den Vogt selber, und der Wagner, der ‚wie vom Teufel getrieben focht und nach allen Seiten schlug, konnte sich nur durch seinen wilden Eifer seiner drei Kontrahenten erwehren.
Als würde die Zeit selbst dick und träge, erlebte ich alles mit göttlicher Klarheit, verstand, was die Lage war. Da machte ich mein Kreuz, bat den Herrgott um Vergebung, packte fest meinen Spieß, und mit lautem Gebrüll auf den Lippen stürzte ich mich auf das Gegenteil vor mir. Der Kerle bekam große Augen, und schreckliche Furcht stand ihm plötzlich ins Gesicht geschrieben, dass er alsbald kehrtmachte und Hals über Kopf floh. Ich setzte ihm nach, versuchte ihn zu piken, allein mein Stoß geriet zu kurz, dass ich ein weiteres Mal die Balance verlor und stürzte. Hier magst du spotten, lieber Leser, und freilich habe ich mich nicht gerade prächtig angestellt, doch meinen Mann habe ich gestanden, bin im schlimmsten Augenblick tapfer gewesen, was nicht selbstverständlich ist und auch nicht leicht. Sogar Stolz verspüre ich heute, denke ich darüber nach, bin ich dem Tode stehend entgegengetreten, wenngleich ich kurz darauf zu Boden ging. Auf dem Boden angekommen, erwartete ich den letzten, den erlösenden Schlag. Gelobt sei Gott, denn dieser blieb aus!
Ich blickte auf, und nun erst bemerkte ich, dass auch die anderen Burgknechte die Beine in die Hand genommen, sie allesamt in wilder Furcht retirierten, und erst jetzt wurde ich des lauten Brüllens gewahr, das hinter uns erscholl. Nicht vor mir war mein Gegenteil zuvor geflohen, wie ich mir fälschlich eingebildet, sondern vor dem, was hinter uns anrückte. Die Unsrigen waren endlich da! Stürmten heran im wilden Haufen, sprengten durch das Tor und setzten den Fliehenden nach.
Ich sah Hans Schuhmann im Rennen dem Hauptmann eine Muskete zuwerfen, wie sie kurz darauf knieten und schossen und es besser machten als zuvor unsere Gegner. Sah den Egon einem Fliehenden die Axt in den Rücken schlagen, sah Amon einem am Boden Liegenden die Kehle durchschneiden. Die Flucht kann im Kampfe tödlicher sein als das Standhalten, treibt sie den gegenteiligen Krieger, gleich dem Hunde, zum erbarmungslosen Angriff an. Haut sie nieder, haut sie nieder!, riefen die Unsrigen, und so geschah auch. Ich erhob mich und torkelte gleich einem Trunkenen, beobachtete das wilde Metzeln, als Bastian mich plötzlich mit sich zieht.
In den Palas sollten wir, rief er mir zu, sei dorthin der Vogt geflohen. Ich folgte ihm auf dem Fuße, hatte zu diesem Zeitpunkt keinen eigenen Willen mehr. Die Unsrigen waren drinnen bereits am Plündern und Visitieren, hörte ich, wie Türen eingetreten wurden und anderen Rumor, hörte das Gesinde schreien und die Unsrigen rufen. Ich glaub, er ist oben!, vermeinte der Richard, der gerade aus dem Speisesaal kam. Wir stürmten eine Treppe hinauf, kamen zu einem langen Flur mit zahlreichen Türen beiderseits. Nacheinander visitierten wir die Zimmer. Leer die meisten. Wir kamen an eine verschlossene Tür, welche Bastian kurzerhand mit einem Tritt öffnete. Es war ein kleiner Gesindeschlafsaal, und in einer Ecke zusammengekauert entdeckten wir einen alten Mann mit einer Frau, die mit angsterfüllten Augen entgegenstarrten. Weiter!, war alles, was Bastian sagte. Er deutete auf eine weitere Türe am Ende des Flures, die gleichfalls noch verschlossen war, rannte auf diese zu, um sie mit einem kräftigen Tritt aufzubrechen. Solcherart stolperte er in den Raum. Richard und ich dicht auf seinen Fersen, waren eben hindurch, als der Vogt, der sich in einer Ecke versteckt, mit seinem Degen auf Bastian einschlägt. Mehr reagierte ich, als bewusst zu handeln, wehrte den Schlag mit meinem beidhändig gehaltenen Spieße ab und stieß den dicken Schindler gegen eine Kommode. Als er sich vom Stoße erholt, wandte er sich meiner zu. Ich sah in seine Augen – sehe immer noch sein fettes Antlitz vor mir –, als der Bastian mit seinem großen Bidenhänder auf den ungeschützten Schädel schlägt. Ein grausiger Anblick war’s, weiß Gott!
Die Galle stieg mir hoch und schwindlig wurde mir, war ich solcherlei Bilder noch nicht gewohnt. Ich dachte, zu speien, lehnte mich dergestalt gegen die Wand, würgte und spuckte, wenngleich nichts kam. Weitere kamen in den Raum, hörte jemanden lachen und sagen, dass alles zu plündern sei. Jetzt wird Beute gemacht!, rief ein anderer. Bastian fragte, ob alles in Ordnung sei?, und ich nickte unbeholfen, worauf er mich aus dem Raum führte. Überall wüteten die Unseren, hatte die Furia von ihnen Besitz ergriffen, rissen Schränke und Schubladen auf, auf der Suche nach allem von Wert, und ich erhaschte noch einen Blick in den Raum zuvor, sah den alten Mann und die Frau tot in ihrem Blute liegen.
Wie wir in den Speisesaal kamen, weiß ich nicht mehr, erinnere mich nur noch an den nackten, blanken Frauenhintern, der mir auf einmal entgegenblickte. Eine Magd hatten sie erwischt und bäuchlings über den Esstisch gelegt, das Kleid weit über den Kopf gezogen. Wer zuerst? Wer zuerst?, wurde gerufen und debattiert, und der alte Egon hielt das Mädel an den Armen fest, dass sie sich nicht befreien konnte. Lass den Kleinen, lass den Kleinen, verlangte selbiger, als er mich entdeckte. Hier, mein Junge, jetzt machen wir dich zum Manne! Worauf der dem Mädchen laut auf den Hintern klatschte. Ich wusste nicht, was tun, und grinste verlegen, fühlte mich noch ganz schwindlig und verwirrt, indessen ich auf das glotzte, was sich vor mir auftat. Los, Lakai, runter mit der Hose, ich will auch noch ran!, befahl Amon. Auch die anderen forderten mich: Los jetzt, los jetzt! Zwei packten mich und zogen mir die Hose hinab, und nun erst merkte ich, dass steif meine Männlichkeit Spalier stand. Dessen Anblick ließ die Bagage in Gelächter ausbrechen, ließ sie mich weiter anfeuern. Woher ich eine Vorstellung von dem zu vollziehenden Akt besaß, vermag ich nicht zu sagen, wusste dennoch, dass ich irgendwie einzudringen hatte. Ich stellte mich so dicht an sie heran, dass ich ihren Hintern berührte, und versuchte, mein Gemächt einzuführen, was mir arge Mühe bereitete und das Mädchen laut schluchzen ließ. Versuchte es verschiedentlich, doch gleichgültig, wie fest ich drückte, ich kam nicht hinein. Da stellte sich jemand hinter mich und griff mit zarter Hand mein Gemächt, führte dieses von unten nach oben heran und sprach mir ins Ohr: Hier, Kleiner, das ist die Stelle. Jetzt stoß zu. Die Witwe war’s, die mir zur Hand gegangen.
Wie kann man beschreiben, was ich nun erlebte? Kennt es ein jeder wohl auf die eine oder andere Weise, wird irgendwann im Leben ähnlich Erfahrung gemacht haben, wenn auch unter würdigeren Umständen, wie ich hoffe. Und doch wird darüber kaum Geschriebenes zu finden sein, ist selbst das Gesprochene meist spöttisch oder schelmisch, stets mittelbar und indirekt. Bei aller Offenheit wird jenes auch der meine Weg sein, werde nur schreiben, dass mich ein Gefühl durchfuhr, so intensiv und gut, wie ich es zuvor niemals erlebt – und in solcher Intensität auch nimmermehr danach.
Eines rechten Schelms Geschichte lese ich hier, wirst du dir wohl sagen, lieber Leser, und nicht verdenken kann ich es dir. Ein Teufel war ich, waren wir alle. War ich mir meiner Schuld bewusst? Freilich war ich es! Und tat es dennoch, genoss es dennoch. Mein Vater pflegte zu sagen: Der Teufel versucht nicht mit Eisen und Kleie, sondern mit Gold und Süßspeise. Und nie verstand ich seine Worte besser als an jenem Tage zu jenem Augenblick.
Als ich fertig war, was nicht lange dauerte, und von ihr ließ, sorgte mein Ausdruck im Gesicht für mächtige Heiterkeit unter den Anwesenden. Auf diese Weise wurde ich also vom Bub zum Manne und bin wahrlich nicht stolz darauf. Sie war die erste Frau, mit der ich je dergestalt zusammen war, und ich kannte weder ihren Namen, noch kann ich mich an ein Gesicht erinnern, nur an das weiße, dralle Hinterteil und den schwarzhaarigen Schoß, den ich befleckt.
Noch während ich meine Hose zuschnürte, hörte ich vom Hof her einen Ruf, dass man Hilfe brauche. Die anderen waren schwer zu Gange, schienen nichts gehört zu haben oder wollten nicht hören, so rannte ich allein aus dem Palas hinaus, vielleicht auch, weil ich weg wollte von dort, von jenem Treiben. Im Hofe angelangt, kamen zwei der Unseren angerannt, einer von ihnen Korporal Schuhmann, der mir eine Axt in die Hand drückte und schrie, der Graf mit Familie habe sich im Bergfried verschanzt. Ich solle ihnen folgen. Auf dem Weg zum Bergfried sah ich die Leichen der Knechte gefleddert und wahllos liegen, und mit einem Male traf mich die Erkenntnis, was wir begangen, welcher Sünden wir uns schuldig gemacht, welcher Sünden ich mich schuldig gemacht. Hervor war alles wie im Rausch geschehen, hatten mir Angst und Euphorie die Sinne vernebelt, hatte ich zum ersten Mal erlebt, was der Soldat die “Furia” nennt, obwohl es mir damals noch kein Begriff gewesen. Und plötzlich schämte ich mich und wunderte mich über mich selbst.
War wirklich ich es gewesen, der all jenes mitgemacht und getan? Wirklich ich, der zu derartigen Schurkereien fähig? In solch verwirrtem Geisteszustand blieb ich stehen, und indessen ich die toten Augen eines der Knechte betrachtete, gedachte ich an Vater. Stellte mir vor, wie sein Herz wohl bluten müsse, sähe er mich bei derlei schändlichem Treiben. Der Bibel gemäß müsse man leben, der Lehre Christus folgen, notwendig daher, so sprach er oft, sie erst einmal zu lesen, im Mindesten aber zu hören und zu verstehen. Ich hatte sie gelesen und gehört und glaube auch, sie verstanden zu haben, soweit der unverständige Mensch es denn vermag. Kannte die Sätze unseres Erlösers: “Selig die Gewaltlosen – sie werden das Land erben.” “Selig die Barmherzigen – sie werden Barmherzigkeit erlangen.” “Selig, die Frieden stiften …” Kannte die Gebote unseres Herrn, und doch hatte ich derart gehandelt, derart gesündigt. Die Zukunft sollte mir weit gröbere Vergehen abtrotzen, und heute etwa verwundere ich mich, dass mir jenes Empfinden dort und damals noch so gegenwärtig ist, wo ich doch mit so viel Schlimmerem meine Seele belastet. Doch ist es nun mal Eigentümlichkeit der Sünde, dass sie milder wird im Geschmack, je öfter du sie kostest, und schrecklich bitterlich schmeckte sie mir damals, als ich in die Augen jenes Toten sah und die Reue mir die schuldige Brust schnürte.
Ein erbärmlicher Frauenschrei riss mich aus meinem Zustande, holte mich heraus aus meiner Gedankenwelt. Vom Turm her kam er, ließ mich selbigen betreten und die Treppe hinaufrennen. Oben angekommen fand ich die Türe eingeschlagen und hörte wildes Poltern, hörte Johlen und Jammern aus dem Inneren. Ein dicker Vorhang verbarg den Raum, und ich schlich heran und blieb dahinter verborgen stehen. Was mich wohl damals hinderte, einfach hineinzugehen? Ich wusste sicherlich, was mich auf der anderen Seite erwarten würde, wusste, dass Tod und Schändliches darin geschah, und ich denke, dass ich genug davon hatte, nicht länger teilhaben wollte. Seltsam, wie kleine Entscheidungen manch große Wirkung haben, ersparte dieses mir doch im Späteren einen grausamen Tod.
Als ich den Vorhang ein wenig zur Seite zog und hindurchspähte, gab das Szenarium durchaus Erwartetes wieder. Unsere Mannen standen versammelt um einen Tisch herum, auf den sie die Gräfin gelegt hatten und festhielten. Der meisten Kleider war die Dame verlustig geworden, nur die Reste ihres gerafften Rocks hingen um ihre Taille, und ihre nackten Brüste wurden von den Umstehenden betatscht, während der Hauptmann zwischen ihren Schenkeln zugange war. Alle Aufmerksamkeit im Raume galt jenen Vorgängen, allein ich sah mich anderweitig um, und da erblickte ich, am hinteren Ende des Raumes, den Grafen rücklings auf dem Boden liegend, in einer Pfütze aus Blut, und an seinem Kopfe kniend einen Buben. Hier ersah ich zum ersten Male jenes edle Antlitz, das noch so große Rolle in meinem Leben und Werdegang würde spielen.
Ja, lieber Leser, nun lernst auch du denjenigen kennen, zu dessen Ehre dieses Buch geschrieben, magst dich bestimmt schon gefragt haben, die letzten vier Kapitel hindurch, wann jener heldenhafte Mensch denn endlich seinen Einstand gibt. Nun ist es so weit, hier taucht er auf, in dieser schändlichen Szene, und zwar in Gestalt eines jungen Buben, vielleicht die dreizehn Jahre alt, mit blassem, fast weißem Gesichte, schönen, edlen Zügen und dunklen, schwarzen Haaren. Das auffälligste Merkmal aber waren seine Augen, so gänzlich schwarz und finster, und sein Blick, so kalt und klar, mit dem er dieses erbärmliche Schauspiel beobachtete.
Wie gebannt blieb ich an ihm hängen, konnte meine Augen nicht von dem Bilde lösen, der Sohn, den Kopf des toten Vaters in seinem Schoß gebettet, die Arme um ihn geschwungen, und dieser Blick, der keine Trauer zeigte, nur Zorn und Todverheißung. In diesem Moment setzte der Junge sanft den Kopf des Vaters auf den Boden ab, sprang hervor und griff nach einem Degen, der neben dem Toten auf dem Boden gelegen. Kampfbereit hielt er ihn empor. Gänzlich mit ihrem Treiben beschäftigt, hatte keiner der anderen ihn bemerkt, und eben wollte ich einen Ruf der Warnung ausstoßen, als der junge Prinz im weiten Schwunge ausholte und auf seine Peiniger zustürmte. Einer von ihnen sah es und schrie zur Warnung, worauf sie auseinanderstoben. Doch noch ehe recht reagiert werden konnte, schlug der Knabe zu. Doch nicht nach einem der Schurken hatte er geschlagen, nicht ihrem Leben sein Ziel gegolten, sondern dem freien Hals der Mutter. Mit solcher Wuchte hatte der Bub zugehauen, dass er mit einem Streich den Kopf vom Rumpfe trennte, welcher dumpf zu Boden ging. Völlige Ruhe beherrschte den Raum, und unnatürlich lange zog sich der Moment. Der kleine Prinz starrte den Kopf der Mutter an, um dann den Blick zu lösen und einem nach dem anderen den Räubern ins Gesicht zu schauen – ausgenommen meine Wenigkeit, die immer noch hinter dem Vorhang verborgen sich befand –, um letztlich beim Hauptmann zu verbleiben. Keiner der Anwesenden rührte sich, starrten alle stumm den kleinen Buben an, als sei’s der Beelzebub selber, der hier im Raume sich befand. Endlich bückte sich der Wagner, zog sich seine Hose hoch und schnürte sie. Dann zog er bedächtig seinen Degen. Er ging auf den jungen Grafen zu, war beinahe bei ihm angelangt, als dieser unvermittelt einen schnellen Ausfall macht, und nur der trefflichen Reaktion des Wagners ist geschuldet, dass es nicht sein Ende war, denn gerade noch lenkte er die Klinge seitwärts, dass sie ihn nur streifte. Mit einer kräftigen Parade schlug selbiger gegen die Waffe des kleinen Grafen, dass sie diesem aus der Hand entglitt. Augenblicklich machte der Jüngling kehrt und floh aus dem Raum. Der Wagner hielt sich die Seite, und ich sah ihm Blut zwischen den Fingern rinnen. Ihm nach, zum Teufel!, rief er zu den anderen, von welchen keiner Anstalt machte, die Verfolgung aufzunehmen. Ihm nach!, noch mal, worauf sie ihm endlich folgten. Nun erst betrat ich den Raum und ging zum Wagner hin. Ist nicht schlimm, vermeinte er, als ich ihn nach seiner Wunde frug. Er hob den Degen des Grafen auf, eine schöne Waffe aus bestem deutschem Stahl und schönem deutschem Korb, der um die Klinge herum geziert war von zwei silbernen Schwänen. Dann folgten wir den anderen.
Verbarrikadiert habe sich der kleine Prinz, vermeinte der Schuhmann. Sie hätten alles visitiert und nichts gefunden, außer einer Leiter, die unters Turmdach führe. Er zeigte sie uns, und der Jakob, einer der frühesten Mitglieder der Wagner’schen Bande, versuchte gerade mit einer Axt die Deckenklappe einzuschlagen. Vergebens sei es, befand er bald, zu dick und mit Eisen verstärkt wäre der Zugang. Nach kurzem Sinnieren sagte der Wagner nur: Brennt alles nieder!
Pech und Reisig wurde eilends hergeschafft, Holz und Stroh um die Leiter und in den Zimmern verteilt. Eigentümlich schweigsam ging alles vonstatten, kaum ein Wort sprachen diejenigen, die Zeuge waren der vorherigen Geschehnisse, und fragten diejenigen, die solches nicht miterlebt, denn etliche der Übrigen waren alsbald hinzugekommen, gab man sich wortkarg oder zuckte schlicht die Schultern. Schnell griff das Feuer um sich, war doch der Turm zu großen Teilen aus Holz gebaut. Und als alle Zimmer bereits kräftig am Brennen waren und wir den Turm verließen, befahl der Hauptmann, der Palas sei gleichfalls niederzubrennen, dass bald allen Orten die Flammen lichterloh emporreckten. Mit nachdenklichem Blicke betrachtete der Hauptmann noch eine Zeit lang den brennenden Turm, bedauerte er bestimmt, das Leben des Jungen nicht mit eigener Hand beendet zu haben, fürchtete, was letztlich tatsächlich geschah. Doch schließlich mag er sich gedacht haben, dass kein Mensch solch einer Feuersbrunst entkommen könne, und hättest du das Feuer gesehen, lieber Leser, würdest auch du es für wahrlich Wunder halten. Manchmal stelle ich mir vor, dass der Bub von damals tatsächlich verbrannt sei und wie der zauberhafte Phoenix aus der Asche wiederauferstanden, und dann wieder, dass es Gott selber war, der ihn geschützt und errettet hatte, wie einstmals Daniel aus der Löwengrube oder Jona aus dem Maul des Wals errettet, um seine späteren Taten zu vollführen und seine Rache zu haben.
Halt, halt, mag der aufmerksame Leser nun einwenden, sprach er nicht zu Beginn des Buches, die Geburt des Helden bezeugt zu haben? Und recht hat dieser. So schrieb und meinte ich es, und wie ich es meinte, will ich dir sagen. An jenem Tage nämlich wurde mein Herr geboren, wiedergeboren aus der Asche jenes Turms. Und vermeinst du nun, welch seltsame Grillen mein Geist zu erfinden sucht, so sei ferner noch hinzu gesagt, dass dies nicht meinem eigenen Geiste entsprungen. Jahre später fragte der große Wallenstein meinen Herrn einmal, an welchem Tage dieser denn geboren sei, hielt jener bekanntermaßen große Stücke auf die Kunst der Astrologia, worauf mein Herr ihm antwortete, am Vierten des Aprilis anno 1616, was den Friedländer die Stirn runzeln ließ, konnte dieses Datum freilich nicht zu seinem Alter passen. Ich allerdings verstand, wie er es gemeint hatte, und deswegen kenne ich auch das Datum jenes Tages, des Tages, an dem mein Herr geboren, aus Feuer und Leid, zu verrichten die Taten, welche ich folgend zu erzählen die Ehre habe. Vielleicht auch deshalb nannte er sich Paul von Rosenegg, gleichwohl er der Geburt nach ein von Lupfen war.
Als wir abzogen, hatte ein jeder einen Sack auf der Schulter mit Diebesgut. Kleine versteckte Pfade hatten wir für unsere Flucht ausgewählt, konnten daher weder die herrlichen Pferde noch das Vieh mit uns führen. Hoch gen Himmel räkelten sich die Flammen hinter uns, die Turm und Burg verzehrten, und noch nach langer Wanderung sahen wir den Rauch. Ich frug Bastian, was aus dem Mädel geworden sei. Ja, ja, spottete dieser darauf, in die Erste verliebe man sich immer. Sie sei noch am Leben, versicherte er, habe freilich einiges über sich ergehen lassen müssen.
Im Hort angelangt, war die Stimmung wieder prächtig, herrschte bald unbändige Freude. Nur einen Mann hatten wir verloren, den guten Siegfried, was für derlei Unterfangen ein unwirklich kleiner Preis war. Und an Beute hatten wir so reichlich ergaunert, wie wir es uns kaum zu erträumen gewagt hatten. Wir türmten alles auf einen Haufen und machten Inventur; hatten einiges an Waffen erbeutet, gut zehn Musketen, zwei mit teurem Schloss, ein gutes Jagdgewehr, einige Degen, viele Piken und Hellebarden, Dolche, gute Messer, einiges an Rüstung, Hauben und Harnische, ferner einige Fässer mit Pulver und Kugeln. Allerlei kostbares Geschirr und Besteck, schöne Dosen und Leuchter, kostbare Kleidung und vieles an Werkzeug waren auch dabei. Die Krönung waren allerdings zwei Truhen, welche die hohen Herren in ihren Gemächern verwahrt, die eine gefüllt mit goldenem und silbernem Schmuck, die andere mit Münzen aller Art. Was wird es an Wert gewesen sein? In jedem Fall genug, das ist sicher. Wagner verteilte jedem zwanzig Gulden auf die Hand, mir auch, was bei unserer Anzahl bereits über tausend Gulden bedeutete und den Inhalt besagter Truhe kaum auf die Hälfte verringerte. Welch Reichtum sich da vor uns auftat! Die zwanzig Gulden, an deren Glanz ich mich noch gut entsinne, waren der größte Reichtum, den ich bis dato besessen, schienen mir ein fürstliches Vermögen, und sorgfältig vergrub ich sie in der Nähe des Bächleins unter einer Wurzel, die sich zum Wasser reckte. Ich nehme an, die anderen werden es ähnlich gemacht haben, denn Kameraden waren wir freilich, aber Schurken nun mal auch. Das meiste der anderen Beute wurde verteilt unter allen, erhielt ich schöne Kleidung, einen guten Wams und eine schöne Hose, gute lederne Stiefel dazu. Einen Degen erhielt ich aber nicht, gehörten sie doch zu den begehrtesten Gütern, was ich sehr bedauerte, noch eine Muskete oder Rüstung, was allesamt an die älteren Kämpfer unter uns ging, zu denen ich nicht gezählt wurde. Ich kann nicht sagen, dass ich nicht enttäuscht war. War ich nicht bei den Vorkämpfern gewesen? Sind nicht wir es gewesen, die unsere Victoria erst möglich gemacht hatten? Hatte ich nicht mein Leben riskiert bei diesem Abenteuer? Und nun konnte ich nur zusehen, wie die anderen mit ihren Waffen prahlten, die Degen zogen und mit den Musketen zielten.
Der Werner muss meine Enttäuschung ersehen haben, denn er kam auf mich zu und klopfte mir die Schulter, sagte, dass ich gute Arbeit geleistet hätte, und reichte mir eine seiner beiden Armbrüste als Geschenk, dieselbe, die ich im Kampf verwendet. Ich dankte ihm und freute mich ehrlich darüber, über die Waffe und mehr noch über das Lob.
Oh, welch Euphorie meine Kameraden nun ergriff! Es wurde gescherzt, welche Burg wir als Nächstes plündern würden, wo wir alles noch zuschlagen könnten. Allerlei Phantastereien wurden gesponnen, wie es eben so geschieht im Überschwang, phantasierten die anderen von den prächtigsten Schätzen, die in mancher Burg gehortet würden, vom Hohentwiel, Hohenkrähen und anderen Hegauer Festen, die, dem reifen Apfel gleich, nur darauf warten würden, gepflückt zu werden. Und indessen diese jubilierten und sich gratulierten, dachte ich nur an den Preis, den wir dafür zu zahlen hätten. Indessen sie sich freuten und gegenseitig anstachelten, verblieb ich schweigend. Die Witwe war’s, die mich fragte, was für finstere Miene ich denn nur mache? Und ich antwortete, dass mir die Sache ungeheuer vorkomme, ich nicht glaube, dass wir so leicht davonkämen. Warum dachte ich so? Weshalb konnte ich mich nicht mitfreuen? Es war die Szene im Turm, die mich immer noch schaudern ließ, der kalte Blick des Jünglings, der in mir nachwirkte, mich zu der Ansicht kommen ließ, es zu weit getrieben zu haben, uns zu großer Schuld schuldig gemacht, deren Sühne unweigerlich zu geschehen habe. Auch schien ich nicht der Einzige zu sein, den eine üble Ahnung befallen hatte, sah ich doch den Wagner nur gequält sich freuen, meinte ich, den Zweifel auch in ihm erkannt zu haben. Vielleicht deshalb mahnte er zu Ruhe und Besonnenheit. Erst müsse man unsere Kameraden auslösen, sie sicher aus der Hand des Edlen wissen, dann erst könne man sich über Zukünftiges unterhalten.