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Kapitel 8

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Von kleinem Judenraub und schönem Eintreffen in Frankfurt, jenes am Main

Im Frühjahr anno 1619 war’s, da hörten wir vom Tode des Kaisers Matthias, und wie alle Welt fragten auch wir uns, was dies für den Krieg bedeute und wie es nun im Reiche weitergehe, kamen uns nämlich allerhand schlimme Geschichten aus dem Osten zu Ohren, tobte der Krieg in Böhmen und in Österreich und schienen, entgegen aller Erwartung, die Böhmen den Habsburgern ordentlich Paroli zu bieten.

Bis an die Tore Wiens sei das Heer der Rebellen gelangt, hätten sich die Aufwiegler unter dem Grafen von Thurn bis in der Habsburger ureigenstes Heim hinvorgekämpft und den Wiener Ständen einiges an Schrecken eingejagt. Erst die Schlacht zu Sablat, wo die Kaiserlichen unter General Bucquoy gegen den Bastard von Mansfeld und seine Mannen sich geschlagen, und welche mit kaiserlicher Victoria endete, führte zur Entsetzung Wiens, mussten sich die Rebellen folgend retirieren in die eigenen Lande, um ihre Heimat zu sichern.

Damals waren aller Augen und Ohren auf Wien und Ferdinand gerichtet, denn reichlich schlecht schien die Sache der Habsburger zu stehen, und hier und dort wurde bereits das Ende der großen Dynastie ausgerufen, und mancher mag wohl glauben, dass es den deutschen Landen besser ergangen wäre, so ein solches tatsächlich geschehen. Der Sieg von Sablat allerdings errettete das Oberhaupt der Habsburger in seiner bittersten Stunde, war dieser nun erst recht auf Rache gesinnt, und mit Kraft und Eifer machte er sich daran, selbige umzusetzen. Der erste Schritt hierzu sollte alsbald erfolgen, denn zur Kaiserwahl wurde ausgerufen, würden sich die Kurfürsten versammeln, unseren obersten Führer zu bestimmen, sollte zu Frankfurt am Main der neue römisch-deutsche Kaiser gewählt werden.

Viel Frust hatte sich indessen bei unsereins angestaut, ging es kärglich mit unseren Geschäften, hielten wir weiter in Würzburg Quartier, in Hoffnung auf baldige Werbung, mussten uns daher verdingen für leidiges Gewerbe, schafften als Tagelöhner und Stallburschen, vorzüglich die junge Partei, der Andreas, Bastian und ich, und wenig Freude hatten wir in jenem Berufsstand, ferner als Schröter und Eintreiber die Älteren, was jedoch ähnlich unwillig betrieben – und war weit und breit kein Werber zu finden, so sehr wir auch suchten und uns umhörten. Kaum verwunderlich also, dass, als uns die Gelegenheit gegeben wurde und günstig schien, wir einheitlich befürworteten, uns aus Würzburg zu trollen.

Und die Gelegenheit kam mit großem Aufmarsch und reichlich Tamtam, als nämlich Anfang des Septembers die heiligen Reichskleinodien aus Nürnberg nach Frankfurt überführt werden sollten, denn, wie wir ungefähr zur selben Zeit Zeitung erhielten, hatte der Ferdinand seinen ersten Schritt getan und war zum Kaiser erwählt worden, ganz wie der Kurier uns damals prophezeit hatte. Somit galt es nun, alles vorzubereiten zu großem Gelage und Festivität, der Kaiserkrönung selbst. Und indessen hiesigen Ortes die Kaiserkrone an Habsburg versprochen wurde, war andernorts nur just einen Tag zuvor, dem siebenundzwanzigsten des August anno 1619 nämlich, die Wenzelskrone einem andern Tölpel zugesagt worden, wurde dergestalt also hier wie dort der Grundstein gelegt für viele Jahre Leid und Krieg. Denn auf dem Hradschin zu Prag, tausend Meilen weg, sollte der dümmliche Arschlecker und Prahlhans, Friedrich Kurfürst der Pfalz und baldiger Winterkönig, die Wenzelskrone sich aufs Haupte setzen lassen, geschah also, was keiner vorhergesehen oder erwartet, und ich gedachte, freilich viel später erst, als jene Causa uns zu Ohren gekommen, wiederum der Worte jenes redseligen Kuriers, dass keiner dumm genug sein könne, sich derlei aufzubürden. Ja, unterschätze nie des Menschen Dummheit, lieber Leser, denn wie heißt es so treffend: “Suchst ’nen Dummen, wirst ihn finden!”

Halt, halt, mag nun mancher Leser intervenieren, mag sich denken, vor allem so er ein Reformer oder Evangele ist, es sei doch nicht der achtundzwanzigste gewesen beziehungsweise nicht der siebenundzwanzigste, an welchen Dati die besagten Herren zu Königen gewählt worden waren, sondern jenes sei geschehen zehn Tage zuvor. Geschenkt seien sie, die zehn Tage, dir, von mir aus gern. Ich aber, bin doch schließlich Mönch, zum Teufel!, halte mich an den Kalender des guten Gregor, muss mir hier schon ständig von Bruder Martin predigen lassen, dem lieben Klugscheißer, dass solches das bessere und richtigere und einfach vernünftigere Calendarium sei, werde somit auch im weiteren Verlaufe an dessen Ordnung mich halten, und so es dir nicht passe, ziehe doch schlicht die zehn an Tagen ab.

Bastian und ich jedenfalls waren gerade am Misten eines Stalls nahe dem südlichen Stadttor, als die Delegation die Stadt erreichte, mit Pauken und Trompeten kamen sie zu großer Zahl, mögen es knapp tausend Mann gewesen sein, viele davon Gardisten, alle gleich bekleidet und prächtig gerüstet, dazu einiges an Wagen und Kutschen, in welchen sich die Kleinodien befanden, gab es eine ganz besonders verzierte Kutsche, ganz mit Gold und Silber geschmückt und leuchtend rotem Tuch überzogen. Was meinst, ist alles dort drinnen?, frage mich Andreas, der draußen die Pferde gewaschen und gestriegelt hatte und nun neben mir und Bastian stand, dem Umzug zuzuschauen. Ich zuckte mit den Schultern. Vielleicht ist die heilige Lanze darinnen, meinte ich hoffnungsvoll, hatte Vater mir einst davon erzählt, vom mächtigsten der heiligen Insignien mit der Spitze jener Lanze in ihm, die unsern Herrn Jesus am Kreuze gestochen. “Einer der Soldaten stieß mit einer Lanze in seine Seite, und sogleich lief Blut und Wasser heraus”, wie es beim Johannes steht geschrieben. Getränkt vom heiligen Blute Jesus also, was ihr den Zauber verleiht. Unbesiegbar mache sie seinen Träger, so heißt es, und ich weiß noch, wie ich Vater frug, wieso der Kaiser selbige nicht stets mit sich führte? Und er antwortete, dass der Kirche Gier, was Reliquien anbelange, gar größer noch sei als ihre Gier nach Land und Reichtum, so groß, dass selbst ein Kaiser nicht nach Gutdünken über sie verfügen könne. Die größten Schätze der Christenheit würden sie verborgen und verwahrt halten in tiefen Gemäuern und Kammern, die meisten freilich im fernen Rom unter dem Hügel des Vatikan, wo doch die ganze Christenheit ein Anrecht darauf habe, der wundersamen Wirkungen jener Schätze teilhaftig zu werden. Und in meinem Geiste ersann ich manche Grille vom gierigen goldbehangenen Papste, der auf einem gigantischen Berg von Gold und Reliquien und anderen Heiligtümern sitzt, gleich dem Drachen Fafnir seine Schätze bewacht, und gnade Gott, wer seinen Hort betrete.

Am Mittag trafen wir uns mit den Kameraden und redeten sogleich über die Kleinodien und die Krönung. Ah, was Fest müsse es werden, schwärmte der Jakob, habe er mit einigen der Gardisten gesprochen, die ihm nur die wunderbarsten Historien berichtet, von Wein, den man allerorts frei ausgeschenkt bekomme, von trefflichen Speisen, die umsonst serviert würden, von Musik und Tanz, eine Festlichkeit, wie man seit Menschengedenken nicht gesehen habe. Ja warum gehen wir nicht?, fragte darauf die Witwe, und wir sahen uns an und nickten. Bei einem solchen Aufmarsch von reichem Volke sei sicherlich gut Beute machen, vermeinte auch der Amon. Und ich würd gern die Kleinodien sehen und den Kaiser!, stimmte Egon bei. Potz Teufel! Ich auch! Und denkt an das Gelage, wenn die feinen Herren zugegen sind!, sagte Bastian. Wir alle sahen gebannt zum Wagner, seine Entscheidung abwartend. Teufel, was soll’s! Besser als uns hier den Buckel zu krümmen. Und so war es beschlossen.

Noch am selbigen Abend sahen wir uns nach einer Möglichkeit um, nach Frankfurt zu reisen, wollten wir in jedem Falle vor den Kleinodien dort ankommen. Weil wir so klamm bei Kasse waren, verdingten wir uns als Geleitschutz bei einer Händlerkolonne, deren Ziel dem unsrigen entsprach. Der Anführer verwunderte sich zwar, dass wir die Witwe mitnahmen, bei dem Wenigen, was er uns zahlte, ließ er es sich aber gefallen, zumal noch genügend Platz auf den Wagen vorhanden war. Edle Waren hatten diese geladen, guter Tobak aus der Neuen Welt, ferner kostbare Gewürze aus dem Morgenland, feines Salz, am wertvollsten aber waren die teuren Farbstoffe, wie Indigo und Purpur und Karmin, welche sie in kleinen, hölzernen Kisten ordentlich verpackt transportierten. Gutes Geschäft erwarteten sie sich in Frankfurt, zumal die Stadt aus allen Nähten platze, das edelste und mächtigste und reichste Volk aus allen deutschen Landen anzutreffen sei. Jakob war der Name des Anführers, gleich unserem Kameraden, ein älterer, stattlicher Herr war er, kraushaarig und kräftig. Judith hieß seine Frau, die neben ihm den Kutschbock des Wagens bezog, der an der Spitze der Kolonne aus fünf Wagen fuhr, während fünf von uns, der Hauptmann und die Witwe, Bastian, Andreas und ich, hinten auf dem Wagen saßen. Korporal Schuhmann, Amon, Jakob und Friedrich saßen auf dem hintersten.

Nette Leute waren es, so hatte ich zumindest Eindruck, erzählte mir der Jakob auf dem Wege viel vom Handel und wo er schon überall gewesen, hatte er die freien Hollande besucht, war gar bis nach Skandinavia gereist, bei nordischen Völkern, den Schweden und den Finnen, ferner in Polen und Schlesien, ferner was, wo, wie und wann zu kaufen sei, erklärte er mir freudig und gern, war die Kunst des Handelns sein ganzes Denken. Die Schätze der Neuen Welt seien auf dem Vormarsch, hier könne man richtig Geld verdienen, vermeinte er, und ich frug: Gold und Silber? Da lachte er und vermeinte, dass mit Gold und Silber nicht gut handeln sei, zumindest nicht für seinesgleichen, womit er wohl die kleineren Händler meinte, denn zu viele Halsabschneider und Gauner gäbe es, die derlei Ware allzu gern in die Finger bekämen. Nein, die anderen Schätze meine er, den Tobak zum Beispiel; könne er kaum je so viel davon kaufen, wie er verkaufen könnte, sei das Tobaktrinken doch groß in Mode, ferner den süßen Zucker, das fürstlichste aller Gewürze, fein und gut für die Gesundheit, ferner die guten Feldfrüchte, der Mais etwa oder der Erdapfel. Unter Letzterem meinte ich, mir gut was imaginieren zu können, gedachte in meiner kindischen Einfalt, es müsse freilich eine Frucht sein, gleich dem Apfel oder der Birne, die unter der Erde wachse, süß und saftig, und erst viel später hier im Kloster konnte ich sie einmal kosten, ist es mehr mehlige Knolle denn Frucht, aber von gutem Ertrag und schmackhaft in der Suppe. Ersteres allerdings war mir ein Rätsel, frug ich ihn, was denn Mais genau für ein Ding sei? Doch zu mirakulös erschien mir seine Erklärung. Eine kräftige, gute Pflanze sei es, von hohem Wuchs trage sie eine prächtige Feldfrucht, ähnlich dem Weizen, nur um ein Vielfaches größer und ergiebiger sei sie, lasse sich daraus gutes Mehl machen, sei sie zudem auch ungemahlen gut genießbar, gleich, ob gekocht oder roh, süß und herzhaft sei der Mais. Einen rechten Bären hat jener mir damals aufgebunden, denke ich heute darüber nach, würde ein derartig zauberhaftes Gewächs doch bald in jedem Garten wuchern. Doch einerlei, denn ich lauschte gern seinen Ausführungen, und so verbrachten wir beiden die meiste Zeit des Weges unterhaltend. Er schwatzend, ich lauschend. Freundlich waren sie zu uns, und auch wenn sie knauserig waren, was unseren Lohn anging, waren sie spendabel, was die Verpflegung betraf, teilten mit uns großzügig das Mittagsbrot, mit gutem, weißem Brot, mit Wurst und Käse und sogar gesalzener Butter, und verteilten einen Honigkuchen, den seine Frau gebacken.

Nach Aschaffenburg gelangten wir endlich, wo wir rasteten und am nächsten Tage Frankfurt zu erreichen gedachten. Wir machten unser eigenes Feuer und saßen beieinander, während die Händler nicht weit weg an ihrem saßen. Und dort erfuhr ich von der anderen Plan, die Händler zu überfallen, in selbiger Nacht noch oder im frühen Morgengrauen. Ich frug, wieso wir sie denn überfallen müssten? Und weiß noch, dass ich etwas sagte wie: ’S sind doch gute Leut. Da spottete gleich der Amon: So, so, gute Leut sind’s also. Da wissen wir ja, was du für einer bist. Ich verstand nicht recht, was er meinte, und frug daher, was ich denn wohl für einer sei? Na, ein Judenfreund bist du oder gar selber einer! Da runzelte ich die Stirn: Juden sind sie? Freilich, vermeinten die anderen darauf, ob ich denn nichts bemerkt habe?, fragten sie, was ich verneinte. Hast nicht die wunderlichen Worte gehört, die sie manchmal sprechen?, fragte der Friedrich: Die Art, wie sie reden? Ferner ihr Schmuck, den sie tragen, die Ketten und Ringe? Außer Frage stehe, dass jene Juden seien. Da nickte ich bloß, als verstünde ich, und hielt fortan mein Maul und lauschte ihren Plänen, denn in Wahrheit war mir niemals zuvor ein Jude über den Weg gelaufen, bestand mein ganzes Wissen über sie aus der Bibel und Geschwätz.

Früh am Morgen wurde ich geweckt, die Sonne war kaum zu sehen, und dunkel war es. Leise machten wir uns daran, unser Lager aufzuräumen, packten alles zusammen, mit Obacht die Händler nicht zu wecken, welche in ihren Wagen schliefen. Als wir fertig angekleidet waren, bewaffneten wir uns, hatten wir zwar die meisten guten Waffen verkauft, doch besaßen wir alle noch unsere Beile oder Äxte, die für den Räubersmann so unerlässlich sind, denn schwer lassen sich Holz hacken und Bäume fällen, schwer Gruben heben und Stöcke schnitzen mit Säbel oder Degen, ja selbst als Soldat kann ich dir sagen, dass ein gutes Beil und scharfes Messer wichtiger sind als jedes Schwert. So standen wir jedenfalls da in Reihe, jeder sein Beil in der Hand, der Wagner seinen edlen Degen, als selbiger mit einem Nicken uns das Zeichen gab loszulegen. Dann wurde gebrüllt und die Wagen gestürmt. Aufstehen und raus mit euch!, befahlen wir, packten die Schlaftrunkenen und stellten sie in die kalte Morgenluft einen zum anderen, brüllten sie an und drohten. Sie zogen grimmige Gesichter, hatten bald verstanden, wie der Hahn krähte, und einige schimpften uns räudige Gauner und ehrlose Schurken. Jakob sprach kein Wort, hielt nur den Arm schützend um seine Judith. Wir machten uns ans Visitieren, machten es mit unserer reichlichen Erfahrung, kannten die guten und üblichen Verstecke, unter dem Kutschbock oder in dessen Futter, unter den Wagendielen oder über den Achsen, und passable Beute machten wir, brachten einiges an Gulden und Talern zum Vorschein. Dann fledderten wir die Händler, nahmen uns einen nach dem anderen vor, nahmen ihnen alles an Schmuck und Münzen, was sie am Leibe trugen. Als Judith an der Reihe war, was Amon übernahm, regte sich der Jakob zum ersten Mal und befahl, die Finger von ihr zu lassen. Glaubst, ich vögl so ’ne hässlich alte Jud? Aber ich schlitz ihr gern die Kehle auf, wenn noch mal dumm daherkommst!, drohte Amon und hielt ihr seinen Dolch an die Kehle, dass Jakob ganz bleich wurde und sein Maul geschlossen hielt. Amon visitierte sie besonders gründlich, nahm ihr eine schöne Kette ab. Als er an die Hände kam, fragte er: Wo ist der Ring? Ich wusste sogleich, was er meinte, hatte Judith zuvor einen auffälligen Silberring getragen, der eine würfelförmige Silberarbeit, einer Truhe oder einem kleinen Haus nachempfunden, oben aufgesetzt hatte. Beide schwiegen. Wo ist der Ring, sag ich?, wiederholte Amon, hieb dann plötzlich aus und schlug dem Jakob kräftig ins Gesicht, dass dieser zu Boden ging. Im ersten Augenblicke glaubte ich, er habe ihn mit dem Dolch niedergestreckt, doch hatte er Jakob mit der den Griff umklammernden Faust getroffen. Judith beugte sich zu ihrem Mann und jammerte, da sah ich auf dem Boden silbernes Funkeln, den Ring, wie ich erkannte. Ich tat ein paar Schritte vor und stellte meinen Fuß darauf. Ich glaube, Judith hat es gesehen, doch sicher bin ich nicht, ist es letztlich auch einerlei. Amon setzte nach und drohte, bis endlich der Hauptmann intervenierte: Genug sei es!, orderte er streng. Da spuckte Amon zum Abschied noch auf den liegenden Jakob, und der Egon tat es ihm gleich, und manch anderer vielleicht auch, und wir zogen ab auf den geraubten Gäulen. Immerhin hatten wir ihnen ihre Waren und Wagen gelassen, vermeinte der Wagner nämlich, solches zu versilbern sei zu aufwendig, mag ihn vielleicht das Gewissen ein wenig gezwickt haben. Und ja, ich geb’s gern zu, lieber Leser, auch mir taten sie leid, die Juden, denn leichter ist zu rauben, wen du noch nie zuvor gesehen, mit dem du nicht Speis und Trank geteilt hast, und ich schämte mich ob des Geschehenen, obzwar und auch obwohl sie freilich Juden waren.

Ihr Pech, wie es ja so heißt, war allerdings fraglos unser Glück, denn schön gefüllt waren nunmehr unsere Beutel, und anständig beritten konnten wir unseren Weg fortsetzen und gelangten dergestalt gut ausgestattet nach Frankfurt zur römisch-deutschen Kaiserkrönung, ein Erlebnis, lieber Leser, das ich dir, ich mir, ja ich der ganzen guten Welt zu erleben wünsche. Denn jene himmlischen Vergnügungen – ist “himmlisch” wohl unpässliches Adjectivum, waren es vielmehr sodomsche und gomorrhische Freuden und Gelüste, welchen hier in aller Freiheit nachgegangen wurde – mögen der guten christlichen Seele des einen oder anderen manchen Flecken beschert haben, gleichzeitig aber zaubert mir die bloße Erinnerung daran bis heute ein Lächeln ins Gesicht, doch hiervon später mehr.

Im frühen September, den sechsten oder siebten vielleicht, kamen wir an, gedachten in der Stadt Unterkunft suchen, doch wurden wir sogleich harsch abgewiesen, und kein Torgeld vermochte uns Einlass verschaffen. Nur mit Passbrief könne man passieren, vermeinte die Torwache, uns mit einem Blick bemessend, der dem räudigsten Köter hätte gelten mögen. Wir probierten es noch an einem anderen Tor mit gleichem Ausgang, beschlossen daher, erstmals Quartier zu suchen, welches sich allerdings als ebenso schwierig erwies bei dem ganzen angereisten Volk, dass wir endlich weit außerhalb, zwischen Frankfurt und Offenbach, mit einer kleinen Herberge vorlieb nehmen mussten und selbst dort noch Wucherpreis bezahlten. Dafür besaß jene einen großen, guten Stall, wo wir die ganzen neuen Gäule unterbringen konnten, die wir den Juden geraubt, warme Zimmer mit nur leicht wanzigen Betten, war der Besitzer zudem ein trefflicher Gauner und Halunke, Hans Blocher mit Namen, mit dem sich gleich gut verstehen ließ, konnten wir ihm obendrauf die überflüssigen Pferde als Zahlung überlassen.

Von selbigem ließen wir uns auch unterrichten und belehren, welcher Gestalt die Situation in Frankfurt sei, meinte dieser sogleich, dass er uns einen ordentlichen Passbrief besorgen könne ohne großen Aufsehens, empfahl uns allerdings, doch etwas schlichter uns zu kleiden, im schlichten Mantel, braun oder schwarz, mit holländischem Hut und weißem Kragen, wie man in Frankfurt trage. Mit solcher Tracht, die ihr da traget, hängen sie euch alsbald den Stein um den Hals!, vermeinte er warnend, zumal es in der Stadt nur so von Schergen und Bütteln wimmle. Ferner ließen wir uns unterrichten, wie es um den Kurtag stand. Gedauert hat’s. Haben gar die Stadt ’ne Woche oder mehr verschlossen und keinen rein- noch rausgelassen. Ward jeden Tag Session gehalten und viel verhandelt und mehr noch gemauschelt. Aber endlich haben sie doch den Habsburger gewählt, wen verwundert’s?, berichtete er. Sei das Volk allerdings nicht sonderlich glücklich über den Entscheid, seien im Großteil Lutheraner in Frankfurt, und schon beim Einmarsch des Habsburgers habe es Schimpfreden und etliches Geschrei gegeben, und gut habe der künftige Kaiser daran getan, meistenteils nicht in Frankfurt selber zu residieren, sondern in den Umlanden sich die Zeit beim fröhlichen Jagdgelage zu vertreiben. Nun warte man nur noch auf die Kleinodien, dann könne die Festivität beginnen, worauf wir ihm zu erzählen wussten, dass diese baldigst da sein müssten, waren sie schließlich kurz nach uns aus Würzburg aufgebrochen. Werde mir den Spaß wohl auch gönnen!, vermeinte der Blocher, denn ein solches Fest dürfe man sich nicht entgehen lassen, erlebe man lebtags nur das eine Mal, und machte uns mit seinen Ausführungen mehr noch als ohne schon das Maul gut wässrig.

Ferner machten wir uns kundig über die Stadt, wo es gute Schänken gäbe und Wirtshäuser und die besten Freudenhäuser, wobei er bei letzterer Materia vermeinte, die ganze Stadt sei eine einzige Kupplerhütte. Von weit her, aus Mannheim, Mainz und Darmstadt, aus Koblenz, Gießen und Aschaffenburg hätten sie die Huren in ganzen Scharen hergeschafft, so erzählte er fröhlich, hätten sie gleich Rinder- oder Schafsherden in die Stadt getrieben, die Kuppler ihre Hirte. Wir gaben ihm Auftrag, den Passbrief zu besorgen wie uns mit notwendiger Kleidung zu versehen, wenngleich so günstig wie möglich, worauf er vermeinte, die Hüte könne er uns wohl zur Leihung besorgen. Beides sei bereit zum nächsten Tage, ließen wir es daher für jenen Tag gut sein und uns bewirten von unserem Gastgeber. Eine junge Frau hatte dieser zum Weibe – mag sie kaum die zwanzig Jahre gezählt haben, indes sein Haar schon längst ergraut war –, die er mächtig scheuchte und drillte, zu putzen und zu waschen und zu kochen, Maria mit Namen.

Welch Trubel und welch Aufmarsch uns zu Frankfurt den nächsten Tag erwartete, ist schwerlich zu beschreiben, platzte die Stadt wahrlich aus allen Nähten, sah man Volk aus aller Herren Länder, hörte man allerlei Sprachen sprechen von Spanisch, Französisch und Englisch zu Böhmisch, Welsch und Polnisch, gar Dänisch und Schwedisch. Gen Nachmittag eines Samstages, da brachen wir auf in die Stadt, uns einzustimmen und zur Orientierung, hatte uns unser Hausherr die benötigten Papiere besorgt und uns mit gutem Hut und Bürgerfrack ausgestattet. Oh, welch grandiose Stadt es ist, lieber Leser, vielleicht kennst sie ja, so prächtig bewehrt und ganz umgeben von einem breiten Wassergraben, der sich aus dem Main speist, selbst südseits des Flusses, wo wir ankamen, in Sachsenhausen, wie es heißt, war die Stadtmauer umgraben und von Wasser geflutet, dass der Wagner sogleich vermeinte, diese Stadt einzunehmen im Minimum dreißigtausend Mann erfordere. Über die schöne, alte Brücke, welche breit und fest und ganz aus Stein gebaut ist, gelangten wir ins Innere, waren so reichlich Gedränge und Stauung darauf, dass wir, obzwar wir die Gäule zu Sachsenhausen untergebracht, wohl eine gute Stunde brauchten, sie zu überqueren. Gut sehe ich noch das Bild vor mir, als ich mich über die Brüstung lehnte und hinüber zur Stadt schaute, so prächtig und groß war sie, hing leichter Dunst über allem, obgleich es ein schöner, sonniger Tag war, genährt von den Dünstungen der Menschenmassen, den Kaminen und den Garküchen, sah ich ein Meer aus spitzen, karmesinfarbenen Dächern über die Zinnen der Wehrmauer reichen, gleich einem gigantischen, dampfenden Pflaumenkuchen sah es aus, war’s mir durch den Kopf gegangen, sah ich den Kaiserdom Sankt Bartholomäus gerade vor uns gen Himmel ragen, mit seiner ungewöhnlichen Spitze, in welchem in Bälde das große Spectaculum vollzogen würde. Alles war trefflich aus Stein gebaut, die Häuser, prächtig und hoch, die Straßen und Wege gepflastert, selbst der Hafen linkerseits von uns besaß eine breite, gepflasterte Promenade, auf der emsig Treiben herrschte, waren die Stege voll von Schiffen und Booten. Überall war Leben und Trubel, selbst der Fluss war gespickt von Booten, die allesamt anzulegen suchten, sah man die Schiffer und Kapitäne wild gestikulieren und hörte sie sich Verwünschungen zurufen und wüste Zeichen machen.

Herrlich war’s!, waren die Straßen voll des Volks, gab es Gaukler und Spielleute noch und nöcher, standen allerorts Garküchen und Standschenken, vor allem um den Dom herum, wo es guten Wein und frisches Bier gab, welchem wir beidem gleich gut zusprachen. Wir begaben uns zum Römerberg, wo das Rathaus steht, einfach nur “der Römer” genannt, obzwar es eigentlich aus drei Gebäuden besteht, die aneinandergereiht sind, mit gestuften Zinnen als Fassade und einer schönen, großen Uhr am mittleren Gebäude. Hier sollten auch die Feierlichkeiten ihr Zentrum haben, ist es ein großer, weiter Platz, ganz umstellt von schönen Häusern mit kolorierten Fassaden, ziert ein schöner Brunnen des Platzes Mitte, auf dem eine Statue der Justitia eine Waage in der einen Hand und ein Schwert in der anderen hält, der Brunnen der Gerechtigkeit wird jener genannt.

Wir vergnügten uns gut an diesem ersten Tage, beschauten die vielen Buden mit ihren vielen Attraktionen auf dem großen Markt, ist jener nicht, wie ich es sonsten her kannte, nur ein Platz oder eine Straße, sondern sind es gleich mehrere Straßen und Plätze, gibt es den Kräutermarkt, den Weckmarkt, den Krautmarkt, den Hühnermarkt und solcherlei noch einige mehr, und jeder bestückt mit den verschiedensten Buden, erinner ich mich noch an eine, in welcher allerlei fremdes Getier zur Schau gestellt wurde, in großen und kleinen Käfigen sah ich die herrlichsten und buntesten Vogelwesen, Spinnen, so groß wie eines Mannes Hand, und eine Echse, die fast so lang wie ein Schäferhund war. Manche von uns, der Egon bestimmt, kauften sich Lose beim Glückstopf, welche abendlich gezogen wurden, erhielten sie dann rechteckige, kleine Holzscheite, auf denen in lateinischen Ziffern eine Nummer gebrannt war, durften dann ein identisches Gegenstück in einen riesigen Eisentopf schmeißen, der mit Ketten an den Giebeln der Glücksbude befestigt war.

Wir lauschten der Musik der Spielleute, um die herum sich die Zuhörer scharten, unbefangen zum Klange der Lauten und Trommeln gewippt und getanzt wurde, und großzügig wurden die Münzen in die Hüte geworfen, die nach jedem Stück herumgereicht. Die prächtigsten Gestalten sah man unterwegs, Herrschaften auf den edelsten Pferden, mit den teuersten Gewändern bekleidet, selbst die Diener schienen ausstaffiert wie die wohlhabendsten Bürger, das Weibsvolk war solchermaßen zurecht gemacht wie kaum je zur Sonntagsmesse, trug die schönsten Kleider und war besprengt mit lieblichen Duftwässern. Goldverzierte Kutschen und Sänften mit gläsernen Fenstern sah man durch die Straßen fahren, und mit Glück erhaschte man einen Blick auf das edle, weiße Antlitz einer adligen Prinzessin, und rege und verträumt wurde dann spekuliert, wem jenes Engelsgesicht wohl gehöre, etwa der Gräfin von so und so oder der Prinzessin von hier und da, freilich ohne unsere Teilnahme, kannten wir doch niemanden der Prominenz.

Viel Kutten- und Skapulierträger waren unterwegs – wie stets wird große Politik gemacht –, allen voran die Jesuiten mit ihren vierzackigen Hauben und schwarzen Gewändern, und nie sieht man einen alleine, sondern stets in Gruppen laufen, mit ihren freudlosen Mienen und bartlosen Gesichtern sind sie doch alle wahre Sauertöpfe. Aber auch die anderen Orden waren vertreten, sah man die guten Kapuziner und Franziskaner im braunen Habit, die Dominikaner und Benediktiner in Schwarz und Weiß, auch nie allein, aber mit Lustigkeit und Spaß umherstreifen.

Die Stadtwacht hatte gleichfalls die saubersten Uniformen an, stand allerorts in starker Zahl, und misstrauisch musterten sie jeden zwiespältigen Gesellen, warfen freilich auch uns aufmerksame Blicke zu, worum wir uns wenig scherten. Und viel zu tun dürften jene gehabt haben, zieht derlei Festivität reichlich Gauner und Beutelschneider aus den ganzen Umlanden an, waren entsprechend die Pranger voll bestückt, waren zusätzliche Schandpfähle aufgestellt worden, an denen die Unglücklichen gebunden waren, sahen wir den ein oder anderen frisch Erschnappten mit dem schweren Bußstein um den Hals vorgeführt werden, und lachten und spotten die Leute dann über jene, auch die Unsrigen lachten und spotteten, ich ausgenommen, gedachte ich doch stets, dass mir Ähnliches einst blühen möge.

An allen Ecken standen Gaukler, die ihre Kunststücke vorführten, sah ich einen bunten Gesellen brennende Fackeln durch die Lüfte werfen und wieder fangen, gut fünf Stück mögen es gewesen sein, und nie ließ er eine fallen. Gute Stimmung war überall, auch wenn, so schien mir jedenfalls, die Luft schwanger ging von gebannter Erwartung, redete ein jeder nur über das bevorstehende Ereignis, und alle sehnten sich, dass endlich die Heiligtümer eintreffen würden.

So brachten wir den Tag gut herum und verließen fröhlich gen Abend die Stadt zu unserem Quartiere. Hans Blocher erwartete uns mit einem Fass frischen, klaren Weins, Malvasier, wie er behauptete, und seine Frau bereitete uns ein Abendbrot, was wir gemeinsam zu uns nahmen, außer Maria, die uns bediente. Wir tranken viel und ließen es spät werden, spielten noch den Karnöffel und schwatzten über die Stadt und Politik. Hans empfahl uns dieses oder jenes für den nächsten Tag, was zu machen sich lohnen und welches zu meiden sei, und auch ein rechtes Hurenhaus. Wenn’s günstig sein soll, gibt es kein besseres Haus, als welches ein Kamerad von mir betreibet! Doch wollt ihr’s euch richtig gut gehn lassen, dann empfehl ich euch das Badehaus!, wo es warmes Wasser und schöne Dirnen gäbe, wie er sagte und gab uns Adresse und Namen. Soldat sei er gewesen, erfuhren wir, gut zehn Jahre lang habe er gedient zu Holland und im Erbstreit, worauf sogleich der Hauptmann und der Korporal vermeinten, dass sie ja auch! Potz Teufel!, sagte dann jener. Dacht ich’s doch! Hab euch den Soldaten doch gleich angesehen! Worauf er eine Runde aufs Haus spendierte. Als Maria mit den Krügen kam, stieß sie sich am Friedrich an und ließ deswegen einen fallen, worauf der Hans gleich aufsprang und ihr eine kräftige Schelle verpasste. Sie nahm es klaglos, war solches Traktament sicherlich gewöhnt. Ja, kommentierte der Blocher, man muss die Weiber drillen wie die Köter, sonst spuren sie nicht recht. Wobei er die Witwe herzlich anlachte, und tot wäre er auf der Stelle umgefallen, so Blicke zu töten vermöchten, doch wechselte der Hauptmann gleich das Thema und fragte, bei welchem Obristen er gedient, als sei nichts geschehen. So begannen sie sich auszutauschen über diesen Obristen und jenen Hauptmann, erzählten von den Schlachten und Scharmützeln, welche sie erlebt. Gute Beute habe jener schließlich gemacht, zu Lüttich, wie er erzählte, und weshalb er beschloss, sich zur Ruhe zu setzen, bevor sie ihm den Hals lang zögen oder das Blei ihn strecke. Zu sehr sprach ich an jenem Tage dem Wein zu, waren die Tage und Wochen zuvor so kärglich und kostarm gewesen, dass ich solches nicht mehr gewöhnt war, und ich weiß noch, wie ich eilends vor die Tür rannte zum Kotzen. Da lachten die drinnen herzlich, und mehr noch lachten sie, als kurz darauf der Andreas es mir gleichtat und wir beide Seit an Seit das gute Abendbrot auf die Straße verteilten. Bringt die Kinder und Weiber ins Bett!, hörte ich noch unseren Gastgeber. Jetzt ist Stunde der Männer!

Schlimm war der nächste Morgen, mag auch dir solches Befinden wohl bekannt sein, lieber Leser, wenn der Hals dir brennt wie Feuer, im Maul kärgliche Dürre herrscht, wenn Schweiß deinen Körper benetzt und der Schädel dir brummt. Dergestalt brachen wir auf in die Stadt, frühmorgens war’s, Andreas sah nicht arg besser aus als ich, und für trefflich Gespött und Heiterkeit sorgten unsere Gesichter bei unseren Kameraden. Auch Bastian lachte herzlich über uns, war er taufrisch wie stets, konnte jener doch saufen wie kein anderer. Ich ritt auf einem der Kutschgäuler, die wir den Juden abgenommen, einem fetten, stinkenden Tier, schaukelte nach vorn und nach hinten und vice versa, dass mir je länger, je übler zumute wurde und ich zuletzt mein spärliches Frühstück auf den Weg spuckte. Oh, wie lachten die räudigen Hundsfötter über mich armen Tölpel, und manche Verwünschung mag ich ihnen gesandt haben, im Geiste freilich, getraute ich mich doch kaum, mein Maul zu öffnen. In solch unerquicklich Zustande jedenfalls führten sie mich durch die Stadt, bekam ich kaum mit, wohin wir unterwegs waren. So hatten die anderen beschlossen, zu empfohlenem Badehaus zu gehen. Ein großes Gebäude war es, mit breiter Pforte, erwartete uns im Inneren ein dicker, glatzköpfiger Kerl hinter einem kleinen Tresen, der überrascht schien über Kundschaft, zumal es sonntags gewesen, und auch derart bezeugte: Frühe Kundschaft lob ich mir am Tag des Herrn! Haben gerade erst begonnen, das Wasser zu heizen! Einen stattlich Preis verlangte er, den Groschen pro Kopf, und ich überlegte noch, dem Spaße zu entsagen, doch weil die anderen alle zahlten, ließ ich mich breitschlagen, gelobt dafür sei Gott! Die Witwe durfte nicht, war jenes Bad nur für Männer gedacht, und auch der Wagner meinte darauf, dass er schon jemanden habe, ihn sauber zu reiben, weshalb wir uns zum späteren Treffen am Römerplatz absprachen.

Und so betraten wir anderen jenes Badehaus, das erste, das ich je betreten, und ich kann mich noch an jenen typischen Geruch von Kalk und Dampf erinnern, den alle solchen Häuser gemein haben. Wir wurden in den Umkleideraum geführt, und der Hausherr rief einige Namen, schon kamen schöne, junge Dirnen herbei, nur mit dünnen, leinenen Tüchern bekleidet, die sich unserer annahmen, einem jeden aus den Kleidern halfen und begannen uns zu waschen. Ich sträubte mich ein wenig, war ich doch derart Umgang nicht gewohnt, da lachte das Mädel, das sich meiner angenommen, und meinte: Willst doch nicht mit Beinkleid ins Wasser? So ließ ich es geschehen, ließ mir sanft die Füße waschen, mit einem großen Stück Seife den Rücken und die Haare einreiben und manches mehr und mit lauem Wasser alles abspülen. Sie legten uns gleichfalls leinene Tücher um die Hüften und führten uns dann in die Badestube. Schön gekachelt war der ganze Boden, glatt und warm, und schwer war die Luft von warmem Dampf, der aus den vielen hölzernen Zubern aufstieg, die frisch gefüllt waren mit sauberem Wasser und manchen Kräutern, mit Eisenkraut und Lavendel und Salbei, die ihren Duft verströmten.

Sie hießen uns hineinzusitzen, je zwei Mann zusammen in einem Zuber, hätten gleichwohl gut sechs von uns in einen reingepasst. Sitzplätze waren in die Wannen eingearbeitet, und dergestalt saß ich dort, der Andreas mir gegenüber, sog die guten Dämpfe ein, indessen die wohlige Wärme mich durchflutete. So unerquicklich mein Befinden noch vor wenigen Stunden gewesen, so prächtig fühlte ich mich mit einem Male, dumpf und fern schien alles Lärmen, alle Kälte, wohlig und warm war alles in jenem Hause. Die Augen hatte ich geschlossen im seligen Wohlbefinden, plätscherte sacht mit den Füßen und Händen, muss wohl etwas eingeschlummert sein, als ich plötzlich zierliche Hände an meinem Nacken spürte. Wie lange ich wohl eingedöst war?, fragte ich mich, denn als ich nunmehr die Augen auftat, dünkte es mir geschäftiger als noch zuvor, liefen die Dirnen von hier nach dort, mit Unterschied aber, dass sie allesamt ihre Tücher abgelegt hatten, und nunmehr gänzlich nackig herumspazierten wie Eva einstmalen im Paradies. Große Augen machte ich ob solcher Freizügigkeit, sah so viel Busen und Hintern und Haare, wie ich lebtags niemals gesehen, dass mir erneut ganz schwindelig wurde. Ob es denn genehm sei?, hörte ich die Dirne fragen, die hinter mir am Zuber stand und mich mit ihren Händen behandelte, was ich benickte. Und Andreas mir gegenüber machte derartig selbstzufriedenes Gesicht, dass ich gar auflachen musste. Ein kräftiges Weibe kam heran, mit dickem Hintern und dicken Brüsten, brachte ein Brett, worauf sich Aufschnitt, Brot und Eingelegtes fand, welches sie quer über den Zuber zwischen die beiden Badenden, in diesem Falle Egon und Friedrich, legte. Ersterer gab ihr einen lauten Klaps auf den Hintern und vermeinte, sie solle nicht zu weit weg, er habe noch so manches Bubenstück mit ihr vor Augen, und zwinkerte mir zu, als er merkte, dass ich zu ihm sah.

Auch wir bestellten etwas zu speisen, erfrischten uns an klarem, weißem Wein und genossen die Berührungen der Damen, die alsbald zu uns ins Wasser stiegen, sich eingängiger mit uns zu beschäftigen. Nicht schlecht erstaunte ich, als jene wohlsame, träge Atmosphäre sich plötzlich zu wandeln begann, aus sanftem leisen Plätschern nach und nach erst ein Schwappen, dann gar Wellen wurden, und war zuvor kaum ein Laut zu hören gewesen, im Höchsten ein zufriedenes Seufzen, erklang nun gänzlich anderes Lautenspiel. In den folgenden Stunden sah ich Dinge, die ich in solcher Deutlichkeit noch niemals gesehen hatte, und kann kaum leugnen, dass ich selber kräftig daran partizipiert. Als wir das Bad verließen, hatte ein jeder das zufriedenste Lächeln im Gesicht, waren wir sauber und befreit von allem Schmutz und hochzufrieden mit uns, obzwar wir geschröpft waren wie die Martinsgänse, hatten die werten Damen nämlich redliche Arbeit geleistet und uns den Mammon mit allem, was ihnen zur Verfügung gestanden, gehörig ausgetrieben. Potz Teufel!, sagte Bastian danach, als wir das Badehaus verließen. Jetzt weiß ich, wie’s im Himmel ist! Worauf ich lachte und vermeinte, wenn es dort derart zuginge, müsse ich solches in der Bibel überlesen haben.

Ja, eine seltsame Bewandtnis ist es mit der Sünde, lieber Leser, kommt sie doch mal so augenscheinlich und klar daher, wie vormals auf dem Rosenegg etwa, dass dich die Schuldigkeit gar ins Gesicht schlägt und deinen Geist und dein Gewissen niederdrückt, dann wieder erscheint sie so sauber und rein, als wäre nichts dabei, lässt dich trefflich gut und zufrieden fühlen, so wie bei uns dort und damals im schönen Frankfurt.

Der Wagner schalt uns alle Simpel, als wir ihn auf dem Römerplatz trafen, doch musste er auch lachen, nachdem wir ihm berichtet, wie trefflich sie uns ausgenommen. Fast alles Geld, das wir den Juden geluchst, war dahin, und wir grübelten, wie die Kasse wieder zu füllen sei, wussten wir nicht, wie lange es noch zum Feste dauern würde. Und indessen wir noch am Disputieren, ob innerhalb oder außerhalb der Stadt am besten zu rauben sei, erübrigte es sich bereits, denn mit lautem Schall und Prunk und manchem Getöse traf der heilige deutsche Reichsschatz ein. Von Weitem schon vernahmen wir die Trompeten, waren sie vom Norden her durchs Eschenheimer Tor eingeritten und folgten ihnen nun die Leute in großer Zahl, wollten alle einen Blick auf diese heiligsten der deutschen Schätze werfen. Mehr noch an Wagen und Gardisten waren es als zuvor in Würzburg gewesen, hatten sich die Nürnberger und Aachener Delegationen vereint, um gemeinsam in die Stadt einzukehren. Vor dem Römer machten sie endlich halt und begannen die Kleinodien ins Gebäude zu schaffen. Ich versuchte einige Blicke zu erhaschen, streckte Beine und Hals empor, doch war weit abgesperrt durch Soldaten und Gardisten, standen so viel weiteres Volk und Pfaffen an den geschmückten Wagen, dass nichts groß zu ersehen war. Hernach alles abgeladen und verstaut gewesen, traten die Stadtschreier aus, läuteten ihre großen Glocken und ließen verlauten, dass folgenden Tags die Krönung stattfände, und kaum hatten sie geendigt, als schon die Vorbereitungen begannen.

Südlich des Platzes wurde ein hölzern Pavillon aufgestellt, dazu eine große Bühne und etliche Tische, und in der Mitte des Platzes begannen sie den Brunnen der Gerechtigkeit zu schmücken und auszubauen, wurde, was sonsten das Becken war, in welches das Wasser hineinplätscherte und floss, mit Stein und Dekor dergestalt zugerichtet, dass es aussah wie ein schmucker, großer Felsen, auf welchem die Justitia stand, und aus selbigem zu mehreren Seiten Rohre führten, zu welchem Zwecke und wozu, das sollte ich alsbald erfahren. Ferner stellten sie einen herrlich gearbeiteten, aus Holz und anderem Material gefertigten zweiköpfigen Adler darauf, fast mannshoch, und zu beiden Seiten noch zwei goldene Löwen, welche in ihren Pranken die Reichswappen hielten. Nachdem wir uns genugsam sattgesehen hatten, machten wir uns zum Aufbruch bereit, waren gespannt und aufgeregt und freuten uns des Lebens, in Erwartung des nächsten Tages, des Festes aller Feste, der Krönung des römisch-deutschen Kaisers zu Frankfurt am Main.

Rosenegg

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