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Kapitel 9
ОглавлениеVon der trefflffllichen Festivität und Kaiserwahl zu Frankfurt am Main
Früh brachen wir auf, noch bevor die ersten Sonnenstrahlen den Horizont erhellten. Hatten wir nämlich erfahren, dass man gedachte, des Morgens die Stadttore abzusperren, und wollten deswegen zuvor noch dort sein. Hans Blocher begleitete uns zusammen mit der Maria, hatte sie ihn reichlich persuadiert, dass er sie mitnehme, und manche Schelte und manche Schelle sich eingefangen, wie wir mitbekamen, endlich aber ihren Willen durchgesetzt. Ein schöner Tag würde es werden, man sah es gleich, war ganz wolkenlos der azurne Himmel und tausend und mehr Sterne zierten das Firmament. Trefflich fühlte ich mich an jenem Tage, hatte die vorgestrige Übelkeit gut verwunden und war schon wieder für jedes Wettsaufen zu haben, gelobt sei die Jugend!
Wir kamen in Sachsenhausen an, als der Sonne Schein in Ferne erst angedeutet zu erkennen war und dessen zum Trotz waren die Straßen bereits voll des Volkes und die ersten Schlangen bildeten sich vor den Toren, wollten alle noch vor der morgendlichen Absperrung ins Innere. Jedermann wurde visitiert nach Waffen, welche wir, da wir solches bereits vermutet, allesamt in der Herberge gelassen hatten. Drinnen angelangt, verabschiedeten wir uns vom Blocher und seiner Maria, gedachte der Blocher, sich mit seinem Kupplerkameraden zu treffen, lud uns aber ein zu späterer Stunde, so alles vorüber sei, dort vorbeizuschauen. Auch in der Stadt war schon reichlich Volk unterwegs, kamen wir dennoch gut durch bis zum Römer, hier allerdings war alles abgesperrt und abgeriegelt, standen allerorts die Stadtwache, aber auch andere Gesellen, bunt gekleidet und kräftig bewehrt, trugen sie alle das Gleiche, längsgestreifte Wämser und Hosen, in Gelb und Blau und ein wenig Rot, waren bewaffnet mit Hellebarden oder Partisanen, gerüstet mit Panzer und Haube, Letzteres geziert mit einem leuchtend roten Federbusch. Wir fragten einige der Umstehenden, was selbige denn für Vögel seien. Die Schweizergarde nenne man sie, hörten wir dann, die Leibwachen der geistlichen Kurfürsten aus Trier und Mainz, harte eidgenössische Krieger, und ich fühlte einen seltsamen Stolz in meiner Brust, denn obzwar ich nie bei den Eidgenossen gelebt, fühlte ich mich mit ihnen verbunden, entstammte Vater schließlich ihren Landen, und ich freute mich, dass man die Schweizer Krieger pries, erfreuten sich selbige großer Berühmtheit in allen Ländern, war es nicht umsonst an ihnen, den Papst selber zu defendieren. Jene prächtigen Krieger jedenfalls bewachten den Römer, und keiner durfte auf den Platz. War tags zuvor noch alles voll gewesen von Gauklern und Spielleuten, war jetzt alles voll von diesen bunten Vögeln, so beschlossen wir, vorerst zum Markt zu gehen, zumal die Glocken das Spectaculum ankündigen würden und wir uns auch noch gut in der Zeit wähnten für einen Morgentrunk und frühe Speise.
Ordentlich zur Sache ging es hier, waren die Straßen und die einzelnen Märkte um den Dom prall gefüllt, drückte sich Leib an Leib, zu Amons größter Freude, war dieser nämlich ein trefflicher Beutelschneider, was auch die Ursache war, weshalb es ihn zu uns Räubern verschlagen hatte. Seinen kleinen Beutelritzer hatte er stets parat – eine kleine sichelförmige Klinge –, welchen er zwischen Zeige- und Mittelfinger hielt und dergestalt geschickt die Schnüre der Börsen trennte, so jemand so unvorsichtig war, diese baumelnd zu tragen, andernfalls die Taschen und Beutel aufritzte, um an deren Inhalt zu gelangen. Als wir den Platz der Garküchen und Standschenken erreicht, hatten drei Börsen bereits ihren Besitzer gewechselt, war eine derart gefüllt, dass der Amon, der nicht gerade seiner Spendabilität wegen bekannt war, allen eine Runde Speis und Trank ausgab.
Gut fröhlich waren wir bereits, als die Glocken schlugen, begaben wir uns dann wie alles Volk zur großen Marktstraße, hatten sie dort mit Holzplanken einen Weg oder Brücke aufgebaut, die ganze Strecke bis zur Kirche hin, damit die edlen Herren sich ja nicht die Füße schmutzig machten, jenen zudem mit schönem, rotem Tuch überspannt. Zu beiden Seiten jenes roten Weges standen je zwei Reihen von Gardisten dicht hintereinander, die inneren Reihen mit der Muskete bewaffnet, die äußeren mit Hellebarde bewehrt, welche sie schräg vor sich hielten, dass kein Durchkommen war. Kaum war der letzte Glockenschlag verklungen, schallten die Trommler und Trompeter vom Römer aus ihre Klänge in die Luft, und es begann der Marsch in Richtung Sankt-Bartholomäus-Dom.
Zuvorderst liefen im gemächlichen Gleichschritt die Musikusse und trommelten und trompeteten, gefolgt von einer langen Reihe Bannerträger mit hohen, goldbestickten und goldverzierten Bannern, ferner eine ganze Schar von Bischöfen, aufs Schönste geschmückt mit Gold und Zierrat, umgeben und umzingelt von anderen niederen Pfaffen, die Weihrauchkugeln schwenkten und Weihwasser sprenkelten. Sind’s die Kurfürsten?, frug ich laut an keinen Bestimmten gewandt: Die Geistlichen, mein ich. Und eine ältere Dame neben mir gab Antwort in mein Ohr: Nein, die Kurpfaffen sind schon in der Kirche. Als die Klerikalen vorüber waren, folgten die großen und größten Herren unserer Lande. Zu Fuß und zuerst einiges an Offizieren, bewehrt und mit Ornat behangen, zahlreiche Räte der Stadt mit ihrem Rätehabit und Rätehaube und einiges an adligem Volke. Ferner hoch zu Ross folgten vier Herrschaften, und ich rief: Sind’s die Kurfürsten? Worauf die Frau neben mir vermeinte: Ach nein, ’s ist der Landgraf zu Darmstadt mit den Söhnen! Ihnen folgte wiederum eine Schar aufs Äußerste verzierte Vögel, trugen jene rote und goldene, mit Tier und Wappen bestickte Mäntel und Trachten, so dass ich wieder vermeinte, jene müssten unfraglich die obersten Fürsten der deutschen Lande sein, und gleiches kundtat, doch wieder korrigierte mich die Dame: Ach Mensch, ’s sind doch nur die Herolde! Hinter diesen kamen nun drei Gestalten, die in der Tat noch prächtiger aussahen als alle zuvor, trugen jene eine dicke, mit weißem Fell umspannte Haube, hoch und breit, fast wie eine fellerne Krone, dazu einen schönen Mantel oder Umhang, der bis zur Brust aus gleichem Fell bestand und dann in spanisches Rot überging. Jeder der Dreien hielt eine der Reichskleinodien, einer den goldenen Reichsapfel mit dem goldenen Kreuz, das aus ihm herausragte, nächster das Reichszepter, ein langer, goldener Stab mit reichlich Edelsteinen und anderer Zier, und zuletzt das Reichsschwert, blank gezogen und in die Höhe gehalten, ging ein besonderer Schimmer aus von dessen Klinge. Nun sind sie’s aber!, rief ich bestimmt: Die Kurfürsten! Worauf aber das Weib wieder nur den Kopf schüttelte: Nein, sind nur die Abgesandten. Die Echten seien gar nicht erst angereist. Was? Weshalb?, frug ich enttäuscht. Wer weiß? Mag ihnen nicht geschmeckt haben, erneut ’nen Habsburger auf dem Thron zu wissen. Und ich gedachte bei mir: Wieso sie ihm dann ihre Stimme gegeben? War der Habsburger schließlich einstimmig erwählt worden, wie wir mannigfaltig vernommen hatten.
Lange hielt meine Enttäuschung freilich nicht, denn obzwar ich die größten Fürsten unserer Lande nicht in persona zu Gesicht bekommen, sah ich nun aber, keinen Steinwurf von mir entfernt, den Habsburger Ferdinand, den erwählten Kaiser. Der ist aber der Echte?, frug ich die Frau, worauf sie lachte und erwiderte: Freilich, der ist echt. Sein Kinn kann es bezeugen. Ein welches er in der Tat stolz hervorgereckt hatte, geziert nur mit einem kleinen, fein geschnittenen Bart, ritt er auf einem schönen, weißen Pferd unter einem weiten, verzierten Baldachin oder Himmel, der von sechs Mannen zu Fuß an langen Stäben hochgehalten wurde. Ja, da ritt er, der Habsburger Fanat, so nah und so stolz, und manchmal frag ich mich, was wohl geschehen wäre, so ein anderer seinen Platz eingenommen hätte? Wenn sich ein deutscher Ravaillac gefunden haben würde, den Lauf der Geschichte zu verändern?
Doch gibt es leider nur die eine Welt, die eine nur, die notwendige, denn lasse Gott kein Alternativ zu, geschieht doch alles, was ist, notwendig, so, wie es geschieht, vorherbestimmt und festgeschrieben in Gottes Geist und Sinn, wie Calvin es einstmals erkannt und auch gelehrt. Mancherlei Unfug und Unsinn habe dieser mitunter gepredigt, vermeinte zumindest mein lieber Vater, hierbei indessen sei es der Wahrheit entsprechend, denn sei die Welt nicht vorhergesehen durch Gott, so müsse dieser folglich unwissend sein über ihren Verlauf, was freilich ganz unmöglich ist. Ferner könne es auch nicht zwei oder mehr Weltenläufe geben, alle in Gottes Sinn und nebeneinander existierend, zumal die Folge wäre, dass doch wohl der eine Lauf einem anderen vorzuziehen sei, der eine besser, der andere schlechter beurteilt werden könne, so auch das Leben in dem einen dem Leben in dem anderen vorgezogen würde, folglich der eine ungerechter gegen den anderen wäre im Vergleich, was wiederum ein Widerspruch zu Gottes Wesen ist. Was alles unweigerlich zur einen Wahrheit führe, dass es nur die eine einzige Welt geben könne und schlechterdings notwendig alles geschähe, was geschieht. Ja, dergestalt hatte ich ihn oftmals philosophieren hören, meinen seligen Vater, habe ihm gelauscht und große Augen gemacht.
Hernach jedenfalls die hohen Herren im Dom entschwunden, suchten wir uns was zu saufen und schwatzten über das Gesehene. Hast ihn gesehen?, fragte dann einer, und man antwortete: Potz Teufel, ja! Hast das ganze Gold gesehen? Das Kinn? Dann lachte man und freute sich. Über den ganzen Reichtum sprachen wir, über die herrlichen Mäntel aus Zobel und rotem Samt, über die wunderbaren Pferde und die Kleinodien. Dass sicherlich manch Zauber in den Kleinodien stecke, meinte etwa Egon, und wir diskutierten, was sie wohl alles vermögen würden. Worauf ich meine Geschichte von der Lanze kundtat, die mir Vater erzählt hatte, und frug, warum die heilige Lanze denn nicht dabei gewesen sei? Und ein Fremder bei uns, der sich als Amtsschreiber vorstellte, vermeinte, sie gehöre wohl nicht zum präsentierten Ornat, sei gar nicht erst aus Nürnberg hergebracht worden.
Einiges an bösen Stimmen hörte man auch, hörte die Leute hier und dort schimpfen, und Andreas beteiligte sich gern und fleißig. Dass wieder ein Lakai Spaniens über unsere Lande herrsche, hieß es dann, eine Hure des Papstes, und unter seinem Kleide lauere schon, Sackläusen gleich, die Meute der Jesuiten, das Land im alten Glauben zu bekehren. Keiner der Protestantischen ist selbst gekommen!, schimpfte Andreas etwa. Keiner! Und doch heißt’s, sie alle hätten den Habsburger erwählt. Wie könne solches nur geschehen sein? Und viele nickten und stimmten ein in solche Reden. Egon und Friedrich, die beide feste Katholiken waren, gingen in Opposition. Was jene denn schwätzen würden? Müsse doch dem Unverständigsten klar sein, dass der Kaiser nun mal vom guten, alten Glauben zu sein hätte. So hätten doch die Protestanten schon ihre drei Erzfürsten, hätten ihre vielen Landesfürsten, hätten Bürgermeister und Räte und würden trotzdessen nichts können als maulen und mehr verlangen. Tausend Jahre wär es gut gewesen mit der einen Religion, und nunmehr und auf einmal reiche es nicht, brauche man zudem nicht nur eine neue Religion, brauche man gleich viele neue, welche sich auch untereins nicht verleiden mögen. Allein sie wurden niedergeredet, waren die meisten dort doch fleißige Lutheraner.
Unter gutem Sterne stehe der ganze Schosen wahrlich nicht, vermeinte irgendwann jener verständige Amtsschreiber, habe sich gleich nach der Wahl bedenklicher Casus ereignet, als nämlich ein wilder Köter den Trierer Erzpfaffen angefallen und ins Bein gebissen habe und erst von jenem abgelassen, als sie selbigen totgeschlagen. Als sei jenes des bösen Omens nicht genug, habe sich zudem die Wunde am Bein schlechterdings durch nichts kurieren lassen, dass sie endlich gar einen Juden haben rufen müssen, sich der Sache anzunehmen, wie er aus sicherer Quelle wisse. Was alles unfraglich nichts Gutes prognostiziere.
All solcher sorgenvollen Reden zum Trotze wurde uns die Weile nicht lang, war das Volk e contrario fröhlich und heiter, selbst beim Disputieren, prostete man sich zu, schwatzte und lachte und spottete über die hohen Herren, und freute sich des Kommenden.
Dann war es soweit! Erklangen die zahllosen Glocken der Kirchtürme, tönten ferne Fanfaren und Jubel schallte dumpf aus den Dommauern heraus, zu verkünden, dass das römisch-deutsche Reich seinen neuen Kaiser habe. Sogleich eilten wir vor die Eingangspforten. Weit vorn am Dom nahmen wir Posto, wo das Volk so dicht gedrängt war, dass man Leib an Leibe stand. Die Türen wurden aufgestoßen, und die Prozession begann. Weiter nach vorne drängten wir und ich nutzte die breite Statur des Bastian, mich dahinter zu bergen, während er durch die Massen pflügte. Ganz zuvorderst angekommen, stand nur noch ein grimmiger Hellebardier vor uns, der mit seiner Waffe uns sperrte und dabei einiges an Mühe hatte, die ganze Meute fern zu halten, die drückte und drängelte und kräftig schob.
Über den roten Weg kamen gerade die Vertreter der Kurfürsten vorüber, zu Fuß diesmal, und erneut die Reichskleinodien in Händen. Dicht in Folge der frischgebackene Kaiser, unter seinem gewaltigen Baldachin, auch zu Fuße und in vollem Ornat, schimmerte er goldgelb von Kopf bis Fuß, und sein Haupte zierte die Reichskrone, eckig und schwer, und ich muss gestehen, dass sie mir ein wenig grob und ungeschliffen vorkam, ein großer, goldener Klotz mit vielerlei verschiedenem Gestein beklebt. Viel zu groß und schwer drückte sie mir für jenen kleinen Kopf des neuen Herrschers, der manche Mühe haben musste, sie zu tragen. Regungslos starrte er geradeaus, ohne seinen Blick in die eine oder andere Richtung zu wenden und ohne jedes Zeichen von Freude, einer Statue gleich, kein Mensch aus Fleisch und Blut.
Ihm folgend die drei Erzpfaffen im kurfürstlichen Mantel und Haube, der Mainzer, Johann Schweickhardt von Kronberg, ferner der Kölner, Ferdinand von Bayern, und endlich der Trierer, Lothar von Metternich, der wahrhaftig arge Mühe beim Laufen hatte und kräftig humpelte. Ganz zuletzt kamen noch drei Reiter, jeder von ihnen mit einem dicken Beutel auf dem Schoß. Da griffen diese tief in ihre Beutel und warfen unversehens frisch geschlagene Münzen unter die Menge, und nicht nur Heller oder Pfennige waren es, sondern Halb- und Ganz- und Doppeldukaten, manche groß und manche klein, gab es neben den üblichen runden Münzen auch kleine viereckige aus Gold und Silber.
Du kannst dir wohl leicht imaginieren, lieber Leser, welche Wirkung solchem erfolgte, wurde die Masse, als sie den ganzen Reichtum fliegen sah, mit einem Male ganz toll und wild, mehr noch als sie ohnehin schon gewesen, wurde wild geschoben und gedrängt, und Bastian und ich mögen die meisten an Tollheit noch überboten haben, und Arme und Beine einsetzend, versuchten wir tunlichst zu jenen Reitern zu gelangen. Links und rechts nahmen die Leute ihre Hüte vom Kopf, drehten sie um, mit ihnen die Schätze zu fangen. Ich sprang hoch und versuchte die Münzen aus der Luft zu erschnappen, mag die eine oder andere wohl derart erwischt haben, dann sah ich Bastian, der schlechterdings in die hochgestreckten Hüte griff und fremder Leute Beute so für sich beanspruchte, was ich ihm bald nachahmte, in jeden Hut, den ich sah, hineingriff, und alles, was ich dergestalt ergatterte, eilig am eigenen Leibe verstaute. Schon kam es zu Verwünschungen und Händel, brüllten die Leute mich an, mancher schlug gar nach mir. Jemand warf mich zu Boden – oder bin ich gefallen? Fand ich mich jedenfalls zu Boden wieder, umringt von lauter Fuß und Bein, wollte wieder hochwärts, da sah ich es um mich rum blinken und glitzern, silbern und golden, krabbelte deshalb auf den Knien weiter umher, griff hier und dort hin, drängte mich zwischen den Füßen hindurch, noch mehr der Beute zu machen. Man stand mir auf die Hände und Beine, trat gegen Bauch und Kopf, und bald lag ich bäuchlings da, spürte die Leute auf mich treten und fallen, dass ich schon gedachte, sie würden mich gar totdrücken. Da packte mich der Bastian unter den Achseln und zog mich auf die Beine.
Die Hellebardiere retirierten indessen, konnten der wilden Meute nicht mehr Herr werden, die immer weiter zu den Reitern drängte. Komm mit! Zum Reiter!, vermeinte Bastian und kämpfte sich in Richtung des nächstgelegenen, nah zu unserer Rechten. Aus den Augenwinkeln sah ich den Wagner und Jakob und Andreas mit Umstehenden rangeln, war einiges an Schlägerei im Gange. Als wir den Reiter erreichten, war dieser schon von allen Seiten so dicht bedrängt, dass er versuchte, sich mit den besporten Stiefeln zu erwehren, und seine Münzen den Bedrängern vor die Füße warf, in Hoffnung, sie solcherart abzulenken, was teils gelang, und auch ich bückte mich schnell, die eine oder andere einzusacken. Kaum wieder oben, sah ich den Bastian am Pferd selbst hochspringen und dem Reiter einfach zwischen die Schenkel in den Münzsack greifen. Da wurde es diesem endlich doch zu bunt, und er gab dem Gaul die Sporen, den Zugang zum Römer im Auge, den die übrigen Gardisten mit letzter Kraft zu sperren suchten. Weit kam er aber nicht, hatten die Leute seine Zügel gepackt und hielten den Gaul auf, versuchten einige, es nun dem Bastian gleich zu machen und an den Münzsack selbst zu gelangen, andere versuchten gar, ihn vom Gaul zu ziehen, was das erschreckte Tier endlich aufbäumen ließ und ausschlagen. Viel fehlte nicht, und der Reiter wäre gefallen, hatte er schon die Zügel verloren und schlug verzweifelt mit den Fäusten gegen die vielen Hände, die ihn zu stürzen suchten, da kam ihm einer seiner beiden Kameraden zur Hilfe, preschte mit seinem Pferd heran, was die Leute weichen ließ, packte die Zügel des Pferdes und zog ihn mit sich auf den Römerplatz zu. Nur kurz währte der Schrecken der Meute, bevor sie die Verfolgung aufnahm, und nur mit Knappheit schafften es die beiden, sich auf den Römer und hinter die Gardisten zu retirieren.
Mit gestellten Waffen und dicht an dicht stehend, gleich einem Pikenhaufen im Felde, versperrten die Gardisten dem Volk den Einlass zum Platz. Bastian, Andreas und ich standen weit vorne, nah bei den Gardisten, die ihre Hellebarden gefährlich vor unseren Gesichtern kreisen ließen. Ich blickte mich um, zu sehen, was die Übrigen trieben. Hatten sich die Menschen indessen auf den roten Stoff gestürzt, über den die Prozession geschritten war, schnitten sich große Stücke heraus, sie nach Hause zu führen, oder hingen sie sich über die Schultern, wie etwa der Friedrich und der Egon es getan. Selbst vor den Planken machten sie nicht halt, und schon war nichts des Weges mehr übrig.
Die hohen Herren waren inzwischen im Rathaus angekommen, ging es auf dem Platze davor allerdings noch recht betrieblich zu, wurde überall dieses noch gebaut und jenes vorbereitet, indessen das ungeduldige gemeine Volk noch ausgeschlossen verblieb. Ich sah einen prächtigen Reiter, von Adel offenbar, gerade einen großen Korb mit frischem Hafer auf dem Platz verschütten, wo bereits ein stattlicher Haufen gelegen. Auch wehte uns der Duft gebratenen Fleisches entgegen, konnte man viel Rauch aus dem hölzernen Pavillon aufsteigen sehen, wo ein riesiger Ochse am Stück gebraten wurde, sah man die riesigen Haxen des rotierenden Tieres langsam aufsteigen und wieder unter dem Dach verschwinden. Ich sah zum Brunnen hinüber, denn auch hier waren einige Gesellen am Hantieren, und was ich sah, machte mir ordentlich das Maul wässrig, denn Schröter schleppten große Fässer mit Wein heran, welche sie oberhalb des Brunnens auf einem Podest positionierten, um des Wassers statt Wein in den Brunnen fließen zu lassen.
Bald waren auch diese letzten Vorbereitungen am Endigen, und gut war’s so, denn das Volk war ungeduldig und kaum mehr zu halten. Zuletzt ritten drei Reiter vom Rathaus heraus, derweil die Fürsten mitsamt dem Kaiser vom Balkon des Rathauses aus zusahen, der eine Reiter ritt zum Haufen mit Hafer, wo er mit einem silbernen Becher sich bückte und etwas Hafer schöpfte, ein anderer ritt zum Pavillon, wo er offenbar ein Stück des Bratens sich kredenzen ließ, und der letzte schließlich zum Brunnen, wo er weißen und roten Wein, der sich inzwischen aus den Rohren ergoss, in ein Service silberner Becher goss. Nachdem jene drei Reiter wieder im Rathaus entschwunden, bahnte sich das Volk seinen Weg auf den Platz, und die Gardisten wichen zum Rathaus hin, dem Volke das Feld zu überlassen. Bastian, Andreas und ich ganz zuvorderst, hatten wir unser Ziel sogleich auserkoren und rannten, so schnell die Beine uns trugen, zum Brunnen hin. Verdurstenden gleich warfen wir uns an eines der Becken mit weißem Wein, denn sie hatten den Brunnen in mehrere Becken unterteilt, so dass in manche weißer und in manche roter Wein floss; und ich begann zu saufen, indem ich schlicht mein Maul in das Becken hielt und dergestalt mit vollen, gierigen Schlücken mir den guten Trunk einverleibte. Bastian und Andreas neben mir folgten meinem Exempel, während um uns herum die Hände und Arme gleichfalls an das begehrte Gut zu gelangen suchten, wurden von allen Seiten Becher und Flaschen und Hände in die Becken getaucht, dass es nur so spritzte und schwappte, mir der Wein in die Nase und über die Brust lief. Jemand drückte mich grob beiseite, dass ich mich verschluckte und husten musste, der Amon war’s, und auch die Übrigen waren nun da, der Wagner, der einen Becher in der Hand hielt, weiß Gott woher, die Witwe, die aus selbigem Becher trank, der Korporal, der seine große Feldflasche tief eintauchte, ferner der Jakob, der Friedrich und der Egon, die mit den gewölbten Händen den Wein zum Munde führten, in Ermangelung besserer Instrumente. Ich sah den Andreas, der am Rand des Beckens hochgeklettert und sich den Wein direkt aus dem Rohr ins Maul fließen ließ.
Den Bauch bereits prall gefüllt und mit leichter Übelkeit ob des schnellen Saufens, hielt ich kurz inne und sah hinüber zu den anderen Becken. Und obgleich ich derart vollgesoffen war, dass mir schon reichlich schwindlig wurde, wollte ich mir doch auch den guten Roten schmecken lassen. Zu gemeldetem Zwecke kletterte ich also den Brunnen empor, der, wie beschrieben, mit einigen großen Steinen verziert und geschmückt war, an denen man trefflich Halt fand, hielt mich auf halber Höhe an einem der Dekorlöwen fest und senkte dergestalt von oben herab meinen Kopf zum Rohre, aus welchem der gute Rotwein floss. Ich hielt das offene Maul in den Strahl und soff, was ich konnte, versuchte derweil mich der vielen Becher zu erwehren, die um mich schwirrten wie die Fliegen und gleichfalls versuchten, an den Weinstrahl zu gelangen, als mich endlich jemand packt und von da oben runterzerrt, dass ich mit dem halben Bein im Becken lande. Ich entsinn mich noch an ein wütendes Gesicht vor mir, als ich mich wieder rappelte, das mich schimpft, da fliegen schon die ersten Fäuste. Lässt wohl unseren Bub in Ruhe!, hörte ich den Egon rufen. Meine Kameraden müssen gesehen haben, dass ich derart angegangen wurde, denn ich sah nun den Korporal Schuhmann selbigem Kerle kräftig den Kopf gegen den Brunnen hauen, und auch die anderen waren gehörig am Händeln.
Kaum erhoben, mit der Intention, meinen Freunden beizustehen, bemerkte ich, dass mir der gute Wein doch reichlich zu Kopf gestiegen war, und so kommt es, lieber Leser, dass fürderhin meine Erinnerungen eher wirr und unklar mir erscheinen, kann ich mich zwar des meisten Geschehenen entsinnen und ist mir wohl auch nichts in Gänze verloren gegangen, doch sind die Bilder in meinem Geiste hinter einem trüben Schleier versteckt und gleichwohl verworren, als habe jemand Bilder, Zeiten und Orte, welche in meinem Gedächtnis aufgehoben, gemischt und durcheinander gebracht, dass ich im Folgenden, der Logik als meinem Leitstern folgend, den Ablauf der Sinnhaftigkeit nach zu schildern gedenke.
In jedem Falle war, als sich mein Schwindel ein wenig legte, der kurze Kampf schon zugunsten unserer Partei entschieden, und man gedachte, wohin nun zu gehen sei, waren wir doch alle schon zu genüge satt gesoffen, was uns freilich nicht hinderte, unsere Feldflaschen zum Abschied zu befüllen. Aufs Trinken müsse wohl das Essen folgen, vermeinte dann jemand, und auch ich gab etwas zum Besten wie: Jawohl, ja, auf zum Ochsen! Jenes Ziel im Auge, drängten wir uns durch das viele Volk zu jenem Pavillon hin, bei dem, ähnlich wie beim Brunnen zuvor, mächtig Aufruhr im Gange war.
Ein treffendes Bild ist mir noch im Sinn geblieben, das die Tollheit der Leute gut bescheint. Und bin ich mir auch nicht gewiss, ob ich jenes gesehen habe, als wir zum Ochsen hingelaufen, oder dann, als wir von dort weg sind, will ich es dir dennoch an dieser Stelle kurz skizzieren, lieber Leser; sah ich nämlich eine Handvoll Leute das Podest erstürmen, von welchem aus die Schröter den Wein in den Brunnen fließen ließen, hatten manche dieser Kerle Beile oder Hämmer in den Händen, mit welchen sie die Fässer wie die armen Schröter gleichermaßen bedrängten. Und während Letztere ihren Widerstand bald als hoffnungslos realisierten, ihr Heil in der Flucht sahen und vom Podeste sprangen, blieben die Fässer der Rage der Meute hilflos ausgesetzt, hieben die Kerle wild auf jene ein, dass es endlich einem Fass den Boden ausschlug und sich der gute Wein im großen Schwall daraus ergoss. Indessen die Oberen teils ihre ganzen Köpfe in die offenen Fässer tauchten, versuchten die Darunteren schlechterdings den ausfließenden Wein mit dem Maul aufzufangen und soffen ihn etliche gar, gleich Schweinen und Säuen, aus den sich auf dem Boden gebildeten Pfützen, dass sie einem mehr Tier als Mensch dünkten.
Wir jedenfalls wollten nun unseren Teil des Bratens ergattern, und durch den vom Wein beheizten Übermut gingen meine Kameraden nicht gerade handzahm zu Werke. Bald hatten wir uns bis hinvor ans Fenster, wo die Küchenmeister den Ochsen ausgaben, Platz erstritten, und ich ersah nun das riesige Tier, welches an einem dicken Balken, der jenes vom Maul bis zum Hinterteil durchspießte, über dem Feuer garen. Und als ich es erblickte, lieber Leser, durchfuhr mich ein gewaltiger Schrecken! Erst dachte ich, der Wein müsse mir zu kräftig zu Kopf gestiegen sein, denn was ich da sah, schien zwar dem Kopfe und dem Schwanz nach ein stattlicher Ochse zu sein, erwuchsen diesem jedoch über den ganzen Körper verteilt, vor allem aus dem Bauch heraus, alle möglichen seltsamen Köpfe und Glieder mit Mäulern und Augen, manche groß und manche klein, dass ich unweigerlich jener vier Tiere aus der Offenbarung gedachte, wo es da heißt: “Und die vier Wesen haben, jedes einzelne, sechs Flügel, und außen herum und innen sind sie mit Augen übersät, und sie rufen ohne Unterlass Tag und Nacht: Heilig, heilig, heilig ist der Herr, Gott, der Herrscher über das All, und der war und der ist und der kommt.” Worauf ich mir kräftig die Augen rieb, nicht ohne mich vorher zu bekreuzigen. Hernach ich allerdings genauer hingesehen, erkannte ich, dass es nicht bloß ein Ochse war, den sie da brieten, sondern sie den Ochsen gefüllt hatten mit allerlei Viehzeug, mit Lämmern, mit Hühnern und Gänsen, und deren Köpfe und Glieder und Augen waren es, die aus dem bratenden Ochsen rausstanden und rausschauten, dass ich mich von meinem Schrecken gut erholte.
Der meiste Teil des Bratens war noch vorhanden, doch auch hier drängte das Volk mit Ungestüm, seinen Teil zu erhalten, und die armen Köche sahen sich von allen Seiten angegangen, dass sie sich nur noch mit ihren Messern und Beilen zu erwehren wussten und manches Blut floss. Wir waren ihrem Bedrängnis freilich keinerlei Abhilfe, denn schon sprangen die ersten von uns, der Wagner und der Korporal namentlich, über den Tresen, ihren Teil abzugreifen, wir anderen dicht dahinter. Zwei der Köche, die am großen Rad gestanden, mit welchem der Ochse gedreht wurde, stellten sich uns entgegen, beide mit Beilen bewaffnet. Den ersten packte der Korporal am bewehrten Arm, zog ihn zu sich her, worauf der Wagner selbigem kräftig eins einschenkte und niederstreckte. Den anderen verließ bei solchem Anblick aller Mut, und kampflos gab er uns das Feld preis. Korporal Schuhmann hatte dem Gelegten derweil das Beil aus der Hand entwunden und begann, dem Ochsen schöne, saftige Stücke abzuschneiden, welche er an uns weiterreichte. Die Köche waren indessen ganz in eine Ecke gedrängt, und immer mehr des Volks stritt um das gute Fleisch, rissen jenes teils mit bloßen Händen vom Tiere, kämpften wie Wölfe um die Beute, rissen an den Gliedern und dem anderen Viehzeug, zogen an den Beinen und am Kopfe, dass es zum Erschrecken war. Bald begann der ganze Pavillon bedenklich zu schwanken und zu wanken, versuchten etliche von hinten und den Seiten über die Wände des Baus zu klettern, andere hieben und zerschlugen die Holzbalken, um sich derart Zugang zu verschaffen, und wieder andere drückten und hieben gegen die Stützpfeiler, als wollten sie den ganzen Bau niederstürzen, wie Simson es einstmals über die Philister getan.
Wie wir von dort entkamen, vermag ich nicht mehr zu sagen, sehe uns aber noch mit guter Beute das Feld räumen, waren wir alle mit großen Stücken guten Fleischs versehen, hatte der Korporal ein ganzes Ochsenbein gelöst und trug dieses stolz über der Schulter. Noch während wir speisten, kam bereits neue Bewegung ins Geschehen, hieß es mit einem Male: Sie werfen wieder Münzen! Diesmal jedoch vom Balkon des Rathauses hinab, und hatte sich das Volk vormals um den Weinbrunnen und Ochsen getummelt und gestritten, stürmten die Massen nun gegen den Römer; und wenn du glaubtest, lieber Leser, dass es zuvor schon rüpelhaft und wild zugegangen sei, dann erkläre ich dir, dass fortan gänzlich alles Maß verloren war.
Auf zum Römer!, hieß es sogleich, und wir eilten los, warfen die Reste des Fleisches einfach weg und rannten ins Getümmel. Wir tauchten ein in den Menschenstrom, wurden mitgerissen von seiner Kraft und seinem Sog, brandeten gegen das Rathaus, und ich wurde hin und her geschoben und gedrückt, dass ich mich plötzlich ganz alleine fand und keinen der anderen bei mir. Ringsum hatten die Leute die Hände zum Himmel gereckt, um die Münzen zu erschnappen, die es regnete, sah ich überall nur hochgestreckte Arme und Hände und lauter fremde Antlitze. Ich sah zum Balkon, wo die hohen Herren standen, war so nahe, dass ich sie gut erkennen konnte, wie sie dort sich belustigten, mit den Fingern auf uns zeigten und sich amüsierten, aus silbernen Bechern tranken und von silbernen Platten sich verköstigten, derweil sie in die Münzsäcke griffen, die ihnen die Diener hielten, und Gegriffenes hinabwarfen. Hoch über uns, da standen sie, unerreichbar, und doch hatte ihr Tun solche Wirkung auf uns, die wir zu ihren Füssen uns stießen und schlugen und niederwarfen, indessen sie uns lachend zugesehen.
Da wurde mir mit einem Mal schrecklich schwindelig und schlecht, war mir alles zu voll und dicht und zuwider, und ich wollte nichts als weg und fort. Irgendwann fand ich mich frei, torkelte über den Platz von hier nach dort und sah nur fremdes Volk und wusste nicht wohin. Einiges an Zeit muss ich derart verwirrt umhergelaufen sein, denn ich entsinn mich noch, dass es bereits dämmerte, als mich jemand anrief. Die Maria war’s, unseres Gastwirts Weib, die meinen Namen rief. Alleine stand sie da und winkte mich zu sich, fragte, wo denn meine Gefährten seien? Und ich antwortete, dass ich es nicht wisse, und frug zurück, wo denn ihr Mann? Er sei ihr auch verloren gegangen, sei gleichfalls los zum Münzensammeln, und sie habe ihn seither nicht mehr gesehen. Hast zum Saufen?, fragte sie, und ich reichte ihr meine Flasche, welche noch gut gefüllt war. Sie nahm einen großen Schluck und gab sie mir zurück, worauf ich auch einen guten Zug nahm, mich dabei aber ungeschickt verschluckte und husten musste. Da lachte sie mich aus, und ich erstaunte, denn nun erst wurde mir gewahr, wie jung sie eigentlich noch war, und dieses junge, unbefangene Lachen hatte ich sie zuvor, so glaubte ich zumindest, noch niemals lachen hören, ließ es mich ihre Jugend erst wirklich erkennen. Sie wisse, wo man frisches Bier ausschenke, vermeinte sie, ob ich denn noch den einen oder anderen Kreuzer über hätte, was ich bejahte.
Ich folgte ihr durch die Gassen, mag es in der Nähe der Märkte gewesen sein, doch sicher bin ich nicht, entsinn ich mich allein noch gut der Fröhlichkeit des Volks, wurde getanzt und gesungen auf den Straßen, spielten hier und dort Musikusse, wozu geklatscht wurde und im Kreise sich gedreht. Die ausgelassenste Stimmung umgab uns, und nichts ließ mehr von der wilden Tollheit auf dem Römer erahnen. Das Bier war kalt und frisch und bekam mir gut, besser als der schwere Wein, und bald schon sah ich mich mit der Maria Hand in Hand tanzen. Meine Tanzkunst war zu jener Zeit von kümmerlicher Qualität, und ich fürchte, auch später nie zur Meisterschaft gelangt zu sein, doch trunken war ich und jung, und so sprang und drehte ich mich, ließ meine Beine durch die Lüfte sausen und klatschte mit den Händen. Maria tat es mir gleich, und gemeinsam hüpften und tanzten wir, als wär uns alles gleich und wir alleine auf der Welt. Irgendwann gingen wir von dort fort, führte mich Maria an der Hand durch eine enge Gasse, ich glaube, dass wir zurück zum Römer wollten, da sahen wir zwei Pärchen inniglich umschlungen, die ganz ungeniert dem Eros huldigten, die einen links und stehend an der Wand, die andern rechts einfach auf dem schlammigen Boden. Wir schlichen an ihnen vorüber, indessen diese unverhohlen seufzten und stöhnten, konnten uns das Lachen kaum verkneifen. Doch waren diese derart in ihr Tun vertieft, dass wohl eine ganze Compania unbemerkt hätte passieren können. Kaum waren wir vorüber, blieb Maria stehen und sah mich ernst an. Komm, sagte sie dann und zog mich in einen nahen Hauseingang. Sie küsste mich sacht mit offenen Augen und begann, meine Hose zu öffnen. Komm, mach schnell!, sagte sie und griff in meine Hose.
Als wir auf den Römer gelangten, war es schon recht dunkel, und das Volk stand im weiten Kreise um ein großes Feuer herum, genährt aus dem einstmaligen Pavillon, das nun lichterloh brannte. Wir kamen in den Schein der Flammen, da rief eine Stimme nach mir: Bruder! Da bist ja! Der Andreas war’s mit einer jungen Dirne im Arm. Überschwänglich umarmte er mich und ich auch ihn, schien er trunkener noch als ich selber: Potztausend, Bruder, meinten schon, dich verloren zu haben, rief er. Wo denn die anderen seien?, frug ich. Dort, der Bastian! Wobei er auf unseren Kameraden wies, welcher mit dem Rücken zu uns stand, ins Gespräch vertieft mit zwei fremden Gestalten. Hat Freundschaft geschlossen! Kennst ihn ja! Die Übrigen, weiß der Teufel! Er stellte mich der Dirne vor, entsinn ich mich nicht mehr des Namens, und ich sah mich nach Maria um, doch war selbige mit einem Male verschwunden. Mein Blick wanderte umher, sie zu finden, da packte mich der Bastian, der mich nun erst entdeckt hatte, in einer festen Umarmung und hob mich in die Luft: Der Kaspar ist da!, lachte er und ließ mich wieder los. Seine neuen Bekannten, die beide Schmiede waren, vermeinten, sie wüssten, wo es noch trefflich zugehe, wir ihnen deshalb folgen sollten. Ich sah mich ein letztes Mal nach Maria um, vergebens aber, so brachen wir denn auf.
In ein großes, stattliches Zunfthaus führten sie uns, mit offenem, weitem Saal mit langen Tischen und Bänken, wo es wahrlich zünftig zuging, zumindest soweit ich es noch weiß, ging es alsbald wieder mit dem Saufen weiter, und nunmehr, lieber Leser, verliert sich endlich ganz die Spur meines Gedächtnisses und kann erst wieder anknüpfen in jenem Augenblicke, als ich erwachte, den Kopf auf dem klebrigen, bierbespritzten Tische liegend.
Ich entsinn mich noch, wie ich den Kopf von gemeldetem Tisch hob, um mich sah und im ersten Moment weder wusste, wo noch wann noch wer ich war. Das dämmernde Morgenlicht schien durch die Fenster, und wie die Sicht mir klarte, sammelte sich mein Geist, und ich entsann mich des Geschehenen und endlich auch, wo ich zugegen. Überall um mich herum lagen die Leute quer verstreut und durcheinander, auf den Bänken und Tischen, auf den Tresen und Fenstersimsen und etliche gar auf dem Boden, schnarchte es aus allen Ecken und Enden. Ich stand auf und torkelte Richtung nächstgelegener Tür, denn meine Blase pressierte mich derartig, dass ich zu platzen fürchtete, musste des Weges über mehrere Schlafende steigen, die maulten, wenn ich ihnen auf Hand oder Fuß trat.
Ich kam in einen Flur hinaus, doch konnte ich mich beim besten Willen nicht entsinnen, wo Aus- noch Eingang sich befunden, lief daher in die erstbeste Richtung, stieg einige Treppen rauf und andere wieder runter, öffnete mal hier, mal dort eine Tür, doch stets erfolglos, bis ich es endlich nicht mehr verhalten konnte, die nächste Tür, die ich fand, aufriss und es einfach laufen ließ. Potz Teufel, noch mal!, ertönt es da aus dem Kämmerlein, in welchem ich mit heruntergelassener Hose dastand: Dir auch ’nen schönen Morgen!, lacht mir der Andreas entgegen von einem kleinen Bette aus. Sich an meinem Anblicke verköstigend, schüttelte es ihn derart vor lauter Lachen, dass er gar aus dem Bett fiel. Zwei weitere Gestalten entdeckte ich nun gleichfalls im Bette, die Dirne, an welche ich mich noch von tags zuvor entsinnen konnte, und offenbar eine weitere Dame, beide schlafend, doch wegen entstandener Komödia und Lärm gerade erwachend. So eilte ich mich, meine Notdurft zum Abschluss zu bringen, war mir des Andreas’ Spott schon sicher und genug. Jener begann sich ankleiden, immer noch lachend, und als er endigte, gab er der einen Dirne einen Kuss, legte etliche Münzen auf die Kommode, und wir zogen ab.
Wo Bastian sei, fragte er mich, und ich vermeinte, keine Ahnung zu haben, so gingen wir zurück zum großen Saal, wo nunmehr die Ersten schon erwacht waren, die Leute sich stöhnend und wankend erhoben, dass es dem jammervollen Anblick nach getaner Schlacht glich. Wir fanden unseren Kameraden gerade dabei, einen Humpen Bier zu saufen mit einem der Zunftmeister, zur morgendlichen Erquickung, wie sie beide beschieden und uns einluden, es ihnen gleichzutun, was ich dankend ablehnte. Der Zunftmeister gab noch einen Spruch zum Besten, der ungefähr lautete: “Die Morgensupp, dann ein Bier, hält dich gesund, das gönne dir!” Und ich gedachte bei mir, was fröhliches Volk die Frankfurter doch sind.
Ich verließ die Stadt in solch unglücklichem Zustande, wie ich sie zwei Tage zuvor noch betreten, doch werde ich wohl stets freudig an jene schönen Zeiten zurückdenken. Wir fanden unsere Freunde in des Blochers Gasthaus, erzählten uns von den erlebten Abenteuern, priesen Frankfurt und sogar den Kaiser für solch treffliche Festivität. Maria bediente uns, und mit keinem Blick und keiner Regung ließ sie erkennen, was zwischen uns geschehen, behandelte mich wie jeden anderen, dass ich, hätte ich es nicht selber erlebt, nicht glauben würde, was zwischen uns gewesen.
Tags darauf verließen wir die Gegend, zogen wieder Richtung Würzburg und Bayern in Intention, uns werben zu lassen für den Krieg. Nun, so sagten wir uns, hatten wir wenigstens den Mann gesehen, für den wir unser Blut zu vergießen gedachten.