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Kapitel 7
ОглавлениеKunde eines weitgereisten und viel bewanderten bayrischen Kuriers, samt omatischer Prophezeiung
Trostlos habe ich die nächsten Jahre in Erinnerung, unstet war unser Leben, zogen wir von hier nach dort, fanden keine feste Bleibe, zogen in Sorge vor den Schergen weit weg von unserer einstigen Heimat, über Stockach nach Tuttlingen, wo die Fürstenberger herrschten, weiter den Neckar entlang, über Sulz und Horb, bis ins schöne Tübingen. Dort blieben wir zwei, drei Wochen lang, machten guten Raub, ist es doch eine belebte Gegend mit viel Handel, aber auch mit vielen Schergen und großer Stadtwacht, welche uns bald auf die Schliche kam und durch die Wälder jagte, dass der Wagner endlich beschloss, noch weiter gen Norden sei zu ziehen. Notfalls, so sich keine günstige Gelegenheit oder Lokalität auftäte, wolle er bis hoch nach Bremen weiter, seiner einstigen Heimat, wo er, so nicht allesamt verstorben wären, noch Verwandtschaft zu haben glaubte. Wir anderen folgten ihm, hatte doch keiner eine Idee, was sonst mit sich anzufangen, war uns die Heimat verloren, daher jeder Ort so gut wie der nächste. Und so marschierten wir immer weiter gen Norden über Herrenberg und Stuetgart, diese prächtige Wehrstadt, weiter nach Heilbronn und endlich bis Würzburg. Mehr schlecht als recht lebten wir, mussten oft hungern, vor allem in den Wintern. Düstere Miene hatten wir alle auf, kann ich mich kaum an schöne, sorglose Zeiten erinnern, trauerten wir alle um des Verlorenen.
Oft gedachte ich der kleinen Klara, die ich so unredlich im Stich gelassen hatte, war ihr nunmehr wirklich fern. Immer wieder im Laufe meines Räuberdaseins hatte ich mir gesagt, bald gehe ich sie besuchen und sehe nach ihr, bald hole ich sie ab und nehme sie mit in den Wald. Geschieht es nicht heute, so eben morgen, wenn nicht in diesem Jahre, so eben im nächsten, et cetera. Vertröstet hatte ich mich stets damit, dass sie es bei den Amanns gewiss besser habe, dass der Wald kein Ort sei für ein kleines Mädel, doch nur schwerlich kann ich leugnen, ihr nicht einmal ein Lebenszeichen meinerseits geschickt zu haben. Ja, versteckt tief in meinem Hinterstübchen hatte ich sie, versuchte ihr so wenig als möglich zu gedenken, und wanderten meine Gedanken doch mal zu ihr, spukten stets die Geister von Mutter und Vater ganz in der Nähe. Ausreden sind es, mehr nicht, ich weiß es wohl, denn zurückgelassen habe ich sie, zurückgelassen ganz allein das kleine Ding, und schämen tu ich mich dafür bis heute.
Viel jagen ging ich mit dem Andreas, auch Bastian begleitete uns oft, mühten wir uns Ersteren aufzuheitern, denn der Tod des Bruders machte ihm arg zu schaffen. Nun erst lernte ich ihn wirklich kennen, hatte ich ihn bereits zuvor geschätzt und reichlich Zeit mit den Gebrüdern auf Jagd verbracht, war der Jüngere der Linzer mir dennoch stets verschlossen geblieben, redete er wenig, zumindest mit den meisten, und hielt sich außer zum Bruder distanziert. Nunmehr änderte es sich nach und nach und notgedrungen, was auch an meinem Bemühen lag, denn ich fühlte mich schuldig ob des Opfers seines Bruders, und gute Freunde wurden wir schließlich, sah man in Folge ihn und mich und Bastian stets beisammen. Zwei Parteien bildeten sich nämlich in dieser Zeit in unserer kleinen Gruppe, wir drei Jungen, der Bastian, Andreas und ich, zusammen mit dem alten Egon auf der einen Seite, die Älteren, der Friedrich, Jakob und Korporal Schuhmann, zusammen mit dem Amon, der zwar kaum älter war als wir, sich aber stets für mehr hielt als unsereins, auf der anderen Seite. Der Hauptmann agierte weiterhin als unangefochtener Anführer, während die Witwe, ähnlich wie schon im Hegau, ein Neutrum darstellte, das keinem unterstand und dem keiner etwas vorschrieb, höchstens der Wagner, dem sie das Bett wärmte. Uns Jungen war dafür viel und oft Befehl erteilt, bürdeten die Älteren uns jene Aufgaben auf, auf welche sie selber nicht lustig waren, sie für unter ihrer Würde hielten, und oft gab es Zank und Ärger.
So schickten sie uns etwa aus zum Hühnerklauen oder Gänse, Getreide und andere Feldfrucht stehlen, und wir, die wir uns für redliche Räuber hielten, wurden degradiert zu Hühner- und Strauchdieben. Wie nützlich es mir einstmals werden sollte, so trefflicher Hühnerdieb zu sein, denn ich konnte mit Schnappsack und Stecken umgehen wie kein Zweiter, sammelte das Federvieh, wie andere Leute Äpfel vom Baume pflücken, wär mir zu jener Zeit wohl niemals in den Sinn gekommen, denn von meiner Zukunft spukten in meinem Kopfe die wunderlichsten Grillen; sah ich mich bereits als ritterlichen Soldateska und tapferen Krieger, der ruhmreich kämpft und kriegt, dem seine Fürsten danken und lohnen, der sich Geld und Ruhm und Ehren verdienen würde, als künftiger Leutnant oder Hauptmann, als Obristen oder gar als General. Wie fern der Wahrheit sind doch die kindlichen Träume, stehen sie geschrieben in weißem Märchenbuch, zeigen einen bald als tollkühnen Helden, bald als reichen Prinzen, bald als Herrscher über alle Lande, und holt die Zukunft dich dann ein, bist nichts als ein armer Tropf, der nichts zu beißen hat und nichts zu saufen, der umgeben ist von Kälte, Krankheit und Tod. Doch genug des Trübsals, zumindest für hier!
Auch fürderhin gingen wir dem rechten Räuberhandwerk nach, überfielen unvorsichtige Bauern und Händler, so wir welche fanden, verfuhren hart mit ihnen, nahmen ihnen alles, was wir tragen konnten. Doch schwer ist es zu rauben in Gegenden, die dir kaum bekannt sind, und nur selten erwischten wir gute Beute, und ein ums andere Mal mussten wir unverrichteter Dinge türmen, da plötzlich Schergen oder Fremde auftauchten. Häufig mussten wir hart kämpfen mit den Beraubten, mussten gar drei Male einen niederhauen, was zuvor im Hegau niemals geschehen. Das eine Mal, ich entsinne mich noch gut, erwischten wir eine Gruppe von Händlern, welche derartig sich zur Wehr setzten, dass wir uns endlich retirieren mussten, und das Einzige, was wir ergattert, die ein oder andere Beule und der ein oder andere blaue Fleck waren. All jenes, was uns in den Hegauer Landen so leicht gefallen, so prächtig gelungen war, schien nunmehr schwer und mühsam.
Schwer war es zu handeln, zumal wir keine vertrauten Leute mehr hatten, um unser Ergaunertes zu anständigen Preisen feilzubieten, stritten wir uns viel mit örtlichen Händlern, die uns Spottpreise boten, wurden oftmals beschimpft als Gauner und Diebe, was wir freilich auch waren, mussten oft fürchten, dass sie uns die Schergen auf den Hals schickten, weswegen wir nie nahe an Dörfern lagerten, in denen wir gehandelt hatten. Von Weitem schon wurden wir erkannt als Schurken, zumal die Soldatenart uns zu kleiden, mit den Hüten mit Fasanen- und Hahnenfedern, den Pluderhosen und bunten Röcken und den Degen und Messern an unseren Seiten, so dass jeder, der uns sah, uns allerhöchstens für einen Haufen verarmter Adliger hätte halten mögen, natürlicher aber für einen Räuberhaufen, was der Wahrheit denn auch näher kam. Im Hegau damals kannte man uns, wusste ein jeder Bauer oder Bursche in unserer Gegend, dass wenn ein derart ausstaffierter Kerl ihm unter die Augen kam, er es mit unsereins zu tun hatte, und wusste gleichfalls, dass ihm, so er sich nicht unredlich verhielt, kein unmäßiges Leid bevorstand. Doch aller guter Ruf war nun dahin, und nichts als schräge Blicke ernteten wir. Auch ums Essen war es stets knapp bestellt. Im Sommer ging es einigermaßen, stahlen wir viel Feldfrucht, und konnten beim Jagen die ein oder andere gute Beute machen, doch kam der Winter, wurde es schlimm. Fröhlich ist das Räuberleben, magst dir zuvor gedacht haben, lieber Leser, als ich dir die Zeit im Hegauer Wald geschildert habe, und wehmütig gedachten wir damals jener glücklichen Tage zurück, denn nunmehr war nichts mehr fröhlich, war es hart und entbehrungsreich, und nun erst vermochte ich die Leistung Wagners zu begreifen, was er im Hegau aufgebaut.
Zum Manne reifte ich in diesen Jahren, und nicht viel blieb übrig von jenem kleinen Bub, von dem ich zu Beginn berichtet habe, jenem unschuldigen, glücklichen Kinde, so lieb und arglos, wie es war, fern aller Sünde und Arglist. Nichts gemein hatte der junge, wilde Draufgänger mit dem Bub, aus dem er erwachsen. Der erste Bart zierte damals mein Gesicht, meine Oberlippe und das Kinn, und sorgsam pflegte ich ihn, versuchte ihn zu zwirbeln und länger aussehen zu lassen, als er war. Gewachsen war ich, hatte eine ordentliche Mannesgröße erreicht, wenn auch arg dünn geraten, nicht zuletzt ob der spärlichen Kost. Langes, schönes Haar besaß ich, das mir wellig bis über die Schultern reichte, und meinen ersten schönen Filzhut hatte ich ergattert, mit breiter Krempe und kleiner Feder, der fortan mein Haupte zierte und den ich tief über die Augen liegend trug, wie ich es beim Wagner abgeschaut. Den “Lakai” ließ ich mir kaum mehr gefallen, nur vom Wagner, der es manchmal aus Gewohnheit sagte, und vom Amon, bei Letzterem mit Zähneknirschen. Auch hatte ich längst meinen eigenen Kopf, ließ mir nicht jeden Befehl bieten, außer vom Hauptmann, war teils stur und streitlustig, so ich gereizt wurde. Ein Degen hing nun an meiner Seite, ein altes, schartiges Ding, von schlechtem Stahl, wie Bastian bescheinigte, doch ich war stolz darauf, hatte ihn mir bei einem Schmied zu Horb gekauft, zu dreißig Kreuzern, was, wie Bastian vermeinte, immer noch zu viel gewesen sei. Männlich und gefährlich ließ er mich fühlen, zog ich ihn oft, um ihn gegen Äste und Stämme zu schwingen, und träumte dann von Krieg und Kampf.
Oft übten wir das Fechten mit langen, festen Stöcken, die wir uns zurecht schnitzten, als Übungsschwerter, manchmal mit dem Hauptmann, gegen den ich freilich wenig auszurichten vermochte, öfter aber gegen Bastian und Andreas, mit denen die Kämpfe ausgeglichener waren. Bastian focht viel mit Kraft, zog einen langen, schweren Stock gleich seinem Bidenhänder vor, machte wilde Schwünge und Ausfälle, gefährlich aber, zumal er erstaunlich schnell war für seine kräftige Statur. Meist schlug er mich, hieb mir den Stock aus der Hand oder schlug ihn mir so weit zur Seite, dass er mich folglich mit einem Ausfall treffen konnte, dann freute er sich und lachte sein breites Lachen, und ich ärgerte mich; aber ich lernte dazu, wurde besser von Mal zu Mal, und irgendwann traf ich ihn fast so oft wie er mich. Andreas hatte größere Mühe mit dem Schwerte, war von uns Dreien wohl der Schlechteste, und wenn wir ihn zu oft bezwungen, wurde er zornig, schmiss den Stock beiseite und sagte dann etwas wie: Mit einer ordentlichen Büchse in meiner Hand kommst mit einem Schwerte eh nicht mehr an mich heran. Was Wahres in sich hatte, denn ein trefflicher Schütze war er schon damals mit seiner Armbrust, und noch besser wurde er im Späteren mit der Muskete. Damals im Wald jedoch triezten wir ihn oft, im Spaße freilich, was ihn nicht abhielt, weiter mit uns zu üben.
So lebten wir dahin von der Hand in den Mund, wie man so sagt, vergingen die Monate, verging bald ein Jahr und dann noch eines, kam endlich das verhängnisvolle Anno Domini 1618. Wo war ich, magst du dich wohl fragen, an jenem unglückseligen Tage, dem Dreiundzwanzigsten des Mai, als die Böhmen meinten, ihr Glück in die eigene Hand nehmen zu können oder zu müssen, dem Tag, von dem man heute sagt, der Krieg begann, der dreißig Jahre dauern sollte? Und ich weiß es nicht, zogen wir damals durch die Wälder und schien mir ein Tag wie der nächste und bekamen wir kaum Zeitung von der Welt. Erst viel später, Ende August vielleicht, erfuhren wir davon, hatten wir uns in einer schönen Schenke, die sich “zum Sternen” nannte, bei Würzburg, jener herrlichen Stadt mit ihrer prächtigen Festung Marienberg, eingefunden, dem Spiel und dem Wein zu frönen.
Da hörten wir am Nachbartische einige Kerle aufgeregt diskutieren und streiten über den Aufstand zu Böhmen. Der Wagner spitzte sogleich die Ohren, als sie vom Kriege sprachen, fragte schließlich an sie gewandt, was denn die Lage sei? Ob wir es denn nicht gehört hätten?, stieß der eine von ihnen verwundert aus. Krieg sei die Lage, vermeinte er theatralisch, und ein gar schrecklicher werde es wohl werden. An seinen Namen kann ich mich beim besten Willen nicht erinnern, war er aber ein aufgeweckter Kerl, sehe noch sein schmales, spitz zulaufendes Gesicht vor mir, mit großer Hakennase, säuberlichem Knebelbart, kleinem Kinn und langen, braunen Haaren, die er zum Zopf gebunden trug. Ein Kurier der Bayrischen Kanzlei sei er, verkündete selbiger mit Gewicht, und ich gedachte bei mir, dass sein Aussehen durchaus passe, schien sein Antlitz, als wäre es vom Winde in seine Form geschliffen worden. Im Auftrag seiner ehrwürdigen Hoheit, Maximilian dem Ersten, Herzog von Bayern persönlich sei er unterwegs, verkündete er dann. Die Ketzer hätten sich gegen den Kaiser aufgelehnt, hätten zwei kaiserliche Statthalter, einen Martinitz und einen Slavata, schlechterdings aus dem Fenster der Prager Burg geworfen, und einen Schreiberling gleich noch obendrauf. Seither herrsche Krieg, das kleine Böhmen gegen die großen Habsburger. Die verdammten Ketzer haben sich aber mehr eingeschenkt, als sie zu schlucken vermögen, das sag ich euch!, befand der Kurier, worauf die anderen zustimmend nickten, denn feste Katholiken waren sie in Würzburg. Der Graf von Thurn, erklärter Anführer der böhmischen Aufwiegler, habe schon ein Heer getrommelt, und das der Spanier und Habsburger unter dem Grafen Bucquoy stehe gleichfalls schon bereit. ’ne üble Sache wird’s, das sag ich euch!, meinte der Kurier und wiederholte: Üble Sache! Er setzte sich unaufgefordert zu uns, begierig, sein Wissen zu teilen, hatte alsbald einen ganzen Stapel Flugblätter aus seiner ledernen Tasche gezogen. Ganz frisch seien sie, versicherte er, denn frisch aus München komme er, und auf dem Weg nach Frankfurt, dann nach Köln und Trier sei er, in wichtiger Sache, wie er sagte.
Wie besahen uns die Blätter und ließen sie reihum gehen. Zwei Flugblätter zeigten den Fenstersturz, auf einem sah man schön gemalt den hohen Turm der Burg samt den Fenstern, aus denen die Kaiserlichen geworfen, und unterhalb des Turms zu beiden Seiten zwei Engel ein leuchtendes Tuch spannen, auf dass die beiden Unglücklichen sanft landeten; das andere zeigte gar, die Jungfrau in persona ein göttliches Licht von himmelwärts den Turm hinunterstrahlen, welches wohl den Fall der beiden Kaiserlichen zu bremsen vermochte, war dieses allerdings plumper und weniger schön gezeichnet. “Gratias ago deo quod”, betitelte das erste Blatt, während das zweite “Benedictum nomen Mariae, Virginis et Matris” verkündete. Keinen Knochen hätten sie sich gebrochen, die drei Gestoßenen, vermeinte der Kurier. Ein Wunder?, fragte darauf der Egon mit Ehrfurcht, denn selbiger war vom alten Glaube, wie vom Aberglauben, stark beseelt, besaß gleich ein ganzes Dutzend Talismane in Form von Ketten, Armbändern und anderen Reliquien, worauf der Kurier antwortete: So sagen die einen, die andern sagen, ein Haufen Mist just unter jenem Fenster habe ihnen den Hals salviert. Und herzhaft lachte er. Na ja, meinte der Hauptmann, sei nicht der Habsburger Ferdinand König der Böhmen, daher werde man sich wohl in Bälde vergleichen. Worauf der Kurier vermeinte: König von Böhmen und nun auch Ungarn! Die Habsburger sammeln ja Kronen wie andre Leute Hüt! Doch täusch dich nicht, mein Freund, die Sache wird groß. Die Stände regieren nun in Prag, und vom Ferdinand will man mit einem Male nix mehr wissen, obzwar sie ihn doch selber hervor als König berufen. Mähren hat sich den Rebellen bereits angeschlossen, die Holländer freuen sich ein zweites Loch, dass die Ketzer regieren, und senden ihnen Hilfe, und was die Union macht, weiß der Teufel. Der Hauptmann erwiderte, dass der Kaiser alt sei und Kanzler Khlesl sicherlich zur friedlichen Lösung tendiere.
Hier staunte ich, denn wie bereits berichtet, verstand ich wenig von der Politik zu jener Zeit, konnte kaum was mit den großen Namen anfangen und glaubte, dass es uns allen so ergehe, doch schien der Wagner gut informiert, wenngleich der Kurier nur abfällig abwinkte und spöttisch fragte: In welchem Loch habt ihr euch denn versteckt gehalten? Der Kanzler sei nicht mehr, sei längst verhaftet und habe nichts mehr zu vermelden, worauf er auf ein Flugblatt verwies, das von Khlesls Verhaftung kündete. Der Hauptmann schaute es mit Interesse an, obwohl er, wie ich wusste, mehr schlecht als recht lesen konnte. Der Ferdinand sei derjenige, der nun bestimme, und aus anderem Holze sei er geschnitzt als sein Vetter, der Kaiser, ein welcher bereits mit einem Bein im Grabe liege. Und ein jeder kenne ja des Ferdinands Spruch: “Besser eine Wüste regieren als ein Land voller Ketzer!” Man sehe nur, was er in seinen Landen angestellt habe, vergeblich suche man den neuen Glauben in Graz und Umlande.
Hier stockte der Erzähler und vermeinte, dass er ja gerne erzähle, dass sich aber mit trockenem Maul nun mal schwer erzählen lasse. Der Wagner verstand den Wink und bestellte ihm einen ganzen Krug mit Wein, indessen wir anderen uns einen teilen mussten. Der Kurier nahm einen großen Schluck und fuhr fort. Ein weiteres Gerücht besage, dass die Rebellen den Bastard von Mansfeld geworben hätten, welcher mit großer Männerschar gen Böhmen unterwegs sei. Der Mansfelder?, wunderte sich der Wagner. Ich hörte, er stünde im Sold von Savoyen, ist er nicht Kathole? So sage man, bestätigte der Kurier, allein gedient wird, wo das Geld sitzt. Wie heiße es so schön und richtig: “Mächtiger als alle Potentaten ist der Herr Dukaten!” Und die Stände in Böhmen würden wohl gut zahlen. Gewaltig braue sich da was zusammen, so sich die Union auch noch einschalte, was sie fraglos werde, dann stünde uns ein Krieg bevor, wie er lange nicht mehr gewesen, und nicht nur in Böhmen und Mähren, nein, auch in den deutschen Landen wäre dann Krieg, verkündete jener unheilvoll und schloss mit einem: Üble Sache wird’s!
Ach würde doch nur sein guter Herr zum Kaiser gewählt, vermeinte selbiger plötzlich mit Wehmut, denn ein besserer Kaiser würde dieser abgeben als die verdammten Habsburger, stünde es wahrlich besser um unsere deutschen Lande. Ja, ist’s denn ausgeschlossen?, fragte der Wagner darauf. Ausgeschlossen freilich nicht, e contrario sogar, werde der Name des Herzogs oft gemeinsam mit besagter Würde genannt, doch hieße dies zu paktieren mit den Ketzern, zumal die Habsburger ihre Stimme keinesfalls einem anderen als einem der Ihren geben würden, ein welches der gute Maximilian wohl kaum erwäge. Wie denn die Kaiserwahl vonstatten gehe, fragte hierauf der Bastian, und froh war ich, dass er fragte, wollt ich es doch selber gern erklärt bekommen und ersparte mir dadurch den abschätzigen Blick des Kuriers, denn ein solcher Menschenschlag war jener, wie sie dir im Leben ein ums andere Mal über den Weg laufen, dergestalt nämlich, welcher sich zwar freut, viel zu wissen und dieses auch zu teilen, gleichzeitig aber herabschaut auf alle diejenigen, die weniger verständig sind, wo doch gerade jenes Unwissen ihr eigenes Wissen erst zu wahrem Glanze bringt.
Jedenfalls begann der Schlaukopf mit seiner Explikation, die sich in etwa wie folgend vernommen: Geschrieben stehe alles, wie jedermann wohl wisse, in der goldenen Bulle, jenem heiligen Kontrakt des guten Kaisers Karl dem Vierten, der seit Hunderten von Jahren die Regeln des Spiels, wie er es nannte, festlege. Sieben Stimmen gäbe es, den Kaiser zu erwählen, zu küren, wie es nobler ausgedrückt heiße, weswegen man es auch “die Kur” nenne. So gäbe es die drei geistlichen Kurwürden des guten alten Glaubens, zuvorderst den Mainzer Erzbischof Johann Schweickhardt von Kronberg, ferner den Trierer Erzbischof Lothar von Metternich und endlich den Kölner Erzbischof Ferdinand von Bayern, Letzterer, was nicht ohne Wichtigkeit, des Maximilians Bruder, ein Wittelsbacher folglich. Ferner die drei weltlichen Kurfürsten – hatte es zur Zeit der Erschaffung der Bulle freilich nur den richtigen Glauben gegeben und waren also auch diese Fürsten vormals alle gute Katholiken gewesen, bevor die teuflische Saat des Luthers und des Calvins ihre ketzerischen Früchte tragen konnte – seien sie leider nunmehr allesamt vom falschen Glauben. Ersterdings der lausige Calviner Friedrich der Fünfte, der Pfälzer Kurfürst, der jeden Tag seinem englischen Weibe, verwöhntes Balg des englischen Königs Jakob, den Arsch ordentlich sauber lecke, dabei jeden Furz, gleich welchem Körperende er entfleuche, als köstlich preise, und ganz jenem Dufte folge, ferner der räudige Lutheraner oder Calviner, oder Weiß der Teufel, was er im Moment ist, wie er sagte, in jedem Falle ein Ketzer, der Herr von Brandenburg Kurfürst Johann Sigismund aus dem Hohenzoller Geschlecht, ein Geizhals und Lüsterling von allererster Güte, und endlich der Erzlutheraner Johann Georg Kurfürst von Sachsen, ein Wettiner, der Vernünftigste unter den Dreien, was nicht viel heißen müsse, nichts hasse jener mehr als die Calviner und nichts liebe er so sehr wie die Jagd und das Bier, nenne man ihn nicht umsonst den “Bierjörge”.
Ja, ein begnadeter Schwätzer war er, der Kurier, und kam nun langsam vom Trab in den Galopp. Letzterlich, so fuhr er fort, und nun solle man mit Obacht lauschen, der entscheidende Kurfürst, das Zünglein an der Waage, wie man so sage, der König von Böhmen und mittlerweile auch von Ungarn, – Letzteres sei freilich für zu behandelnde Causa ohne Belang –, Ferdinand der Zweite, fest beseelt vom guten Glauben, leider aus dem dreckigen Schoße Habsburgs, aus welchem schon so viele klägliche Geister hervorgekrochen. Und jene sieben seien es, die wählen würden, wobei die Mehrheit der Stimmen den Ausschlag gäbe. Wer nun die Prinzipien der Arithmetica beherrsche, demjenigen dürfe mit Klarheit verständig sein, wo der Hase im Pfeffer begraben, denn die Habsburger begehren die Macht und niemals würde ein Ferdinand dem Kaiserthron entsagen. Wolle nun also der gute Herzog von Bayern, Gott mit seiner Seele!, seiner statt Kaiser werden und werfe seinen Hut in den Ring, so brauche er nicht nur die drei Stimmen der geistlichen Kurfürsten, welches vielleicht noch möglich sei, zumal der eine ja sein lieber Bruder, ferner bräuchte es noch im Mindesten die eine Stimme eines Ketzers. Ein gefährliches Spiel wär es allemal, nicht nur für den Herzog, auch für die katholische Sache selbst, sollte er sich gegen die Habsburger stellen und so die katholische Einigkeit entzweien. Und einen mächtigen Feind würde er sich schaffen mit den Habsburgern, deren Größe die letzten Jahre und Jahrzehnte wohl gelitten habe, die jedoch immer noch die schreckliche Macht Spaniens hinter sich wüssten, und man vergesse nicht das letzte Mal, dass sich die deutschen Lande mit Spanien zu messen wagten. Nein, nein, daran glaube er beim besten Willen nicht, dies sei zu gewagtes Spiel für seinen weisen Herzog, daher seine Conclusio, dass der nächste Kaiser unfraglich Ferdinand zu nennen sei. Aber wenn die Böhmen den Ferdinand nicht als ihren König akzeptieren, wagte ich einzuwenden, zählt seine Stimme dann noch etwas? Hierauf jener anerkennend den Kopf hob und in meine Richtung nickte: Hört, hört, da haben wir ja ein kluges Köpfchen unter den Unseren! Was Lob ich mir gerne an den Hut steckte. Genau die richtige Frage sei es, die ich da stelle, und gleichfalls der Kern des Problems der dummen Böhmen, die nämlich darauf bestehen würden, einen neuen König zu bestimmen, frei nach ihrer Wahl, wie es der verrückte Kaiser Rudolf der Zweite ihnen einstmals zugesichert, der törichte alte Tropf. Doch dieses kann nicht sein, denn dieses darf nicht sein! Kämen jene nämlich auf die Idee, einen Ketzer zum König zu erwählen, würde das Machtgefüge wanken, würde die Stimmmehrheit des Kurtages in ketzerische Hände fallen, ein welches niemals und keinesfalls passieren dürfe, man betrachte nur das sich ergebende Paradoxon, ein Ketzer als Römischer Kaiser? Gar vom Papst gekrönt? Nein, nein, ein solches Unding, solche Unmöglichkeit würden der Herzog wie die Habsburger mit aller Kraft zu verhindern wissen. Dies sei auch der Grund, weshalb wohl kein anderes Haupt sich finden lasse, so sehr die Böhmen auch suchen würden, welches die schwere Bürde der Wenzelskrone zu tragen vermöge, denn welcher Mensch könne schon dumm genug sein, sich derlei aufzubürden?
Wie werde sich der Herzog also verhalten?, wollte Wagner wissen. Keiner ist so schlau wie unsere Bayrische Durchlaucht!, vermeinte der Kurier darauf mit Stolz. Im Moment mache er schlechterdings gar nichts, tue so, als gehe ihn die ganze Sache herzlich wenig an, verkünde offiziell, dass es weder Angelegenheit der Bayern noch der Katholischen Liga, welche ganz und gar nach seiner Pfeife tanze, sei, und lasse sich herzlich bitten von den Habsburgern, seinen mächtigen Arm zu heben. Doch wartet’s nur ab!, sagte der Kurier und neigte seinen Kopf konspirativ zum Wagner, denn hinter den Kulissen sehe die Sache anders aus. Von Seinesgleichen würden täglich ganze Scharen ausgesandt, nach Köln, nach Trier, nach Mainz und zu allen anderen katholischen Ständen, dass Seinesgleichen kaum mehr zur Ruhe käme. Die Sache spitzt sich zu, das sag ich euch! Sobald die Habsburger genug Zugeständnisse gemacht hätten, was sie ohne Frage tun würden, werde zu den Fahnen gerufen. Bayern zieht in den Krieg! Das ist so sicher, wie ich – mein altes Hirn bekommt den Namen nicht mehr hin – … heiße! Und geschieht’s nicht dieses Jahr, geschieht’s im nächsten. Und wer die Armee führe, sei freilich gleichfalls außer Frage, der größte Heerführer, den es auf der Welt gäbe, der große Johann T’Serclaes von Tilly!
Krieg!, sagte der Hauptmann darauf ganz verträumt, und wie er es aussprach, klang es fast nach einem Segen. Lange noch unterhielten wir uns, erfuhren wir vielerlei der Händel und Zustände in Europas Ländern, denn nicht nur zu Böhmen und den deutschen Landen hatte jener Kurier Ahnung und Meinung, auch zu Frankreich und Spanien, zu den Engländern und Holländern und vielen mehr hatte er Kunde und Zeitung, die er gerne teilte, zumal der Hauptmann ihm noch einen weiteren Krug mit Wein spendierte, was bekanntermaßen die Zunge lockert.
Als wir spät abends unser Lager aufschlugen, hieß der Hauptmann uns zusammensitzen und verkündete, dass, wenn die Werbung beginne, er sich der Armee anzuschließen gedenke. Der Schuhmann neben ihm nickte, er werde auch beitreten. Es stehe freilich jedem frei, sein Glück selbst zu bestimmen, sagte der Wagner, zumal der Krieg kein Kinderspiel sei, doch seine Entscheidung stehe fest. Bei den Ligisten sei er noch ein unbeschriebenes Blatt, daher wolle er in Bayern bleiben und sich werben lassen, um im ligistischen Heer zu dienen. Mich brauchte man nicht lange persuadieren, jung und dumm wie ich war, erklärte ich mich gleichfalls bereit zum Kriegsdienst. Und die anderen taten es mir gleich, wollten auch sie im Krieg ihr Glück versuchen. Nur der Egon haderte. Zu alt fühlte er sich, um noch das Kriegshandwerk zu erlernen, zumal er zweifelte, ob sie ihn überhaupt als Rekrut aufnehmen würden. Zur Werbung wolle er uns begleiten und dann weitersehen.
Bis dahin sollte es freilich noch dauern. Wir zogen in die Wälder in den Würzburger Umlanden, waren wir nun mal keine städtischen Ganoven, solches weder gewohnt noch zugehöriger Kunst verständig, zogen deswegen in den Wald, unserem Räubertum nachzugehen, lebten spärlich und hielten Quartier in der Nähe eines Ortes nah am Main. An einer kleinen Lichtung im Walde hatten wir uns eingerichtet, als es zu herbsteln begann, kalt und eisig war es, und ich meine, dass der erste Schnee schon lag, als eines frühen Morgens, der Himmel war noch dunkel und Mond und Sterne prangten am Firmament, wir in aller Deutlichkeit den Kometen erblickten. Egon hatte uns aus dem Schlaf gerissen, pflegte er stets früh, vor jedem Sonnenstrahl zu erwachen, und deutete empor zum Kometen, der mit langem, rötlichem Schweif über uns stand. Schön und wunderlich und verheißungsvoll, so sah er aus, gleich einer feurigen Rute uns zur Mahnung. Es ist soweit!, vermeinte Egon feierlich und nickte uns anderen ernst zu. Das Gericht steht an! Und ich kann nicht leugnen, dass ich eiligst mein Kreuz machte. Heute weiß ich, dass er nicht erschienen war, den letzten aller Tage zu verkünden, nein, zu künden von dem bevorstehenden Krieg und Leid, deshalb hatte Gott ihn gesandt, so hell erstrahlt, dass man ihn noch am helllichten Tage erkennen konnte. So klar stand seine Warnung in den Himmel geschrieben, und doch vermochte nichts und keiner das Kommende verhindern. Viele Tage sah man den Kometen fortan am Himmelszelt, sicherlich die dreiundzwanzig oder dreißig, vermeinte Bruder Martin hier, als ich ihm hiervon erzählte; dreiundzwanzig, da an jenem Tage im Mai der Fenstersturz gewesen sei, worauf ich verwies, dass jener Schosen doch zuvor geschehen sei, wo doch Gott mit derlei Omen freilich auf die Zukunft weise, dreißig, da dreißig Jahre es dauern sollte, bis wieder Frieden sein würde, was mir deutlich besser schmeckte und schmeckt und sicherlich der Wahrheit entsprechend ist.
Dass der Komet übles Omen war, darüber war man sich schnell einig, und der folgende harte Winter erschien als weiteres Zeugnis des baldigen Übels und nahenden Untergangs, brachte er uns viel Schnee und Sturm und reichlich Kälte. So schrecklich war jener Winter, fror es so bitterlich, dass selbst der Main größten Teils von Eis bedeckt gewesen, es mir vorkam, als würde es nimmermehr warm werden können. Egon wurde krank in jener Zeit, bekam ein schlimmes Fieber, mussten wir ihn pflegen und hüten, denn er war bald zu schwach, selbst etwas zu tun. Oh, da ist das Ende schon so nahe, und ich muss trotz dessen noch zuvorderst sterben, jammerte er. Der Boden war so hart gefroren, dass wir es kaum schafften, uns einen Ofen in die Erde zu graben, um zu backen, etwas, das zu tun uns Egon gelehrt. Als es ihm schließlich so dreckig ging, dass wir fürchteten, ihn zu verlieren, beschloss der Wagner, dass wir zurück nach Würzburg sollen, für ein warmes Bett und gute Speise und notfalls das Spital in Anspruch nehmen. Ein großes Wirtshaus fanden wir in Würzburg, mit warmer, verrauchter Stube und warmen Betten, teils sogar mit Federdecken, in welches eines wir den Egon legten, während die meisten anderen – der Wagner und die Witwe ausgenommen, welche gleichfalls ein Zimmer bezogen – mit dem Stall vorlieb nahmen. Viel wurde gemurrt von der älteren Partei, der Amon, der alte Sauertopf, der Ärgste unter ihnen, vermeinte gar, man hätte Egon seiner Wege gehen lassen sollen, habe er doch schon genug gelebt. Denn viel an Habe besaßen wir wahrlich nicht mehr, hatten vieles versilbern müssen, hatten bereits unsere Musketen verkauft, mit denen wir im Wald nichts anfangen konnten, unsere Maultiere und zwei der Pferde, einiges an Rüstung und Waffen auch, meinen ersten Degen, auf den ich so stolz gewesen und welcher mir nur noch die Hälfte des bezahlten Preises einbrachte, Bastian seinen Bidenhänder, der ihm so lieb war, dass uns wenig blieb, die Unterkunft zu bezahlen, die sich der Wirt zudem trefflich vergüten ließ, vermeinte er wohl, dass beim Wagner, so wie er gekleidet und ausgestattet, mit seinem edlen Degen, den er seit dem Rosenegg noch immer an der Seite trug und den zu veräußern er sich weigerte, noch einiges zu holen sei.
Trauen tat er uns freilich nicht, ließ ständig Auge auf uns haben von seinen vielen Söhnen und Gesinde und ließ uns kaum Kredit, mussten wir gen Abend unser Kerbholz täglich abbezahlen. Als der Frühling endlich kam und uns freundlichere Witterung bescherte, waren wir dermaßen gefedert, dass wir fast ohne alles dastanden. Zumindest genas der Egon, was mir gute Entschädigung war. Amon schlug vor, dem Wirte, der uns so reichlich geschröpft, an die Gurgel zu gehen und uns Verlorenes zurückzuholen, und ich selber, da siehst du, lieber Leser, wie rau und verwildert ich damals schon war, hielt es für eine treffliche Idee. Der Hauptmann allerdings wollt davon nichts wissen, zu gewagt war ihm die Sache, zumal er noch einige Monate in Würzburg zu verbringen gedachte, in Hoffnung, dass dort geworben würde, war mittlerweile gutes Wetter und gute Zeit zum Werben, wie er meinte. Doch vergeblich warteten wir, und schließlich lockte uns andere Gelegenheit weg, von welcher ich dir baldigst im folgenden Kapitel Zeitung geben will.