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Neuntes Kapitel

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Bria und Donagh standen reglos und sahen sich nicht an. Aber die unausgesprochenen Worte schienen sie wie ein Band aneinander zu fesseln.

Durch die offene Tür hörte sie mit einem Mal das Fiedeln eines Spielmanns, und ihr wurde klar, daß die Musik bereits schon eine ganze Weile andauerte. Brias Körper durchlief ein Zucken, als könne sie sich durch eine Willensanstrengung von den Gedanken lösen, die sie beide lähmten.

»Hör doch nur!« rief sie schließlich. »Draußen wird heute abend auf irische Art gefeiert. Jemand spielt die alten Lieder. Bestimmt wird auch getanzt.«

»Bria ...«

Er streckte die Hand nach ihr aus, aber sie eilte an ihm vorbei auf die Straße, wo bereits die gesamte Nachbarschaft zusammenströmte.

Natürlich waren die irischen Arbeiter aus der Spinnerei da, denn der Spielmann spielte einen Tanz aus dem ould Land. Aber auch Bravas mischten sich unter die Menge. Die Bravas waren Portugiesen aus Cape Verde. Sie hatten kupferbraune Haut, und der Geruch von Gummi hing in ihren Haaren und ihrer Kleidung, denn sie arbeiteten in der Gummifabrik. Die munteren Töne lockten sogar die Sumpf-Yankees an, die Einheimischen aus Bristol, die Muscheln und Krabben sammelten oder auf den Zwiebelfeldern arbeiteten. Sie waren vielleicht noch ärmer als die Iren.

Die Finger der Spielmanns glitten schnell und geschmeidig über die Saiten, und bald begannen alle, mit den Füßen den Takt zu schlagen. Und als Colin, der Barbier, in seinem safrangelben Kilt mit den lauten und munteren Dudelsackpfeifen aus dem Laden trat, begann zuerst ein Paar und dann ein zweites zu tanzen. Schnell folgten andere, alle hakten sich unter und bildeten ein Rechteck.

Bria spürte die Lippen eines Mannes an ihrem Ohr. Sie lächelte, bevor der Atem seiner Worte ihre Wange berührte. »Bevor die Sonne untergeht, wirst du mir einen Tanz und einen Kuß schenken, mo Chridh.«

Lächelnd drehte sie sich um und musterte langsam den großen Seamus McKenna von Kopf bis Fuß.

»Ich werde dir eine Ohrfeige geben, du ungehobelter Kerl!« antwortete sie spöttisch.

Er warf den Kopf zurück und lachte so ungezwungen und herzlich, daß Bria das Blut in den Adern pochte.

Noreen tauchte neben ihrem Vater auf. Sie griff nach seiner großen Hand. »Tanz nicht mit ihr, Papa, sie ist schon zu dick, und alle werden euch auslachen.«

Bria stemmte die Hände in die Hüfte und erwiderte mit gespielter Empörung: »Was, ich bin zu dick?« Sie nickte. »Vielleicht hast du sogar recht, aber dann mußt du mit dem armen Mann tanzen, denn seine Fußsohlen brennen schon vom Tanzfieber.«

Shay gab seiner Tochter keine Möglichkeit, sich dagegen zu wehren. Er hob sie hoch und mischte sich mit ihr unter die sich drehenden Tänzer. Bald rötete sich Noreens Gesicht, und sie strahlte. Bria sah ihnen zu, und ihre Augen glänzten vor Liebe.

Donagh stand neben ihr und sah ebenfalls zu. Er schlug mit dem Fuß den Takt und wirbelte dabei eine Staubwolke auf.

»Dein Seamus hat immer noch flinke Beine. Er ist schnell genug, um aus allen Schwierigkeiten herauszutanzen.«

Bria runzelte die Stirn und sah ihren Bruder durchdringend an. »Und was für Schwierigkeiten sollen das sein, Vater O'Reilly?«

In diesem Augenblick beendeten der Dudelsack und die Fiedel den Tanz mit einem ohrenbetäubenden Finale, und die Paare blieben atemlos und lachend stehen. Shay kam strahlend zurück. Er ließ Noreens Hand nicht los, legte seiner Frau den freien Arm um die Hüfte, und dann schlenderten sie alle zum Haus zurück. Donagh blieb an ihrer Seite und rief: »Seht ihn euch an, diesen Hans im Glück! Er lacht wie der Geizkragen, der auf einem Haufen Gold sitzt.«

»Ich habe etwas besseres als Gold«, erwiderte Shay unbeeindruckt. »Ich habe die beiden hübschesten Frauen von ganz Rhode Island an meiner Seite.«

Bria schmiegte sich an ihn. Sie legte den Kopf an seine Schulter und flüsterte ihm ins Ohr: »Du hast eine honigsüße Zunge, Mr. McKenna.«

Noreen kicherte und sah bewundernd zu ihrem Vater auf. Aber als sie vor dem Haus standen, machte sie sich davon und lief zu ein paar Jungen, die mit einem beinahe ovalen Kautschukball und einem abgesägten Besenstiel spielten.

Schon wieder die Jungen, dachte Bria mit einem stummen Seufzer. Von dieser Seite würde es bestimmt bald Ärger geben.

Kaum waren sie in der Küche, griff Shay in die abgetragenen Taschen der Cordhose und gab seiner Frau wie jeden Samstag den ganzen Wochenlohn. Aber da er wieder auf den Zwiebelfeldern arbeitete, bekam er nur einen Vierteldollar täglich. Deshalb hielt sie nur wenige Münzen in der Hand, die kaum reichen würden, um Lebensmittel, Kohle zum Heizen und die Miete zu bezahlen.

Bria ließ das Geld in ihre Schürzentasche fallen und blickte lächelnd zu ihm auf, aber er ließ sich nicht täuschen. Rote Flecken erschienen auf seinen Wangen. Er drehte sich abrupt um.

Donagh schlug laut klatschend in die Hände und rieb sich die Handflächen.

»Bei Gott, ich könnte etwas zu trinken brauchen. Dir beim Tanzen zuzusehen, Seamus, macht Durst.«

Shay ging zum Wandschrank, wo der Whiskykrug stand. Er zog die Tür so heftig auf, daß sie gegen die Wand schlug.

»Seid doch leise, ihr beiden!« rief Bria. »Unsere Merry liegt schon im Bett und schläft. Das arme Mädchen war so müde, daß sie die Augen nicht lange genug aufhalten konnte, um ihr Abendbrot zu essen ...«

Brias Worten folgte ein bedrücktes Schweigen. Shay hob langsam den Kopf und sah seine Frau durchdringend an. Aber sein Zorn, das wußte sie, richtete sich nur gegen ihn selbst. Andere Ehemänner schickten ihre Kinder in die Spinnerei oder in die Gummifabrik, ohne sich deshalb Gedanken zu machen. Aber Shay litt darunter. Er nahm sich alles immer sehr zu Herzen.

Und sie würde die schwere Last seiner Sorgen noch vergrößern müssen, wenn sie ihm später sagte, daß man sie entlassen hatte. Auch wenn sie im Pfarrhaus als Haushälterin würde arbeiten können, verdienten sie jetzt noch weniger Geld.

Bria drehte sich langsam um, und ihr Blick richtete sich auf den Tisch, wo plötzlich ein prall gefülltes Netz mit Äpfeln lag. Mit ihrer dicken, glänzend grünen Schale wirkten sie beinahe künstlich.

»O Shay!« rief sie, und ihre Stimme klang zu fröhlich und zu laut. »Du hast grüne Äpfel mitgebracht! Wo hast du sie bekommen?«

Er gab zunächst keine Antwort, sondern beschäftigte sich damit, den Whisky in zwei Blechbecher zu gießen. Dann sah er sie wieder an, und sein Gesicht wurde weich.

»Ich bin am Haus von Mrs. Maguire vorbeigekommen. Als sie mich sah, kam sie mit den Äpfeln heraus und sagte, sie habe zu viele gekauft. Sie hat mir das Netz regelrecht aufgedrängt und wollte nichts davon hören, als ich dankend ablehnte.«

»Ach wirklich ... die alte Schachtel? Es wäre auch ein Wunder, wenn sich nicht jede alte Jungfer und jede Witwe in der Stadt bereits Gedanken über die Maße für deinen Hochzeitsanzug gemacht hätte ...«

Bria brach unvermittelt ab, als ihr bewußt wurde, was sie gesagt hatte, aber es war geschehen, und sie konnte die Worte nicht mehr zurücknehmen. Sie wollte deshalb weder ihrem Mann noch ihrem Bruder in die Augen sehen. In der Küche war es plötzlich so still, daß man das Ticken der Uhr hörte und das Zischen der feuchten Kohlen im Ofen. Draußen erklangen wieder die fröhlichen Fiedeln und der klagende Dudelsack.

Die Leute werden die ganze Nacht aufbleiben und tanzen, dachte Bria.

Ein schrecklicher Hustenreiz quälte sie, doch sie unterdrückte ihn mit aller Kraft, obwohl das hartnäckige Stechen ihr die Brust zu zerreißen schien. Aber nach diesen Worten durfte sie einfach nicht husten und Blut spucken.

Mit größter Willensanstrengung griff sie nach den Äpfeln, nahm eine Schüssel und ein Schälmesser und setzte sich in den geflochtenen Schaukelstuhl neben dem Herd. Sie würde die grünen Äpfel für einen Kuchen verwenden ... einen richtigen amerikanischen Apfelkuchen.

Shay und ihr Bruder saßen mit aufgestützten Ellbogen am Tisch mit der ausgebleichten braunen Wachstuchdecke und hielten die Whiskybecher in den Händen. Bria spürte ihre Blicke und konnte ihre schmerzlichen Gedanken ahnen. Das quälte sie mehr als die Schmerzen in der Brust.

Gorgeous, Shays Kater, stolzierte durch die offene Tür und sprang mit einem Satz auf seinen Schoß. Shay behauptete, der Kater sei ihm nach Hause gefolgt ... sehr wahrscheinlich hatte ihn Shay aber nach Hause getragen. Das Tier war völlig ausgehungert gewesen und hatte ein struppiges schwarzbraunes Fell. Seit das Schicksal jedoch den weichherzigen Shay McKenna zu seiner Rettung geschickt hatte, war es sehr viel dicker geworden. Trotzdem blieb Gorgeous der häßlichste Kater in Gottes weiter Welt.

Als Bria sicher war, daß die Männer sie nicht mehr ansahen, hob sie den Kopf und warf einen Blick auf Shay. Er saß breitbeinig auf dem Stuhl und streichelte unentwegt den Kater. In seiner augenblicklichen Stimmung sah er wahrhaft aus wie der Inbegriff des wilden Iren mit finsterer und unergründlicher Miene. Sie liebte ihn mehr denn je.

Schließlich bewegte er sich und prostete ihrem Bruder mit dem alten gälischen Trinkspruch zu: »Auf Irland, das wir lieben, und verflucht sei England, das wir hassen!«

Donaghs Becher stieß gegen den von Shay. »Auf Irland, das wir lieben«, erwiderte er. In Anbetracht seines Priesterkragens verzichtete er auf den Fluch.

Wie üblich redeten sie über Politik. Bria hörte nur mit halbem Ohr hin, während sie die Äpfel schälte und in Stücke schnitt. Es waren ohnehin die alten, vertrauten Worte über Irlands Probleme und den heiligen Kampf der Rebellen. Die beiden Freunde hatten den brennenden Haß auf die britische Herrschaft schon mit der Muttermilch eingesogen. Jetzt nährten sie ihn mit irischem Whisky, dem Poitín, der illegal im Keller von Crow's Nest gebrannt worden war. Für Bria roch der Whisky so vertraut wie der Torf, den sie in ihrer Hütte in Irland verbrannt hatten. Shay sprach jetzt über den Clan-na-Geal.

Dort ist er heute nachmittag also gewesen, dachte Bria.

Er war wieder einmal auf einer Versammlung des Clans gewesen, auf der sie die Engländer verflucht und Rebellenlieder gesungen hatten. Es waren Pläne gemacht worden, wie man Geld sammeln und den großen und ruhmreichen Kampf fortsetzen konnte. Dabei verschwendete niemand einen Gedanken an die Söhne der Mütter, die dabei ihr Leben verlieren, und an die Frauen, die an den Gräbern ihrer Männer weinen würden.

Bria rieb die müden Füße an dem alten Häkelteppich, der unter ihrem Stuhl lag, und lenkte ihre Gedanken auf das Picknick am nächsten Tag. Wie schön würde es sein, die heiße Sonne auf den Haaren zu spüren und die salzige Luft im Gesicht. Sie würden im Sand eine Decke ausbreiten, auf die sie sich setzen konnten. Shay sollte ihr den Kopf in den Schoß legen, und sie würden den Mädchen zusehen, die Fangen mit den Wellen spielten. Gab es etwas Schöneres, als so unbeschwert mit ihren Kindern und ihrem Mann zusammenzusein? Es sollte ein ganz besonderer Tag werden, den sie noch lange in ihrem Herzen bewahren würden.

Doch im Augenblick saß sie am Küchentisch, hörte der Unterhaltung ihres Bruders und ihres Mannes zu und blickte zufrieden auf die glänzenden grünen Apfelschalen, die sich unter ihrem Küchenmesser entrollten.

Shay sagte gerade: »... der beste Platz dafür wäre der Strand am Poppasquash Point.«

»Vielleicht schon«, erwiderte Donagh. »Aber hier in Bristol ist es genauso ein Verbrechen wie in Irland, Boden zu betreten, der den Reichen gehört, mein Lieber.«

»Da fällt mir ein, was heute morgen geschehen ist«, unterbrach Bria das Gespräch. Aber sie hätte ihre Worte am liebsten sofort wieder zurückgenommen, denn plötzlich wollte sie doch nicht mehr über die Frau sprechen, über den Engel, wie Merry gesagt hatte, der alle ihre Wünsche erfüllen würde. Die Frau hatte dort oben auf dem Steg gestanden, und es hatte wahrhaft den Anschein gehabt, als gehöre ihr die ganze Welt. Unter ihren Blicken war sich Bria völlig hilflos vorgekommen, hatte sich andererseits aber auch von ihr angezogen gefühlt.

Schnell beschloß sie, das, was sie eigentlich hatte sagen wollen, etwas zu verändern.

»Die Familie, die am Poppasquash Point wohnt, heißt Tremayne. In der Spinnerei hat man einiges über sie erzählt.«

»Was kann das schon sein?« fragte Donagh. Shay kraulte dem Kater sanft die Ohren, aber seine Lippen wirkten schmal und seine Augen hart.

»Man nennt sie die rebellischen und unberechenbaren Tremaynes«, sagte Bria. »Der erste Tremayne kam vor mehr als zweihundert Jahren aus Cornwall hierher. Er ist von dort geflohen. Auf seinen Kopf war eine Belohnung ausgesetzt ... wegen Mordes. Und hier ist er dann durch Sklavenhandel und Seeräuberei reich geworden. Damals sind sie angeblich verflucht worden.«

»Wußte ich doch, daß bei der Geschichte ein Fluch im Spiel ist«, sagte Donagh. »Es geht immer um einen Fluch.«

»Du kannst ruhig lachen, aber der Fluch hat die Tremaynes in den letzten Jahren schwer getroffen. Zuerst wurde die jüngere Tochter bei einem Schlittenunfall verkrüppelt, und dann ist der Sohn, weil er sich schuldig fühlte, mit seiner Yacht im Sturm aufs Meer hinausgefahren und ertrunken. Einige Leute sagen, er hat sich auf diese Weise das Leben genommen.«

Bria drehte den Kopf und warf einen Blick durch die Schlafzimmertür, um sich zu vergewissern, daß Merry immer noch schlief. Die Kleine war so gewitzt. Sie hörte das Gras wachsen.

»Kurz nach dieser Tragödie«, fuhr Bria fort und senkte die Stimme zu einem Flüstern, »ist der Vater auf und davon. Er ist mit seiner Yacht davongesegelt und seitdem spurlos verschwunden. Aber er ist nicht im Meer ertrunken wie der junge Mr. Tremayne. Man sagt, er lebt mit seinen ganzen Geliebten auf der Tremayneschen Plantage auf Kuba.«

Jetzt hob Shay den Kopf, und Donagh grinste. »Er hat mehr als nur eine Geliebte, sagst du? Bei Gott, wie schön ist es doch, ein reicher Mann zu sein.«

»Wenn man bedenkt«, sagte Shay und seufzte spöttisch, während er ihm Whisky eingoß, »daß es dir, dem armen keuschen Mann, nicht bestimmt ist, es selbst auch nur einmal zu erleben.«

Er sah Bria an, und das Lachen ließ seine Augen blitzen. »Ihr Frauen müßt heute beim Spinnen ganz schön was zu tratschen gehabt haben.«

»Tratschen, nennst du das? Und was macht ihr Männer den ganzen Abend? Natürlich führt ihr tiefschürfende philosophische Gespräche.«

Bria ging mit der Schüssel zum Schrank, nahm die Zuckerdose heraus und begann, die geschälten Äpfel zu zuckern. Plötzlich fiel ihr das seltsame Schweigen der beiden Männer am Tisch auf. Als sie sich umdrehte, sah sie schuldbewußte Mienen – das heißt, ihr Bruder schien ein schlechtes Gewissen zu haben. Und wenn Shay wie jetzt kein Wort mehr über die Lippen brachte, wußte Bria, daß sie Grund hatte, sich Sorgen zu machen.

»Was habt ihr beiden denn auf dem Gewissen?« fragte sie mißtrauisch.

Shays Antwort klang harmlos und spöttisch, aber sein Lächeln wirkte etwas künstlich.

»Natürlich haben wir ein schlechtes Gewissen, und wenn ich dir sage, warum, dann wirst du mir die Ohren langziehen.«

Der Kater begann in diesem Augenblick laut und hingebungsvoll zu schnurren und bearbeitete mit seinen großen, weichen Pfoten Shays Oberschenkel. Shay hob die Hand und streichelte den Kopf des Katers. Bria entdeckte dabei Blutspuren und bläuliche Prellungen an den Knöcheln.

Sie stellte die Schüssel mit den Äpfeln langsam in das Spülbecken und ging zu ihm. Shay gehörte nicht zu den Männern, die sich ohne weiteres in eine Schlägerei verwickeln ließen. Aber sie wußte nur von einer Sache, die die Fäuste ihres Mannes verletzen konnte: ein dreißig Pfund schwerer Sandsack!

Sie griff nach seiner Hand, und er zog sie nicht zurück. Bria erwartete, Zorn oder Enttäuschung zu empfinden, aber nur das wohlbekannte flaue Gefühl im Magen stellte sich ein.

Sie drückte die Lippen auf die blutverkrusteten Prellungen, dann schob sie seine Hand so heftig zurück, daß sie den Kater traf, der empört auf den Boden sprang.

»Du hast geschworen, nie wieder zu boxen«, murmelte sie. »Du hast es auf dem Grab deiner Mutter geschworen.«

Er blickte ihr in die Augen, aber er erwiderte nichts. Sie kannte ihn schon ihr ganzes Leben lang und wußte um die Härte tief in seinem Innern. Dort konnte sie ihn nicht erreichen, und dort traf er allein seine Entscheidungen.

Sie wies mit dem Zeigefinger auf ihren Bruder. »Und du, du hast deinen Anteil daran! Versuch nicht, es zu leugnen. Ich kann es an der Nasenspitze ablesen!«

Donagh packte sie am Handgelenk. »Bria, sei doch vernünftig. Reg dich nicht auf, sondern hör dir erst einmal an, worum es eigentlich geht.«

Sie befreite sich so heftig aus seinem Griff, daß sie unwillkürlich einen Schritt rückwärts machte und dabei stolperte. Dann verschränkte sie die Arme vor der Brust. Sie konnte Shay nicht mehr ansehen, sie wollte es nicht.

»Dann erzähl es mir, Donagh.«

Er knöpfte seine Soutane auf, griff hinein und zog eine rosafarbene Zeitung heraus. »Du hast sicher schon von diesem Skandalblatt gehört ... die Police Gazette.«

Bria nickte unmerklich. Sie hatte davon gehört, sie hatte die Zeitung schon gesehen, und obwohl sie nicht lesen konnte, wußte sie über diese Art Berichterstattung Bescheid. Auf dem Titelblatt, das Donagh ihr entgegenhielt, befand sich das Bild eines üppig gebauten Showgirls, das außer einem hautengen Trikot nichts trug und verführerisch in die Kamera lächelte.

»Hm ...« Donagh räusperte sich und errötete leicht, als er bemerkte, daß Bria auf das Bild starrte. Schnell faltete er die Zeitung so, daß das aufreizende Showgirl nicht mehr zu sehen war. »Der Verleger, ein gewisser Richard Fox, hat sich in den vergangenen zehn Jahren vergeblich darum bemüht, für John L. Sullivan, den großen amerikanischen Faustkampfchampion, einen Herausforderer zu finden. Er hat sogar einen Preis für den ausgesetzt, der den Kampf wagt und gewinnt. Es handelt sich um einen Gürtel, der mit Gold, Silber und Diamanten besetzt ist.«

»Ach, und warum sollte jemand einen so kostbaren Gürtel haben wollen, um ein paar abgetragene Cordhosen festzuhalten?«

Donaghs Augen richteten sich auf Shay. Die beiden tauschten einen Blick, dessen Bedeutung Bria nicht verstand. Sie dachte, daß sie Männer manchmal wirklich haßte, vor allem diese beiden, die ihr das Liebste auf der Welt waren.

»Dieser Mr. Fox«, fuhr Donagh fort, »hat jetzt jemanden gefunden, von dem er glaubt, daß er den Preis gewinnen kann. Es ist ein blaublütiger Yankee, der die Harvard Universität besucht. Übrigens, er trägt Hosen aus feinem Kammgarn, und dazu paßt ein mit Diamanten besetzter Gürtel mit Sicherheit besser. Aber bevor Sullivan die Herausforderung annimmt, muß der Yankee beweisen, daß er ein ernstzunehmender Boxer ist und sich gegen einen guten Gegner im Ring behaupten kann ...«

Er hörte auf zu sprechen und blickte wieder auf Shay. Bria wollte ihren Mann nicht ansehen. Vielleicht würde sie ihn nie wieder eines Blickes würdigen.

Sie starrte ihren Bruder so unverwandt an, daß ihre Augen brannten. »Hast du Mitleid mit dem armen Mann? Du brichst deine Geschichte gerade an dem Punkt ab, wo sie anfängt, spannend zu werden.«

»Ach, Bria ...«, Donagh fuhr sich mit den Händen über das Gesicht und seufzte. »Mr. Fox hat erfahren, daß er hier ...«, er deutete auf Shay, »einmal der irische Faustkampfchampion war. Das hat ihn auf die Idee gebracht, daß Seamus und sein Yankee die richtigen Gegner wären. Der Kampf soll hier in Bristol während der Feiern zum Vierten Juli stattfinden. So, das ist alles ... mehr oder weniger.«

Donagh griff nach dem Krug, füllte seinen Becher und leerte ihn auf einen Zug. Sein Kinn sank auf die Brust, und er tat so, als betrachte er eingehend den Boden seines Bechers. Bria entnahm daraus, daß sie nicht mehr von ihrem Bruder erfahren würde.

Shay hatte ihr natürlich kein Sterbenswort von all dem gesagt.

Langsam drehte sie sich nach ihm um. Er zuckte nicht zusammen und schien sich auch nicht vor ihr zu schämen. Was immer ihn auch bewegen mochte, seinem Gesicht konnte sie nichts entnehmen.

Sie verschränkte die Arme fester, als versuche sie, sich körperlich gegen das zu wappnen, was kommen mußte.

»Hast du mir nicht wenigstens ein Wort zu sagen, Seamus? Oder haben dir die Feen die Zunge abgeschnitten, als ich nicht aufgepaßt habe?«

Er griff mit beiden Händen nach ihren Armen, öffnete sie und zog Bria an sich. Sie haßte ihn, weil er sie berührte, denn, bei Gott, sie liebte ihn zu sehr.

Er ließ ihre Arme los und legte die großen Hände auf ihre Hüften. Dann sah er sie mit fieberglänzenden Augen an. Es hatte sie schon immer verletzt, daß das Feuer, das in ihm brannte, nichts mit ihr zu tun hatte.

»Vielleicht wird dir das Wort gefallen, Frau: Dollars! Ich bekomme einhundert und der Clan ebenfalls einhundert, weil sie als meine Sponsoren auftreten. Dafür muß ich mit diesem Yankee nur eine gute Show abziehen und in der dritten oder vierten Runde zu Boden gehen.«

Er hatte sie irgendwie an seine Oberschenkel gedrückt, und ihre Hände fuhren durch seine Haare, die sich weich und warm anfühlten, als habe er alle Sonnenstrahlen des vergangenen Tages dort eingefangen.

»Faustkampf ist gesetzlich verboten«, sagte sie und verwünschte das Zittern in ihrer Stimme. Es verriet, daß sie sich geschlagen gab. »Du kannst dafür ins Gefängnis kommen.«

»Sie werden sagen, es sei eine Vorführung der Kunst des Faustkampfs«, hörte sie Donagh in ihrem Rücken. »Und so etwas gehört in den Bereich der Kultur und ist nicht verboten.«

Ihre Finger spannten sich in Shays Haaren, und sie stieß sich von ihm ab. »Du wirst also dafür bezahlt, daß du dich von diesem Yankee besiegen läßt? Und was ist am Ende mit deiner Ehre?«

Er konnte sich schon immer trotz seiner Größe sehr schnell bewegen. Er war aufgesprungen und stand bereits an der Tür, als sie erst nur einen Luftzug gespürt hatte. Er lehnte mit dem ihr zugewandten Rücken am Türrahmen und hatte die Hände tief in den Hosentaschen vergraben. Seine Augen richteten sich nach draußen, wo die Fiedeln und Dudelsackpfeifen in einem Furioso gegeneinander anspielten.

Bria stellte fest, daß bereits lange Schatten auf die Erde vor dem Haus fielen. Das Licht draußen war so golden wie Sirup, aber im Haus wurde es bereits dunkel. Sie dachte, daß es Zeit wäre, die Lampe anzünden, aber sie bewegte sich nicht von der Stelle.

Seine Stimme klang wie ein rauhes Flüstern, wie Kiesel, die aneinanderreihen.

»Es gibt etwas Schlimmeres für einen Mann, als seine Ehre zu verlieren. Muß ich dich daran erinnern, liebste Bria? Hast du vergessen, was es heißt, auf einem abgeernteten Feld nach Kartoffeln zu graben, die schwarz und verfault sind? Muß ich dich daran erinnern, wie es ist, wenn deine Liebsten grüne Münder haben vom Gras, das sie am Wegesrand abreißen und vor Hunger essen? Weißt du nicht mehr, was es bedeutet, in einer Steinhütte zu leben, die mit Grassoden gedeckt ist, die aus einem Land gestochen wurden, das nie dein Eigentum sein kann, obwohl es seit Jahrhunderten mit dem Schweiß, dem Blut und den Knochen jener gedüngt worden ist, die vor dir dort gelebt und deinen Namen getragen haben?«

Er stieß sich von dem Türrahmen ab und wandte ihr das Gesicht zu, das noch immer vom Schatten der Tür verdunkelt wurde. Aber sie mußte sein Gesicht nicht sehen, denn sie kannte ihn. Sie kannte das Verlangen in seinen Augen, wenn er mit ihr schlief, sie kannte die Berührung seiner Lippen, die auf ihrer Haut glühten und sie beinahe verbrannten. Sie kannte sein Herz, das sich so mutig und trotzig wehrte und sich an den verzweifelten Traum klammerte, irgendwo auf der Welt die wahre und schöne Stelle zu finden, die einmal ihm gehören würde.

»Muß ich dir von der Frau erzählen«, fuhr er fort, »die im Dreck kniet, den das Blut, das aus dem aufgerissenen Leib ihres Mannes strömt, in roten Schlamm verwandelt hat ... oder von der Frau, die mit ansehen muß, wie ihr Mann am Ende eines Stricks sein Leben aushaucht?«

Sie preßte die Faust so fest auf den Mund, als wolle sie einen Aufschrei unterdrücken, aber kein Laut kam über ihre Lippen.

Nein ... das nicht!

»Muß ich dir das alles erzählen, meine liebe Bria?«

Sie preßte die Hände auf ihre Ohren und schloß fest die Augen.

Nein ... das nicht ... nein, alles, nur das nicht!

Sie bemerkte erst, daß er vor ihr stand, als seine Finger ihre Handgelenke umfaßten und ihre Hände nach unten zogen. Dann umschlossen seine Finger ihren Nacken, und seine Daumen liebkosten ihre Wangen, als wolle er sie küssen. Sie hatte von seinen Händen nie etwas anderes als Zärtlichkeiten erfahren.

Er hob ihren Kopf und zwang sie, ihm in die Augen zu sehen. »Warum sollte sich ein Mann um seine Ehre Gedanken machen«, sagte er, »wenn er sie verkaufen kann, um seine Frau und Kinder anständig zu ernähren, und wenn er seinen irischen Brüdern dadurch Waffen verschaffen kann?«

Sie löste sich von ihm und rief: »O Dhia, Irland! Alles wird für Irland geopfert!« Ihre Stimme wurde ruhig und klang erstickt von den zurückgehaltenen Tränen. »Für uns hat es nie etwas in Irland gegeben. Dort ist nichts für uns und wird auch in Zukunft nie etwas sein ...«

Shay beschrieb mit seinem Arm einen Bogen. »Und ist es hier so großartig? Glaubst du vielleicht, weil der Reiche im Sommer Eis bekommt und der Arme im Winter, seien beide gleich?« Er lachte, und es klang wie ein dunkles rauhes Grollen. »Glaubst du, hier in deinem Amerika und vor Gott sind wir alle gleich?«

Bria spürte, wie ihr Zorn verebbte und eine schreckliche Müdigkeit sie erfaßte. Es war ihr weder mit guten noch mit bösen Worten jemals gelungen, ihn von einem seiner grandiosen und wunderbaren Pläne abzubringen. Sie wußte nur, daß er sie liebte, und sie wußte auch, daß er sie niemals genug lieben würde.

Ihr Bruder, der Priester, schob den Stuhl zurück und stand langsam auf. Er trat zu Shay und legte ihm schwer die Hand auf die Schulter. »Er ist auch dein Gott, Seamus.«

Shay sah ihn herausfordernd an. Er nahm nichts zurück ... nichts. Shay hatte als einziger von den fünf Söhnen die Geburt überlebt, und deshalb hatte seine Mutter sein Leben Gott geweiht. Von den beiden Freunden war ihr Bruder in den Jugendjahren stets der Unbändige gewesen und hatte auch später noch allerhand Unfug getrieben – er trank und stieg hinter Mädchen her. Shay dagegen war immer ein ernster und entschlossener Junge gewesen, der mit leidenschaftlichem Fanatismus seinen Glauben verteidigte. Er lernte beim Dorfpriester bereits Latein, als die anderen Jungen im Clachan noch nicht einmal ihren Namen schreiben konnten.

Aber dann hatte Seamus McKenna das Leben kennengelernt. An einem stürmischen Tag auf dem felsigen Strand war er ihr begegnet. Und die Konstabler mit ihren Gewehren und dem Strick waren gekommen.

Und als wolle Gott nicht zulassen, daß er übergangen wurde, hatte er statt dessen Donagh in seinen Dienst berufen. Oder war es so gewesen, dachte Bria oft, daß ihr Bruder Gottes Aufmerksamkeit nicht hatte auf sich lenken können, so lange Shay sich auf das Priesteramt vorbereitete? Donagh hatte seine Bestimmung erst erkennen können, als Shay ihm nicht mehr im Weg stand.

Donagh seufzte und schüttelte seinen Freund unsanft, bevor er seine Schulter wieder losließ. Er ging zur Tür und nahm den schwarzen Priesterhut vom Haken. Dann blieb er stehen und drehte den Hut bedächtig in den Händen, bevor er sich noch einmal nach seiner Schwester umwandte. Seine Wangen waren gerötet, und sein Mund verzog sich reumütig. Er wagte nicht, ihr in die Augen zu sehen.

Gefühle, die sie nicht einmal selbst hätte in Worte fassen können, ließen Brias Stimme zittern. »War es nicht ein Wunder, Vater, daß dieser Zeitungsmann davon erfahren hat, daß unser Seamus einmal irischer Champion im Faustkampf war? Oder hast du es ihm vielleicht zugeflüstert? Hast du ihm gesagt, daß Shay McKenna ein einmal gegebenes Versprechen weder seinetwegen noch wegen seiner Frau und seinen kleinen Kindern brechen werde? Aber für Irland und für den Clan ... o ja, für Irland würde dieser Mann sogar seine Seele verkaufen.«

»Bria, bitte ...« Donagh seufzte tief, schüttelte den Kopf und starrte auf den Hut in seinen Händen. »Ich glaube, ich sollte mich auf den Weg ins Pfarrhaus machen, sonst wird Mrs. Daly noch die Geduld verlieren und mir zum Abendessen meine Pantoffeln vorsetzen.«

Er setzte den Hut auf und kam zu ihr, küßte sie auf die Stirn und umarmte sie kurz. »Dhia is maire dhuit«, sagte er.

Sie legte die Arme um ihn und legte ihren Kopf an seine Brust. Der Wollstoff seiner Soutane war rauh. Er roch nach Weihrauch und auch etwas nach Whisky.

Gott und die heilige Jungfrau Maria mögen dich beschützen, Donagh ...

Sie begleitete ihren Bruder zur Tür. Dort blieb er stehen und segnete sie mit dem Weihwasser aus dem kleinen Gefäß an der Wand. Auf der Straße war aus dem Tanzen inzwischen ein richtiges irisches Fest geworden. Krüge mit Poitín wanderten von Hand zu Hand. Sie sah ihm nach, wie er sich einen Weg durch die Menschen bahnte und hin und wieder stehenblieb, um die Leute zu ermahnen und zu segnen. Doch Bria vermutete, daß er in der Predigt am nächsten Morgen nicht über den Teufel und das Teufelsgebräu sprechen würde, denn er hatte an diesem Abend selbst davon getrunken.

Sie hörte nicht, wie Shay hinter sie trat, aber sie spürte ihn. Selbst wenn sie blind gewesen wäre, so hätte sie ihn unter Millionen Menschen erkannt.

Er umschlang sie mit beiden Armen und legte die Hände auf ihren gewölbten Leib. Die Brüste waren in Erwartung des Babys bereits groß und schwer geworden und schmerzten.

»Ich bitte dich, nicht zu verlangen, daß ich mein Versprechen halte«, sagte er.

Sie erwiderte nichts. Aber wie sollte sie ihm etwas abschlagen? Ein Versprechen, das er ihr gegeben hatte und jetzt brechen wollte, war nichts im Vergleich zu dem, was sie ihm angetan hatte. Sie hatte den Treueid gebrochen und eine schwere Sünde begangen ...

Sünden ...

Bria blickte auf die Arme, die sie hielten. Er hatte die Hemdsärmel bis zu den Ellbogen hochgekrempelt. Die Haut war gebräunt, und die dunklen Haare waren von der Sonne goldblond gebleicht. Die Adern zogen sich deutlich sichtbar über die harten Muskeln und Sehnen.

Sie hob eine seiner Hände und verglich sie mit ihrer kleinen Hand, dann ließ sie zu, daß seine ihre umschloß. Sie hatte sich schon immer darüber gewundert, wie diese Hände gleichzeitig so zart und so brutal sein konnten.

Es waren die Hände eines Kämpfers.

»Hast du vergessen«, erwiderte sie, »was für eine schreckliche Sünde du mit diesen Händen begangen hast? Hast du das Unheil vergessen, das du damit über uns gebracht hast?«

»Nein«, erwiderte er und schwieg.

»Warum willst du dann nicht siegen? Warum willst du nicht um den Diamantgürtel kämpfen, von dem Donagh gesprochen hat, und damit deine Ehre behalten?«

»Weil ich keine Chance gegen den großen John L. habe ... der Yankee übrigens auch nicht, aber das ist seine Sache.«

Sie schwiegen, und das Schweigen war weder vorwurfsvoll noch leicht, sondern einfach nur vertraut. Seine Lippen berührten sie an einer zarten Stelle, an der Vertiefung, wo der Wangenknochen auf ihr Ohr traf.

»Wieso erlaube ich dir mich zu küssen«, flüsterte sie, und ihre Worte klangen gepreßt und atemlos, »obwohl ich dich ausschimpfen sollte?«

Er lachte, und sein heißer Atem traf ihre Haut. »Gott schütze uns. Und deine Zunge fängt an zu rosten, weil sie außer Übung kommt.« Er zog sie enger an sich. »Komm zu mir, mo Bhean

Sie schmiegte sich eng an ihn und spürte seine weichen Lippen in ihren Haaren.

Wagnis des Herzens

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