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Drittes Kapitel

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Bethel Lane Tremayne preßte die Lippen zusammen, bis sie so schmal wurden wie ein Knopfloch. Sie eilte den Weg entlang, der zur alten Orangerie führte. Und mit jedem Tritt ihrer Absätze auf die Pflastersteine wuchs ihr Zorn.

Was sich ihre Tochter wieder herausgenommen hatte! Was war sie doch nur für eine ... eine ...!

Aber es fiel ihr kein Wort ein, das auch nur annähernd hätte beschreiben können, welche Last ihre Tochter Emma für sie war.

Bethel kam nicht gerne in die alte Orangerie. Nachdem es das neue Gewächshaus in der Nähe des Wohnhauses gab, wurde die alte Orangerie nicht mehr benutzt.

Emma hatte sie sich jetzt zu eigen gemacht, und Bethel dachte nur ungern darüber nach, was ihre Tochter dort mit Meißel, Hammer und Sandstein anstellte. All das gehörte sich nicht. Es war einfach abscheulich. Und doch konnte man sie nicht daran hindern.

Bethel hatte es versucht. Sie hatte ihre Tochter in den Keller zu den Ratten und Spinnen gesperrt. Einmal hatte sie Emma sogar ans Bett gebunden, damit sie die Widerspenstige mit dem Rohrstock verprügeln konnte. Keine dieser Strafen hatte etwas bewirkt. Emma war in vielerlei Hinsicht stets gehorsam und fügsam gewesen, wie man es von einem wohlerzogenen Mädchen erwarten konnte. Aber in anderer Hinsicht war sie durch und durch eine Tremayne. In ihr lag etwas Wildes und Unbezähmbares, vor dem Bethel, so ungern sie sich das auch eingestand, Angst hatte.

Sie mußte stehenbleiben und Atem schöpfen, denn sie hatte plötzlich Herzstechen. Die Korsettstäbe bohrten sich ihr in die Rippen. Ihre Lunge lechzte nach Luft. Es war alles Emmas Schuld, daß ihre Mutter sich so beeilen mußte, anstatt ihre Kräfte für die anstrengenden Tage, Wochen und Monate zu schonen, die noch vor ihr lagen.

Zuerst kamen die Verlobungsbesuche, dann der Verlobungsball. Dieses Ereignis würde natürlich noch von der Hochzeit weit in den Schatten gestellt werden. Aber zu jeder Minute der kommenden Tage würden die fatalen Klippen von Unschicklichkeiten, Peinlichkeiten und – das Schrecklichste von allem – von einem gesellschaftlichen Skandal lauern. Es würde ihnen nur mit größter Vorsicht und Achtsamkeit gelingen, sie alle zu umschiffen.

Und das alles wird auf meinen Schultern lasten, dachte Bethel, denn nun war sie die einzige Tremayne, die die Tradition und den Ruf dieser Familie wahren konnte.

Als Bethel schließlich die verzogene Holztür der Orangerie erreichte, hatte sie sich so in ihren Zorn hineingesteigert, daß sie, als sie mit voller Wucht die Tür aufstieß, sich an einem alten rostigen Riegel einen Fingernagel einriß. Vor Schmerz rang sie nach Luft. Dann stockte ihr der Atem, weil sich ihr die Fischbeinstäbe der Korsage in den Unterleib bohrten.

Aber beim Anblick dessen, was sich im Innern des alten Gewächshauses befand, erstarrte sie.

Die Orangerie war nicht länger ein Platz, wo Orangenbäume und die Orchideen überwinterten. In der Mitte des Raums stand jetzt ein riesiger Kran mit Winden und Flaschenzügen. Bethel konnte nur ahnen, daß er dazu diente, die schweren Steinblöcke und Marmorquader zu bewegen, die in einer Ecke lagerten.

Es duftete nicht mehr nach exotischen Blüten, sondern roch nach nassem Ton, Steinstaub und gelötetem Metall. Früher war es im Gewächshaus feucht und warm gewesen. Auch das hatte sich grundlegend geändert. Jetzt war es im Glashaus so kalt und grau wie draußen, denn viele der Milchglasscheiben waren entweder gesprungen oder zerbrochen.

Und dort im fahlen Licht, das durch die Fensterscheiben drang, stand ihre Tochter Emma. Wegen der Kälte trug sie einen alten grauen Pullover und darüber einen fleckigen Malerumhang.

Sie betrachtete versunken ein schweres vierbeiniges Gestell mit einer drehbaren Platte. Darauf lag ein großer gelber Klumpen Ton, der von einem rostigen Eisenrahmen gehalten wurde.

Sie kann sich natürlich nicht wie andere Mädchen für Wasserfarben und Pastelle interessieren, dachte Bethel. O nein! In einer Welt, in der Töchter keinen Anstoß erregen durften, mußte sich ihre Emma einbilden, eine Bildhauerin zu sein. »Emma!« rief Bethel streng.

Aber sie hätte ebensogut zu einem der Steinblöcke sprechen können. Emmas Konzentration richtete sich ausschließlich auf den feuchten Lehm, der zur Hälfte modelliert irgendwie nach einer menschlichen Gestalt ohne Kopf aussah. Bethel schüttelte angewidert den Kopf.

Sie versuchte sich vorzustellen, was das Ding darstellen sollte. Ihre Tochter griff gerade nach einer Spachtel, die auf dem Tisch neben fleckigen Lumpen lag, und strich damit den Ton glatt.

Es ist ein Bein, dachte Bethel plötzlich. Das Bein eines nackten Mannes ...

Bethel stieß einen spitzen Schrei aus. Ein stechender Schmerz durchbohrte ihre Brust. Funken tanzten vor ihren Augen, der Boden begann, unter ihren Füßen zu schwanken, das Licht, das durch die Fenster fiel, wurde schwächer, immer schwächer, und alles um sie herum versank in Dunkelheit.

Als Bethel die Augen wieder aufschlug, legte ihr Emma gerade ein feuchtes Tuch auf die Stirn. Sie kniete neben ihr, und Bethel lag auf etwas Weichem ... auf einem schmutzigen alten grüngestreiften Sofa, aus dessen geplatzten Nähten die Polsterung hervorquoll.

Bethel wollte sich aufsetzen, aber alles um sie herum geriet erneut ins Wanken.

»Was ...?«

»Du bist in Ohnmacht gefallen, Mama. Du hast dir von Jewell wieder einmal die Korsage zu fest schnüren lassen.«

»Das hab ich nicht ...«

Bethel schob die Hände ihrer Tochter beiseite –, dabei entging ihr nicht, daß an den Fingern noch gelber Lehm klebte. Ihre Augen richteten sich wieder auf den kopflosen nackten Mann. Selbst in diesem unfertigen Zustand und ohne Kopf sah man eindeutig, was es war, was er war – himmelschreiend ... männlich.

Bethel schloß die Augen. Sie wollte Emma auffordern, die Statue zu verhüllen. Aber sie durfte auf keinen Fall zu erkennen geben, daß sie etwas so Unanständiges überhaupt zur Kenntnis nahm. Es war ihr unmöglich, darüber zu sprechen.

»Ich werde dir das Korsett aufschnüren«, hörte sie Emma sagen. »Du schnappst nach Luft wie ein Fisch auf dem Trockenen.«

Bethel schob wieder die Hände ihrer Tochter beiseite.

»Das wirst du nicht tun, denn es ist keineswegs zu eng geschnürt ... ich meine, nicht enger, als es sein muß. Außerdem schnappe ich nicht nach Luft. Wie kann man so etwas Boshaftes zu seiner eigenen Mutter sagen.«

Bethel hörte selbst den schleppenden Südstaatendialekt in ihrer Stimme. Sie verlor immer dann die Kontrolle über ihre Aussprache, wenn sie sich aufregte. Abgesehen davon hatte sie das unangenehme Gefühl, eine Szene zu machen, und nichts zeugte mehr von einem schlechten Elternhaus als das.

Bethel holte tief Luft, um sich zu beruhigen, aber wieder bohrten sich ihr dabei die Korsettstäbe in die Seiten.

Sie verzog gequält das Gesicht und sagte weinerlich: »Du kannst dir wirklich keine Vorstellung von den Qualen machen, die ich auf mich nehme, um vor der Welt so zu erscheinen, wie es sich schickt. Du bist schon immer mager gewesen. Ohne das Korsett würde ich hingegen aussehen, als hätte ich eine ganze Wassermelone verschluckt. Dein Vater kann dicke Frauen nicht ausstehen. Du ahnst nicht, wie oft ich das aus seinem Mund schon hören mußte. Und ich habe alles versucht, mich nicht gehen zu lassen.« Sie war den Tränen nahe. »Aber dann kamen die Kinder und ...«

Emma kauerte neben ihr und betrachtete sie mit ihren ungewöhnlich schillernden Augen. »Du unterstellst ihm etwas Falsches, Mama. Und das weißt du auch ganz genau. Papa hat dich nicht verlassen, weil du Kinder bekommen hast und dein Bauch etwas rundlicher wurde.«

Bethel holte weit aus und gab ihrer Tochter eine so feste Ohrfeige, daß der Kopf auf dem langen schlanken Hals schwankte. Aber nicht Emma, sondern Bethel brach danach in Tränen aus.

»Was habe ich getan, daß du mich dazu getrieben hast?« schluchzte sie, denn nichts war schlimmer als ein unbeherrschter Gefühlsausbruch. »Ich bin sicher, es gibt Augenblicke, in denen du mich von Grund auf haßt. Und ich weiß, alle meine Kinder haben mich gehaßt. Dein Vater hat uns verlassen, weil er so viel Haß in seiner Familie einfach nicht mehr ertragen konnte.«

Emma berührte mit zitternder Hand ihre Wange.

»Mama ..., bitte hör auf, dich selbst zu belügen. Und versuch nicht länger, uns zu belügen. Die Sache mit Willie hat Papa aus dem Haus getrieben, und das ... was wir getan haben.«

Bethel hielt sich beide Ohren zu.

»Sei still! Ich kann es nicht ertragen, wenn du von dieser Sache sprichst. Das weißt du ganz genau. Wenn du seinen Namen aussprichst, ist das wie ein Messerstich mitten ins Herz. Und ich wiederhole: Wir haben nichts getan. Nichts! Willie war schuld. Er hat Schande über sich und Schande über die Familie gebracht.«

Sie packte ihre Tochter an beiden Armen und schüttelte sie.

»Sieh mich nicht so an! Untersteh dich! Du glaubst, ich leide nicht unter seinem Tod. Aber du irrst dich. Ich weine mich jeden Abend in den Schlaf, wenn ich an meinen armen kleinen Jungen denke und an das, was ich verloren habe.«

Emmas Gesicht war blaß, nur die Fingerabdrücke von der Ohrfeige glühten rot.

»Ich denke auch an ihn«, murmelte sie gequält. »Ich denke daran, was wir an jenem Abend getan haben, wie wir ihn verraten haben, und ich kann es kaum ertragen. Wenn man nicht mehr Mut haben müßte zu sterben, als zu leben, dann denke ich manchmal ...«

Sie schwieg, aber der nicht beendete Satz lag unheilvoll in der Luft. Vorwürfe und Beschuldigungen lasteten ebenso schwer auf ihnen wie das dunkle Geheimnis, das sie beide teilten.

Bethel rang sichtlich um Fassung. Sie hatte sich gehenlassen, und das widersprach ihren Grundsätzen.

Es müssen die Anspannungen der bevorstehenden Hochzeit sein, dachte Bethel und biß sich auf die Lippen. Sie haben dazu geführt, daß die Erinnerungen an die schreckliche Nacht plötzlich wieder aufleben ... Sie sprachen selten davon. Seit Jahren hatten sie diese Sache nicht mehr erwähnt.

Und das hatte man davon, wenn man Dinge, die besser in der Dunkelheit des Schweigens belassen wurden, laut aussprach.

»Wir wollen nicht mehr darüber reden«, erklärte Bethel schließlich energisch.

Emma blickte sie mit ihren rätselhaften Augen an, in denen ihre Mutter nie etwas lesen konnte, und murmelte: »Ja, Mama.«

Bethel seufzte. So machte man das in ihrer Welt, so beseitigte man unlösbare Probleme. Dieses Wissen tröstete Bethel. So sollte es auch sein. Man ignorierte das Unerfreuliche und wandte sich von allem Lästigen ab. Auf diese Weise konnte man weiterleben, als sei nichts geschehen.

»Wir werden nie wieder darüber sprechen«, wiederholte sie.

»Ja, Mama.«

Bethel blickte umständlich auf ihre Uhr, die sie an einer Kette um den Hals trug. »Um Himmels willen! Weißt du, wie spät es ist? Wir erwarten Gäste, und du siehst aus, als seist du im Wald bei den Wilden groß geworden. So geht das nicht, Emma! Du wirst auf der Stelle ins Haus gehen und dich umziehen. Ich finde, das hellbeige Samtkleid ist zum Tee das richtige.«

Emma stand auf. Bethel konnte den stummen Stoßseufzer ihrer Tochter sehen.

»Ja, Mama«, erwiderte sie, aber anstatt zu gehorchen, ging sie zu dem großen Specksteinbecken an der anderen Seite und betätigte den Pumpelschwengel.

»Ich habe sofort gesagt, Emma.«

Die Pumpe quietschte, und Wasser platschte in das Becken.

»Ja, Mama. Ich muß nur meine Arbeit in ein feuchtes Tuch hüllen, sonst trocknet der Ton zu schnell.«

Gegen ihren Willen richtete sich Bethels Blick wieder auf die Statue ... auf den nackten Mann. Ein Schauer lief ihr über den Rücken. Nein, so etwas würde sie auf keinen Fall in ihrem Haus dulden.

Bethel beschloß, am Abend, wenn Emma im Bett lag, in die Orangerie zu gehen und das abscheuliche Ding mit einem der kleinen Fäustel in so viele Stücke zu schlagen, daß ihre Tochter es nicht wieder zusammensetzen konnte.

Bethel war mit dem Geruch von stechendem Schweiß auf der Haut aufgewachsen. Das war an einem gottverlassenen Ort in Georgia gewesen, wo die Sonne unbarmherzig am knochenbleichen Himmel glühte und es weit und breit nur roten Staub und gelbe Baumwolle gab. Sie lebten in einer Hütte mit zwei Zimmern und einer wackeligen Veranda davor.

Bei Ausbruch des Kriegs wurden alle Männer eingezogen. Dann nahm ihnen der Krieg auch noch das Maultier, das den Pflug zog. Damals hielt Bethels Mutter ihr einen Blechteller vor das Gesicht und sagte: »Du bist hübscher als der junge Frühling, Kleines. Du bist das schönste Mädchen von ganz Sparta. Du kannst es einmal weit bringen, Bethel Lane. Wenn du willst, kannst du es zum Mond und zurück schaffen, aber du mußt es wirklich wollen.«

Mazie verkaufte den Pflug. Und zu den ersten Dingen, die sie mit dem Geld erstand, gehörte Beadles Buch der Etikette für zehn Cents. Mazie sagte sich, der Krieg würde alles verändern. Die Welt stand jedem offen, auch dem Kind eines armen Baumwollpflanzers, der inmitten endloser Felder am Ende einer staubigen Straße in einer baufälligen Hütte hauste. Das Glück würde ein Mädchen wie ihre Tochter, die ein Gesicht und einen Körper hatte, die jeden Mann um den Verstand bringen konnten, bestimmt nicht im Stich lassen.

Mazie ging daran, ihrer Tochter all das beizubringen, was in dem Anstandsbuch geschrieben stand. Bethel lernte zu sagen: »Bitte, sei still«, anstatt: »Halt dein gottloses Maul!« Sie lernte, den kleinen Finger beim Teetrinken abzuspreizen, obwohl sie darüber klagte, einen Krampf zu bekommen. Sie lernte, stets die Knie zusammenzupressen, sogar dann, wenn sie auf dem Abtritt saß. Und sie lernte, nicht mehr rülpsen.

Als sie die letzte Seite in Beadles Buch erreicht hatten, war der Krieg zu Ende. Zu dieser Zeit hatte Sparta sich selbst und die glorreiche Unabhängigkeit des Südens längst aufgegeben. Und es war ein Yankee mit dem Namen Jonathan Alcott in der Stadt erschienen.

Man erzählte, er besitze im Norden etliche Spinnereien und sei hier, um in dem vom Krieg verwüsteten Land den Baumwollanbau zu fördern. Er beschloß, um sich und seine zukunftsträchtigen Pläne vorzustellen, einen Ball zu geben, zu dem er ganz Sparta einlud.

Mazie und Bethel bereiteten sich auf das große und einmalige gesellschaftliche Ereignis wie auf eine Schlacht vor. Die Mutter kaufte von dem letzten Geld, das sie für den Pflug bekommen hatten, in einem Laden mit gebrauchten Kleidern ein weißes Hochzeitskleid aus Brokat, das sie zu einem Ballkleid umarbeitete. Sie entfernte einige Marabufedern von einem alten Hut und besetzte damit den tiefen Ausschnitt des Kleids, während Bethel stundenlang Anstand übte und mit einem Besenstiel Walzer tanzte.

Am Abend des Balls krönte die Mutter ihr Werk mit zwei makellosen Gardenien, die sie in Bethels blonde Haare steckte.

»Bei Gott, Kind, du bist so schön, daß mir ganz schwer ums Herz wird«, murmelte sie, und die Tränen ließen ihre müden blassen Augen weich werden, so daß auch sie wieder hübsch wirkte. »Ich wette, jeder Mann wird dir zu Füßen liegen. Aber vergiß nicht, was ich dir gesagt habe, bleib so lange zugeknöpft und halte die Beine zusammen, bis ein Ring an deinem Finger steckt.«

Der Ball fand in Spartas altem Grandhotel statt. Bethel schwebte glücklich und stolz wie auf Wolken zu dem Ereignis ihrer Träume. Alles war genau so, wie sie es sich vorgestellt hatte. Die Kronleuchter funkelten und strahlten wie Sonnen. Ein Streichquartett spielte bezaubernde Melodien, wie sie kein Vogel schöner hätte anstimmen können. Auf den Tafeln mit weißen Damastdecken türmten sich so viele Köstlichkeiten, daß es Bethel bereits beim Anblick schwindlig wurde.

Ja, der Ball entsprach in allem ihren Träumen ..., bis sie hörte, was man bei ihrem Erscheinen hinter vorgehaltener Hand flüsterte.

»Ist es zu glauben? Mazie Lanes Tochter wagt es, in diesem ausgebesserten Kleid hier zu erscheinen?«

»Und diese Federn! Sie sehen aus, als hätte man sie einer Sumpfente ausgerissen.«

»Das kommt dabei heraus, wenn man Hinz und Kunz zu einem Fest einlädt. Aber er ist ein Yankee, und da kann man nichts anderes erwarten.«

»Wenn er zuläßt, daß Abschaum wie Bethel Lane hier erscheint, dann muß ich froh sein, daß wir nicht auch noch mit den Niggern tanzen sollen.«

»Bei Gott, selbst ein Yankee ist doch nicht so blöd!«

Bethel saß allein auf einem Stuhl an der Wand und lächelte. Sie lächelte unaufhörlich, bis ihr die Tränen in der Kehle steckenblieben und die Augen vor Qual wie im Fieber glänzten.

Aber dann sah sie ihn. Besser gesagt, er sah sie.

Er war ein Jugendfreund von Jonathan Alcott und hatte ihn zum Zeitvertreib auf die Reise nach Georgia begleitet. Das zumindest erzählte er ihr. Später begriff sie, daß er ein gutes Herz hatte und aus Mitleid zu ihr gekommen war, sie zum Tanzen aufgefordert und ihr die Hand geküßt hatte. Noch später wagte sie zu glauben, ihre leuchtendblauen Augen, die hellblonden Haare und das hübsche Gesicht hätten ihn angelockt.

Wie auch immer, für sie war er wie eine Erlösung. Sie lachte, bezauberte ihn mit ihrem Charme und sagte jedesmal: »Sie sind sehr liebenswürdig«, wenn er ihr ein Kompliment machte. Am Ende des ersten Tanzes wußte Bethel bereits, daß sein Neuengland-Blut blauer war als Tinte. Außerdem türmten sich auf seinen Konten und in den Depots die guten Yankee-Dollars.

Bethel hätte sich jedoch so oder so in ihn verliebt, auch ohne die gesellschaftlichen Verbindungen und das viele Geld, denn er war groß und schlank, hatte helle, leicht sonnengebräunte Haut und rabenschwarze Haare. Bei seiner Berührung stieg ihr das Blut zu Kopf wie im Hochsommer kurz vor einem Gewitter. Alles knisterte, prickelte und war geladen mit der Spannung von Hoffnung und Gefahr.

Aber Mazie Lane hatte ihre Tochter gut vorbereitet. Bethel würde zugeknöpft bleiben und die Beine zusammenhalten, bis sie einen Ring am Finger trug.

Er wollte eigentlich nur drei Tage in Sparta bleiben. Nach zwei Wochen war er so unsterblich in sie verliebt, daß er vor ihr niederkniete. Aber sie schenkte ihm nicht sofort das, worum er bat. Nicht bevor sie über die Grenze gefahren waren und einen Friedensrichter geweckt hatten, der Bethel in aller Form zu Mrs. William Tremayne machte.

So kam es, daß Bethel Lane aus Sparta, Georgia, fortan in dem vornehmen Herrenhaus mit dem Namen The Birches am Poppasquash Point in Rhode Island und den dazugehörigen Besitzungen lebte. Sie wurde Teil einer Familie, die allgemein als die »unberechenbaren und verwegenen« Tremaynes bekannt waren. Das Fundament zu ihrem großen Reichtum hatten die Tremaynes mit dem Sklavenhandel gelegt, mit Rum und Freibeuterei. Deshalb munkelte man auch, daß auf der Familie ein Fluch laste. In jeder Generation, so sagte man, habe das Schicksal zumindest ein Opfer von den Tremaynes gefordert.

Als Kind der Südstaaten fand es Bethel insgeheim komisch, daß die stolze und ehrwürdige Yankee-Familie ihres Mannes durch den Handel mit schwarzen Sklaven reich geworden war. Die Lanes aus Sparta hatten nie Sklaven gehabt. Sie waren viel zu arm und besaßen in manchen Jahren nicht einmal einen Pflug und erst recht kein Maultier, um den Pflug zu ziehen. Die Schauergeschichten von einem Fluch beeindruckten Bethel jedoch nicht, denn in ihrer Familie war das Unglück etwas so Alltägliches wie Flöhe.

Auch wenn die Tremaynes einmal verwegen und rebellisch gewesen waren, und selbst wenn Blut ihren Reichtum befleckte, so fand Bethel, gehörte das der Vergangenheit an. Außerdem hatten die Tremaynes viel Zeit und Mühe darauf verwendet, sich von den dunklen Flecken reinzuwaschen. Seit zweihundert Jahren waren die Tremaynes mit ebenso großer Sorgfalt auf Ehrbarkeit bedacht, wie sie die Blumen aus ihrem Gewächshaus hegten, die Jahr für Jahr das herrschaftliche Haus schmückten. Als Bethel eine Tremayne wurde, schwor sie sich, stets und ausnahmslos dieser Ehrbarkeit zu dienen. Die Lanes waren vielleicht nie etwas Besonderes gewesen, aber Bethel Lane-Tremayne würde alles tun, um ihrer neuen Familie alle Ehre zu machen.

Die Tochter eines armen Baumwollpflanzers hätte sich ein Anwesen wie The Birches – mit Giebeln, Türmen und Veranden, mit dem schmiedeeisernen Tor, den hellen Birken und dem leuchtendgrünen Rasen, der sich bis zur Bucht hinabzog – nicht einmal im Traum vorstellen können.

Sie fuhr in Williams elegantem neuen Landauer mit Polstern aus Samt und Leder und vergoldeten Verzierungen durch das riesige schmiedeeiserne Tor und einen Weg entlang, der so weiß und glatt war wie frisch gefallener Schnee. Später stellte sie fest, daß die Anfahrt mit unzähligen Muschelsplittern bestreut war. Sie staunte und war entzückt. Als sie aus dem Süden in den Norden und in dieses Haus kam, hatte sie tatsächlich das Gefühl, auf dem Mond gelandet zu sein.

Alles um sie herum war fremd – die Segelboote, die Picknicks, der Strand und die Menschen mit den langen, schmalen Gesichtern, die unbewegt durch ihre aristokratischen Nasen sprachen. In dieser seltsamen Welt besaßen die alten und reichen Familien die Unverfrorenheit, sich als die gute Gesellschaft zu bezeichnen. Und so lebten sie auch. Ihre Welt wurde von unzähligen Regeln und Traditionen beherrscht, die sich nicht einmal in Beadles Buch der Etikette fanden.

Hier im Norden wußte nur William, daß sie aus einer Familie kam, die in der tiefsten Provinz der Südstaaten in einer Hütte lebte. Ihr Mann brachte sie in eine goldene Welt. In Bristol zählten nur Äußerlichkeiten und gesellschaftliche Rituale. Über das wirkliche Leben wurde nie gesprochen, es fand praktisch nicht statt. Man dachte nicht einmal darüber nach.

Bethel mußte schwer an sich arbeiten, um sich dieser fremden Welt anzupassen. Sie tat es mit einer eisernen Entschlossenheit, die sie innerlich völlig aufrieb, so daß sie oft in der stillen Dunkelheit der Nacht vor Angst zitternd im Bett lag, weil sie fürchtete, man werde sie durchschauen ...

Tag für Tag, Jahr für Jahr schien sich Bethel der jeweils äußeren Schicht ihres Wesens zu entledigen, als versuche sie, den roten Staub von Georgia auch von ihrer Seele zu waschen. Sie arbeitete so lange daran, bis von Bethel Lane schließlich nur noch ein Anflug ihres Südstaatendialekts und die Vorliebe für Kaffee mit Zichorie übrigblieb.

Bethel gelang es, eine Dame der guten Gesellschaft zu werden, indem sie genau beobachtete, wie die anderen ihr sorgsam geordnetes Leben handhabten. Sie lernte, daß jede Abweichung von dem Erwarteten, von dem, was man tat, sofort und mit Nachdruck bestraft wurde.

Sie erlebte, was mit der Tochter des Bankiers geschah, nachdem sie beobachtet worden war, wie sie am Vierten Juli den Sohn eines Fischhändlers unter dem Pier im Hafen küßte. Bethel entging auch nicht, was mit der jungen Frau geschah, die im Yachtclub in einem Badekostüm erschien, das zuviel nacktes Bein enthüllte. Sie sah, wie die Frau geächtet wurde, die ihre Beherrschung verlor und sich dazu hinreißen ließ, an einem regnerischen Winternachmittag mitten auf der High Street mit der Geliebten ihres Mannes zu streiten.

Bethel wußte bald, was geschah, wenn man die Konventionen verletzte und einen Skandal provozierte, was geschah, wenn ein Geheimnis ans Licht kam. Diese ersten Lektionen über die ungeschriebenen Gesetze der guten Gesellschaft brannten sich tief in ihr Herz. Die goldene Welt ihres blaublütigen William kannte keine Gnade, wenn jemand es wagte, gegen die Regeln zu verstoßen. Wer in diese Welt aufgenommen wurde, wer sich ihr anvertraute, hatte keine andere Wahl, als sich stumm zu fügen.

Oder man war auf ewig verstoßen.

Manchmal erwachte Bethel jedoch mitten in der Nacht mit tränennassen Wangen und einer großen Leere im Herzen. In den dunklen schlaflosen Stunden erinnerte sie sich an helle, glühendheiße Tage in Sparta, als sie barfuß durch kühle Bäche gelaufen war, an den fettigen Geruch der nassen Baumwollstränge, die in der heißen Luft trockneten, und an die liebevollen Hände, die ihr Gardenien ins Haar steckten.

»Ich werde dich nachkommen lassen, Mama«, hatte sie auf ein Blatt Papier geschrieben, das sie für Mazie zurückließ, als sie mit ihrem Yankee-Gentleman heimlich davongefahren war.

Ich werde dich nachkommen lassen, Mama!

Das hatte sie ihrer Mutter versprochen. Aber sie hatte dieses Versprechen nie eingelöst.

Wagnis des Herzens

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