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4.

BOSTICH I

20. April 2046 NGZ

Jarak de Nardonn beugte sich vor. Sein von unzähligen Holokontrollen umgebener Flottenkommandantensitz lag deutlich erhöht direkt hinter dem Sitz des Kommandanten und gewährte ihm den Überblick über die gesamte Zentrale der BOSTICH I, seines Flaggschiffs, das er nach dem letzten echten Imperator Arkons benannt hatte.

Gleichzeitig war jeder Arkonide, der sich ihm näherte, bestenfalls auf Augenhöhe mit ihm, niemals aber darüber. Im Moment war es der Kommandant des Flaggschiffs, der seinen Sitz verlassen hatte, um seinem Anführer Meldung zu erstatten.

»Von Murnark? Absolut sicher?«, fragte da Nardonn nach.

»Absolut«, bestätigte Vorak da Minterol. »Der Absender hat sich allerdings nicht identifiziert. Er hat lediglich gemeldet, dass innerhalb der nächsten Tonta ein Kurierschiff nach Zalit startet, mit den Plänen einer Neuentwicklung, die unseren Gegnern einen entscheidenden Vorteil verschaffen könnte. Sie brauchen die Zustimmung und Mittelbewilligung des Flottenrats, um die Produktion zu beginnen.«

»Keine Information darüber, um welche Waffe es sich handelt?«

»Es hieß, es sei eines der zu deiner Zeit in Auftrag gegebenen Projekte. Eines, an dem dir besonders gelegen gewesen wäre.«

Da Nardonn runzelte die Stirn. »Ich habe eine Reihe Projekte lanciert, allerdings dachte ich bei keinem, dass es vor der Wiederherstellung des Imperiums Produktionsreife erreichen würde. Ich hatte schließlich nicht vor, meine Gegner zu stärken. Vermutlich hat Atlan eines davon vorantreiben lassen, vielleicht sogar mithilfe seiner Busenfreunde aus der Liga der ach so freien Galaktiker.«

»Egal, was es ist, ich denke, wir können es uns nicht leisten, die Warnung zu ignorieren«, sagte da Minterol. »Ist das Schiff erst einmal gestartet, kann es in einem Sprung das Vogasystem erreichen und wird wenig später auf Zalit landen. Dann ist die Chance zum Einschreiten vertan.«

Da Nardonn vertraute da Minterol und dessen Urteilsvermögen. Der Kommandant seines Flaggschiffs war von Anfang an maßgeblich an der Planung des Umsturzes beteiligt gewesen. Er war ein Musterbeispiel für den Erfolg des von da Nardonn in seiner Zeit als Mascant schleichend wieder eingeführten Prinzips, nur Angehörigen des Hochadels die allerhöchsten Ränge zugänglich zu machen.

Zum einen war da Nardonn tatsächlich überzeugt, dass nur im Hochadel die Gabe zur Führerschaft bereits mit der Muttermilch eingesogen wurde, selbst wenn das nicht hieß, dass diese Gabe sich bei jedem Hochadeligen entfaltete. Zum anderen hatte er sich auf diese Weise einige einflussreiche Khasurne verpflichtet – eine willkommene Erweiterung seiner Hausmacht. Seine gute Vernetzung ermöglichte ihm außerdem immer wieder Überraschungscoups wie diesen.

»Also gut«, sagte er. »Es kostet nichts, nachzusehen. Fangen wir das Kurierschiff in einem Überraschungsschlag kurz nach dem Start ab, bevor es Sprunggeschwindigkeit erreicht hat. Wir holen uns diese Pläne selbst.«

»Aber auf Murnark wird man die Waffe trotzdem weiter bauen können.«

Da Nardonn schürzte die Lippen. »Falls sie uns tatsächlich gefährlich werden kann, müssen wir eben versuchen, unsere Sympathisanten auf Murnark zu aktivieren. Entweder sorgen sie dafür, dass die Information niemand anderem mehr in die Hände fallen kann, oder wir tun es auf unsere Art.«

»Verstanden«, sagte da Minterol. Die Implikation in da Nardonns Worten schien ihm keinerlei Unbehagen zu bereiten. Er hob die Faust zur Brust und rief: »Für das neue Imperium und seinen Imperator!«

Das zustimmende Echo von den Stationen in der Zentrale entlockte da Nardonn ein zufriedenes Lächeln.

*

Das Warten zehrte an den Nerven des Mannes, der sich bereits als Imperator sah. Mit annähernd halber Lichtgeschwindigkeit jagten sie durch den interstellaren Raum und warteten auf den richtigen Zeitpunkt für den Sprung. Eine nahe Murnark stationierte Sonde würde ihnen Zeichen geben, sobald das Kurierschiff die Startsequenz einleitete.

Es würde mehrere Zentitontas für das Verlassen der Atmosphäre brauchen. Anschließend kam die Beschleunigungsphase bis zur Mindestgeschwindigkeit für eine Transition, die ebenfalls ungefähr der halben Lichtgeschwindigkeit entsprach. Genug Zeit für die BOSTICH I, selbst mit einem Sprung dem Schiff den Weg zu verlegen.

Aber erst hieß es warten, was dem ehemaligen Mascanten immer schwererfiel. Der Krieg zog sich für sein Empfinden ohnehin bereits viel zu lange hin. Mit den Naats und den Ladhonen an der Seite war er sicher gewesen, den Thantur-Baron innerhalb weniger Tage entmachten zu können.

Er hatte nicht vorgehabt, ihn zu töten, aber Larsav da Ariga würde sich für seine verräterische Amtsführung einem – von da Nardonn handverlesenen – Gericht stellen müssen. Er hatte die Liste der Richter längst parat, damit die Sache nicht zu viel Zeit kosten würde.

Aber dann war dieser Kerl aufgetaucht ... dieser Atlan. Und er hatte behauptet, der echte Atlan zu sein, was immer das bedeuten mochte. Dank der verwirrenden Datenlage gab es unzählige Mythen, die sich um einen Unsterblichen namens Atlan rankten. Sicherlich war vieles davon völlig aus der Luft gegriffen, wie diese Reise in die Dys-Chrone Region oder wie das immer geheißen haben sollte, oder die Begegnung mit allmächtigen Kosmokraten und das Herumspielen mit den genetischen Informationen des Universums in einem Kosmonukleotid.

Selbst wenn nur ein Funken Wahrheit in dem Ganzen steckte, war der echte Atlan eine beeindruckende und fähige Person gewesen. Letzteres musste man auch dem aktuellen Atlan zugestehen – andernfalls hätte er einen schweren Stand gehabt, sich als oberster Befehlshaber über eine Menge verdienter Admirale zu erheben und diese Position zu halten, Ernennung hin oder her.

Ob er beeindruckend war, konnte da Nardonn nicht beurteilen. Die kurze Begegnung auf dem Weg zur Außenschleuse der ZIRAKINZA hatte ihm keinen Eindruck gegeben, und er hatte nicht weiter auf das Geschwätz des Mannes geachtet, während er mit seiner Flucht aus der Schleuse beschäftigt gewesen war. Vielleicht hätte er sich doch die Zeit nehmen sollen, sich ein wenig mit seinem Verfolger zu unterhalten, ehe er seinen modifizierten Körper dem Weltall anvertraute.

Vergangene Tage, verpasste Chancen. All das zählte nicht mehr. Vielleicht würde es eine neue Gelegenheit geben, sich direkt mit dem Gegner zu messen.

»Ich frage mich, warum dieser Atlan beim ersten Mal vorgegeben hat, ein Doppelgänger zu sein«, sinnierte er laut.

Da Minterol drehte den Sessel. »Vielleicht wegen der Ladhonen. Es muss einen Grund geben, warum sie so vehement seine Auslieferung gefordert haben. Möglich, dass er ihnen irgendwo in die Quere gekommen ist und deshalb lieber nicht auf sich aufmerksam machen wollte.«

»Aber er hätte zu dem Zeitpunkt doch noch nicht damit rechnen können, dass die Ladhonen so massiv in Thantur-Lok auftauchen würden. Und er hat nicht gezögert, zu seiner angeblichen Identität zu stehen.«

»Das könnte damit zusammenhängen, dass ihm Macht angeboten wurde und nicht nur die Aussicht auf eine endlose Diskussion um seine Identität. Hättest du anders gehandelt?«

Da Nardonn lächelte schmal. »Hätte ich nicht. Du hast recht, er und ich sind vielleicht gar nicht so verschieden. Womöglich ließe sich sogar mit ihm verhandeln, wenn wir ihn und seine Leute erst mürbe gemacht haben. Jemand wie er an meiner Seite wäre in diesem Konflikt Gold wert. Da Ariga hätte seinen letzten und einzigen Trumpf verloren, und das zähe Ringen wäre endlich vorbei. Kein Blutvergießen mehr.«

»Er würde nicht darauf eingehen, selbst wenn das weitere Monate Krieg bedeutet. Er wird nicht riskieren, dass du ihn an die Ladhonen auslieferst.«

»Ich kann ihm ja mein Wort geben, ihn vor den Ladhonen zu schützen und ihm beim Untertauchen helfen. Falls er ihnen rein zufällig in die Arme läuft, ist es nicht meine Schuld.« Da Nardonn lächelte fein.

Sein Flaggschiffkommandant warf einen Blick auf die Zeitanzeige und schwenkte zurück. »Alle Einheiten Achtung. Abschließende Beschleunigungsphase und Sprungsynchronisation einleiten. Der Sprungzeitpunkt wird von der BOSTICH I vorgegeben. Navigation, übernehmen.«

»Sprung in zehn Millitontas.«

Selbstverständlich war ein Planet wie Murnark nicht ohne Bewachung, aber Jarak da Nardonn zählte auf den Vorteil der Überraschung. Das Weltraumfort war zudem zu schwach bewaffnet, um einem GAUMAROL-Raumer lange Widerstand leisten zu können; das Gleiche galt für die Wachflotte. Er hoffte, die Besatzungen würden das einsehen und sich heraushalten, da er nicht vorhatte, sie anzugreifen.

Er ließ sich daher nur von zwei Schweren Gefechtslakans begleiten; je sechs Schiffe der 300 Meter durchmessenden THARK-Klasse, drei Schiffe der YILLD-Klasse mit 600 Metern und ein DAGOR-Raumer von 1200 Metern, von dem aus der Lakan kommandiert wurde. Diese Lakans waren normalerweise die Kernelemente ihrer aus fünf weiteren Lakans mit geringerer Tonnage bestehenden Rhagarns.

Doch in diesem Fall brauchte da Nardonn nur wenige Schiffe, aber dabei viel Durchschlagskraft, um jeden Widerstand von vorneherein sinnlos zu machen. Wenn es nach seinem Plan ging, stießen sie nach Murnark vor, schnappten das Kurierschiff und sprangen wieder hinaus, bevor jemand Zeit zum Reagieren hatte. Daher hatte er darauf verzichtet, auch die leichteren Einheiten zum Einsatz zu bringen.

Ob es die richtige Entscheidung gewesen war, würde sich in Kürze zeigen.

»Sprung in drei Millitontas ... zwei ... eins ... jetzt.«

Von einem Moment zum anderen wechselte die Umgebung.

*

Die zeitliche Abstimmung war perfekt. Sie materialisierten so dicht am Planeten, wie es gerade vertretbar war. Das Kurierschiff hatte soeben auf die Feldtriebwerke umgeschaltet, um auf Sprunggeschwindigkeit zu beschleunigen. Noch ehe der Kommandant des 150 Meter durchmessenden Raumers der CARAN-Klasse reagieren und den Schirm aktivieren konnte, hatten die ersten Wirkungstreffer die Hülle wie Butter durchschlagen und die Triebwerkssektion getroffen.

Der Raumer geriet ins Taumeln und hinterließ einen glitzernden Streifen aus kristallisiertem Gas und Trümmern. Flackernd baute sich eben der Schutzschirm auf, als eine zweite Salve folgte, die nahezu den gesamten unteren Pol des Schiffs abrasierte. Eine Trümmerwolke breitete sich aus und verging im HÜ-Schirm, während das Schiff antriebslos mit der gleichen Geschwindigkeit weitertaumelte, die es zuletzt gehabt hatte – zu hoch, um auf den Planeten zurückzustürzen, aber zu gering, um in eine Transition zu gehen.

Während seine Schiffe in einer Zangenbewegung das Kurierschiff zwischen sich nahmen, ließ da Nardonn eine Funkverbindung aufbauen. Nachdem ihm Empfangsbereitschaft signalisiert worden war, sagte er: »Kurierschiff! Hier spricht Jarak da Nardonn. Wir haben kein Interesse, euch Schaden zuzufügen, und bedauern es, falls unser Beschuss bereits Leben gefordert haben sollte. Senkt euren Schirm und lasst euch von uns einholen, dann muss es keine weiteren Opfer geben.«

Ein Bild baute sich auf, blieb jedoch unscharf und instabil. Nur vage konnte man die hoch aufgerichtete Gestalt eines Arkoniden vor dem Hintergrund einer geschäftigen Zentrale erkennen. Auch die Tonübertragung ließ zu wünschen übrig, immer wieder gab es Verzerrungen in der Stimme. Offensichtlich hatte auch die Funkanlage des Schiffs etwas abbekommen.

»Kurierschiff EDLIN an Jarak da Nardonn. Wir betrachten den Angriff auf uns als Akt der Piraterie. Kein Arkonide würde sich Piraten ergeben! Lieber gehen wir aus freien Stücken in den Tod, als unser Schiff zu übergeben.«

»Kommandant! Dies ist keine Piraterie, sondern ein Gefecht im Kampf um eine glorreiche Zukunft für das arkonidische Volk! Ich sichere euch ehrenvolle Gefangenschaft unter dem Kriegsrecht und ...«

»Wenn ihr uns nicht den Weg freigebt, kannst du dir dein Kriegsrecht sonst wohin stecken, Verräter! Ich habe gesagt, was zu sagen war – lasst eure Finger von meinem Schiff, oder wir jagen es in die Luft!«

Der namenlose Kommandant unterbrach die Verbindung.

Da Nardonn brauchte nur Augenblicke für die Entscheidung. »Exakt dosiertes Feuer zum Aufbrechen des Schirms mit nur einem Schlag und unmittelbar anschließend Paralysebeschuss. Sie dürfen keine Zeit zum Reagieren haben.«

»Verstanden.« Da Minterol gab die Befehle.

Synchronisiert entluden mehrere Schiffe ihre schwächsten Überlichtwaffen auf dem Schirm des Kurierschiffs, der umgehend aufflackerte und verschwand. Im sofortigen Anschluss lösten die Positroniken die Lähmwaffen aus, damit die Besatzung keinen Versuch der Selbstzerstörung mehr unternehmen konnte.

Plötzlich dunkelte das Panoramaholo ab. Als die Filter wieder weggeschaltet wurden, trieb auf dem Kurs des Kurierschiffs nur noch eine langsam expandierende Wolke durch das All.

Kommandant da Minterol ließ sich in seinem Sitz nach hinten sinken. »Sie müssen die Selbstzerstörung schon vor dem Angriff aktiviert haben. Sie wollten wirklich lieber in den Tod gehen, als uns die Pläne zu überlassen.« In seinen Worten schwang widerwillige Bewunderung mit.

Da Nardonn ballte die Hand zur Faust und schluckte einen Fluch herunter. Der Einsatz war fehlgeschlagen, und jeden Augenblick mochten Schiffe auftauchen, die von dem Kurierschiff oder vom Planeten her zu Hilfe gerufen worden waren.

»Rückzug!«, befahl er mit vor unterdrücktem Zorn belegter Stimme. »Aber lasst Spionsonden zurück!«

Perry Rhodan-Paket 62: Mythos (Teil2)

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