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1.

Menschenhaut, Echsenhaut

»Willkommen an Bord des Flaggschiffs, Perry Rhodan.« Die Frau, die ihn im gewaltigen Hangar des riesigen Kugelraumers ORATIO ANDOLFI begrüßte, war schmal, wirkte ernst und hatte dunkle Augen. Die schwarzen, glatten Haare lagen eng am Kopf an, wie angeklebt, und glänzten matt.

»Ich bin Ghizlane Madouni, die Kommandantin dieses Raumers.«

»Mich kennst du ja«, sagte er. »Danke für die Aufnahme.«

»Du verstehst sicher, dass ich zunächst nur dich allein an Bord begrüßen wollte.«

»Aus Sicherheitsgründen.«

»Nenn es, wie du willst.«

Er lächelte schmallippig. »Sicherheitsgründe.«

Ihre Mimik blieb kühl und unbewegt. Sie betrachtete ihren Gast eingehend. »Sicherheit ist mir wichtig, vielleicht wichtiger, als du vermutest.« Sie winkte ab. »Du hast ursprünglich ein Team von vier Begleitern angekündigt. Ich hege wenig Zweifel, dass wir in einem Notfall alle fünf Personen überwältigen könnten. Dir sind die Roboter ...« Sie deutete beiläufig über ihre Schulter, »... wahrscheinlich nicht entgangen, die üblicherweise ... nun ja, schneller reagieren als Menschen.«

In dieser Hinsicht täuschte sich Ghizlane Madouni nicht. Rhodan hatte die beiden Maschinen sehr wohl bemerkt und erkannt, dass sie auf alten TARA-Modelle basierten – den klassischen terranischen Kampfrobotern. Das Design hatte sich zwar in den vergangenen vier Jahrhunderten verändert, aber die Herkunft ließ sich nicht leugnen. Auch diese TARAS sahen aus wie schwebende Kegel mit einem halbkugelförmigen Kopf am oberen Ende. Einige kurze Funktionsarme –eher Kugelstummel – ragten in unterschiedliche Richtungen.

Auch sonst war Rhodan neugierig auf das Flaggschiff der hiesigen Liga – ein 2600-Meter-Kugelraumer. Im Hangar, in dem das Beiboot vor wenigen Minuten gelandet war, standen drei 80-Meter-Kreuzer, ebenfalls kugelförmig. Es gäbe Platz für mindestens zwei weitere. Auf halber Höhe des Raumes, knapp unterhalb der oberen Pole der Beiboote, verlief eine breite Brüstung, teilweise stapelten sich darauf Container.

»Sie reagieren sogar schneller«, fuhr die Kommandantin fort, »als relativ unsterbliche Legenden aus der Vergangenheit der ehemaligen Heimat unserer Vorfahren. Oder ist mir in den alten Aufzeichnungen über dich etwas entgangen? Könntest du gegen einen TARA-C bestehen? Mit bloßen Händen? Immerhin wäre es möglich, dass ich das übersehen habe, die entsprechenden Daten sind mindestens ein halbes Jahrtausend alt. Dröge Lektüre, manchmal.«

»Mir scheint, du bist gut informiert. Der Roboter würde gewinnen. Aber erlaube mir eine Frage ... TARA-C? Habt ihr die Reihe wirklich bis zum hundertsten Modell weiterentwickelt?«

»Unsere Techniker haben neu angesetzt, vor einigen Jahrzehnten, mit einer symbolischen Typennummer. Seitdem mussten wir die Funktionalität kaum erweitern.« Sie hob die rechte Hand und strich beiläufig über die Augenbrauen. »Ein lästiges Hautleiden«, sagte sie, als sie seinen Blick bemerkte. »Es juckt.«

»Und deine Handbewegung gibt den Robotern nebenbei ein Signal?«, vermutete Rhodan.

»Du bist misstrauisch.«

»Du nicht?«

Nun reichte sie ihm die Hand. »Es ist gut, mit jemandem zu sprechen, der weiß, wie die Dinge laufen.«

»Ich habe geraten, was das Signal angeht.«

»Und dich dabei getäuscht. Es juckt wirklich. Vielleicht hätte ich ein solches Signal aber vereinbart, wenn ich mit einer nennenswerten Gefahr gerechnet hätte. Also komm mit, Perry Rhodan, begleite mich.«

»Solange du mich nicht in ein Café führst und ein hinhaltendes Plauderstündchen startest, bis jemand versucht, mich zu erschießen – gerne.«

»Ich habe gehört, was in der CISTOLO KHAN geschehen ist. Kommandant Hanko Lee war überaus verärgert, und es zieht großmaßstäbliche Befragungen in der Flotte nach sich. Die Attentäterin hat ihrer Gruppe mit der Kurzschlusshandlung keinen Gefallen getan.«

Sie verließen den Hangar. Ein Korridor schloss sich an, wie Rhodan ihn aus zahllosen Raumschiffen kannte. Nichts wirkte fremdartig. Die ORATIO ANDOLFI mochte in diesem Teil des Dyoversums gebaut worden sein, stammte aber trotzdem von Terranern und atmete eine heimatliche Atmosphäre.

»Die Angreiferin gehört zu den Vanothen«, sagte Rhodan nachdenklich, während sie sich dem Ausgang näherten. Die TARA-C-Roboter standen unbewegt. »Was hältst du von ihnen?«

»Ich schätze sie im Vergleich zu den Topsidern als die weitaus geringere Gefahr ein. Außerdem bin ich der Überzeugung, dass sie sich längst überholt haben.«

»So?«

»Die Vanothen hatten ihre Zeit und Berechtigung. Ihre Botschaft war klar und eindeutig: Wir dürfen unsere Ressourcen nicht darauf verschwenden, einen Weg in den anderen Teil des Zwillingsuniversums zu suchen, denn wir sind hier zu Hause. Heutzutage, nach mehreren Generationen, ist das weitgehend akzeptiert – obwohl einige noch immer den Weg zurück finden wollen. Allerdings eher aus akademischen Gründen, wenn du mich fragst. Wahrscheinlich radikalisieren sich gewisse Mitglieder der Vanothen deswegen – weil sie sonst keine Botschaft mehr verkünden können, die irgendwen bewegt. Nichts ist schlimmer für eine früher elektrisierende Gruppe als Langeweile. Und deine Ankunft, Rhodan, so leid es mir tut, wird diese Radikalisierung weiter vorantreiben.«

»Ich höre das nicht zum ersten Mal.«

»Es sollte kein Vorwurf sein.«

»Lass uns weiterhin offen reden, Kommandantin. Ich weiß das zu schätzen.«

Ghizlane Madouni führte ihn zu einem Antigravschacht. Rhodan erwartete, dass sie in den nach oben gepolten Teil treten würden, um Richtung Zentrale zu schweben. Doch es ging abwärts.

»Wohin führst du mich?«, fragte er.

»Sagte ich das nicht? Ich bringe dich direkt zu unserer bestbewachten Arrestzelle.«

Zwei Tage zuvor

Kommandantin Ghizlane Madouni wechselte einen Blick mit ihrem Sicherheitschef Torr Nishal. Dieser nickte ihr knapp zu, die Hand in der Tasche seiner Uniformjacke – und damit, wie sie wusste, am Griff seiner Waffe. Auch Ghizlane hielt sich bereit, sofort ihren Strahler zu ziehen.

Ihre Einsatzanzüge verliehen ihnen Sicherheit – sollte jemand auf sie feuern, würde sich gedankenschnell ein Schutzschirm aufbauen.

Die ORATIO ANDOLFI stand im stationären Orbit von Luna, zwei Kilometer über dem Ylatorium. Offiziell befand sich das Flaggschiff vor Ort, weil die Residentin Orfea Flaccu mit NATHAN konferierte. Es ging um die strittige Frage, ob das Mondgehirn eines seiner Kinder als ständigen Botschafter nach Terra ins Solare Haus entsenden sollte.

Die Realität sah anders aus: NATHAN hatte einen Hinweis auf mögliche Umtriebe der Topsider in der ehemaligen Onryonenstadt Iacalla gegeben und eine Untersuchung nahegelegt. Wie alles, was mit dem Echsenvolk in Zusammenhang stand, hatte das sofort hektische Aktivität aufseiten des Geheimdienstes ausgelöst.

Darum war eigentlich der Terranische Liga-Dienst auf Luna im Einsatz – in Form eines achtköpfigen Teams, das in Iacalla nach dem Rechten sah.

Ghizlane Madouni und Torr Nishal galten nur als Begleiter. Und das auch nur dank des unschlagbaren Arguments Wir sind ohnehin vor Ort, und weil wir auf dem Flaggschiff schon mehr als einmal Ärger mit den Topsidern hatten, haben wir noch eine Rechnung zu begleichen. Sie waren von den TLD-Agenten getrennt in den Weiten der Geisterstadt unterwegs und offenbar als Erste auf eine vielversprechende Spur gestoßen – zumindest gab es von niemandem eine anderslautende Nachricht.

Torr Nishal hob die linke Hand, zeigte drei Finger, dann zwei, einen – los!

Er riss die Tür auf, die in den ehemaligen Wohnbereich des leer stehenden Gebäudes führte. Mit einem Sprung war er drin. Ghizlane folgte vorsichtig und sicherte ihn, bereit, sofort zu schießen.

Nichts.

Es blieb still, ruhig, bewegungslos.

Aber wieso kam es ihr so vor, als ob etwas nicht stimmte?

Niemand hielt sich im Raum auf, abgesehen von einigen Anuupi – diese quallenartigen Tiere schwebten unter der Decke und verbreiteten ihr Leuchten, das den Onryonen so gefiel, dass sie es jeder technischen Lichtquelle vorzogen. Doch Onryonen waren keine zu sehen, und so genossen nur die beiden Eindringlinge die sanfte Helligkeit in dem Zimmer; vor dem einzigen Fenster war ein blick- und lichtdichter Vorhang zugezogen.

In ganz Iacalla gab es nach wie vor Tausende Anuupi-Schwärme, aber nicht mehr genug Hüter, die sich um sie kümmerten. Dass die Leuchttiere nicht nur überlebt, sondern sich offenbar angepasst hatten, verlieh der Geisterstadt eine unwirkliche Atmosphäre ... als gäbe es tatsächlich Gespenster, gelb-grün leuchtende Spukwesen, Erinnerungen an die einstigen Bewohner.

Es gab nur wenige Onryonen, und mit jeder Generation verringerte sich ihre Zahl weiter. Iacalla war ihre Stadt gewesen, ein pulsierendes Zentrum, das vor allem im Zeichen der Linearraumforschung stand, jedenfalls bis es zur Versetzung von Erde und Mond in diesen Teil des Dyoversums gekommen war.

Das CEE, das Change-Everything-Event, hatte das Leben der Onryonen weitaus stärker verändert als das der sonstigen Bewohner Terras und Lunas. Als fühlten sie sich in diesem Gefilde nicht wohl, als könnten sie in dieser neuen Heimat nicht überleben, hatten die meisten in einer willentlichen Entscheidung beschlossen, sich nicht weiter fortzupflanzen. Aktuell gab es nur 53 bekannte Onryonen auf Terra und Luna – und damit im gesamten zugänglichen Universum.

Ghizlane und ihr Sicherheitschef überprüften den Raum – tatsächlich hielt sich niemand darin auf, auch nicht in dem einzig möglichen Versteck, einem wuchtigen Schrank, in dem sich etliche Decken stapelten.

Ansonsten stand nur ein Tisch im Zimmer, darauf lag die hölzerne Figur eines Onryonen, etwa handspannengroß. Ghizlane erinnerte sich seltsamerweise daran, wie diese kleinen Statuen bezeichnet wurden – Pyzhurg –, wusste aber nicht mehr, wozu sie diesem Volk dienten. Geschichte war nie ihre Leidenschaft gewesen, sie kümmerte sich lieber um Themen und Probleme der Gegenwart.

Wie die Topsider.

Nur dass die Spur, die ihnen so vielversprechend vorgekommen war, in einen leer stehenden Raum führte.

Trotzdem blieb dieses ungute Gefühl, dass etwas nicht stimmte.

Torr Nishal deutete zur Decke. »Erstaunlich, dass diese Viecher hier drin überlebt haben. Sie kommen zwar ohne feste Nahrung aus, können sich lange von Bakterien und Viren ernähren ...«

»Aber sie brauchen hin und wieder Lichtzufuhr von außen«, fiel Ghizlane ihm ins Wort. Das hatte sie im vorbereitenden Infogespräch des TLD für das Einsatzteam erfahren. »Bei geschlossener Tür und zugezogenem Fenster wären die Anuupi binnen kurzer Zeit gestorben. Dieser Bereich steht seit Jahrzehnten leer. Also war jemand hier.«

Sie ging zum Vorhang und riss ihn auf.

Die Scheibe war nach oben geschoben. Draußen war es völlig windstill – wie immer unter Iacallas Energiekuppel, die die Atemluft in der Stadt hielt.

»Vielleicht haben die Echsen unsere Annäherung bemerkt und sind geflohen«, sagte sie.

Torr tippte auf dem Multifunktionsarmband seines Einsatzanzuges herum. Er fluchte vor sich hin.

»Es ist nicht lange her – es gibt eine Restwärmesignatur.« Er eilte zu Ghizlane. »Nur eine Signatur! Sie ist hier raus, mit einem Fluganzug oder sogar gesprungen. Es geht nur knapp drei Meter abwärts. Los!« Er schwang sich aus dem Fenster, schwebte nach unten.

Die Kommandantin folgte.

Es gab tausend Möglichkeiten, in den leer stehenden Gebäuden der Geisterstadt unterzutauchen.

Zehntausend Verstecke.

Aber offensichtlich hatte sich der Topsider zu sicher gefühlt und nicht damit gerechnet, dass man ihn in Iacalla suchen könnte. Oder wohl eher sie – unwahrscheinlich, dass es sich um einen Mann handelte. Alle wichtigen Funktionen im Sternengelege der Topsider waren von Frauen besetzt.

Vielleicht unterhielt das Nest – ihr Geheimdienst – bereits seit Jahren oder gar Jahrzehnten in Iacalla einen geheimen Stützpunkt, ehe NATHAN nun endlich auf ihre Aktivitäten aufmerksam geworden war.

Torr Nishal konnte der Wärmesignatur weiter folgen. Er führte die Kommandantin durch eine schmale Straße, an einer Skulptur vorbei, die Ghizlane alles andere als schön oder künstlerisch vorkam, sondern sie an einen verkrüppelten, kahlen Busch aus glänzendem Metall erinnerte.

Als sie die Skulptur passierten, bewegte sich das Gestänge.

Ghizlane fuhr herum, den Multifunktionsstrahler erhoben.

Nichts.

Kein Angreifer.

Hatte sie sich die Bewegung nur eingebildet? Sie ging ein paar Schritte zurück und bemerkte den kleinen roten Strahl, der an ihrem Bein entlangtastete, woraufhin sich die Skulptur erneut verschob.

Nun, da sie es genauer betrachtete, wirkte es, als würde der Wind den Metallbusch ein wenig vor sich hertreiben. Offenbar bildete die durch den Sensor ausgelöste Veränderung der Position einen Teil dieses Kunstwerks, dessen Bedeutung sich Ghizlane dadurch freilich nicht besser erschloss; ein Mechanismus, der auch nach Jahrzehnten in der Geisterstadt noch funktionierte.

Manches in Iacalla – die Anuupi etwa oder diese absonderliche Skulptur – scherte sich offensichtlich nicht darum, ob es Bewohner gab. Nur ein einziges Gebäude am Stadtrand, das ehemalige Besucherzentrum an der Hauptschleuse des Energieschirms, war nach wie vor bewohnt – von zweiundfünfzig der derzeit bekannten 53 Onryonen.

Sicherheitschef Nishal war bereits etliche Meter weiter und verharrte seitlich neben einem Tor, das als Passage durch ein mehrstöckiges Haus zu einem Innenhof führte.

Ghizlane schloss wieder auf.

»Sie ist da durch.« Er tippte auf die Anzeige seines Multifunktionsarmbands. »Vor mindestens vier, höchstens zehn Minuten.«

»Sollen wir den TLD informieren und Verstärkung anfordern?«

»Deine Entscheidung. Du bist die Kommandantin.«

»Die nach der Meinung ihres Sicherheitschefs fragt – zumal wir uns ohnehin nicht in meinem Schiff befinden.«

Er nickte. »Wir sollten keine Zeit verlieren. Eine Info an die Agenten, am besten dauerhafte Übertragung unserer Anzugkameras. Aber wir warten nicht auf ihr Eintreffen.«

Sie atmete tief ein. »Sicher, dass es eine Topsiderin gewesen ist? Und dass sie allein war?«

»Die Restwärme zeigt eine unscharfe, aber humanoide Form. Es könnte auch ein Onryone sein. Aber weshalb sollte der vor uns fliehen?«

»Also gut.« Sie schaltete die Bildübertragung ein – die Verbindung zu den TLD-Agenten stand.

Er folgte ihrem Beispiel. »Bereit?«

»Bereit.«

Wieder ging er vor, genau wie bei der Erstürmung des verlassenen Raumes.

Wieder griff niemand an.

Wieder war keiner zu sehen.

Aber diesmal gab es Spuren. Ghizlane entdeckte eine Brunnenanlage, in den Boden eingelassen, viele Meter breit und gerade mal knöcheltief mit Wasser gefüllt.

Etliche Fontänen sprühten einen guten halben Meter hoch. Noch so etwas, das in der verlassenen Stadt geisterhaft weiter funktionierte, weil offenbar niemand die Energiezufuhr abstellte. Möglicherweise lief die Anlage mit einem Speicheraggregat, das jahrzehntelang seine einfache Funktion erfüllte, ehe die Fontänen irgendwann in sich zusammenfallen würden, von einem Tag auf den anderen, unbemerkt.

Der Brunnen plätscherte auf dem direkten Weg zum gegenüberliegenden Ausgang aus dem Innenhof. Und Topsider liebten Wasser.

Die Topsiderin hatte sich offenbar unbeobachtet und sicher genug gefühlt, um durch die Anlage zu gehen und dabei mit jedem Schritt eine feuchte Fußspur hinterlassen.

Die Spur führte zum gegenüberliegenden Ausgang, knickte jedoch ab, kurz bevor die beiden Terraner ihn erreichten. Es ging an der Hauswand entlang, hin zu einer Treppe nach unten, in einen Kellerbereich.

Ghizlane und Torr folgten, ständig darauf gefasst, in eine Falle zu laufen.

Der Sicherheitschef lugte zuerst in den Treppenabgang. Er winkte der Kommandantin, ihm zu folgen, als er die ersten Stufen nahm.

Sie erreichten eine unterirdische Halle, einst vielleicht ein Lagerraum.

Und dort fielen die lang erwarteten Schüsse.

Ihre Schutzschirme bauten sich flirrend auf. Ein Energiestrahl jagte an ihnen vorbei und schlug in die Decke. Glühende Metalltropfen lösten sich und platschten zischend auf den Boden.

Torr schoss zuerst zurück.

Die Angreiferin nutzte eine meterdicke Stützsäule als Deckung. Im nächsten Augenblick flog ein unscheinbarer, kleiner Ball heran und zog eine grün leuchtende Spur hinter sich her.

Eine topsidische Feuergranate!

Ghizlane schrie eine Warnung, sprang und stieß ihren Sicherheitschef beiseite; ihre Anzüge waren miteinander synchronisiert, sodass sich die Schutzschirme nicht abstießen, sondern vereinten. Dadurch verdoppelte sich ihre Stärke. Sie konnte nur hoffen, dass es ausreichte.

Die Feuergranaten galten als die gefürchtetste Nahkampfwaffe der Echsen – ihre Wirkung war verheerend. Ein einfacher Schirm hätte den energetisch aufgeladenen, mehrere Zehntausend Grad heißen Lohen nicht standgehalten, die sich ihnen nun entgegenfraßen.

Der grüne Tod flirrte über ihren kombinierten Schutzschirm, tastete sich mit lodernden Flammen voran, wollte sich durch die dünne Energieschicht fressen.

Das Feuer dauerte zehn bis zwölf Sekunden, bis sämtliche Mikrogranaten in der Kaskadenfolge explodierten – das lernte jeder Kadett, ehe er auch nur einen Fuß in ein Raumschiff setzte.

Sieben davon waren vorbei, der Schirm hielt.

Acht Sekunden.

Das Flackern und Flimmern schien näher zu rücken, vielleicht noch eine Handspanne von ihrem Gesicht entfernt.

Neun.

Torr schrie auf, hob die Waffe, feuerte blind durch die grüne Wand aus Hitze und Tod. »Wir müssen raus!« Er brauchte sich nicht zu erklären.

Ghizlane wusste selbstverständlich, worauf er hinauswollte. Das Feuer war das eine – die Druckwelle der Granate etwas völlig anderes. Sie mussten damit rechnen, dass der Kellerraum einstürzte.

Zwölf Sekunden.

Die grünen Lohen verpufften, die Sicht klärte sich. Die Säule vor ihnen war zerborsten, ein Teil der Decke brach donnernd in die Tiefe.

Eine Gestalt floh, nicht Richtung Treppenaufgang, sondern weiter in die Halle.

»Hinterher!« Die Kommandantin nutzte den Flugmodus ihres Anzugs, gab Vollschub und raste los. Sie gewann freies Schussfeld und feuerte. Auch ihre Gegnerin trug einen Schutzanzug – keine Frage, sonst hätte die Hitze- und Druckwelle der Granate sie getötet.

Der Schutzschirm um den Flüchtling flammte auf, und einen Augenblick später stand Ghizlane so nahe, dass sie die Gestalt wenigstens grob erkannte.

Sie stutzte.

Keine Topsiderin.

Ein männlicher Terraner, zweifellos.

Aber sie kannte Gerüchte, von kosmetischen Operationen, die ...

Torr war heran und jagte dem Gegner eine Salve entgegen.

Hinter dem aufflammenden Schutzschirm hob der Mann beide Arme. »Aufhören!«, schrie er.

*

»Eine Arrestzelle«, sagte Perry Rhodan. »Ich nehme nicht an, dass du mich dort hineinstecken willst.« Er versuchte, seiner Stimme einen leicht amüsierten Klang zu geben, aber er hatte zu viel erlebt, um nicht alles für möglich zu halten.

Kommandantin Ghizlane Madouni verließ den Antigravschacht. »Selbstverständlich nicht. Ich werde dir dort etwas zeigen. Oder ... jemanden.«

»Ich lerne gerne neue Menschen kennen«, meinte er süffisant.

»Eine Topsiderin.«

Rhodan lächelte. »Ich bin aufgeschlossen.«

»Erwarte nicht zu viel. Wir haben sie vor zwei Tagen gefangen genommen. Eine Agentin des Nests.«


Illustration: Dirk Schulz

»So nennt sich der hiesige topsidische Geheimdienst?«, vermutete er.

Sie bestätigte und führte ihn in einen Raum, den sie erst betreten konnten, als sich die Kommandantin mit einem persönlichen Autorisationscode und ihrem Stimmmuster identifizierte. Dahinter erwarteten sie zwei Wachtposten, die ihnen zunickten und den Weg freigaben.

Rhodan blickte auf eine geschlossene Zellentür. Ghizlane Madouni tippte etwas in ein Displayfeld, das in der Wand daneben auf Kopfhöhe lag. Ein vernehmliches Knacken ertönte, dann öffnete sie die Tür.

Der Raum dahinter war karg eingerichtet – das Musterbild einer einfachen Zelle. Eine Pritsche an der Wand, ein türloser Durchgang in einen winzigen Nebenraum mit den grundlegenden sanitären Notwendigkeiten.

Auf der einfachen Matratze lag die angekündigte Topsiderin, die aber von den Neuankömmlingen keinerlei Notiz zu nehmen schien.

Rhodan hatte in seinem Leben viele Angehörige dieses Volkes gesehen, aber keine wie diese. Die Schuppenhaut und den humanoiden Körperbau kannte er. Die Gefangene trug einen roten Anzug, doch zwei markante Unterschiede sprangen trotzdem sofort ins Auge.

Diese Topsiderin hatte nicht den typisch echsenhaften Stützschwanz ihres Volkes – und keine weit vorgewölbte Schnauze, sondern ein glattes, seltsam menschlich wirkendes, aber mit Schuppen bedecktes Gesicht. Die Augen blieben geschlossen.

»Kann sie uns hören?«, fragte Rhodan, dem der leicht flimmernde Energievorhang zwischen ihnen und der Pritsche nicht entging. Die Kommandantin war keineswegs so arglos in die Zelle eingetreten, wie es zunächst den Anschein gehabt hatte.

»Es gibt keine akustische Dämpfung. Sie hört uns. Seit ihrer Gefangennahme hat sie kein einziges Wort gesprochen. Überhaupt habe ich nur eine Äußerung von ihr gehört – Aufhören! –, als sie unter dem Feuer meines Sicherheitschefs lag. Da war sie noch vollständig als Terraner maskiert.«

»Eine Ganzkörpermaske?«, fragte Rhodan.

»Es gab vorher Gerüchte, dass sich bestens getarnte topsidische Agentinnen frei auf Terra bewegen. Sie ist die Erste, die wir enttarnen konnten.«

»Es handelt sich bei den Agenten ausschließlich um Frauen?«

»Männer dienen im Sternengelege der Topsider nur dazu, einfachste Aufgaben zu erledigen. Ihr Matriarchat ist extrem ausgeprägt.«

»Ich kenne sie anders«, sagte Rhodan. »Auch rein äußerlich – mit Schnauze und Stützschwanz.«

»Was eigentlich ebenso für die hiesigen Topsider gilt«, stellte die Kommandantin klar. »In ihrem Fall wurde beides chirurgisch entfernt. Es muss ein äußerst komplexes medizinisches Verfahren hinter ihr liegen. Das Ganze kann nach Meinung unserer Mediker nicht schmerzlos ablaufen – immer noch nicht. Ein großes Opfer, um auf diese Mission zu gehen.«

Rhodan deutete auf die Gefangene, die nach wie vor die Augen geschlossen hielt. »Darf ich?«, fragte er.

Kommandantin Madouni nickte. »Nur zu.«

Er drehte sich zu der Topsiderin. »Mein Name ist Perry Rhodan. Vielleicht hast du schon von mir gehört.«

Sie setzte sich mit einer einzigen, gleitenden, geschmeidigen Bewegung auf. Ihre Augen waren tiefrot. »Du bist der, der kommen soll.« Ihr Interkosmo war akzentfrei. Sie stand auf, ging einen Schritt, bis sie direkt vor dem Energievorhang stehen blieb. »Wie ... unerwartet. Es stimmt also tatsächlich.«

»Dein Volk hat gestern ein Ultimatum gestellt. Die Liga soll mich ausliefern.«

»Davon weiß ich nichts. Ich bin seit zwei Tagen von der Außenwelt abgeschnitten.«

»Warum wollen sie mich in ihre Gewalt bringen?«

»Hast du nicht zugehört?« Die Topsiderin hob die rechte Hand, streckte sie aus, bis sie den Energievorhang berührte. Winzige Überschlagsblitze verästelten sich. Ein energetisches Summen ertönte, und offenbar wurde ihr Arm abgestoßen; er zuckte, und der Ellenbogen ruckte hin und her, doch sie presste die Hand weiterhin nach vorne. »Ich bin hier von allem abgeschnitten!«

»Aber du weißt ...«

Sie drückte fester, das Summen wurde lauter, fast ein Kreischen, und der ganze Körper der Topsiderin zuckte.

»Nimm die Hand zurück!«

Sie verzog den Mund in ihrer Nicht-Schnauze. Ein Speichelfaden trat aus, rann ihr übers Kinn.

»Nimm sie zurück!«

»Wieso ... sollte ... ich?« Sie stieß mit der Stirn gegen den Vorhang, und nun wurde sie zurückgeschleudert, krachte an die Pritsche und knickte ein. Die Schuppen ihrer Handinnenfläche dampften.

»Bleib sitzen!«, forderte Rhodan.

»Noch einmal – warum sollte ich?«

»Weil ich gehe, wenn du aufstehst.«

Ein Lachen antwortete ihm. »Welchen Unterschied macht es?«

»Für dich – jeden«, sagte er. »Du weißt, wer ich bin, und deshalb bin ich für dich unwiderstehlich. Dir ist klar, wieso dein Volk mich in seine Gewalt bekommen will. Also, rede. Weshalb bin ich so wichtig für die Topsider?«

Die Topsiderin sah ihn an. »Weil deine Ankunft alles verändern wird.«

Perry Rhodan-Paket 62: Mythos (Teil2)

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